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Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen dieses Diktum begleitet die
Menschheit seit der Vertreibung aus dem Paradies. Mag es jedoch für Agrargesellschaften, in denen
Formen der Subsistenzwirtschaft dominieren, völlig selbstverständlich sein, das Brot im
Schweiße seines Angesichts zu essen, wird die zum Selbstzweck gewandelte Arbeit in unserer
Gesellschaft zum Fluch: Arbeit soll nicht mehr dazu dienen, das gesellschaftliche Leben zu reproduzieren,
sondern umgekehrt, das Leben dient dazu, die Arbeitskraft zu verausgaben.
Diese Überlegung bildet einen der
Kerngedanken einer Festschrift zum 70.Geburtstag jenes Oskar Negt, dessen politisch-wissenschaftliche
Schriften eng mit den Begriffen Utopie und Arbeit verknüpft sind.
Es ist den Herausgebern Tatjana Freytag und
Marcus Hawel gelungen, 15 namhafte Autoren neben anderen André Gorz und Moshe Zuckermann
auf die Frage zu fokussieren, welche Wege aus der gegenwärtigen Krise der (Lohn-)Arbeitsgesellschaft
denkbar sind.
Vor dem Hintergrund der Versuche, dem Problem
einer weltweit seit Jahrzehnten verfestigten Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit mit der
Ausdehnung von Niedriglohnsektoren zu begegnen, kommt diesem Buch brennende Aktualität zu. Denn, so
zitieren die Herausgeber Negt in ihrer Einleitung, die Forderung einer radikalen Verkürzung der
Arbeitszeit sei zur »realistischen, geschichtlich längst überfälligen das
heißt: nicht mehr utopischen ›Tagesforderung der Gesellschaft‹« geworden.
Im Paradoxon eines ins Maßlose
rationalisierten Produktionsprozesses, welcher immer größeren, qualitativ fragwürdigen
Reichtum und gleichzeitig wachsende Armut, Ausgrenzung und Irrationalität hervorbringt, sei die
Möglichkeit einer menschenwürdigen Gesellschaft durchaus angelegt.
Wie der Schrei nach Mehrarbeit, der selbst die
Köpfe vieler von Arbeit Ausgegrenzter noch beherrscht, erklärt werden kann, ist eine der Fragen,
auf die das Buch eine Antwort zu geben versucht. Denn die theoretische Überhöhung der Arbeit zu
einer Tugend ist, wie etwa Iring Fetscher in seinem Beitrag betont, eine Erfindung der Neuzeit: Erst mit
dem Siegeszug der bürgerlichen Gesellschaft werde die Arbeit, die allen bisherigen Gesellschaften als
notwendige Plage galt, zum Ideal erhoben.
Von der frühen Arbeiterbewegung wird die
kapitalistische Lohnarbeit noch heftig bekämpft: ihre Utopie ist die freie Assoziation von Menschen,
die schöpferische, gesellschaftlich notwendige wie nicht notwendige Tätigkeiten und Muße
verbinden.
Als Folge ihrer Niederlagen tritt die
Regulierung der Arbeitsbedingungen und -zeiten ihren Siegeszug an, verbrauchen sich die utopischen Motive
der Arbeiterbewegung. Mit dem Verlust sozialistischer Utopien geraten die Fiktionen eines reinen Marktes
und kapitalistischer Vollbeschäftigung schließlich selbst zur Utopie.
Der Utopismus der bürgerlichen
Gesellschaft, der lange von den Ideen seiner Gegner zehrte, trete in sein »bolschewistisches
Stadium« (Michael Krätke) Arbeit und Produktion werden zum kaum angefochtenen Selbstzweck
erhoben. Es sei der Sprung ins Reich der Freiheit unter kapitalistischen Vorzeichen, der die
komplementären Gegensätze von Freizeit und Arbeit unter repressiven Vorzeichen reproduziere: noch
die kreativste Tätigkeit gerate unter dem Zwang der Verwertung zur Tretmühle, während
Menschen millionenfach zum Nichtstun und zur Armut verdammt seien.
Der epochale Bruch, der sich in der
gesellschaftlichen Bewertung der Arbeit andeutet, erfordert freilich begriffliche Anstrengungen und
gedankliche Präzisierung, wie die im freundschaftlich-solidarischen Ton vorgetragene, aber in der
Sache deutliche Kritik von André Gorz an Oskar Negt zeigt: »Deine Bemerkung: ›Es gibt damit
etwas Schlimmeres, als ausgebeutet zu werden: nicht ausbeutbar zu sein‹, könnte in den
Herrschaftsdiskurs der Machthaber perfekt passen.«
Sowenig es Sinn mache, das Reich der Faulheit
zu propagieren, könne Arbeit als solche ein Recht für sich reklamieren, argumentieren die
Autoren. Ohne die Befreiung der Arbeit aus ihrer kapitalistischen Form bleibe sie eine Geißel, aber
ohne schöpferische Arbeit ist der Mensch ein träger Rentier. Um der Lebenslüge der
Arbeitsgesellschaft wirksam entgegentreten zu können, müsse ein neuer Arbeitsbegriff
herausgeschält werden, der sich auf die in den Lohnarbeitsverhältnissen angelegten
zukünftigen Möglichkeiten beziehe, ohne im hier und heute befangen zu bleiben.
Was für den Begriff der Arbeit gilt, gilt
für den der Utopie umso mehr. Das Bedürfnis nach Orientierung, nach Gegenentwürfen ist so
groß wie seit langem nicht mehr. Mag sich utopisches Denken vielfach noch in abstrakten Forderungen
und zu Patentlösungen erklärten idealistischen Modellen erschöpfen: Der Geist der Utopie, so
Krätke, »ist wieder aus der Flasche gekrochen und verbreitet sich weltweit. Es kommt darauf an,
ihm politische Ökonomie beizubringen und ihm ein wenig vom Geist der Kritik einzublasen, der
›konkrete Utopien‹ gebären kann.«
Konkrete Utopien zielen freilich auf konkrete
Praxis, dienen als Orientierung für das Handeln im Hier und Jetzt. Dabei ist es auch notwendig, Ross
und Reiter zu benennen: Die allgemeine Befreiung der Menschen zu schöpferischer, von äußerem
Zwang befreiter Tätigkeit, die man, so Fetscher, konsequenter Weise nicht mehr Arbeit nennen
dürfe, ist nur gegen den Widerstand aller etablierten Mächte möglich, d.h. durch
Klassenkampf. Utopie und Arbeit liefert umfangreiche Argumentationen, ein solches Projekt in Angriff zu
nehmen.
Gregor Kritidis
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