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Im Vorfeld hatte nur ein Transparenzantrag aus Stuttgart für Aufsehen
gesorgt. Der stieß sich an der »Intransparenz der Rechtskonstruktion von Attac« und an
unklaren Zuständigkeiten und Entscheidungsprozessen, mit zum Teil sehr engen Fragestellungen.
In den Wandelgängen wurden seine Urheber
gern als Nörgler mit Steckenpferd abgetan. Überraschend war dann doch, dass es bereits am
Freitagabend eine erste Reaktion gab. Unter dem Tagesordnungspunkt: Bericht aus dem KoKreis gab es statt
eines mündlichen Rechenschaftsberichts Theater.
Der gesammelte KoKreis trat auf die Bühne
und legte in kleinen Rollenspielen drei der Themen dar, die in Attac dauerhaft kontrovers sind: das
Verhältnis von Utopie und Tagespolitik; das Verhältnis zwischen nationaler und internationaler
Orientierung; und das Verhältnis zwischen den lokalen Gruppen und den Bundesstrukturen, in denen auch
Vertreter von Mitgliedsorganisationen sitzen und deshalb nicht nur ein Koordinierungsgremium der lokalen
Gruppen sind.
Das Publikum reagiert gerührt bis
amüsiert, und das erwartete Gewitter zog mit eingefallenen Backen vorüber. Alle drei
Fragestellungen berühren unmittelbar die Frage nach dem Profil, dem Sinn und Zweck von Attac. Das
wissen alle, aber es war in Hamburg nicht möglich, die Frage in dieser Form zu diskutieren.
Ein zweiter Herd, an dem Sinnstreit hätte
auflodern können, war die Debatte um die Schwerpunkte von Attac im kommenden Jahr. Es gab vier
Anwärter: die AG »Es ist genug für alle da«, die versucht, zur Agenda 2010 einen
Kontrapunkt zu setzen, indem sie »den Diskurs des Mangels« durchbricht; die EU-AG sie
konnte auf die zunehmende Bedeutung der europäischen Ebene verweisen (die Unterzeichnung der
Verfassung, die Bilanz »Halbzeit von Lissabon«, den europäischen Aktionstag am 19.März,
die Bolkestein-Richtlinie) sie verteilte sogar einen Beschluss von Attac Frankreich, das sich den
Kampf gegen die Verfassung im Rahmen des vorgesehenen Referendums zur obersten Aufgabe gemacht hat; die
WTO-AG sie glänzte mit der Vorlage ihres Memorandums für eine alternative
Weltwirtschaftsordnung.
Es gab aber auch einen neuen Quereinsteiger,
nämlich die Antragsteller um Mohssen Massarat, der mit Nachdruck dafür wirbt, dass Attac sich zur
Vorreiterin einer Kampagne für eine radikale Arbeitszeitverkürzung macht (30-Stunden-Woche
europaweit). Das war eine Provokation, denn die Frage ist in Attac aus sehr unterschiedlichen Motiven hoch
kontrovers.
Die reichen von der Position,
Arbeitszeitverkürzung sei derzeit kein Thema und bei den Gewerkschaften kein Blumentopf damit zu
gewinnen, über das Unbehagen, das sei eigentlich ein Gewerkschaftsthema und deshalb nichts für
Attac, bis zur Behauptung, nicht die Befreiung der Arbeit sei der Hebel zur Lösung der
Erwerbslosigkeit, sondern die Beseitigung der Arbeit.
Dazwischen gibt es unzählige Nuancen; die
Frage nach dem Stellenwert der Arbeit bzw. Erwerbsarbeit (hier gehen die Begriffe munter durcheinander)
oder die nach einem bedingungslosen Grundeinkommen sind Neuland für Attac und wurden in dieser
Schärfe hier erstmals aufgeworfen. Das ist positiv, zeigt es doch, dass Attac gegenüber
gesellschaftlichen Debatten nicht immun ist.
Eine Schwerpunktsetzung aus diesem Angebot heraus hätte eigentlich eine regelrechte politische
Debatte erfordert. Die fand aber nicht statt.
Stattdessen gab es ein
»Ressortdenken«, das sich kombinierte aus dem Anliegen der AGs, die um finanzielle Zuwendung
kämpften, und dem Plenum, das niemanden brüskieren wollte. Dabei liegt der innere Zusammenhang
zwischen Agenda 2010, dem Angriff auf die Arbeitszeiten, EU und Weltwirtschaft auf der Hand und die Aufgabe
von Attac wäre es eigentlich, an Hand von Beispielen diesen Zusammenhang immer wieder zu
thematisieren.
