SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2005, Seite 12

Warum Bush gewonnen hat

West-Virginia ist verloren

US-Amerikanische Liberale bekennen für gewöhnlich großen Enthusiasmus für das einfache Volk. Ihr sentimentaler Populismus wurde jedoch am 2.November hart auf die Probe gestellt.

Mit einer kleinen, aber entscheidenden Mehrheit wählte dieses Volk auf weitere vier Jahre Angst, Enttäuschung und Gier ins Weiße Haus. Mit Ausnahme des demokratischen Refugiums an den Großen Seen ist Kontinentalamerika von Idaho bis Alabama eine gottgeführte Einparteiennation geworden. Nicht mal Bruce Springsteen und 48 Nobelpreisträger konnten den Bundesstaat Ohio auf die Seite von John Kerry swingen. Bush hat seinen Vorsprung vor Kerry gegenüber dem Jahr 2000 in zwölf Bundesstaaten dramatisch ausgebaut, während Kerry in sieben Staaten weniger holte als Gore, selbst in seinem eigenen Bundesstaat Massachusetts.
Nun behauptet Bush ein »Mandat« der Bevölkerung, Amerika gemäß den göttlichen Eingebungen und denen seines Beraters Karl Rove umzumodeln. »Ich habe Kapital aufgebaut in diesen Wahlen«, drohte er unmittelbar nach der Wahl, »nun gedenke ich es auszugeben.« Tatsächlich drohen die Richterernennungen und die Entscheidungen über die US-Justiz, die er in den nächsten ein, zwei Jahren vornehmen wird, das Gesicht der USA für eine ganze Generation zu prägen.
Die US-Justiz wird ihren unerbittlichen Marsch nach rechts fortsetzen bis zu dem Tag, an dem das Recht auf Schwangerschaftsunterbrechung wieder aufgehoben wird. Unternehmensgruppen, die dem Vernehmen nach über eine Milliarde Dollar in den Wahlkampf der Republikaner gesteckt haben, werden in Naturschutzgebieten nach Öl bohren können und den Gewinn aus der Privatisierung der Sozialversicherung kassieren können.
Mehr sunnitische Städte werden in Grund und Boden gestampft werden und siegessichere Neocons werden darauf drängen, dass die USA zusammen mit Israel Luftangriffe gegen den Iran fliegen. In der Wüste Nevada werden Atomtests wieder aufgenommen werden und in Alaska werden die Gletscher weiter schmelzen.
Diese Revolution der Republikaner verbreitet an den von den Demokraten dominierten US-amerikanischen Küsten Angst und Abscheu. In San Francisco fordern Autoaufkleber bereits die Sezession. Manhattan schaudert‘s vor der Hegemonie des Kernlands.
Viel ist auch die Rede von einer »Rückkehr der 20er«, als eine entfremdete Intelligenz vor der konservativen, von reaktionären Business-Leuten und schäbigen Evangelisten dominierten Gesellschaft in ein reales oder imaginäres Exil flüchteten. Eine tiefe Angst vor Mittel-Amerika färbt die Zukunftserwartungen.
Das populärste Erklärungsmuster unter Liberalen für das Wahldebakel ist der Glaube, die einfachen Leute wären, wie in Deutschland 1933, von den Appellen an ihre Vorurteile und ihre kulturelle Rückständigkeit hypnotisiert worden, die Dummheit habe gesiegt.
Diese Analyse — eine Karikatur auf Marx‘ Begriff vom »falschen Bewusstsein« — wurde angeblich bestätigt durch Wahlumfragen am Ausgang der Wahlkabinen, die ergaben, Wechselwählern seien moralische Fragen wichtiger gewesen als Fabrikschließungen oder die Invasion des Irak.
Tatsächlich hatte Bush-Berater Karl Rove dafür gesorgt, dass gleichzeitig Gesetzesänderungen, die Ehen unter Schwulen verbieten sollten, in elf für die Wahl wichtigen Staaten zur Abstimmung standen, auch in Ohio. Kein anderes Thema war so geeignet, traditionalistische und evangelikale Wählergruppen zu mobilisieren — auch sonst demokratisch gesinnte Latinos oder Schwarze.
