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Heute stehen wir eindeutig wieder an einem Wendepunkt und vielleicht, in den
nächsten Jahren, an dem lange hinausgeschobenen Höhepunkt dieser Entwicklung wenn nämlich
die Masse an US-Dollars, die inzwischen gigantische Ausmaße angenommen hat aus den 30 Milliarden
Dollar 1958 sind heute mindestens 11 Billionen geworden , in der einen oder anderen Weise entwertet wird.
Nachdem die Wahlen glücklich überstanden
sind, kann sich die Bush-Administration nun der Weltwirtschaftskrise widmen, die ihr seit ihrem Amtsantritt im
Nacken sitzt, nachdem die Aktienkurse im Frühjahr 2000 eingebrochen waren. Bush und seine Leute
müssen wie sie sagen so schnell wie möglich das Schlimmste hinter sich bringen, bevor
neue Wahlen oder andere politische Herausforderungen anstehen. (Hätte Kerry gewonnen, stünde seine
Regierung jetzt womöglich vor einer noch größeren Krise, da sie verbunden wäre mit
internationaler Unsicherheit in Bezug auf mehrere Politikfelder.)
In den vergangenen Wochen ist die Dollarkrise
erneut von der Ebene einer technischen Diskussion zwischen randständigen Zirkeln von Spezialisten in den
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Medien gerückt. Die Dollarkrise ist nur der unmittelbar sichtbare
Aspekt einer tiefgreifenden sozialen und ökonomischen Krise, die seit Jahrzehnten fortschreitet.
Prominente prokapitalistische Wirtschaftsfachleute
wie Steve Roach oder Paul Krugman sagen heute, dass eine große Krise fast unvermeidbar ist, die Frage sei
eher wann als ob. Dies ist umso bemerkenswerter, als in den acht oder neun Monaten, in denen sich die Medien
über die US-Wahlen ereifert haben, diese Tatsache und die Fragen, die sie aufwirft, nirgendwo Gegenstand
der Diskussion waren. Seit den 60er Jahren, als der problematische internationale Status des US-Dollar zu einem
politischen Dauerlutscher (mit Höhen und Tiefen) wurde, hat sich nie mehr ein amerikanischer
Spitzenpolitiker an dieses Thema gewagt. Das ist noch mehr ein politisches Selbstmordkommando als die
Sozialversicherung oder das Gesundheitswesen. Leider ist diese Frage auch auf der radikalen Linken nicht
Gegenstand der Diskussion von wenigen Ausnahmen abgesehen.
Eine kapitalistische Krise wie die derzeitige
ähnelt einem Pokerspiel, bei dem reiner Tisch gemacht und alle Karten und Chips für das nächste
Spiel neu verteilt werden, damit es überhaupt weiter gehen kann. So etwas könnte wie ein ordentlicher
Konkurs ablaufen. Wahrscheinlich wird es aber chaotisch ablaufen, die wirtschaftlichen Sicherungen brennen
durch, es gibt Klassenkampf und Krieg. Nur die beiden letzteren Formen bergen die Kraft und Legitimität
für die notwendigen Änderungen.
Die jetzige Krise wird aller Wahrscheinlichkeit
nach nicht in der reinen Form ablaufen wie 1929: mit abrupter Deflation, Börsenkrach und plötzlichem
Ansteigen der Massenarbeitslosigkeit, obwohl eine Kombination der drei nicht auszuschließen ist. Vom
kapitalistischen Standpunkt aus müssen die nahezu 11 Billionen US-Dollar, die derzeit von Ausländern
gehalten werden, irgendwie entwertet werden; danach müssen die wichtigsten Wechselkurse den neuen
wirtschaftlichen Realitäten angepasst werden. Der Dollar muss von seinem Thron als weltweite
Reservewährung gestürzt werden etwa 63% aller Zentralbankreserven der Welt werden derzeit in
Dollar gehalten; noch vor einem Jahr waren es 69% und neben Euro, Yen und vielleicht einem Korb
verschiedender großer Währungen zu einer Reservewährung unter anderen herabgestuft werden.
Die USA müssen aufhören, jedes Jahr 600
Milliarden Dollar Miese in der Zahlungsbilanz zu schreiben, weshalb sie 80% der Ersparnisse der Welt anziehen
müssen, um diesen Schuldenberg zu finanzieren. Sie müssen die annähernd 33 Billionen Schulden
des Bundes, der Bundesstaaten, der Gemeinden, der Unternehmen und der Privathaushalte dreimal soviel wie
das Bruttoinlandsprodukt entwerten, die in den letzten Jahrzehnte die Wirtschaft am Laufen gehalten
haben. Das hätte u.a. das Platzen der enormen Hypothekenblase zur Folge und würde Millionen Familien
und Einzelpersonen in den Bankrott treiben.
