SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2004, Seite 6

Die CDU und Frau Merkel

Die Königin ist nackt

Nach einem fast zweijährigen Umfragehoch für die CDU und Angelika Merkel sind die Konservativen jetzt wieder von der Realität eingeholt worden.

Sinkende Umfragewerte und massive innerparteiliche Auseinandersetzungen z.B. über die Steuer- und die Gesundheitspolitik sowie Personalquerelen zeigen, dass die Union und ihr wirtschaftsliberaler Anhang namens FDP die Bundestagswahlen 2006 noch lange nicht gewonnen haben.
Den Hintergrund für diesen Abwärtssog bildet eine tiefgreifende Krise sowohl in Fragen des Programms wie bei den zu vertretenden Werte, die — wie so häufig — in Form von Personaldebatten an die Oberfläche tritt.
Als Ende der 90er Jahre die Korruptionsaffären des abgewählten Kanzlers Kohl und der hessischen Parteiführung um den früheren Innenminister Kanther die CDU in eine tiefe Vertrauenskrise rissen, war die Sehnsucht nach einer Person, die unbelastet von dieser Vergangenheit den Karren aus dem Dreck ziehen sollte, überwältigend: Die »Aufräumarbeiten« wurden der protestantischen Pfarrerstochter aus dem Osten anvertraut.
Die Union hatte nach dem unrühmlichen Abgang von Wolfgang Schäuble, der im Bundestag hatte einräumen müssen, vom Waffenlobbyisten Schreiber Geld angenommen zu haben, wenig personelle Alternativen, denn Helmut Kohl hatte in den 25 Jahren, in denen er die Partei führte, dafür gesorgt, dass andere Anwärter auf den Parteivorsitz klein gehalten wurden.
Angela Merkel besaß in den Augen der Strippenzieher hinter den Kulissen gegenüber möglichen Konkurrenten wie Peter Müller und Roland Koch drei wichtige Vorteile: Sie hatte lange Jahre auf dem bundespolitischen Parkett agiert und verfügte daher über eine gewisse Kontrolle der Bundestagsfraktion, sie galt als programmatisch wenig eindeutig positioniert, sodass jeder Flügel der Partei sich in ihr wiedererkennen konnte, und vor allem verfügte sie nicht über die Unterstützung eines starken Landesverbands (in Mecklenburg-Vorpommern haben nur ein paar tausend Menschen das CDU-Parteibuch), sodass sie nicht wirklich gegen die Diadochen der Rheinschiene Politik machen konnte.

Irakkrieg/EU

Am Anfang konnte sich die CDU mit Angela Merkel über eine Reihe von gewonnenen Landtagswahlen freuen. Dabei fiel zunächst kaum auf, dass diese Siege häufig darauf zurückzuführen waren, dass die SPD mit ihrer Politik der Steuersenkungen für Reiche und der Einschnitte ins soziale Netz einen Gutteil ihrer traditionellen Wählerschaft vergraulte und nicht (mehr) an die Urnen bringen konnte.
Die ersten Auseinandersetzungen (einmal abgesehen von der Ersetzung des farblosen Generalsekretärs Polenz durch Laurenz Mayer) provozierte Merkels unbedingtes Eintreten für Bushs Kriegspolitik im Irak und ihre Pilgerreise ins Weiße Haus, womit sie der rot-grünen Außenpolitik in den Rücken fiel. Da über 80% der in Deutschland lebenden Menschen den US-amerikanischen Kriegszug ablehnten, hatte sie nach ihrer Rückkehr aus Washington alle Hände voll zu tun, ihren Standpunkt zu verteidigen.
Damals erhielt sie von einer Reihe von konservativen Professoren und Kommentatoren in der Presse noch Unterstützung. Diese Stimmen wurden jedoch mit der zunehmenden Verwicklung der USA in einen langen Kleinkrieg und dem Auseinanderbrechen der »Koalition der Willigen« immer zurückhaltender, was ihre Stellung keineswegs stärkte.
Auch in der Frage der Erweiterung der Europäischen Union bewegte sie sich auf glitschigem Parkett. Ihre Reise nach Ankara, auf der sie der türkischen Regierung erklärte, dass die Türkei als nichteuropäischer Staat nicht in die EU aufgenommen werden dürfe, sondern sich vielmehr mit einer im Einzelnen nicht definierten »privilegierten Partnerschaft« zu begnügen habe, verschaffte ihr weder vor Ort noch in der hiesigen türkischen Immigration Freunde.
Parteimitglieder mussten sie daran erinnern, dass ihre Haltung in diametralem Widerspruch zur Politik aller CDU-geführten Bundesregierungen und auch zu den meisten konservativen Parteien in EU-Europa steht, zumindest denjenigen, die an der Regierung sind. Darüber hinaus glaubte sie, sekundiert vom bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber, in der Art eines Roland Koch eine gewisse populistische Demagogie aufgreifen zu können und stimmte zunächst für eine Unterschriftensammlung gegen den türkischen EU-Beitritt (wiewohl es eigentlich nur um die Aufnahme von Verhandlungen ging).
Erst als die Mehrheit der Parteiführung begriff, dass eine solche Kampagne Wasser auf die Mühlen ausländerfeindlicher Parteien sein und ein Bündnis von DVU und NPD unter Umständen sogar in den Bundestag führen würde, ruderten Merkel und Co. zurück. Aber zum Preis eines erheblichen Autoritätsverlustes in und außerhalb der Partei.

