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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2004, Seite 18

Gender Mainstreaming

Integration des Feminismus in das Patriarchat

Das Englische unterscheidet zwischen »Sex«, dem biologischen Geschlecht, und »Gender«, dem sozialen Geschlecht. Mit Gender sind die gesellschaftlichen Geschlechterrollen gemeint, die Vorstellungen und Erwartungen wie Frauen und Männer sind, bzw. sein sollen. Geschlechterrollen können sich im Laufe der Zeit ändern und sind innerhalb und zwischen den Kulturen unterschiedlich.
»Mainstreaming« heißt, dass ein bestimmtes Denken und Handeln in den Mainstream — in Politik und Verwaltung, Programme und Maßnahmen — gebracht und zu einem selbstverständlichen Handlungsmuster wird. Mainstreaming heißt, den Mainstream zu durchdringen und zu verändern.
Gender Mainstreaming heißt, soziale Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und bei allen Planungs- und Entscheidungsschritten immer bewusst wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Alle Vorhaben werden so gestaltet, dass sie auch einen Beitrag zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern leisten.

Soziale Konstruktionen

Die deutsche Frauenforschung hat von der amerikanischen Forschung die Unterscheidung von Sex und Gender übernommen. Ann Oakley beschreibt Sex als ein Wort, das sich auf die biologischen Unterschiede zwischen männlich und weiblich bezieht. Gender hingegen ist kulturell bestimmt: es bezieht sich auf die soziale Zuordnung von »maskulin« und »feminin«. Oakley grenzt Gender auch dadurch von Sex ab, indem sie betont: Die Beständigkeit von Sex muss zugegeben werden, ebenso wie die Veränderlichkeit von Gender.
Die Veränderbarkeit von Gender bezeugt demnach, dass Geschlecht eine Konstruktion ist. Die Verhaltensweisen sind nicht biologisch festgelegt, sondern sozial erlernt. Gender ist ein Prozess, wir stellen es jeden Tag durch Interaktion mit anderen Menschen und mit der Umwelt aktiv her. »Geschlecht ist etwas, das wir tun, und nicht etwas, das wir sind.«
Mit dieser Unterscheidung wurde ein erster Schritt vollzogen, indem erkannt wurde, dass ein Teil des Geschlechtes veränderbar ist, allerdings führt diese Unterscheidung noch nicht zur endgültigen Aufgabe der unveränderbaren zweigeschlechtlichen Einteilung.
Ein Gender-Konzept, das Übergänge zwischen männlich und weiblich zulässt, verwirft jedoch den Gedanken der Zweigeschlechtlichkeit, es folgt daraus ein multiples Gender-Konzept, das sich nicht länger an den Polen männlich-weiblich verorten lässt.
Erst in den 80er Jahren wurde diese Trennung zwischen Sex und Gender in Amerika hinterfragt und der Körper selbst wurde schon als Ergebnis sozialer Normen gesehen. Das Wissen der Zwei-Geschlechtlichkeit verliert nach und nach seine alltagsweltliche Selbstverständlichkeit, der Geschlechterbegriff wird zunehmend de-naturalisiert, das heißt auch Sex wird als Konstruktion erkannt und nicht mehr als natürlich festgelegt angesehen. Sex wird zur »Gendered category«.
Allerdings vollziehen die meisten Konzepte des Gender Mainstreaming diesen zweiten Schritt noch nicht und halten zum einen an der Unterscheidung zwischen Sex und Gender fest, zum anderen sehen sie Sex als naturgegeben und unveränderlich an. Es gibt für sie die eindeutige biologische Zweigeschlechtlichkeit, die sich in Mann und Frau unterteilt.
Das Neue am Konzept des Gender Mainstreaming ist, dass auch Männer ein Geschlecht haben und deswegen auch sie Vor- und Nachteile im Geschlechterverhältnis erleben. Es geht aber darum, dass das Verhältnis zwischen den Geschlechtern grundsätzlich als veränderbar angesehen wird. Die biologischen Geschlechterdifferenzen (die nicht aufgehoben werden) werden nicht als Legitimation für gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern akzeptiert. Soziale und kulturelle Geschlechterrollen von Männern und Frauen werden als historisch gewachsen und politisch gestaltbar gesehen.
Gender Mainstreaming wurde erstmals in der Entwicklungspolitik angewandt, indem eine geschlechterdifferente Planung, Durchführung und Auswertung der Projekte gefordert wurde. Es ging darum herauszufinden, ob geförderte Projekte die Kluft zwischen Männern und Frauen verringern oder vergrößern. Unifem, der Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen, formulierte auf der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 Gender Mainstreaming als eine Doppelstrategie. Demnach sieht Gender Mainstreaming zweierlei vor:
1. eine Geschlechterdifferenzierung und Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenslagen und Interessen von Männern und Frauen bei allen entwicklungspolitischen Programm- und Projektinterventionen sowie auf makroökonomischer und -politischer Ebene;
2. frauenspezifische Maßnahmen dort, wo die Ergebnisse einer Gender-Analyse frauenspezifische Engpässe hinsichtlich des Zugangs und der Kontrolle von materiellen und immateriellen Ressourcen ausweisen.

Umsetzungen

Gender Mainstreaming versteht sich ausdrücklich als Top-Down-Prozess. Nicht zuletzt ist es zu einer Zeit entstanden, in der die Frauenbewegung an der Basis relativ schwach war und immer mehr durch Lobbyverbände ersetzt wurde. Es wird somit zu einer bürokratischen Maßnahme, die politisch interpretiert und umgesetzt werden kann.
Die Verantwortung für die Anwendung von Gender Mainstreaming in einer Organisation liegt zunächst bei der Spitze der Organisation. Wenn die Spitze die Veränderung von Entscheidungsprozessen in ihrer Organisation im Sinne des Gender-Aspektes nicht befürwortet, unterstützt und vertritt, wird ein solcher Prozess nicht funktionieren.
Gender Mainstreaming als Prinzip ersetzt nicht die politische Festlegung dieser Ziele. Eine Voraussetzung für die Anwendung von Gender Mainstreaming ist deshalb auch eine klare Haltung der jeweiligen Organisation zur Geschlechterpolitik. Erst die normative Orientierung kann die Richtung der Entscheidungsprozesse deutlich steuern. In EU-Dokumenten wird z.B. ein Geschlechterkonzept vertreten, das von der Gleichverteilung der bezahlten Arbeit zwischen Männern und Frauen und einer Gleichrangigkeit der Erwerbsarbeit für beide Geschlechter ausgeht. In Deutschland werden jedoch auch Konzepte vertreten, die die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern für durchaus funktional halten und die eigenständig Männliches und eigenständig Weibliches beibehalten wollen. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik z.B. muss nach den aktuellen Gesetzen eine geschlechtsspezifische Förderung umgesetzt werden. Von daher ist es schon erstaunlich, dass das Hartz- Konzept gleichstellungspolitisch von vorgestern ist und einem traditionellen Rollenbild mit einem männlichen Haupternährer verhaftet bleibt.
In der Gewerkschaftsarbeit vertritt Ver.di folgenden Ansatz: Frauen und Männer sollen vollständig in alle Hierarchieebenen integriert und gleichermaßen an Entscheidungen beteiligt werden. Ver.di will sowohl nach innen als nach außen Geschlechterdemokratie fördern.
Auch in privaten Unternehmen wird Gender Mainstreaming mit Interesse verfolgt, wenn es darum geht, die bis jetzt wenig beachtete weibliche Ressourcen mit ihren »besonderen Fähigkeiten« für das Unternehmen rentabel zu machen. Im Namen von Gender Mainstreaming werden Frauen auf ihre naturgegebenen Sex-Gender-Talente reduziert und im Rahmen der Zweigeschlechtlichkeit nach marktwirtschaftlichen Kriterien ausgebeutet.

Kritik an Gender Mainstreaming

Top-Down-Ansatz

Der Deutsche Frauenrat betont, »dass Gender Mainstreaming nur als Top-Down-Prozess langfristig erfolgreich sein kann«. »Die Revolution beginnt oben«, sagt Susanne Weingarten in ihrem Plädoyer für eine neue Frauenbewegung, und dazu braucht es nichts anderes als Frauennetzwerke und Seilschaften.
In Zeiten wo die Frauenbewegung von unten recht schwach ist und gerade erst anfängt, sich mit einer neue Generation von Frauen anders zu organisieren und zu definieren, wird Gender Mainstreaming zu einem Prozess ohne richtigen Rückhalt. Gefährlich wird dabei seine Beliebigkeit; die Richtung, in die er sich entwickelt, bleibt politisch zu bestimmen. Wenn er aber von Männern und Frauen am Top, also an der Macht, bestimmt wird, werden viele Menschen ausgeschlossen.

Festhalten an biologischer Zweigeschlechtlichkeit

Die Zweigeschlechtlichkeit wird nicht aufgebrochen, sondern immer wieder (diskursiv) hergestellt. Der dualistische Geschlechterbegriff wird damit durch die Art und Weise, wie über Frauen und Männer gesprochen wird, stabilisiert. Ein starres Festhalten an der Kategorie »Frau« bedeutet oft eine unreflektierte Fortführung der Geschlechterdefinitionen und lässt keinen Raum für Menschen »zwischen den Polen«, beispielsweise für Menschen, die sich als TransGender definieren. Dieses Festhalten zementiert auch heterosexistische Vorstellungen.

Welcher Gender-Begriff?

Die Feministinnen analysierten anhand des Gender-Begriffs unterschiedliche Machtverhältnisse, auch unter Frauen, in den Kategorien Klasse, Ethnie, Sexualität, Körperverfaßtheit, Alter und divergente Identitätsvorstellungen. Der Gender-Begriff, der nun Eingang in die offizielle Politik gefunden hat, scheint von diesen Aspekten der Gender-Debatten gereinigt zu sein und mehr die weiße, privilegierte, junge, gebärfähige, heterosexuelle Frau und das entsprechende männliche Pendant als Norm im Auge zu haben.

Frauen und Männer als homogene Gruppe

Gabriele Rosenstreich wendet sich gegen eine Homogenisierung der Frauen und Männer. Durch das Ausblenden andere Machtdimensionen wird die Illusion geschürt, alle Frauen seien gleich, und würden unter der gleichen Unterdrückung leiden. Man könnte dann soweit gehen und sagen, dass durch die Universalisierung der Kategorie Frau diese ähnlich wie die Kategorie Mann mit Mensch gleich gesetzt wird.
Es ist falsch so zu tun, als gäbe es keine Machtunterschiede zwischen Frauen und auch Männern, als ob Gender oder auch Sex allein eine Position in der Machthierarchie bestimmten. »Wenn Gender immer von Rasse, Klasse, Ethnizität und sexueller Orientierung durchzogen ist, dann ist ein analytischer Rahmen, der Gender isoliert oder Gender im Sinne eines ergänzenden Modells konstruiert, bedenklich mangelhaft und kann nur dazu dienen, die zahlreichen Privilegien von weißen, heterosexuellen, Mittelklassefeministinnen zu maskieren, die den Luxus besitzen, nur eine Form der Ausbeutung zu kennen.«

In Konkurrenz zu anderen frauenspezifischen Maßnahmen
Als Beispiel sei Verdi genannt, dort gab es eine Diskussion um die Abschaffung der Quote und der eigenständigen Frauenstrukturen zugunsten von Gender Mainstreaming. Es gelang den Frauen jedoch, alle drei geschlechterpolitischen Strategien aufrechtzuerhalten. Immer wenn Gender Mainstreaming als »neueste und effektivste Strategie« dazu benutzt wird, sog. alte Strategien zu entfernen, liegt der Verdacht nahe, dass hier ein Machtkampf zwischen den Geschlechtern ausgetragen wird. In Zeiten von Sparmaßnahmen gilt es zu analysieren, wieviel Personen, finanzielle Mittel und Projekte für die Veränderung der Geschlechterverhältnisse eingesetzt werden.

Was wird Mainstream?

Wenn wir nun den derzeitigen, konkreten Alltag in Deutschland betrachten, können wir sagen, der Mainstream ist patriarchalisch, wohingegen der Feminismus am Rande der Gesellschaft verortet ist. Der Begriff Gender Mainstreaming besagt, dass Gender-Fragen zum integralen Bestandteil des Mainstream werden sollen. Dies impliziert, dass das, was jetzt Mainstream ist — also das Patriarchat — an den Rand gedrängt wird: Wir besetzen den Mainstream neu.
Als Feministin könnte man sich darüber freuen, denn es ist positiv, wenn die feministische Analyse der Geschlechterkonstruktion und der gesellschaftlichen Machtverhältnisse in den Mainstream übergehen. Aber welcher Feminismus mit welchem politischen Hintergrund geht in den Mainstream über? Ich wage zu bezweifeln, dass es ein Feminismus sein wird, der mit meinen Überzeugungen einer Gesellschaftsveränderung einhergeht. Geht es nicht vielmehr bei diesem Konzept von Gender Mainstreaming darum, bestehende Verhältnisse durch die Ruhigstellung der Frauenbewegung zu zementieren und den kämpferischen Feminismus durch eine besänftigende Genderpolitik zu ersetzen?
Es könnte sein, dass man das Konzept dazu benutzt, das, was bisher erreicht wurde, wieder beseitigen zu können. Außerdem besteht die Gefahr, dass bestenfalls einzelne Forderungen in den Mainstream aufgegriffen und vereinnahmt werden und damit die Interessen von Frauen bis zur Unkenntlichkeit oder Bedeutungslosigkeit verzerrt werden. Es steht zu befürchten, dass die postulierte Integration des Feminismus seine Assimilation in das Patriarchat bedeutet.
Es ist deshalb wichtig, dass sich Feministinnen mit dem Thema beschäftigen. Es gilt, für eine emanzipatorische Umsetzung der Maßnahmen im Rahmen von Gender Mainstreaming zu kämpfen. Wir dürfen die politische Bestimmung nicht etablierten Lobbyverbänden überlassen, die versuchen, Privilegien zu sichern und gesellschaftliche Veränderungen zu verhindern.

Kim Goerens

Kim Goerens studiert Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Gender Studies in Berlin.



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