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Sozialhilfebezieherinnen sind seit Januar 2004 durch das
Gesundheitsmodernisierungsgesetz mit zwei gegensätzliche Bestimmungen konfrontiert.
Der §36 des Bundessozialhilfegesetzes sieht grundsätzlich eine Hilfe zur Familienplanung
für Sozialhilfebezieherinnen vor. Laut Gesundheitsmodernisierungsgesetz dagegen erhalten
Sozialhilfebezieherinnen nur noch die Leistungen, welche die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen.
Verhütungsmittel sind somit ausgeschlossen. Viele Kommunen berufen sich darauf, das
Gesundheitsmodernisierungsgesetz stehe über der Sozialgesetzgebung, und verweigern über 20 Jahre
alten Frauen die Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel. Sie sparen an den
Verhütungsmitteln für ihre Sozialhilfeempfängerinnen. Viele Städte (wie Dortmund,
Düsseldorf, Duisburg und Oberhausen) haben bereits Anfang dieses Jahres die Unterstützung
eingestellt, andere folg(t)en später. Volljährige mittellose Frauen bekommen keine Pille,
Diaphragma oder Spirale mehr vom Sozialamt bezahlt.
Die Auslegung der Änderungen ist jedoch
strittig. Andere Städte (in NRW zum Beispiel Bochum und Gelsenkirchen) übernehmen daher die
Kosten weiter, jedoch ohne verbindliche Rechtsgrundlage und damit auch ohne Rechtsanspruch für die
betroffenen Frauen. Einige Städte haben verwaltungsinterne Lösungen gefunden, um die Frauen so
lange wie möglich zu unterstützen. Wenn Frauen in der »falschen Stadt« wohnen, kann die
Verhütung von Schwangerschaften allerdings an mangelnden finanziellen Mitteln scheitern.
Der Verein für öffentliche und
private Fürsorge hat sich mit einem Gutachten vom 1.3.2004 auf den Standpunkt gestellt, dass die
Leistungen der Sozialhilfe »bezüglich ihres Umfangs bzw. Verpflichtungsgrads mit den Leistungen
der gesetzlichen Krankenversicherung identisch und abweichende Regelungen nicht mehr möglich und
zulässig sind«. Der Verein interpretiert die neuen Bestimmungen damit zu Ungunsten der
Betroffenen.
Mitarbeiterinnen in
Schwangerenberatungsstellen, die einen Großteil der Rezeptausschreibungen übernehmen,
befürchten und machen erste Erfahrungen, dass viele Frauen nicht mehr verhüten (können),
wenn die Kosten nicht übernommen werden. Im Sozialhilferegelsatz sind keine Verhütungsmittel
enthalten.
Mit dieser gesetzlichen Regelung wird der
Zugang zu Verhütungsmittel für ärmere Frauen massiv eingeschränkt, denn
schließlich haben sie auch noch die Praxisgebühren und die Zuzahlung zu anderen Medikamenten zu
tragen. Experten weisen darauf hin, dass durch die Streichung der Kostenübernahme für
Verhütungsmittel das Recht auf die eigene Entscheidung darüber, ob und zu welchem Zeitpunkt
Frauen ein Kind wollen, beschnitten wird. Mit dieser Regelung wird auf jeden Fall gegen das Menschenrecht
auf Familienplanung verstoßen.
Deutschland hat auf der Internationalen
Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung 1994 in Kairo zugesagt, sich für den allgemeinen
Zugang zu sicheren, wirksamen und erschwinglichen Familienplanungsmethoden einzusetzen. Nach dem
Aktionsplan der Staatengemeinschaft gehört das zum Recht auf »sexuelle und reproduktive
Gesundheit«.
Sozialhilfeexperten betonen, das Gesetz sei so
gewollt, um eine »Gleichstellung der Sozialhilfebezieherinnen mit der übrigen
Bevölkerung« zu erreichen. Sie verweisen gar darauf, Verhütung sei ein Luxus seien, der
nicht von der Solidargemeinschaft bezahlt werden solle. Sie sind der Meinung, dass Sozialhilfebezieherinnen
die Verhütungsmittel von den 50 Euro bezahlen sollen, die sie monatlich für besondere
persönliche Zwecke bekommen. Schließlich, geben sie zu Bedenken, müsse überlegt werden,
ob Verhütung überhaupt »der Natur des Menschen« entspreche.
Solche Argumente erinnern an die jüngsten
Verlautbarungen religiöser Fanatiker, die darauf verweisen, nur Abstinenz, nichts anderes,
schütze vor ungewollten Schwangerschaften und Aids.
»Religiöse« Gruppen, nicht nur
die katholische Kirche, sondern auch andere christlich geprägte fundamentalistische Gruppen
unterhöhlen weltweit die Familienplanung. George Bush hat schon zum dritten Mal sämtliche US-
Mittel für den Bevölkerungsfonds der UNO (UNFPA) sperren lassen. Der Druck der Gegner der
Familienplanung und der Protagonisten von »Keuschheitsprogrammen« nimmt auch in Europa zu.
Familien-, Sozialhilfe- und
Arbeitslosenverbände, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, benachteiligte Gruppen in der
Bevölkerung zu unterstützen allen voran der Bundesverband Pro familia fordern die
im Bundestag vertretenen Parteien in einem offenen Brief auf, die Kostenübernahme von Leistungen zur
Familienplanung für Sozialhilfebezieherinnen bundesweit neu zu regeln, so dass Verhütungsmittel
an Bezieherinnen von ALG II und von Sozialhilfe kostenlos abgegeben werden können. Den betroffenen
Frauen empfehlen sie, gegen erhaltene Bescheide Widerspruch einzulegen.
Gisela Notz
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