Steuern

Um in der Steuer- und Finanzpolitik gegen Rot-Grün punkten zu können, wurde der angebliche »Experte« Friedrich Merz aus dem Sauerland zum Sprecher der Unions-Fraktion für diesen wichtigen Bereich berufen. Er verkündete lauthals, ein Steuerkonzept »aus einem Guss« verfertigen zu wollen, das nicht nur die Steuererklärung ungeheuer vereinfachen (»auf einem Bierdeckel«), sondern auch die Steuerbelastung massiv senken sollte. Es sollten Sätze von 12, 24 und 36% eingeführt werden.
Nach der verlorenen Bundestagswahl von 2002 dämpfte Merkel seinen Höhenflug und schob ihn aus dem Fraktionsvorsitz ins zweite Glied zurück. Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden und ihrem jeweiligen Anhang erreichten zuletzt eine solche Schärfe, dass Merz den Bettel hinwarf und sich womöglich in der NRW-Landespolitik eine Hausmacht aufbaut.
Jedenfalls wurde im Auftrag der Finanzminister der Länder eine Studie verfasst, die die Auswirkungen der Steuersenkungsprogramme von CDU, CSU, FDP, Paul Kirchhof und Joachim Land einer genaueren Prüfung unterzog. In diesem Gutachten heißt es: »Tendenzielle Gewinner wären Steuerpflichtige in derzeit hoher Progressionsstufe mit wenigen Abzügen«, »tendenzielle Verlierer dagegen Steuerpflichtige mit geringem Einkommen und hohen Abzügen oder hohen steuerfreien Einkünften, etwa Pendler oder Feiertags- oder Nachtarbeiter«. (Süddeutsche Zeitung, 21.2.)
Die Einnahmeverluste für die öffentliche Hand beliefen sich im CDU-Modell à la Merz auf 31,5 Milliarden Euro im ersten, 30,2 Milliarden im zweiten Jahr und auf 28,2 Milliarden Euro in den Folgejahren. Beim dem weniger rabiaten Modell des bayrischen Finanzministers Kurt Faltlhauser (CSU) lägen die Verluste bei etwa der Hälfte. Die Studie kommt hinsichtlich der angeblich nötigen Vereinfachung der Steuererklärung zu einem eindeutigen Ergebnis: »Je radikaler die Pläne sind, umso ungerechter sind sie.«
Bezeichnenderweise wurden die CDU-Pläne auf dem Leipziger Parteitag ohne größere inhaltliche Diskussion mehr oder weniger durchgewunken. Nachdem das Publikum aber mittlerweile zu begreifen beginnt, was da mit welchen Konsequenzen beschlossen wurde, leidet die Autorität der Parteiführung.

Kopfpauschale

In noch stärkerem Maße gilt dies für einen weiteren Beschluss des Leipziger Parteitags, für die Ersetzung der einkommensabhängigen Prämie in der Krankenversicherung durch die Kopfpauschale.
Merkel hatte den früheren Bundespräsidenten Roman Herzog, der sich bis dahin mit Sozialpolitik überhaupt nicht ernsthaft beschäftigt hatte, mit der Bildung einer Kommission beauftragt, die Vorschläge zu einer »Entkoppelung« der Krankenversicherung von der Entlohnung ausarbeiten sollte. Denn nach allgemeinem neoliberalen Credo müssen in Deutschland die »Lohnnebenkosten« sinken, damit die »Wettbewerbsfähigkeit« steigt.
Die Vorschläge der Kommission wurden auf dem CDU-Parteitag — gegen massiven Einspruch von Norbert Blüm, der dafür aber nur Spott erntete — zum Parteiprogramm gemacht. Da aber fast die Hälfte der Beschäftigten sich eine Pauschale von rund 280 Euro nicht leisten könnte, entstünde entweder eine Lage nach Art der USA, wo 15% der Bevölkerung über keine Krankenversicherung verfügen, oder es müssten steuerliche Subventionen für den ärmeren Teil der Bevölkerung in der Größenordnung von 30—40 Milliarden Euro bewegt werden, von denen natürlich niemand sagen kann, wo sie herkommen sollen, insbesondere dann, wenn die reichen Einkommensbezieher auch noch »entlastet« werden sollen.
Selbst wenn man einer sich christlich nennenden Partei eine Portion Wunderglauben zugestehen mag — die unter Merkels Parteiführung beschlossenen Konzepte sind in vielen Politikbereichen so wenig realitätstauglich und auch gegen die Interessen der weniger begüterten CDU-Mitglieder gerichtet, dass sich niemand zu wundern braucht, wenn trotz rot-grüner Politik in Berlin die Glaubwürdigkeit dieser Partei und ihrer Führung im Sinkflug begriffen ist.

Paul B. Kleiser

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang