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Wer etwas vom Expressionismus und von der
(1914/15 noch minoritären) Opposition gegen den Ersten Weltkrieg weiß, der kennt auch den Namen
Franz Pfemfert. Pfemfert protegierte nicht nur die radikalsten Künstler der Zeit (Georg Heym, Jakob
van Hoddis, Otto Schiele…), sondern gesellte sich als ein anarchistisch gesonnener Kommunist zu den
marxistischen Revolutionären um Rosa Luxemburg und später, in der Zwischenkriegszeit, zu den
antistalinistischen Oppositionellen.
Seine Zeitschrift Die Aktion war
vergleichbar nur der von Karl Kraus herausgegebenen und geschriebenen Fackel eine Stimme der
Vernunft und der antiimperialistischen Revolution, zuerst in den Jahren der Materialschlachten, des Graben-
und des Gaskrieges, dann in der Zeit der thermidorianischen Reaktion in der Sowjetunion und des in
Deutschland heraufziehenden Faschismus. Seit 1924 erschienen die wichtigsten Schriften des von Stalin in
die Opposition abgedrängten Leo Trotzki in deutscher Übersetzung im Verlag der Aktion.
Die Seele der Aktion nämlich der Berliner Redaktion, des Verlags, der gleichnamigen
Buchhandlung und des angegliederten Antiquariats war seine Lebensgefährtin Alexandra Ramm, die
1901 aus dem russischen Starodub (das nahe der ukrainischen Grenze in einem der Ansiedlungsrayons für
Juden lag) nach Berlin zum Studium der Philologie (als Gasthörerin) gekommen war und Pfemferts
literarisch-politische Unternehmungen tatkräftig unterstützte.
1958 schrieb sie, rückblickend, die
Aktion habe »etwas ganz Einmaliges ermöglicht«, nämlich »alles, was in Deutschland
Geistiges war, zum Angriff gegen den wilhelminischen Sumpf zu sammeln«.
Anfang März 1933 entgingen die Pfemferts
mit genauer Not einem auf sie angesetzten SA-Totschlägertrupp, der ihre Wohnung ausplünderte und
das Archiv der Zeitschrift zerstörte. Sie flohen über Prag nach Paris (19341940), im Krieg
dann weiter über südfranzösische Internierungslager nach Lissabon und New York, und kamen
schließlich nach Mexiko (19411955). Dort starb Franz Pfemfert 1954 vereinsamt und vergessen,
Alexandra Ramm aber ging im folgenden Jahr wieder nach (West-)Berlin zurück, wo eine ihrer Schwestern
die Hitlerzeit im Untergrund überlebt hatte.
Julijana Ranc hat die Geschichte Alexandra
Ramms und ihrer Familie, gestützt auf Archivmaterialien und eine ausführliche Korrespondenz mit
den in alle Welt zerstreuten, überlebenden Angehörigen, zuverlässig rekonstruiert und
dokumentiert.
Der Anhang zu ihrem Buch enthält unter
anderem eine Auswahl von Briefen aus der Korrespondenz zwischen Ramm (und Pfemfert) auf der einen (54
Briefe) und Trotzki auf der anderen Seite (33 Briefe), die im Trotzki-Archiv der Harvard-Universität
liegt und die die Trotzki-Forschung bisher nicht beachtet hat.
Trotzki war Ende 1927 mit 1500 anderen
Linksoppositionellen aus der KPdSU ausgeschlossen, 1928 nach Alma-Ata verbannt und Anfang 1929 zwangsweise
in die Türkei abgeschoben worden. In den Jahren 19281930 erreichte seine schriftstellerische
Produktion ihren Höhepunkt. 1928/29 schrieb er die politische Autobiografie Mein Leben, in den Jahren
19301932 dann sein Hauptwerk, die große Geschichte der russischen Revolution von 1917.
