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Immer dreister arbeiten einflussreiche Kreise aus Politik und Wirtschaft Hand in
Hand, um Großprojekte gegen den Widerstand von Bürgern und Umweltgruppen durchzusetzen. Ohne
Rücksicht auf schutzwürdige Interessen von Mensch und Natur wird durchgesetzt, was der Wirtschaft
dient. Die Begründungen sind stets dieselben: es gehe darum, den Wirtschaftsstandort zu stärken und
in einer globalisierten Welt »wettbewerbsfähig« zu bleiben. Damit würden viele
Arbeitsplätze geschafen oder erhalten. Gegner kommen dabei kaum zu Wort. Hintergründe werden
verschwiegen anstatt beleuchtet. Der Druck, den Wirtschaft und Politik ausüben, wächst.
Unaufhörlich.
Auch für die Justiz wird es enger. Nicht
immer schafft sie es, wie bei Airbus, sich diesem Druck zu widersetzen. In Baden-Württemberg beugte sie
sich dem Diktat der Politik und verhalf dem Großprojekt »Fildermesse« zur Durchsetzung.
Mit Hilfe eines speziellen Gesetzes, dem
»Landesmessegesetz«, gelang der Landesregierung Baden-Württemberg, was nach bisher gültiger
Rechtslage unmöglich gewesen wäre: den Bau einer Großmesse durchzusetzen und das Bauvorhaben als
dem Gemeinwohl dienlich zu deklarieren. Besonders brisant dabei: Das Landesmessegesetz setzt neue
Maßstäbe in der Rechtsprechung und schränkt bisher gültige Rechte, v.a. den Schutz der
Bürger vor Enteignung und die rechtlichen Möglichkeiten der Klage, entscheidend ein.
Erstmalig ist es mit dem Gesetz möglich,
für den Bau einer Messe zu enteignen (§7). Der Bedarf für das Großprojekt wird im Gesetz
gleich mit bescheinigt (§2). Durch vorzeitige Besitzeinweisung und Sofortvollzug (§8) kann schon
gebaut werden, während noch geklagt wird. So werden Tatsachen geschaffen, die auch bei erfolgreicher Klage
später nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Im Fall der Fildermesse wurde dem Widerstand der
betroffenen Bürger und Landwirte, aber auch den Natur- und Umweltverbänden damit die
Handlungsfähigkeit entzogen wurde.
Bisher hat die Landesregierung Baden-
Württemberg alle Versuche, das Gesetz auf seine Verfassungmäßigkeit hin zu überprüfen,
erfolgreich verhindert.
Über zehn Jahre dauert der Widerstand gegen das Großprojekt Fildermesse. Am 14.September 2004
feierte Baden-Württembergs Ministerpräsident Teufel mit ausgewählten Gästen den Baubeginn
dieses Mammutprojekts. In glanzvollen Prospekten als wirtschaftsfördernd und zukunftsweisend verherrlicht,
ist die Neue Messe auf den Fildern bei Stuttgart von Anfang an selbst unter Messefachleuten höchst
umstritten. Es verschlingt gewaltige Summen an Steuergeldern fast 1 Milliarde Euro. Gebaut wird in einem
bereits bis an die Grenzen der Erträglichkeit belasteten Gebiet; dabei werden fast 100 ha bester
landwirtschaftlicher Böden vernichtet. Zu den großen Verlieren zählen wie immer auch Natur und
Umwelt: Millionen von Kleintieren und Vögeln werden dem Projekt geopfert, die Fildern verlieren eine ihrer
letzten Freiflächen.
1998 erkennt die Landesregierung, dass sie auf der
Grundlage der gültigen Rechtslage nicht an das begehrte Bauland kommen wird. Ein Scheitern des
wirtschaftlichen Vorhabens wie im Fall Boxberg soll aber unter allen Umständen verhindert
werden (damals untersagten die Gerichte dem Daimler-Konzern, für den Bau einer Teststrecke zu enteignen).
