SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2004, Seite 9

Auf dem Ratschlag Ende Oktober in Hamburg wurden Tische und Stühle umgestoßen. Was daraus wird, ist für alle von Interesse.

Rifondazione Attac

Im Vorfeld hatte nur ein Transparenzantrag aus Stuttgart für Aufsehen gesorgt. Der stieß sich an der »Intransparenz der Rechtskonstruktion von Attac« und an unklaren Zuständigkeiten und Entscheidungsprozessen, mit zum Teil sehr engen Fragestellungen.
In den Wandelgängen wurden seine Urheber gern als Nörgler mit Steckenpferd abgetan. Überraschend war dann doch, dass es bereits am Freitagabend eine erste Reaktion gab. Unter dem Tagesordnungspunkt: Bericht aus dem KoKreis gab es statt eines mündlichen Rechenschaftsberichts — Theater.
Der gesammelte KoKreis trat auf die Bühne und legte in kleinen Rollenspielen drei der Themen dar, die in Attac dauerhaft kontrovers sind: das Verhältnis von Utopie und Tagespolitik; das Verhältnis zwischen nationaler und internationaler Orientierung; und das Verhältnis zwischen den lokalen Gruppen und den Bundesstrukturen, in denen auch Vertreter von Mitgliedsorganisationen sitzen und deshalb nicht nur ein Koordinierungsgremium der lokalen Gruppen sind.
Das Publikum reagiert gerührt bis amüsiert, und das erwartete Gewitter zog mit eingefallenen Backen vorüber. Alle drei Fragestellungen berühren unmittelbar die Frage nach dem Profil, dem Sinn und Zweck von Attac. Das wissen alle, aber es war in Hamburg nicht möglich, die Frage in dieser Form zu diskutieren.
Ein zweiter Herd, an dem Sinnstreit hätte auflodern können, war die Debatte um die Schwerpunkte von Attac im kommenden Jahr. Es gab vier Anwärter: die AG »Es ist genug für alle da«, die versucht, zur Agenda 2010 einen Kontrapunkt zu setzen, indem sie »den Diskurs des Mangels« durchbricht; die EU-AG — sie konnte auf die zunehmende Bedeutung der europäischen Ebene verweisen (die Unterzeichnung der Verfassung, die Bilanz »Halbzeit von Lissabon«, den europäischen Aktionstag am 19.März, die Bolkestein-Richtlinie) — sie verteilte sogar einen Beschluss von Attac Frankreich, das sich den Kampf gegen die Verfassung im Rahmen des vorgesehenen Referendums zur obersten Aufgabe gemacht hat; die WTO-AG — sie glänzte mit der Vorlage ihres Memorandums für eine alternative Weltwirtschaftsordnung.
Es gab aber auch einen neuen Quereinsteiger, nämlich die Antragsteller um Mohssen Massarat, der mit Nachdruck dafür wirbt, dass Attac sich zur Vorreiterin einer Kampagne für eine radikale Arbeitszeitverkürzung macht (30-Stunden-Woche europaweit). Das war eine Provokation, denn die Frage ist in Attac aus sehr unterschiedlichen Motiven hoch kontrovers.
Die reichen von der Position, Arbeitszeitverkürzung sei derzeit kein Thema und bei den Gewerkschaften kein Blumentopf damit zu gewinnen, über das Unbehagen, das sei eigentlich ein Gewerkschaftsthema und deshalb nichts für Attac, bis zur Behauptung, nicht die Befreiung der Arbeit sei der Hebel zur Lösung der Erwerbslosigkeit, sondern die Beseitigung der Arbeit.
Dazwischen gibt es unzählige Nuancen; die Frage nach dem Stellenwert der Arbeit bzw. Erwerbsarbeit (hier gehen die Begriffe munter durcheinander) oder die nach einem bedingungslosen Grundeinkommen sind Neuland für Attac und wurden in dieser Schärfe hier erstmals aufgeworfen. Das ist positiv, zeigt es doch, dass Attac gegenüber gesellschaftlichen Debatten nicht immun ist.

Politische Debatte…

Eine Schwerpunktsetzung aus diesem Angebot heraus hätte eigentlich eine regelrechte politische Debatte erfordert. Die fand aber nicht statt.
Stattdessen gab es ein »Ressortdenken«, das sich kombinierte aus dem Anliegen der AGs, die um finanzielle Zuwendung kämpften, und dem Plenum, das niemanden brüskieren wollte. Dabei liegt der innere Zusammenhang zwischen Agenda 2010, dem Angriff auf die Arbeitszeiten, EU und Weltwirtschaft auf der Hand und die Aufgabe von Attac wäre es eigentlich, an Hand von Beispielen diesen Zusammenhang immer wieder zu thematisieren.
Im vorliegenden Fall hätte das Beispiel die Bolkestein-Richtlinie sein können — da ist der gesammelte Sprengstoff drin, von der Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst und der Aufkündigung der Tarifgemeinschaft der Länder über die Halbzeit Lissabon bis zum Thema Privatisierung. Unbestreitbar setzt eine Plenumsdebatte dieser Art voraus, dass die Führungsgremien von Attac sie vorbereiten, was aber nicht geschehen war.
Somit war der Druck groß, zu Formelkompromissen zu kommen: Attac hat im nächsten Jahr drei Schwerpunkte (die ersten drei genannten), das Thema Arbeitszeitverkürzung wird dem Schwerpunkt »Genug für alle« zugeordnet und gesondert ausgestattet. Alle waren mit dem Ergebnis zufrieden, niemand stört niemandes Kreise und Attac bleibt auf dem Problem sitzen, »wie ein Pfannkuchen auseinander« zu gehen statt »die Arbeit der Zuspitzung« zu leisten.
Damit war das eigentliche Problem aber nur ein weiteres Mal umschifft und es wäre dabei geblieben, wenn die jungen Leute, die sich in der AG Prekarisierung zusammen geschlossen hatten, sich nicht an der Abstimmungsmaschinerie gestoßen hätten, die zur Konsensfindung führte. Ausschlaggebend war dabei gar nicht, dass das Konsensprinzip in Frage gestellt worden wäre — das geschah an keiner Stelle.
Eher ging es darum, dass die wiederholten Abstimmungen den »Beratungscharakter« abwürgten und damit den formalen Charakter des Beschlossenen noch verstärkten. Die jungen Leute erzwangen nach zapatistischer Manier eine »Murmelrunde« — eine halbstündige Auszeit. Deren Wert erwies sich erst am Ende des Ratschlags — nachdem die Wahl von KoKreis und Rat und die Haushaltsberatungen über die Bühne waren.
Die Wahlen fanden übrigens am späten Samstag abend vor nur noch einem Bruchteil von Delegierten statt, einen Run auf die Gremien gibt es nicht mehr, eine Reihe von Mitgliederorganisationen hat sich im Gegenteil aus dem KoKreis in den Rat zurückgezogen. Der Haushaltsentwurf offenbarte neben einem hohen Grad an Transparenz, Solidität und Professionalität u.a., dass die Mitgliederzahl weiter steigt (sie liegt jetzt über 16000), obwohl eine Reihe von Mitgliedern der »Gründergeneration« inzwischen ausgetreten ist.
Diese Kurzlebigkeit macht zu schaffen, aber die Signale bleiben widersprüchlich. So ist die Spendenbereitschaft ungebrochen, dabei dominieren die kleinen Spenden, die Abhängigkeit von Großspenden ist gering.

…und Identität

Attac hat keine organisatorischen Probleme. Attac hat das Problem, unter veränderten politischen Bedingungen (Aufschwung sozialer Proteste, zunehmende Bedeutung der EU-Problematik, Gründung der Wahlalternative) für eine überwiegende Mitgliederorganisation, die keine politische Partei sein will und kann, eine Identität zu finden.
Am Ende, nach dem Mittagessen am Sonntag, saßen in der Mensa auf einmal in verschiedenen Ecken großen Menschengruppen zusammen. Unter verschiedenen Bezeichnungen berieten sie alle dasselbe: die »Struktur« — wie es in Deutschland gern geschieht, wenn man in einer politischen Sackgasse steckt. Prompt wurde eine Struktur-AG gebildet, es zeichnete sich ab, dass sie großen Zulauf haben wird.
Sie würde die in sie gesetzten Erwartungen jedoch verfehlen, wenn sie sich vorwiegend um Kompetenzen und Abstimmungsmodalitäten kümmerte und nicht darum, einen Sinn für Attac zu stiften, der von den Gruppen vor Ort gelebt werden kann. Die jungen Leute wehrten sich zu Recht gegen eine zu enge Herangehensweise an die »Strukturfrage« und Peter Wahl spitzte es auf die Forderung zu: den Bürokratisierungstendenzen in Attac mit einer »Rifondazione« von Attac begegnen.

Angela Klein

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