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Das Englische unterscheidet zwischen »Sex«, dem biologischen
Geschlecht, und »Gender«, dem sozialen Geschlecht. Mit Gender sind die gesellschaftlichen
Geschlechterrollen gemeint, die Vorstellungen und Erwartungen wie Frauen und Männer sind, bzw. sein
sollen. Geschlechterrollen können sich im Laufe der Zeit ändern und sind innerhalb und zwischen den
Kulturen unterschiedlich.
»Mainstreaming« heißt, dass ein
bestimmtes Denken und Handeln in den Mainstream in Politik und Verwaltung, Programme und Maßnahmen
gebracht und zu einem selbstverständlichen Handlungsmuster wird. Mainstreaming heißt, den
Mainstream zu durchdringen und zu verändern.
Gender Mainstreaming heißt, soziale
Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und bei allen Planungs- und
Entscheidungsschritten immer bewusst wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Alle Vorhaben werden so
gestaltet, dass sie auch einen Beitrag zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern
leisten.
Die deutsche Frauenforschung hat von der amerikanischen Forschung die Unterscheidung von Sex und Gender
übernommen. Ann Oakley beschreibt Sex als ein Wort, das sich auf die biologischen Unterschiede zwischen
männlich und weiblich bezieht. Gender hingegen ist kulturell bestimmt: es bezieht sich auf die soziale
Zuordnung von »maskulin« und »feminin«. Oakley grenzt Gender auch dadurch von Sex ab, indem
sie betont: Die Beständigkeit von Sex muss zugegeben werden, ebenso wie die Veränderlichkeit von
Gender.
Die Veränderbarkeit von Gender bezeugt
demnach, dass Geschlecht eine Konstruktion ist. Die Verhaltensweisen sind nicht biologisch festgelegt, sondern
sozial erlernt. Gender ist ein Prozess, wir stellen es jeden Tag durch Interaktion mit anderen Menschen und mit
der Umwelt aktiv her. »Geschlecht ist etwas, das wir tun, und nicht etwas, das wir sind.«
Mit dieser Unterscheidung wurde ein erster Schritt
vollzogen, indem erkannt wurde, dass ein Teil des Geschlechtes veränderbar ist, allerdings führt
diese Unterscheidung noch nicht zur endgültigen Aufgabe der unveränderbaren zweigeschlechtlichen
Einteilung.
Ein Gender-Konzept, das Übergänge
zwischen männlich und weiblich zulässt, verwirft jedoch den Gedanken der Zweigeschlechtlichkeit, es
folgt daraus ein multiples Gender-Konzept, das sich nicht länger an den Polen männlich-weiblich
verorten lässt.
Erst in den 80er Jahren wurde diese Trennung
zwischen Sex und Gender in Amerika hinterfragt und der Körper selbst wurde schon als Ergebnis sozialer
Normen gesehen. Das Wissen der Zwei-Geschlechtlichkeit verliert nach und nach seine alltagsweltliche
Selbstverständlichkeit, der Geschlechterbegriff wird zunehmend de-naturalisiert, das heißt auch Sex
wird als Konstruktion erkannt und nicht mehr als natürlich festgelegt angesehen. Sex wird zur
»Gendered category«.
Allerdings vollziehen die meisten Konzepte des
Gender Mainstreaming diesen zweiten Schritt noch nicht und halten zum einen an der Unterscheidung zwischen Sex
und Gender fest, zum anderen sehen sie Sex als naturgegeben und unveränderlich an. Es gibt für sie
die eindeutige biologische Zweigeschlechtlichkeit, die sich in Mann und Frau unterteilt.
Das Neue am Konzept des Gender Mainstreaming ist,
dass auch Männer ein Geschlecht haben und deswegen auch sie Vor- und Nachteile im
Geschlechterverhältnis erleben. Es geht aber darum, dass das Verhältnis zwischen den Geschlechtern
grundsätzlich als veränderbar angesehen wird. Die biologischen Geschlechterdifferenzen (die nicht
aufgehoben werden) werden nicht als Legitimation für gesellschaftliche Unterschiede zwischen den
Geschlechtern akzeptiert. Soziale und kulturelle Geschlechterrollen von Männern und Frauen werden als
historisch gewachsen und politisch gestaltbar gesehen.
Gender Mainstreaming wurde erstmals in der
Entwicklungspolitik angewandt, indem eine geschlechterdifferente Planung, Durchführung und Auswertung der
Projekte gefordert wurde. Es ging darum herauszufinden, ob geförderte Projekte die Kluft zwischen
Männern und Frauen verringern oder vergrößern. Unifem, der Entwicklungsfonds der Vereinten
Nationen für Frauen, formulierte auf der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 Gender Mainstreaming als eine
Doppelstrategie. Demnach sieht Gender Mainstreaming zweierlei vor:
1. eine Geschlechterdifferenzierung und Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenslagen und
Interessen von Männern und Frauen bei allen entwicklungspolitischen Programm- und Projektinterventionen
sowie auf makroökonomischer und -politischer Ebene;
2. frauenspezifische Maßnahmen dort, wo die Ergebnisse einer Gender-Analyse frauenspezifische
Engpässe hinsichtlich des Zugangs und der Kontrolle von materiellen und immateriellen Ressourcen
ausweisen.