Im vorliegenden Fall hätte das Beispiel
die Bolkestein-Richtlinie sein können da ist der gesammelte Sprengstoff drin, von der
Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst und der Aufkündigung der Tarifgemeinschaft
der Länder über die Halbzeit Lissabon bis zum Thema Privatisierung. Unbestreitbar setzt eine
Plenumsdebatte dieser Art voraus, dass die Führungsgremien von Attac sie vorbereiten, was aber nicht
geschehen war.
Somit war der Druck groß, zu
Formelkompromissen zu kommen: Attac hat im nächsten Jahr drei Schwerpunkte (die ersten drei
genannten), das Thema Arbeitszeitverkürzung wird dem Schwerpunkt »Genug für alle«
zugeordnet und gesondert ausgestattet. Alle waren mit dem Ergebnis zufrieden, niemand stört niemandes
Kreise und Attac bleibt auf dem Problem sitzen, »wie ein Pfannkuchen auseinander« zu gehen statt
»die Arbeit der Zuspitzung« zu leisten.
Damit war das eigentliche Problem aber nur ein
weiteres Mal umschifft und es wäre dabei geblieben, wenn die jungen Leute, die sich in der AG
Prekarisierung zusammen geschlossen hatten, sich nicht an der Abstimmungsmaschinerie gestoßen
hätten, die zur Konsensfindung führte. Ausschlaggebend war dabei gar nicht, dass das
Konsensprinzip in Frage gestellt worden wäre das geschah an keiner Stelle.
Eher ging es darum, dass die wiederholten
Abstimmungen den »Beratungscharakter« abwürgten und damit den formalen Charakter des
Beschlossenen noch verstärkten. Die jungen Leute erzwangen nach zapatistischer Manier eine
»Murmelrunde« eine halbstündige Auszeit. Deren Wert erwies sich erst am Ende des
Ratschlags nachdem die Wahl von KoKreis und Rat und die Haushaltsberatungen über die Bühne
waren.
Die Wahlen fanden übrigens am späten
Samstag abend vor nur noch einem Bruchteil von Delegierten statt, einen Run auf die Gremien gibt es nicht
mehr, eine Reihe von Mitgliederorganisationen hat sich im Gegenteil aus dem KoKreis in den Rat
zurückgezogen. Der Haushaltsentwurf offenbarte neben einem hohen Grad an Transparenz, Solidität
und Professionalität u.a., dass die Mitgliederzahl weiter steigt (sie liegt jetzt über 16000),
obwohl eine Reihe von Mitgliedern der »Gründergeneration« inzwischen ausgetreten ist.
Diese Kurzlebigkeit macht zu schaffen, aber
die Signale bleiben widersprüchlich. So ist die Spendenbereitschaft ungebrochen, dabei dominieren die
kleinen Spenden, die Abhängigkeit von Großspenden ist gering.
Attac hat keine organisatorischen Probleme. Attac hat das Problem, unter veränderten politischen
Bedingungen (Aufschwung sozialer Proteste, zunehmende Bedeutung der EU-Problematik, Gründung der
Wahlalternative) für eine überwiegende Mitgliederorganisation, die keine politische Partei sein
will und kann, eine Identität zu finden.
Am Ende, nach dem Mittagessen am Sonntag,
saßen in der Mensa auf einmal in verschiedenen Ecken großen Menschengruppen zusammen. Unter
verschiedenen Bezeichnungen berieten sie alle dasselbe: die »Struktur« wie es in
Deutschland gern geschieht, wenn man in einer politischen Sackgasse steckt. Prompt wurde eine Struktur-AG
gebildet, es zeichnete sich ab, dass sie großen Zulauf haben wird.
Sie würde die in sie gesetzten
Erwartungen jedoch verfehlen, wenn sie sich vorwiegend um Kompetenzen und Abstimmungsmodalitäten
kümmerte und nicht darum, einen Sinn für Attac zu stiften, der von den Gruppen vor Ort gelebt
werden kann. Die jungen Leute wehrten sich zu Recht gegen eine zu enge Herangehensweise an die
»Strukturfrage« und Peter Wahl spitzte es auf die Forderung zu: den
Bürokratisierungstendenzen in Attac mit einer »Rifondazione« von Attac begegnen.
Angela Klein
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