Ramm, die (ebenso wie Pfemfert) Trotzki niemals persönlich kennenlernte und auch keiner
trotzkistischen Organisation angehörte, bot dem exilierten Revolutionär im März 1929 ihre
Dienste als Übersetzerin an: »Hochverehrter Lew Dawidowitsch! Vielleicht erreicht Sie dieser
Brief … Ich möchte schon lange Ihre Bücher ins Deutsche übersetzen. Ich lebe seit
langem in Berlin und bin mit Franz Pfemfert verheiratet … Ich habe viel übersetzt, fast einen
ganzen Band Lenin. Bei C.L.Hirschfeld ist unlängst Pokrowskis Russische Geschichte in meiner
Übersetzung erschienen. Bisweilen habe ich auch Sie übersetzt. Ich erlaube mir die Bemerkung:
Ihre Bücher sind schlecht übersetzt (bisweilen skandalös schlecht).«
In den folgenden vier Jahren kam es zwischen
beiden zu einer engen Kooperation. Ramm beschaffte für Trotzki nicht nur (mit Hilfe des
»menschewistischen Bücherwurms« Boris Nikolajewski und einiger anderer) die für seine
Lebens- und Revolutionsgeschichte erforderliche Literatur aus Berliner und russischen Bibliotheken, sondern
verhandelte auch mit dem S.Fischer-Verlag, der die Autobiografie und die beiden Bände der
Revolutionsgeschichte dann in rascher Folge (1929, 1931 und 1932) herausbrachte.
Wie Leo Sedow, Trotzkis (1938 in Paris von
GPU-Agenten ermordeter) Sohn, der damals die politische Arbeit der trotzkistischen Linken Opposition von
Berlin aus leitete, hielt Alexandra Ramm den auf der Insel Prinkipo im Marmarameer isolierten
Revolutionär über die innenpolitische Entwicklung in Deutschland auf dem Laufenden, was ihn
instandsetzte, den Todeskampf der Weimarer Republik, den Aufstieg der Nazis und das Versagen der
Arbeiterorganisationen aus der Ferne fortlaufend zu kommentieren. Seine Analysen der fatalen Entwicklung in
Deutschland und seine Prognosen für den Fall eines Sieges der Hitlerbewegung haben sich als weitaus
triftiger erwiesen als diejenigen der meisten zeitgenössischen Beobachter vor Ort.
In einem Brief an Alexandra Ramm-Pfemfert vom
12.April 1933 hieß es: »Dass die Kommunistische Partei für immer liquidiert ist (ich meine
die stalinsche kommunistische Partei), ist für mich absolut klar. Die Sozialdemokratie wird ungeachtet
ihrer Niedertracht bis zu einem gewissen Maße erhalten bleiben dank der Hilfe, die ihr die
Stalin-Leute von links erwiesen haben … So genial die Deutschen als Volk auf verschiedenen Gebieten
auch sind, so extrem unbedarft sind sie in der Politik. Welch ein Mangel an Charakter und Kampftradition.
Hitler wird ihnen das einimpfen. Mit anderen Worten: Der Kampf mit diesem bewaffneten Henkerspack wird eine
neue revolutionäre Generation stählen. Wieviel Zeit dafür nötig sein wird, lässt
sich nicht vorhersagen, aber die zerrüttete Generation hat es vorläufig sehr schwer.«
Die Übersetzung der bis heute
meistgelesenen von Trotzkis Schriften Mein Leben und Geschichte der russischen Revolution war
das literarische Meisterstück Alexandra Ramm-Pfemferts, und die Briefe, die sie mit dem Autor
wechselte, ermöglichen nun erstmals auch einen Einblick in die literarische Werkstatt dieses
»Mannes der Feder und des Schwerts«:
»Ich sende Ihnen Ihre Übersetzung
mit meinen Anmerkungen zurück. Ich habe mich auf die allerwesentlichsten beschränkt. Die
Zusammenarbeit von Autor und Übersetzer ist, wie ich aus langer Erfahrung weiß, keine ganz
einfache Angelegenheit. Überhaupt verwende ich recht viel Zeit auf die literarische Bearbeitung meiner
Manuskripte und betrachte daher die Frage, wie nahe eine Übersetzung dem Original ist, mit
großer, vielleicht übermäßiger Pedanterie, und gehe auch dort nicht von ihr ab, wo
keine unbedingte Notwendigkeit dazu besteht. Das gilt gleichermaßen für das Vokabular wie auch
für den Satzbau, d.h. welcher Teil des Satzes im Vordergrund und welcher im Hintergrund steht.
Vermutlich sind vom Standpunkt der deutschen Sprache aus nicht alle meine Korrekturen geeignet.«
(Trotzki führt dann eine Reihe von Beispielen an.) »Ich belasse es bei diesen Beispielen, weil
uns eine große gemeinsame Arbeit bevorsteht, in der gegenseitiges Einvernehmen von großer
Wichtigkeit ist.«
Helmut Dahmer
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