Gender Mainstreaming versteht sich ausdrücklich als Top-Down-Prozess. Nicht zuletzt ist es zu einer
Zeit entstanden, in der die Frauenbewegung an der Basis relativ schwach war und immer mehr durch
Lobbyverbände ersetzt wurde. Es wird somit zu einer bürokratischen Maßnahme, die politisch
interpretiert und umgesetzt werden kann.
Die Verantwortung für die Anwendung von
Gender Mainstreaming in einer Organisation liegt zunächst bei der Spitze der Organisation. Wenn die Spitze
die Veränderung von Entscheidungsprozessen in ihrer Organisation im Sinne des Gender-Aspektes nicht
befürwortet, unterstützt und vertritt, wird ein solcher Prozess nicht funktionieren.
Gender Mainstreaming als Prinzip ersetzt nicht die
politische Festlegung dieser Ziele. Eine Voraussetzung für die Anwendung von Gender Mainstreaming ist
deshalb auch eine klare Haltung der jeweiligen Organisation zur Geschlechterpolitik. Erst die normative
Orientierung kann die Richtung der Entscheidungsprozesse deutlich steuern. In EU-Dokumenten wird z.B. ein
Geschlechterkonzept vertreten, das von der Gleichverteilung der bezahlten Arbeit zwischen Männern und
Frauen und einer Gleichrangigkeit der Erwerbsarbeit für beide Geschlechter ausgeht. In Deutschland werden
jedoch auch Konzepte vertreten, die die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern für
durchaus funktional halten und die eigenständig Männliches und eigenständig Weibliches
beibehalten wollen. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik z.B. muss nach den aktuellen Gesetzen eine
geschlechtsspezifische Förderung umgesetzt werden. Von daher ist es schon erstaunlich, dass das Hartz-
Konzept gleichstellungspolitisch von vorgestern ist und einem traditionellen Rollenbild mit einem
männlichen Haupternährer verhaftet bleibt.
In der Gewerkschaftsarbeit vertritt Ver.di
folgenden Ansatz: Frauen und Männer sollen vollständig in alle Hierarchieebenen integriert und
gleichermaßen an Entscheidungen beteiligt werden. Ver.di will sowohl nach innen als nach außen
Geschlechterdemokratie fördern.
Auch in privaten Unternehmen wird Gender
Mainstreaming mit Interesse verfolgt, wenn es darum geht, die bis jetzt wenig beachtete weibliche Ressourcen
mit ihren »besonderen Fähigkeiten« für das Unternehmen rentabel zu machen. Im Namen von
Gender Mainstreaming werden Frauen auf ihre naturgegebenen Sex-Gender-Talente reduziert und im Rahmen der
Zweigeschlechtlichkeit nach marktwirtschaftlichen Kriterien ausgebeutet.
Top-Down-Ansatz
Der Deutsche Frauenrat betont, »dass Gender Mainstreaming nur als Top-Down-Prozess langfristig
erfolgreich sein kann«. »Die Revolution beginnt oben«, sagt Susanne Weingarten in ihrem
Plädoyer für eine neue Frauenbewegung, und dazu braucht es nichts anderes als Frauennetzwerke und
Seilschaften.
In Zeiten wo die Frauenbewegung von unten recht
schwach ist und gerade erst anfängt, sich mit einer neue Generation von Frauen anders zu organisieren und
zu definieren, wird Gender Mainstreaming zu einem Prozess ohne richtigen Rückhalt. Gefährlich wird
dabei seine Beliebigkeit; die Richtung, in die er sich entwickelt, bleibt politisch zu bestimmen. Wenn er aber
von Männern und Frauen am Top, also an der Macht, bestimmt wird, werden viele Menschen ausgeschlossen.
Die Zweigeschlechtlichkeit wird nicht aufgebrochen, sondern immer wieder (diskursiv) hergestellt. Der
dualistische Geschlechterbegriff wird damit durch die Art und Weise, wie über Frauen und Männer
gesprochen wird, stabilisiert. Ein starres Festhalten an der Kategorie »Frau« bedeutet oft eine
unreflektierte Fortführung der Geschlechterdefinitionen und lässt keinen Raum für Menschen
»zwischen den Polen«, beispielsweise für Menschen, die sich als TransGender definieren. Dieses
Festhalten zementiert auch heterosexistische Vorstellungen.
