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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2004, Seite 21

Memoria del Saqueo — Chronik einer Plünderung

Argentinien 2004, von Fernando E. Solanas

»Wie ist es gekommen, dass Argentinien, diese Kornkammer der Welt, Hunger leiden muss? Wie konnte es geschehen, dass sich eine kleine Gruppe skrupelloser Politiker unermesslich bereichern konnte, während das Volk auf der Strecke blieb? In Argentinien tobt eine neue Form von Krieg gegen das Volk, wo statt mit Waffen mit wirtschaftlichen Mitteln gekämpft wird. Jedes Jahr sterben 35000 an Unterernährung — mehr als während der acht Jahre Militärdiktatur.«
Mit diesen Worten beschreibt der Regisseur Fernando Solanas seine Motivation zu dem Dokumentarfilm Memoria del Saqueo — Chronik einer Plünderung. Solanas ist der Altmeister des argentinischen Films und einer der wenigen argentinischen Regisseure, die auch in Europa bekannt sind. Er wurde in diesem Jahr auf der Berlinale mit einem Ehrenbären für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Solanas war immer schon ein politischer Regisseur. Bereits 1967 beschäftigte er sich in dem Film La hora de los hornos (Die Stunde der Hochöfen) mit der politischen und sozialen Situation seines Landes. 1976 wurde er von der Militärdiktatur ins Exil gezwungen. Nach dem Ende der Diktatur setzte er sich in den Filmen El Sur (Der Süden, 1988), El Viaje (Die Reise, 1992) und La Nube (Die Wolke, 1998) mit den Folgen der Militärdiktatur, ihrer fehlenden Bewältigung und allgemein mit der Situation Argentiniens und Lateinamerikas auseinander. Er gründete sogar eine Partei, die Frente del Sur, für die er von 1993 bis 1997 im Parlament saß und 1995 für das Amt des Präsidenten kandidierte.
Die Chronik einer Plünderung hat ihren Ausgangspunkt im Volksaufstand vom 20.Dezember 2001, durch den Präsident de la Rua gestürzt wurde und der mit seinen Stadteilversammlungen, der Selbstorganisation der Erwerbslosen als »Piqueteros« und der Übernahme vieler Fabriken in Selbstverwaltung teilweise vorrevolutionäre Formen annahm. Wenn auch mittlerweile der Elan dieser Bewegungen nachgelassen hat und die Entwicklung unter dem linksperonistischen Präsidenten Kirchner eine eher sozialdemokratische Wende genommen hat, bleibt Argentinien doch das Musterbeispiel für neoliberale Politik und die speziellen sozialen Verheerungen, die sie anrichtet.
Die Proteste vom 20.Dezember 2001 stehen am Anfang und Ende des Films, sie bilden seinen Rahmen. Dazwischen geht es v.a. um die von 1989 bis 1999 dauernde Präsidentschaft von Carlos Menem. Menem wurde 1989 als Kandidat der peronistischen »Justizialistischen Partei« zum Präsidenten gewählt. Er bestritt den Wahlkampf mit den für den Peronismus typischen sozialpopulistischen Phrasen. Während seiner Präsidentschaft führte er aber das wohl weltweit am weitesten gehende Privatisierungsprogramm durch, das Argentinien zum Musterschüler von IWF und Weltbank machte. Die sozialen Folgen spielten dabei keine Rolle. Sie werden aber von Solanas sowohl durch Bilder als auch durch statistische Fakten eindrucksvoll belegt.
Menems Motto war, dass nichts, was in der Hand des Staates ist, in seiner Hand bleiben soll. Die sozialen Folgen dieser außerordentlich konsequent durchgeführten Politik waren katastrophal. Die Armut wuchs, Unterernährung v.a. von Kindern erreichte ein in Argentinien bis dahin ungekanntes Ausmaß. Aus einem Land, das in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts eines der reichsten war, wurde ein Armenhaus.
Eine kleine Elite argentinischer Unternehmer, Manager und Politiker profitierte von den Privatisierungen. Die Hauptprofiteure der Entwicklung aber waren Konzerne aus Nordamerika und in noch höherem Maße aus Europa, z.B. der Wassermulti Vivendi oder die Deutsche Bank. Seit Mitte der 90er Jahre wuchs der soziale Protest, der im Aufstand vom 20.Dezember 2001 kulminierte. Danach bewiesen die Argentinier, dass sie nicht nur den Privatisierungen, sondern auch dem peronistischen Staatskapitalismus misstrauen, indem sie eine Reihe von genossenschaftlichen Selbstverwaltungsversuchen unternahmen.
Der Film ist ein Lehrstück über den Kapitalismus im Allgemeinen und seine neoliberale Variante im Besonderen. Er sei auch jenen Linken empfohlen, die soziale Widersprüche für irrelevant halten und nur noch die Herrschaft des Wertgesetzes als wesentliches Merkmal des Kapitalismus gelten lassen. Sie werden hier eindrucksvoll eines Besseren belehrt.

Andreas Bodden

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