SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2005, Seite 10

Hartz IV

Pille für arme Frauen nicht mehr kostenlos

Sozialhilfebezieherinnen sind seit Januar 2004 durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz mit zwei gegensätzliche Bestimmungen konfrontiert.

Der §36 des Bundessozialhilfegesetzes sieht grundsätzlich eine Hilfe zur Familienplanung für Sozialhilfebezieherinnen vor. Laut Gesundheitsmodernisierungsgesetz dagegen erhalten Sozialhilfebezieherinnen nur noch die Leistungen, welche die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen. Verhütungsmittel sind somit ausgeschlossen. Viele Kommunen berufen sich darauf, das Gesundheitsmodernisierungsgesetz stehe über der Sozialgesetzgebung, und verweigern über 20 Jahre alten Frauen die Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel. Sie sparen an den Verhütungsmitteln für ihre Sozialhilfeempfängerinnen. Viele Städte (wie Dortmund, Düsseldorf, Duisburg und Oberhausen) haben bereits Anfang dieses Jahres die Unterstützung eingestellt, andere folg(t)en später. Volljährige mittellose Frauen bekommen keine Pille, Diaphragma oder Spirale mehr vom Sozialamt bezahlt.
Die Auslegung der Änderungen ist jedoch strittig. Andere Städte (in NRW zum Beispiel Bochum und Gelsenkirchen) übernehmen daher die Kosten weiter, jedoch ohne verbindliche Rechtsgrundlage und damit auch ohne Rechtsanspruch für die betroffenen Frauen. Einige Städte haben verwaltungsinterne Lösungen gefunden, um die Frauen so lange wie möglich zu unterstützen. Wenn Frauen in der »falschen Stadt« wohnen, kann die Verhütung von Schwangerschaften allerdings an mangelnden finanziellen Mitteln scheitern.
Der Verein für öffentliche und private Fürsorge hat sich mit einem Gutachten vom 1.3.2004 auf den Standpunkt gestellt, dass die Leistungen der Sozialhilfe »bezüglich ihres Umfangs bzw. Verpflichtungsgrads mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung identisch und abweichende Regelungen nicht mehr möglich und zulässig sind«. Der Verein interpretiert die neuen Bestimmungen damit zu Ungunsten der Betroffenen.
Mitarbeiterinnen in Schwangerenberatungsstellen, die einen Großteil der Rezeptausschreibungen übernehmen, befürchten und machen erste Erfahrungen, dass viele Frauen nicht mehr verhüten (können), wenn die Kosten nicht übernommen werden. Im Sozialhilferegelsatz sind keine Verhütungsmittel enthalten.
Mit dieser gesetzlichen Regelung wird der Zugang zu Verhütungsmittel für ärmere Frauen massiv eingeschränkt, denn schließlich haben sie auch noch die Praxisgebühren und die Zuzahlung zu anderen Medikamenten zu tragen. Experten weisen darauf hin, dass durch die Streichung der Kostenübernahme für Verhütungsmittel das Recht auf die eigene Entscheidung darüber, ob und zu welchem Zeitpunkt Frauen ein Kind wollen, beschnitten wird. Mit dieser Regelung wird auf jeden Fall gegen das Menschenrecht auf Familienplanung verstoßen.
Deutschland hat auf der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung 1994 in Kairo zugesagt, sich für den allgemeinen Zugang zu sicheren, wirksamen und erschwinglichen Familienplanungsmethoden einzusetzen. Nach dem Aktionsplan der Staatengemeinschaft gehört das zum Recht auf »sexuelle und reproduktive Gesundheit«.
Sozialhilfeexperten betonen, das Gesetz sei so gewollt, um eine »Gleichstellung der Sozialhilfebezieherinnen mit der übrigen Bevölkerung« zu erreichen. Sie verweisen gar darauf, Verhütung sei ein Luxus seien, der nicht von der Solidargemeinschaft bezahlt werden solle. Sie sind der Meinung, dass Sozialhilfebezieherinnen die Verhütungsmittel von den 50 Euro bezahlen sollen, die sie monatlich für besondere persönliche Zwecke bekommen. Schließlich, geben sie zu Bedenken, müsse überlegt werden, ob Verhütung überhaupt »der Natur des Menschen« entspreche.
Solche Argumente erinnern an die jüngsten Verlautbarungen religiöser Fanatiker, die darauf verweisen, nur Abstinenz, nichts anderes, schütze vor ungewollten Schwangerschaften und Aids.
»Religiöse« Gruppen, nicht nur die katholische Kirche, sondern auch andere christlich geprägte fundamentalistische Gruppen unterhöhlen weltweit die Familienplanung. George Bush hat schon zum dritten Mal sämtliche US- Mittel für den Bevölkerungsfonds der UNO (UNFPA) sperren lassen. Der Druck der Gegner der Familienplanung und der Protagonisten von »Keuschheitsprogrammen« nimmt auch in Europa zu.
Familien-, Sozialhilfe- und Arbeitslosenverbände, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, benachteiligte Gruppen in der Bevölkerung zu unterstützen — allen voran der Bundesverband Pro familia — fordern die im Bundestag vertretenen Parteien in einem offenen Brief auf, die Kostenübernahme von Leistungen zur Familienplanung für Sozialhilfebezieherinnen bundesweit neu zu regeln, so dass Verhütungsmittel an Bezieherinnen von ALG II und von Sozialhilfe kostenlos abgegeben werden können. Den betroffenen Frauen empfehlen sie, gegen erhaltene Bescheide Widerspruch einzulegen.

Gisela Notz

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