Die Feministinnen analysierten anhand des Gender-Begriffs unterschiedliche Machtverhältnisse, auch
unter Frauen, in den Kategorien Klasse, Ethnie, Sexualität, Körperverfaßtheit, Alter und
divergente Identitätsvorstellungen. Der Gender-Begriff, der nun Eingang in die offizielle Politik gefunden
hat, scheint von diesen Aspekten der Gender-Debatten gereinigt zu sein und mehr die weiße, privilegierte,
junge, gebärfähige, heterosexuelle Frau und das entsprechende männliche Pendant als Norm im Auge
zu haben.
Gabriele Rosenstreich wendet sich gegen eine Homogenisierung der Frauen und Männer. Durch das
Ausblenden andere Machtdimensionen wird die Illusion geschürt, alle Frauen seien gleich, und würden
unter der gleichen Unterdrückung leiden. Man könnte dann soweit gehen und sagen, dass durch die
Universalisierung der Kategorie Frau diese ähnlich wie die Kategorie Mann mit Mensch gleich gesetzt wird.
Es ist falsch so zu tun, als gäbe es keine
Machtunterschiede zwischen Frauen und auch Männern, als ob Gender oder auch Sex allein eine Position in
der Machthierarchie bestimmten. »Wenn Gender immer von Rasse, Klasse, Ethnizität und sexueller
Orientierung durchzogen ist, dann ist ein analytischer Rahmen, der Gender isoliert oder Gender im Sinne eines
ergänzenden Modells konstruiert, bedenklich mangelhaft und kann nur dazu dienen, die zahlreichen
Privilegien von weißen, heterosexuellen, Mittelklassefeministinnen zu maskieren, die den Luxus besitzen,
nur eine Form der Ausbeutung zu kennen.«
In Konkurrenz zu anderen frauenspezifischen Maßnahmen
Als Beispiel sei Verdi genannt, dort gab es eine
Diskussion um die Abschaffung der Quote und der eigenständigen Frauenstrukturen zugunsten von Gender
Mainstreaming. Es gelang den Frauen jedoch, alle drei geschlechterpolitischen Strategien aufrechtzuerhalten.
Immer wenn Gender Mainstreaming als »neueste und effektivste Strategie« dazu benutzt wird, sog. alte
Strategien zu entfernen, liegt der Verdacht nahe, dass hier ein Machtkampf zwischen den Geschlechtern
ausgetragen wird. In Zeiten von Sparmaßnahmen gilt es zu analysieren, wieviel Personen, finanzielle Mittel
und Projekte für die Veränderung der Geschlechterverhältnisse eingesetzt werden.
Wenn wir nun den derzeitigen, konkreten Alltag in Deutschland betrachten, können wir sagen, der
Mainstream ist patriarchalisch, wohingegen der Feminismus am Rande der Gesellschaft verortet ist. Der Begriff
Gender Mainstreaming besagt, dass Gender-Fragen zum integralen Bestandteil des Mainstream werden sollen. Dies
impliziert, dass das, was jetzt Mainstream ist also das Patriarchat an den Rand gedrängt
wird: Wir besetzen den Mainstream neu.
Als Feministin könnte man sich darüber
freuen, denn es ist positiv, wenn die feministische Analyse der Geschlechterkonstruktion und der
gesellschaftlichen Machtverhältnisse in den Mainstream übergehen. Aber welcher Feminismus mit
welchem politischen Hintergrund geht in den Mainstream über? Ich wage zu bezweifeln, dass es ein
Feminismus sein wird, der mit meinen Überzeugungen einer Gesellschaftsveränderung einhergeht. Geht es
nicht vielmehr bei diesem Konzept von Gender Mainstreaming darum, bestehende Verhältnisse durch die
Ruhigstellung der Frauenbewegung zu zementieren und den kämpferischen Feminismus durch eine
besänftigende Genderpolitik zu ersetzen?
Es könnte sein, dass man das Konzept dazu
benutzt, das, was bisher erreicht wurde, wieder beseitigen zu können. Außerdem besteht die Gefahr,
dass bestenfalls einzelne Forderungen in den Mainstream aufgegriffen und vereinnahmt werden und damit die
Interessen von Frauen bis zur Unkenntlichkeit oder Bedeutungslosigkeit verzerrt werden. Es steht zu
befürchten, dass die postulierte Integration des Feminismus seine Assimilation in das Patriarchat
bedeutet.
Es ist deshalb wichtig, dass sich Feministinnen
mit dem Thema beschäftigen. Es gilt, für eine emanzipatorische Umsetzung der Maßnahmen im Rahmen
von Gender Mainstreaming zu kämpfen. Wir dürfen die politische Bestimmung nicht etablierten
Lobbyverbänden überlassen, die versuchen, Privilegien zu sichern und gesellschaftliche
Veränderungen zu verhindern.
Kim Goerens
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