SoZSozialistische Zeitung |
Kapitalistische Globalisierung ist ein geläufiger Begriff. Aber selten
haben wir die Möglichkeit zu erfahren, wie sie vor Ort wirkt und wie sie eine Gesellschaft umkrempelt.
Von der chinesischen Abeiterklasse wird in westlichen Medien meist das Bild gefügiger, unbegrenzt
ausbeutbarer Arbeitskräfte gezeichnet.
In den letzten 20 Jahren standen sämtliche Errungenschaften der chinesischen Revolution auf
dem Prüfstand. Auch die Arbeitsbedingungen der Werktätigen in den Städten waren massiven
Angriffen ausgesetzt. Sie wurden dazu »ermutigt«, ihnen gegenüber so passiv wie möglich
zu bleiben.
Die Propaganda der Institutionen von Bretton
Woods IWF und Weltbank sowie der chinesischen Regierung besagt einmütig, die
kapitalistische Globalisierung die chinesische Regierung spricht lieber von der
»sozialistischen Marktwirtschaft« habe einen gewaltigen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts
und des Nationaleinkommens gebracht.
Betrachten wir das Durchschnittseinkommen in
China, so hat es in den letzten 20 Jahren allerdings einen enormen Zuwachs gegeben. Das ist vor dem
Hintergrund zu sehen, dass die Wirtschaft in China 1978 mehr oder weniger stagnierte der
Ausgangswert war also sehr niedrig.
Aber man muss auch sehen, wer davon profitiert
hat. In den letzten 25 Jahren ist in China ein breites Bürgertum geschaffen worden, das über
beträchtliche Mittel verfügt. Für die Arbeiterklasse war die Entwicklung jedoch viel
düsterer.
Dabei ist es nicht nur schlecht für sie gelaufen. Einem Arbeiter in einer großen Stadt
mit einem guten Job, womöglich bei einem staatlichen Unternehmen oder bei einem ausländischen
Multi mit einem halbwegs festen Arbeitsvertrag die Rede ist von drei Jahren, nicht von Jobs für
ein ganzes Leben geht es ziemlich gut. Er hat eine ordentliche Sozialversicherung. Wahrscheinlich
hat er mittlerweile ein eigenes Haus gekauft oder wohnt günstig zur Miete. Doch das ist eine
Minderheit.
Die meisten chinesischen Arbeiter hat ein Los
getroffen, das man mit zwei Bildern skizzieren kann. Das erste betrifft Arbeiter mittleren Alters, 45 Jahre
und darüber, die früh in den Ruhestand gezwungen oder einfach auf die Straße gesetzt wurden.
Sie wurden von den »Reformen« im Wesentlichen ausgebootet. Sie haben ihr Leben mit Arbeit
für die staatlichen Betriebe verbracht und wurden dann entlassen.
Zunächst waren diese Entlassungen
vorübergehend, doch inzwischen haben sie sich in einen Dauerzustand verwandelt, d.h. in registrierte
Erwerbslosigkeit oder vorzeitigen Ruhestand. Das Problem dieser Menschen ist, dass sie keine Erwerbsarbeit
mehr haben und somit auch über keinerlei Macht mehr verfügen.
Obwohl sie protestieren Chinas Rentner
sind sehr militant, wobei mit Rentner Menschen über 45 Jahre gemeint sind , haben sie keinerlei
Macht. Sie können nicht streiken, weil sie keinen Arbeitsplatz haben, den sie bestreiken können.
Also blockieren sie die Fabriktore der Werke, in denen sie früher gearbeitet haben, demonstrieren vor
den Behörden, gelegentlich auch gegen die offizielle Gewerkschaft, weil diese nichts tut und der
Regierung gegenüber loyaler ist als gegenüber ihren Mitgliedern.
Sie fordern die nicht gezahlten Löhne,
die nicht gezahlten Renten und die unbezahlten Arztkosten ein, denn sie haben ihre Krankenversicherung
verloren. Diesen Menschen geht es, vor allem im Nordosten Chinas, sehr dreckig und es ist nicht
übertrieben zu sagen, dass sie aufgegeben wurden.
Das zweite Bild betrifft die jungen Arbeiterinnen und Arbeiter vom Land. Es hat eine gewaltige
Expansion der Arbeiterklasse in China gegeben. Zahlenmäßig ist sie heute stärker als je
zuvor, und sie nimmt noch zu. Aus meiner Sicht ist das ein Grund zu Optimismus. Eine Menge dieser jungen
Arbeiter kommt vom Land; das übt einen gewaltigen Druck auf die Landwirtschaft aus und schafft eine
Menge überschüssiger Arbeitskräfte in den Städten. Die Städte wiederum sind die
Zielscheibe der nach China kommenden transnationalen Konzerne, die sich in den Exportzonen an der
Küste niederlassen, aber auch weiter im Binnenland.
Diese Werktätigen sind oft 18, 19, 20
Jahre alt und müssen unter abstoßenden Bedingungen arbeiten: 12- bis 15-Stunden-Tage, erzwungene
Überstunden, Löhne, die wenn überhaupt, oft nicht fristgemäß gezahlt werden,
schreckliche Gesundheits- und Sicherheitsmängel, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Solche
Bedingungen sind den Werktätigen wohl überall auf der Welt vertraut.
Aber in China haben sie nicht das Recht,
dagegen ihre eigenen Gewerkschaften zu organisieren.
Eine der interessantesten Fragen, die sich in Hinblick auf die Geschichte der englischen
Arbeiterklasse stellen, ist, ob die Menschen von ihrem Land vertrieben wurden und dann als
Lohnarbeitskräfte zur Verfügung standen, oder ob sie von den neuen, durch die Industrie gebotenen
Möglichkeiten veranlasst wurden, ihr Land zu verlassen.
Diese Frage wird heute sehr heftig auch unter
den in Hongkong und zunehmend auch auf dem chinesischen Festland ansässigen NGOs diskutiert, die eine
große Anzahl von Forschungen und Kampagnen für die Arbeitsmigranten durchgeführt haben.
Betont sei das »für«, denn es handelt sich dabei nicht um Gewerkschaften, es geht nicht
darum, dass sich die Werktätigen selbst organisieren.
Man kann nicht sagen, dass chinesische
Unternehmen oder transnationale Konzerne die Werktätigen auf dem Land unmittelbar zwingen würden,
dieses zu verlassen. Aber diese haben auch keine andere Wahl; es gibt für sie auf dem Land keine
Arbeit.
Die chinesische Regierung hat den Rat der
Weltbank befolgt und sieht in der Urbanisierung die Antwort auf die Armut auf dem Land. Die
Werktätigen strömen nicht nur vom Land in die großen Städte an der Küste oder in
nahe gelegenen Provinzen. Die Regierung errichtet auch Hunderte neuer Millionenstädte. Das schafft
natürlich auch gewaltige Umweltprobleme.
Ein weiterer Grund, warum junge Leute vom Land
weg in die Stadt ziehen, ist die Langeweile auf dem Land. Fragt man junge Arbeiter in den Exportzonen, wo
sie gewaltig ausgebeutet werden, ob sie wieder zurück aufs Land wollen, antworten sie stets ablehnend.
Sie hängen immer noch am Traum, genug Geld zu verdienen, um sich selbst ein kleines Geschäft
aufzubauen, damit zu Hause einen Bruder oder eine Schwester zu unterstützen und irgendwie aus der
Armut herauszukommen. Auch Zugang zu Konsum zu bekommen, ist ein ganz wichtiger Punkt.
Die Regierung hat die Losung ausgegeben: »Befreit unser Denken.« Damit meint sie:
»Gewöhnt euch daran, erwerbslos zu sein.« Diesen Ausdruck verwenden auch die Medien. Er
richtet sich an die älteren Beschäftigten in den Staatsbetrieben, die vor der Privatisierung
stehen.
