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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2004, Seite 21

Haciendo Bulla

»Der Drops ist noch lange nicht gelutscht! Mit Haciendo Bulla packen Karamelo Santo noch einen drauf. Wir verneigen uns ehrfurchtsvoll vor den Großmeistern des Mestizo mit den Zutaten aus Latin Ska Punk Cumbia.« So die Information des Labels Übersee Records zur neuen CD vom »heiligen Bon Bon« (Karamelo Santo).
Seit zwei Jahren bringt das Label aus Hannover nicht nur Musik aus den »Amerikas« auf CDs zu uns, sie holen die Bands auch zu uns. Wer im Sommer Spaß mit Panteón Rococó hatte sollte jetzt die Tourne von Karamelo Santo nicht verpassen. Wer den Sommer verschlafen oder im Urlaub verbracht hat, sollte sich an trüben Herbstabenden zumindest vom Schwung dieser Gruppe auf einem Konzert nicht verschonen.
Aus Mendoza im Nordwesten Argentiniens kennt man hierzulande, wenn es hoch kommt, den Wein, für den die Stadt nicht ohne Grund berühmt ist. Doch mehr als von Weinseligkeit ist die Musik der sieben Musiker wohl von einem anderen Merkmal der Stadt geprägt: Mendoza liegt am Rande einer der unruhigsten geologischen Ecken der Erde. So wurde die Stadt in ihrer über 400-jährigen Geschichte von verheerenden Erdbeben geschüttelt und die Menschen leben, gelassen, aber vorbereitet, in Spannung und der allgegenwärtigen Erwartung des nächsten Rüttelns.
Nichts ist von der kolonialen Architektur geblieben als die Erinnerung. So verarbeiten Karamelo Santo musikalische Erinnerungen und formen es in jedem Stück zu einem neuen Stück, dem kein staubig Gestriges mehr anzumerken es.
Nach ihrer Gründung 1993 haben sie Mendoza 1997 Richtung Buenos Aires verlassen und wohnen heute im La-Boca-Viertel. So verarbeiten die Musiker die Situation in Argentinien der letzten Jahre in ihren Liedern und die hat bekanntlicherweise auch eine Menge Schwung zu bieten.
Haciendo Bulla ist das vierte Album der Gruppe und das zweite, das via Übersee Records in die heimischen Plattenläden gekommen ist. Es geht los mit »Fruta Amanga« einem Klassiker von Ruben Blades. Nach dem die Einstimmung durch die Rockgitarre von Guillermo Goy Ogalde abgeklungen ist, entwickelt sich das Stück zu einem feurigen Salat aktueller lateinamerikanischer populärer Musik.
Die Musik rockt im ursprünglichen Sinne und fließt dennoch mit einer unglaublichen Leichtigkeit dahin. Am rockigsten kommt auf der neuen Scheibe »Tu quieres matarme«, und wenn die ersten Takte als Filmmusik für einen Western durchgehen könnten, löst sich Karamelo Santo in diesem Stück schnell von einem solchen Eindruck, wirft ihn über den Haufen und erinnert nur noch durch den Bläsereinsatz daran, dass wir es hier mit einer Band zu tun haben, die sich ansonsten bewegt zwischen Ska, Cumbia und allem, was sich unter dem Begriff Latinomix den Weg bahnt. Dem entsprechen auch die anderen Titel dieser Produktion.
Besonders gefällt mir dabei, dass als Stilmix mit Reggaeübergewichten daherkommende »Vivo en una Isla«. Wie hier Rhythmussektion, Bläser Gesang und Orgel sich die Soundbälle zuspielen und dieses Spiel dann von der Gitarre durch ein Minisolo unterbrochen wird, ist schon ein richtiger Leckerbissen.
Doch auch die anderen Stücke des Karamelo Santo Festival Popular machen deutlich: die Forderung nach einer Deutschmusikquote auf hiesigen Sendern liegt begründet in der Mischung aus dümmlichen Nationalismus und der derzeitigen Unfähigkeit der Musikszene Deutschlands Bands von einer Qualität Karamelo Santos hervorzubringen
»An dieser Platte werden sowohl studentische ›Che-Guevara- Revoluzzer‹ als auch schicke, Margaritatrinkende Latinofans ihre helle Freude haben«, meint Überseerecords, das schließt sicherlich auch der Fokustheorie kritisch gegenüberstehende mojitotrinkende Zeitgenossen ein.
Wir können uns also freuen auf die Konzerte mit Karamelo Santo. Wer einen ersten optischen Eindruck haben will kann sich Bilder eines Konzertes in Buenos Aires auf Indymedia Argentina anschauen.

Thomas Schroedter

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