Die USA müssen einen Weg finden, Importe und
Exporte auszugleichen. Angesichts der weitgehenden Entkernung der US-Industrie in den letzten 35 Jahren
bedeutet dies vor allem, dass die Importe massiv zurückgeschraubt werden müssen und der US-
amerikanischen Arbeiterklasse ein drastisches »Sparprogramm« auferlegt wird.
In jeder größeren Krise des Kapitalismus
war das wesentliche Problem immer das, eine Blase fiktiver oder spekulativer Forderungen (Aktien,
Rentenpapiere, Eigentumstitel) zum Platzen oder Schrumpfen zu bringen und diese Forderungen wieder in ein
Verhältnis zur tatsächlichen Profitrate in der Produktion zu setzen oder zu freien Impulsen von
außerhalb, wie die Plünderung der Natur und der bäuerlichen Arbeit. Heutzutage ist dieser
Prozess aber viel komplizierter geworden, weil die USA jahrzehntelang in eine Rentiersökonomie verwandelt
wurden in weitaus größerem Maß als das British Empire zwischen 1815 und 1945.
Wie das passiert ist, kann hier nicht dargelegt
werden, aber was das US-Imperium seit dem Zweiten Weltkrieg vom britischen unterscheidet, ist Amerikas
Fähigkeit, dem Rest der Welt seine Schulden in Gestalt von Dollarreserven der Zentralbanken aufzuzwingen.
Die Briten konnten dies nur im Rahmen ihres Empire durchsetzen; weltweit hatten sie mächtige Rivalen und
waren an den Goldstandard gebunden. Den USA aber ist es vor allem nach 1973 gelungen, den Rest der Welt auf
einen nicht mehr verankerten Dollarstandard zu setzen, der sich auf nichts anderes gründet als auf die
finanzielle Glaubwürdigkeit der US-Regierung.
Zur gleichen Zeit haben die USA eine dramatische
De-Industrialisierung erlebt, während die Gelehrten des Status quo den Aufstieg einer Ökonomie
feierten, die sich auf Finanzgeschäfte, Versicherungen und Immobilien stützt die neue
postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft, die die alte Schornsteinökonomie mitsamt ihren
Arbeitsplätzen ersetzen werde.
Diese Gelehrten haben nicht vorhergesehen, dass
auch diese Dienstleistungen einmal nach China oder Indien ausgelagert würden. Weil die US-Wirtschaft
weniger vom internationalen Handel abhängt als die meisten anderen kapitalistischen Länder, schenkten
außerhalb des genannten randständigen Zirkels von Spezialisten nur wenige der Tatsache
Aufmerksamkeit, dass die USA schon seit den 60er Jahren vom guten Willen der Ausländer abhängen, das
amerikanische Zahlungsbilanzdefizit auf dem US-Kapitalmarkt in US-Staatsanleihen und Wertpapiere (Aktien,
Obligationen) umzuwandeln, damit die Dienstleistungsökonomie funktionieren kann.
Die ausländischen Regierungen und das private
Kapital mussten diese Situation dulden, denn die Alternative wäre der Kollaps des riesigen US-Binnenmarkts
für ihre Exporte gewesen, und das hätte sie mit in den Abgrund gerissen. Während des Kalten
Krieges half auch der militärische Druck auf Europa und Japan, die Ausänder gefügig zu machen.
Der Kalte Krieg hat an dieser Konstellation nichts
geändert, er hat sie nur viel schlimmer gemacht, wie ein kleiner Tumor, der zu einer monströsen
Schwellung anwächst. Wie US-Finanzminister John Connally 1971 an die Adresse von Europa und Japan sagte:
»Es ist unsere Währung, aber euer Problem.« Ohne das (recht alternativlose) Recycling der
Dollars durch die Ausländer in den USA selbst würden die tragenden Säulen der US-
Binnenwirtschaft die Kreditfinanzierung von Auto und Wohnung über Nacht zusammenbrechen.
Schlimmer ist, dass auch ein Wirtschaftsboom wie
in China und in Lateinamerika (angeführt von Brasilien) unmittelbar von der globalen Zirkulation der
Dollarblase abhängt. Ohne die massiven chinesischen Exporte in die USA, die von Chinas und Japans
Bereitschaft abhängen, Hunderte Milliarden US-Dollar als Zentralbankreserve zu halten, würde der Boom
in China zusammenbrechen, ebenso der derzeitige Wirtschaftsaufschwung in Lateinamerika, der ermöglicht
durch den Export von Rohstoffen nach China wird, womit dort die Konsumgüter für den US-Markt
hergestellt werden.
Fraglos hat das Anschwellen der Masse
nomadisierender Dollars in Asien zu einem gewissen, realen wirtschaftlichen Aufschwung geführt die
Weltbank und der IWF verkünden gern, der Anteil der Bevölkerung, der von 1 Dollar am Tag lebe, sei
unter 20% gesunken. Die Nachfrage, die diese Entwicklung antreibt, muss jedoch in der globalen
Dollarschuldenpyramide verortet werden.