Die Landesregierung beauftragt deshalb das Büro des früheren Boxberg-Anwalts Dolde, ein passendes
Enteignungsgesetz zu stricken. RA Dolde hat aus den Boxberg-Erfahrungen gelernt: als Vorlage für das
Enteignungsgesetz dient ihm die damalige Urteilsbegründung. Es entsteht das »Landesmessegesetz«.
Die Klagen der Stadt Leinfelden-Echterdingen, der
Organisationen BUND und NABU sowie der betroffenen Bauern gegen das Landesmessegesetz und das Bauvorhaben
scheitern in allen landeseigenen Instanzen. Urteile werden gefällt, die nicht mehr nachzuvollziehen sind
und ein seltsames Licht auf die Unabhängigkeit der Baden-Württembergischen Justiz werfen: Die
Vorsitzende Richterin wird erst kurz vor dem Fall »Fildermesse« an das Verwaltungsgericht Stuttgart
berufen. Ihr Mann ist Teilhaber im Notariatsbüro, das mit dem Ankauf der Grundstücke befasst ist.
Dennoch gilt sie als nicht befangen (für eine Ablehnung aus Befangenheit reicht normalerweise schon
»die Besorgnis der Befangenheit«). Regierungspräsident Andriof spricht sich seit Jahren für
den Messestandort Filder aus. Dennoch erkennen weder das Verwaltungsgericht Stuttgart noch der
Verwaltungsgerichtshof Mannheim hier eine Befangenheit.
Das Stuttgarter Verwaltungsgericht weist im
Februar 2004 alle Klagen in allen Punkten ab. Das Urteil ergeht bereits nach einer Woche. Angesichts der
Komplexität der Materie sind selbst die gegnerischen Anwälte von der schnellen Entscheidung und von
deren Eindeutigkeit überrascht. Eine Revision wird den Klägern verweigert.
Im April 2004 lässt sich einer der klagenden
Bauern auf ein verlockendes Angebot der Landesregierung ein und entschließt sich zum Verkauf. Er macht ein
gutes Geschäft. Aus 65 Hektar werden 165 Hektar. Über die weiteren Verkaufsmodalitäten
hüllt sich die Landesregierung in Schweigen. Die Nachricht vom Verkauf wird jedoch erst viel später
platziert Ende Juli, als die Enteignungsverfahren nahezu abgeschlossen sind und kurz vor der
Entscheidung des VGH Mannheim, der im Wesentlichen das Stuttgarter Urteil übernimmt. Drei Schläge
die, geschickt platziert, Wirkung zeigen sollen.
Kurz darauf, am 4.August, macht die
Landesregierung den inzwischen am Rande ihrer Kraft stehenden, aber weiterhin klagewilligen Bauern ein
überraschendes Angebot: Statt 20 Euro pro Quadratmeter enteignete Fläche bietet sie nun 53 Euro an.
Bedingung: Alle Bauern sowie die Stadt Leinfelden-Echterdingen müssen ohne Ausnahme den Deal mitmachen.
Und sämtliche Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Landesmessegesetz müssen
zurückgezogen werden.
Klar ist bis dahin: Sollten die Bauern
weiterklagen, wird bis zu einer gerichtlichen Entscheidung ihr Land unwiederbringlich zerstört sein. Und
selbst wenn sie vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen sollten, ist höchst unsicher, ob sie
wenigstens finanziell entschädigt werden. Denn für Entschädigungen gilt die beim Bau
gültige Rechtslage.
Am 25.August 2004 entschließen sich die
Bauern schweren Herzens zum Verkauf ihrer Grundstücke. Die Stadt Leinfelden-Echterdingen fällt am 26.
August eine Entscheidung, die paradoxer nicht sein kann: Der Gemeinderat der Stadt stimmt mehrheitlich dem
Verkauf der stadteigenen Grundstücke zu, obwohl er ihn ausdrücklich für falsch hält. Er
brgründet die Entscheidung mit der Zwangssituation, in der sich die Stadt befinde. Landesregierung und
Projektgesellschaft Neue Messe feiern ihren Sieg. Erfolgreich haben sie nicht nur ihr Projekt durchgesetzt. Sie
haben auch verhindert, dass das umstrittene Enteignungsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht auf seine
Verfassungsmäßigkeit hin überprüft wird.
