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Nach einem fast zweijährigen Umfragehoch für die CDU und Angelika
Merkel sind die Konservativen jetzt wieder von der Realität eingeholt worden.
Sinkende Umfragewerte und massive innerparteiliche Auseinandersetzungen z.B. über die Steuer-
und die Gesundheitspolitik sowie Personalquerelen zeigen, dass die Union und ihr wirtschaftsliberaler
Anhang namens FDP die Bundestagswahlen 2006 noch lange nicht gewonnen haben.
Den Hintergrund für diesen
Abwärtssog bildet eine tiefgreifende Krise sowohl in Fragen des Programms wie bei den zu vertretenden
Werte, die wie so häufig in Form von Personaldebatten an die Oberfläche tritt.
Als Ende der 90er Jahre die
Korruptionsaffären des abgewählten Kanzlers Kohl und der hessischen Parteiführung um den
früheren Innenminister Kanther die CDU in eine tiefe Vertrauenskrise rissen, war die Sehnsucht nach
einer Person, die unbelastet von dieser Vergangenheit den Karren aus dem Dreck ziehen sollte,
überwältigend: Die »Aufräumarbeiten« wurden der protestantischen Pfarrerstochter
aus dem Osten anvertraut.
Die Union hatte nach dem unrühmlichen
Abgang von Wolfgang Schäuble, der im Bundestag hatte einräumen müssen, vom Waffenlobbyisten
Schreiber Geld angenommen zu haben, wenig personelle Alternativen, denn Helmut Kohl hatte in den 25 Jahren,
in denen er die Partei führte, dafür gesorgt, dass andere Anwärter auf den Parteivorsitz
klein gehalten wurden.
Angela Merkel besaß in den Augen der
Strippenzieher hinter den Kulissen gegenüber möglichen Konkurrenten wie Peter Müller und
Roland Koch drei wichtige Vorteile: Sie hatte lange Jahre auf dem bundespolitischen Parkett agiert und
verfügte daher über eine gewisse Kontrolle der Bundestagsfraktion, sie galt als programmatisch
wenig eindeutig positioniert, sodass jeder Flügel der Partei sich in ihr wiedererkennen konnte, und
vor allem verfügte sie nicht über die Unterstützung eines starken Landesverbands (in
Mecklenburg-Vorpommern haben nur ein paar tausend Menschen das CDU-Parteibuch), sodass sie nicht wirklich
gegen die Diadochen der Rheinschiene Politik machen konnte.
Am Anfang konnte sich die CDU mit Angela Merkel über eine Reihe von gewonnenen Landtagswahlen
freuen. Dabei fiel zunächst kaum auf, dass diese Siege häufig darauf zurückzuführen
waren, dass die SPD mit ihrer Politik der Steuersenkungen für Reiche und der Einschnitte ins soziale
Netz einen Gutteil ihrer traditionellen Wählerschaft vergraulte und nicht (mehr) an die Urnen bringen
konnte.
Die ersten Auseinandersetzungen (einmal
abgesehen von der Ersetzung des farblosen Generalsekretärs Polenz durch Laurenz Mayer) provozierte
Merkels unbedingtes Eintreten für Bushs Kriegspolitik im Irak und ihre Pilgerreise ins Weiße
Haus, womit sie der rot-grünen Außenpolitik in den Rücken fiel. Da über 80% der in
Deutschland lebenden Menschen den US-amerikanischen Kriegszug ablehnten, hatte sie nach ihrer Rückkehr
aus Washington alle Hände voll zu tun, ihren Standpunkt zu verteidigen.
Damals erhielt sie von einer Reihe von
konservativen Professoren und Kommentatoren in der Presse noch Unterstützung. Diese Stimmen wurden
jedoch mit der zunehmenden Verwicklung der USA in einen langen Kleinkrieg und dem Auseinanderbrechen der
»Koalition der Willigen« immer zurückhaltender, was ihre Stellung keineswegs stärkte.
Auch in der Frage der Erweiterung der
Europäischen Union bewegte sie sich auf glitschigem Parkett. Ihre Reise nach Ankara, auf der sie der
türkischen Regierung erklärte, dass die Türkei als nichteuropäischer Staat nicht in die
EU aufgenommen werden dürfe, sondern sich vielmehr mit einer im Einzelnen nicht definierten
»privilegierten Partnerschaft« zu begnügen habe, verschaffte ihr weder vor Ort noch in der
hiesigen türkischen Immigration Freunde.
Parteimitglieder mussten sie daran erinnern,
dass ihre Haltung in diametralem Widerspruch zur Politik aller CDU-geführten Bundesregierungen und
auch zu den meisten konservativen Parteien in EU-Europa steht, zumindest denjenigen, die an der Regierung
sind. Darüber hinaus glaubte sie, sekundiert vom bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber, in der
Art eines Roland Koch eine gewisse populistische Demagogie aufgreifen zu können und stimmte
zunächst für eine Unterschriftensammlung gegen den türkischen EU-Beitritt (wiewohl es
eigentlich nur um die Aufnahme von Verhandlungen ging).
Erst als die Mehrheit der Parteiführung
begriff, dass eine solche Kampagne Wasser auf die Mühlen ausländerfeindlicher Parteien sein und
ein Bündnis von DVU und NPD unter Umständen sogar in den Bundestag führen würde,
ruderten Merkel und Co. zurück. Aber zum Preis eines erheblichen Autoritätsverlustes in und
außerhalb der Partei.
Um in der Steuer- und Finanzpolitik gegen Rot-Grün punkten zu können, wurde der angebliche
»Experte« Friedrich Merz aus dem Sauerland zum Sprecher der Unions-Fraktion für diesen
wichtigen Bereich berufen. Er verkündete lauthals, ein Steuerkonzept »aus einem Guss«
verfertigen zu wollen, das nicht nur die Steuererklärung ungeheuer vereinfachen (»auf einem
Bierdeckel«), sondern auch die Steuerbelastung massiv senken sollte. Es sollten Sätze von 12, 24
und 36% eingeführt werden.
Nach der verlorenen Bundestagswahl von 2002
dämpfte Merkel seinen Höhenflug und schob ihn aus dem Fraktionsvorsitz ins zweite Glied
zurück. Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden und ihrem jeweiligen Anhang erreichten zuletzt
eine solche Schärfe, dass Merz den Bettel hinwarf und sich womöglich in der NRW-Landespolitik
eine Hausmacht aufbaut.
Jedenfalls wurde im Auftrag der Finanzminister
der Länder eine Studie verfasst, die die Auswirkungen der Steuersenkungsprogramme von CDU, CSU, FDP,
Paul Kirchhof und Joachim Land einer genaueren Prüfung unterzog. In diesem Gutachten heißt es:
»Tendenzielle Gewinner wären Steuerpflichtige in derzeit hoher Progressionsstufe mit wenigen
Abzügen«, »tendenzielle Verlierer dagegen Steuerpflichtige mit geringem Einkommen und hohen
Abzügen oder hohen steuerfreien Einkünften, etwa Pendler oder Feiertags- oder
Nachtarbeiter«. (Süddeutsche Zeitung, 21.2.)
Die Einnahmeverluste für die
öffentliche Hand beliefen sich im CDU-Modell à la Merz auf 31,5 Milliarden Euro im ersten, 30,2
Milliarden im zweiten Jahr und auf 28,2 Milliarden Euro in den Folgejahren. Beim dem weniger rabiaten
Modell des bayrischen Finanzministers Kurt Faltlhauser (CSU) lägen die Verluste bei etwa der
Hälfte. Die Studie kommt hinsichtlich der angeblich nötigen Vereinfachung der
Steuererklärung zu einem eindeutigen Ergebnis: »Je radikaler die Pläne sind, umso
ungerechter sind sie.«
Bezeichnenderweise wurden die CDU-Pläne
auf dem Leipziger Parteitag ohne größere inhaltliche Diskussion mehr oder weniger durchgewunken.
Nachdem das Publikum aber mittlerweile zu begreifen beginnt, was da mit welchen Konsequenzen beschlossen
wurde, leidet die Autorität der Parteiführung.
In noch stärkerem Maße gilt dies für einen weiteren Beschluss des Leipziger Parteitags,
für die Ersetzung der einkommensabhängigen Prämie in der Krankenversicherung durch die
Kopfpauschale.
Merkel hatte den früheren
Bundespräsidenten Roman Herzog, der sich bis dahin mit Sozialpolitik überhaupt nicht ernsthaft
beschäftigt hatte, mit der Bildung einer Kommission beauftragt, die Vorschläge zu einer
»Entkoppelung« der Krankenversicherung von der Entlohnung ausarbeiten sollte. Denn nach
allgemeinem neoliberalen Credo müssen in Deutschland die »Lohnnebenkosten« sinken, damit die
»Wettbewerbsfähigkeit« steigt.
Die Vorschläge der Kommission wurden auf
dem CDU-Parteitag gegen massiven Einspruch von Norbert Blüm, der dafür aber nur Spott
erntete zum Parteiprogramm gemacht. Da aber fast die Hälfte der Beschäftigten sich eine
Pauschale von rund 280 Euro nicht leisten könnte, entstünde entweder eine Lage nach Art der USA,
wo 15% der Bevölkerung über keine Krankenversicherung verfügen, oder es müssten
steuerliche Subventionen für den ärmeren Teil der Bevölkerung in der Größenordnung
von 3040 Milliarden Euro bewegt werden, von denen natürlich niemand sagen kann, wo sie herkommen
sollen, insbesondere dann, wenn die reichen Einkommensbezieher auch noch »entlastet« werden
sollen.
Selbst wenn man einer sich christlich
nennenden Partei eine Portion Wunderglauben zugestehen mag die unter Merkels Parteiführung
beschlossenen Konzepte sind in vielen Politikbereichen so wenig realitätstauglich und auch gegen die
Interessen der weniger begüterten CDU-Mitglieder gerichtet, dass sich niemand zu wundern braucht, wenn
trotz rot-grüner Politik in Berlin die Glaubwürdigkeit dieser Partei und ihrer Führung im
Sinkflug begriffen ist.
Paul B. Kleiser
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