Aber genug von dieser technischen
Ökonomiediskussion, die eh den meisten Menschen die Augen übergehen lässt. Die wirklich
spannende Frage ist, was dies alles für die radikale antikapitalistische Linke bedeutet. Fakt ist, dass
weder wir, noch die große Mehrheit der US-Bevölkerung auf den Umfang der Katastrophe vorbereitet
sind, die vor uns liegt. Das Maß an Kürzungen, das die Kapitalisten verlangen werden, wird so
groß sein wie seit den 30er Jahren nicht mehr. Damals aber schickten die USA sich an, zum unangefochten
größten Geldgeber und Industrieproduzenten zu werden, nicht zur größten Schuldnernation der
Welt und Ex-Industriemacht wie jetzt.
So unklar, wie diese Wirtschaftsdynamik der
Öffentlichkeit wie auch der radikalen Linken ist: sie wird noch weiter verdunkelt durch die
Entschlossenheit auf Kapitalseite, eine rein wirtschaftliche Krise zu verhindern. Ähnlich hat sich 1938
Hitler entschlossen einen Krieg zu beginnen, als sein Finanzminister Schacht ihm mitteilte, der deutsche
Schuldenberg und die Kriegsproduktion stünden vor dem Zusammenbruch.
Die Strategie der USA nach 1979 an den
Rändern von Russland und China Afghanistan, Jugoslawien, der Irak, jetzt die Ukraine, morgen
wahrscheinlich der Iran und Nordkorea zielt darauf ab, dass sich auf der eurasischen Landmasse nicht ein
ernsthafter wirtschaftlicher und militärischer Gegenspieler zusammenballt. Seit 1991 verfolgt die US-
Außenpolitik das Ziel, den Einfluss Russlands hinter seine Grenzen im 17.Jahrundert
zurückzudrängen. Eine erfolgreiche, US-finanzierte demokratische Revolution in der Ukraine wäre
nach Serbien und Georgien ein gigantischer Schritt in dieser Richtung.
Europa, Russland, China, Japan und Indien
müssen im Widerstreit gegeneinander und in der Defensive gehalten werden, damit sie unfähig bleiben,
den zunehmend offensichtlichen Bankrott des von den USA beherrschten Weltsystems in Frage zu stellen. Dieser
Offensivpolitik (im Golfstaat Qatar steht inzwischen eine ebenso große US-Streitmacht wie in Deutschland),
ganz zu schweigen von Krisenherden wie Sudan, Venezuela, Kolumbien und Dauerbrennern wie Palästina, wird
es nie an Brandherden fehlen, die sie austreten muss, sollte einmal der Krieg gegen den Terror seine
mobilisierende Wirkung verfehlen.
Die amerikanischen Kapitalisten verstehen sehr
wohl, dass ihr Niedergang nur aufgehalten werden kann, wenn sie alle potenziellen Rivalen und auch die
arbeitende Bevölkerung in den USA selbst in einem permanenten Konfliktzustand halten. Sie werden alles
tun, um die Folgen des jahrzehntelangen Niedergangs der USA als das Werk von Terroristen erscheinen zu lassen,
oder das von China oder selbst das von Europa man erinnere sich nur an das unglaubliche Franzosenbashing
vor dem Irakkrieg.
So fern die Perspektive politischer und sozialer
Macht für eine radikale antikapitalistische Linke auch liegen mag, müssen wir doch beginnen, ein
breites Verständnis für die realen Kräfte zu schaffen, die heute die politische Agenda
prägen. Die Ideologie, die sich derzeit um den Isolationismus der USA legt und ihn schürt, kann
morgen einen breit angelegten protektionistischen Gegenschlag anheizen, der nur ein weiteres
Ablenkungsmanöver von der Krise wäre.
Niemand Geringeres als Warren Buffett sagt seit
Jahren: Amerikas große, hoch bezahlte Armee von Finanzdienstleistern, Vorständen der Medienbranche,
Rechtsanwälten, Gesundheitsbürokraten und Tausende anderer, die die postindustrielle
Dienstleistungsökonomie bevölkern, treten die Gesellschaft kollektiv vors Schienbein. Die Kluft
zwischen normalen, arbeitenden Menschen und dem von den Medien geförderten Spektakel der Politik des
business as usual ist groß genug.
Unser Problem ist vielmehr, wie der populistische
Impuls, den Leute wie Buffett oder Nader oder Buchanan oder Tom Frank rechts wie links zum Ausdruck bringen, in
eine radikale, marxistische Analyse der Dynamik des globalen Systems der gesellschaftlichen Beziehungen
transformiert werden kann.
Loren Goldner
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