Der Fall Fildermesse ist kein Einzelfall. Er wird Schule machen. Einem »Landesmessegesetz« in
ähnlicher Form werden wir wohl schon bald wieder begegnen, wenn es darum geht, Menschen für
wirtschaftliche Großvorhaben zu enteignen und ihren Widerstand zu brechen. Auch in Hamburg wurden
»andere rechtliche Möglichkeiten geprüft«, um die Landebahnerweiterung von Airbus
(Rüstungs- und Raumfahrtkonzern EADS) auf Biegen und Brechen zu realisieren. Vorgesehen war ein neuer
Planfeststellungsbeschluss mit »gerichtsfester Begründung«, um »die Enteignungen doch noch
durchzusetzen«. Den Entwurf eines Enteignungsgesetzes gibt es auch in Hamburg. Der Bundesregierung ist der
Ausbau des Airbuswerks so wichtig, dass »sich dem alles andere unterzuordnen hat«.
Das ehrgeizige Projekt Großflughafen Berlin-
Schönefeld wird insgesamt 850 Hektar Fläche benötigen ein ganzer Ort soll umgesiedelt
werden. Die Stadt Berlin schreibt in ihrer abschließenden Gesamtbetrachtung: »Der Ausbau …
führt zu vielfältigen und umfänglichen Eingriffen in Natur und Landschaft, insbesondere in Form
einer großen Flächeninanspruchnahme.« Jedoch seien »die für das Vorhaben sprechenden
Belange so hoch zu gewichten, dass dagegen das Integritätsinteresse von Natur und Landschaft
zurücktreten« müsse.
Land ist wertvoll und kostbar. Für die einen
bedeutet Land lebendige Erde, landwirtschaftliche Existenzgrundlage oder Lebensraum für Mensch und Natur.
Für die andern ist der Boden heiß begehrt als Bauland, das zunehmend knapper wird. In einer Zeit, in
der der »Standort Deutschland auf dem Spiel steht«, in der »Europa bis zum Jahr 2010 zum
weltweit dynamischsten Wirtschaftsraum« (Strategie von Lissabon) umgebaut werden soll, steht der Ausbau
von Flughäfen, Autobahnen und Industriestandorten ganz oben auf der Prioritätenliste.
Wirtschaftsminister Clement forderte bereits im
Oktober eine Änderung des deutschen Planungsrechts. Ins selbe Horn stoßen Hamburgs Erster
Bürgermeister Ole von Beust und Wirtschaftssenator Gunnar Uldall. Dieser kündigte die Einrichtung
einer Expertengruppe an, die Vorschläge zur Reform des deutschen Planfeststellungsrechts erarbeiten soll.
Wirtschaftsminister Clement erklärte Mitte November, Belange der Industrie müssten Vorrang vor
Umwelt- oder Verbraucherschutz haben.
Die Strippenzieher in Politik und Wirtschaft
basteln sich eine neue passende Rechtslage. Zu viel noch hindert sie daran, möglichst uneingeschränkt
über das zu verfügen, was sie brauchen. Doch es geht nicht nur um Projekte. Hier werden Werte gesetzt
und Prioritäten zementiert. Verfügt wird über Menschen und Land, über Heimat und
Gefühle ebenso wie über Schöpfung, Umwelt und Zukunft. Das Wettbewerbsargument drängt all
das zurück zugunsten von »Höhergewichtigem« Großprojekte, Kathedralen des
Größenwahns und in Beton gegossene Allmachtsträume. Es ist das Gesetz des Neoliberalismus und
das Evangelium des Turbokapitalismus. Dagegen müssen wir klare Worte finden und unsere Werte setzen,
deutlich und unüberhörbar.
Eva-Maria Gideon
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