Die Regierung mag das ominöse »P-
Wort« nicht verwenden. Es ist im Chinesischen tabu. Weil die Regierung noch an der Ideologie der
»sozialistischen Marktwirtschaft« festhält, kann sie das Wort »Privatisierung«
nicht verwenden, obgleich es zunehmend in den Mediendiskurs eindringt.
Sie benutzt deshalb einen Propagandatrick. Sie
übernimmt ein Stereotyp der ausländischen kapitalistischen Medien über die
Beschäftigten in den chinesischen Staatsbetrieben: sie seien faul und es sei ihnen viel zu lange zu
gut gegangen. Und argumentiert: »Nun bist du auf dich allein gestellt. Nun bist du da draußen und
musst selbst für dich sorgen, nach all den Jahren mit medizinischer Versorgung,
Arbeitslosenunterstützung, kostenlosen Schulen für die Kinder und sogar einem subventionierten
Friseurbesuch. Diese Zeiten sind vorbei. Das Neue ist jetzt die wirkliche Welt. Das ist die
Globalisierung.«
Die Reaktion der Werktätigen darauf ist
sehr unterschiedlich. Die Antwort der Arbeitsmigranten vom Land entspricht nicht dem Klischee der jungen,
leicht auszubeutenden Arbeitskräfte, die passiv sind und der kapitalistischen Globalisierung
gelähmt gegenüber stehen. Es gibt junge Arbeitsmigranten, die unter sehr schwierigen Bedingungen
Widerstand leisten Aktionen durchführen, streiken, Kontakt mit wohlgesonnenen Journalisten
aufnehmen, die dann über sie berichten.
Sie bemühen sich unter schwierigsten
Bedingungen darum, dass ihr Anliegen Gehör findet, dass rücksichtslos agierende kapitalistischen
Unternehmer kontrolliert werden oder wenigstens gesetzlichen Rahmenbedingungen unterliegen. Auf dem Papier
ist das chinesische Arbeitsgesetz gar nicht schlecht. Das Problem ist seine Durchsetzung.
In den Staatsbetrieben hingegen gibt es
derzeit eine gewaltige Privatisierungswelle, sodass es in Zukunft nicht mehr allzu viel Beschäftigte
in staatlichen Betrieben geben wird. Das ist zwar eine Vereinfachung, aber Privatisierung von
Staatsbetrieben ist heute seltener als noch vor 20 Jahren. Ineffiziente Staatsbetriebe lässt man
bankrott gehen; die Beschäftigten werden in sehr schwieriger Lage zurückgelassen.
Ineffizient heißt dabei, dass diese
Betriebe mit dem globalen Kapital nicht konkurrieren können. Es hat nichts zu tun mit der
Fähigkeit, für Menschen Jobs bereitzustellen bzw. ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Gemeint
ist hier die Effizienz im Sinne von Adam Smith, nicht im Sinne von Marx.
Der offizielle chinesische
Gewerkschaftsverband eine riesige Organisation mit über 100000 Hauptamtlichen
unterstützt den Widerstand nicht. Zweifellos gibt es gute Leute darin. Aber die Gewerkschaft ist
verfassungsmäßig und rechtlich an die staatlichen Institutionen, die Regierung und die
Führung der KP gebunden, die immer noch de facto die Regierungsmacht innehält. Immer wenn es
einen Interessenkonflikt gibt, ist die Staatsgewerkschaft auf der Seite des Staates.
Unter solchen Umständen erfordert jeder
aktive Widerstand sei es eine Demonstration vor einer Behörde, sei es die gewaltige
Demonstration in Nordostchina im Frühjahr 2002 gegen Entlassungen die Schaffung einer
unabhängigen Organisation. Nur selten jedoch kann sie in eine Gewerkschaft verwandelt werden, wegen
der Repression. Wer eine Gewerkschaft außerhalb der Staatsgewerkschaft organisiert, muss mit
Verhaftung und bis zu 20 Jahren Gefängnis rechnen. Also werden andere Wege gesucht, und zwar
täglich. Die Passivität der chinesischen Werktätigen ist ein Mythos.
Tim Pringle
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04