Es wäre aber ungeheuer simpel zu glauben, zynische Mechaniker der Politik bräuchten nur den Knopf »Abtreibung« oder »Schwulenrechte« zu drücken, um die politischen Folgewirkungen von Armut, Arbeitslosigkeit oder unheilbaren Krankheiten auszulöschen.
Nehmen wir das bergige West-Virginia. Kein Bundesstaat hat bei diesen Präsidentschaftswahlen einen dramatischeren Rechtsschwenk erlebt. Früher war West-Virginia einmal eine Hochburg der mächtigen Stahl- und Bergarbeitergewerkschaften. Es stand loyal zu den Demokraten auch in so trostlosen Wahlen wie 1956, 1968 oder 1988. Nun aber hat Kerry West-Virginia schockierend eindeutig verloren — sein Abstand zu Bush betrug hier 13%!
Zweifellos haben die Republikaner in Hunderten von Kleinstadtkirchen, wo fromme West-Virginier immer noch den Satan austreiben und vor Wut über die Legalisierung der Sodomie schäumen, große Einbrüche erzielt. Damit die Theorie des »falschen Bewusstseins« aber greifen kann, müssen die Einwohner von West-Virginia, oder Kansas oder Ohio, mindestens die Chance gehabt haben, zwischen verschiedenen »Werten«, »Interessen«, Kulturen und Klassen zu wählen.
Aber gerade das Fehlen dieser Wahlmöglichkeit charakterisiert derzeit die amerikanische Politik. In West-Virginia hatten die nationalen Demokraten für den Niedergang der Kohleindustrie in den Appalachen oder den Verlust örtlicher Fabrikarbeitsplätze an Mexiko oder China kein Wort übrig.
Die große Leistung der Amtsperiode Clintons war es gewesen, die Demokraten als Partei der »New Economy«, der Wissensindustrien und Hightechexporteure an den beiden Küsten aufgestellt zu haben. Statt ein ökonomisches Rettungspaket für das Kernland zu schnüren, wie die Gewerkschaften gefordert hatten, boxte Clinton das Arbeitsplätze exportierende NAFTA durch.
Kerrys Kampagne baute auf diesem Erbe auf. Wie Gore wurde er massiv von der Unterhaltungsindustrie, der Softwareindustrie und den Unternehmen mit Risikokapital gesponsert. Wie Gore führte er seine Kampagne ohne eine zwingende ökonomische Aussage oder ernsthafte Vorschläge, wie der Verlust weiterer Industriearbeitsplätze verhindert werden könnte. Bestenfalls versprach er maßvolle Steuererleichterungen für Unternehmen, die Arbeitsplätze erhalten wollten.
Bush hingegen hatte 2001 Importstahl vorübergehend mit Zöllen belegt. Das war zweifellos ein zynisches Manöver aus Roves Ecke, um den Demokraten Arbeiterstimmen abspenstig zu machen, aber es funktionierte.
Vom Standpunkt eines Einwohners aus West- Virginia hatten die Texas-Cowboys den Mumm, sich gegen die Konkurrenz aus Europa zu stemmen, während Kerry ihnen nur Aspirin gegen Krebs im Endstadium zu bieten hatte. Bush wurde — wie falsch auch immer — als Wirtschaftsnationalist wahrgenommen, während Kerry als unzuverlässiger Europhiler taxiert wurde.
In anderen Worten: Die wahre Achillesferse der Demokraten ist die Ökonomie, nicht die Moral. Das größte Thema in den Kohle- und Stahlrevieren ist der industrielle Niedergang, nicht die Schwulenehe. Wenn die Gewerkschaftshäuser schließen und die unabhängige Presse verstummt ist, braucht man sich nicht zu wundern, dass die Menschen Antworten in Kirchen oder bei Radio-Demagogen suchen, oder dass sie den Niedergang der Arbeitsplatzsicherheit gleichsetzen mit dem Niedergang der »Familienwerte«.
Bevor sie nach Toronto auswandern oder sich in ihrem Elfenbeinturm verkriechen, sollten Amerikas Liberale lange und ausgiebig über die historischen Umstände nachdenken, die aus den Helden der Arbeiterklasse von gestern die Barbaren vor den Toren von heute gemacht haben.

Mike Davis

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang