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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2005, Seite 13

Die Dollarkrise und die USA

So unglaublich es klingen mag, aber seit dem Ende der 50er Jahre dreht sich die Weltwirtschaft um eine stetig wachsende Masse nomadisierender Dollars (die außerhalb der USA gehalten werden) wie um eine heiße Kartoffel. Würden sie auf einmal in greifbaren Reichtum verwandelt, würde die Welt in eine deflationäre Krise stürzen. Selbst jetzt sind sich nur wenige Menschen darüber im Klaren, in welchem Ausmaß diese »technische« Frage der Wirtschaft, die in Wahrheit eine eminent soziale Frage ist, die letzten 45 Jahre der Weltgeschichte geprägt hat.
In Schlüsseljahren ist sie wiederholt ins Bewusstsein gelangt: 1968, als die Golddeckung des Dollar in Frage gestellt wurde; 1973, als das Bretton-Woods-System aufgekündigt wurde; 1979, als es weltweit eine galoppierende Inflation gab und die Unze Gold auf 850 US-Dollar kletterte; 1990 mit der Deflationskrise in Japan und 1997/98 mit der Asienkrise, der Einstellung der Schuldenzahlung durch Russland und der Krise der Hedgefonds.

Heute stehen wir eindeutig wieder an einem Wendepunkt und vielleicht, in den nächsten Jahren, an dem lange hinausgeschobenen Höhepunkt dieser Entwicklung — wenn nämlich die Masse an US-Dollars, die inzwischen gigantische Ausmaße angenommen hat — aus den 30 Milliarden Dollar 1958 sind heute mindestens 11 Billionen geworden —, in der einen oder anderen Weise entwertet wird.
Nachdem die Wahlen glücklich überstanden sind, kann sich die Bush-Administration nun der Weltwirtschaftskrise widmen, die ihr seit ihrem Amtsantritt im Nacken sitzt, nachdem die Aktienkurse im Frühjahr 2000 eingebrochen waren. Bush und seine Leute müssen — wie sie sagen — so schnell wie möglich das Schlimmste hinter sich bringen, bevor neue Wahlen oder andere politische Herausforderungen anstehen. (Hätte Kerry gewonnen, stünde seine Regierung jetzt womöglich vor einer noch größeren Krise, da sie verbunden wäre mit internationaler Unsicherheit in Bezug auf mehrere Politikfelder.)
In den vergangenen Wochen ist die Dollarkrise erneut von der Ebene einer technischen Diskussion zwischen randständigen Zirkeln von Spezialisten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Medien gerückt. Die Dollarkrise ist nur der unmittelbar sichtbare Aspekt einer tiefgreifenden sozialen und ökonomischen Krise, die seit Jahrzehnten fortschreitet.
Prominente prokapitalistische Wirtschaftsfachleute wie Steve Roach oder Paul Krugman sagen heute, dass eine große Krise fast unvermeidbar ist, die Frage sei eher wann als ob. Dies ist umso bemerkenswerter, als in den acht oder neun Monaten, in denen sich die Medien über die US-Wahlen ereifert haben, diese Tatsache und die Fragen, die sie aufwirft, nirgendwo Gegenstand der Diskussion waren. Seit den 60er Jahren, als der problematische internationale Status des US-Dollar zu einem politischen Dauerlutscher (mit Höhen und Tiefen) wurde, hat sich nie mehr ein amerikanischer Spitzenpolitiker an dieses Thema gewagt. Das ist noch mehr ein politisches Selbstmordkommando als die Sozialversicherung oder das Gesundheitswesen. Leider ist diese Frage auch auf der radikalen Linken nicht Gegenstand der Diskussion — von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Krisenfaktor USA

Eine kapitalistische Krise wie die derzeitige ähnelt einem Pokerspiel, bei dem reiner Tisch gemacht und alle Karten und Chips für das nächste Spiel neu verteilt werden, damit es überhaupt weiter gehen kann. So etwas könnte wie ein ordentlicher Konkurs ablaufen. Wahrscheinlich wird es aber chaotisch ablaufen, die wirtschaftlichen Sicherungen brennen durch, es gibt Klassenkampf und Krieg. Nur die beiden letzteren Formen bergen die Kraft und Legitimität für die notwendigen Änderungen.
Die jetzige Krise wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in der reinen Form ablaufen wie 1929: mit abrupter Deflation, Börsenkrach und plötzlichem Ansteigen der Massenarbeitslosigkeit, obwohl eine Kombination der drei nicht auszuschließen ist. Vom kapitalistischen Standpunkt aus müssen die nahezu 11 Billionen US-Dollar, die derzeit von Ausländern gehalten werden, irgendwie entwertet werden; danach müssen die wichtigsten Wechselkurse den neuen wirtschaftlichen Realitäten angepasst werden. Der Dollar muss von seinem Thron als weltweite Reservewährung gestürzt werden — etwa 63% aller Zentralbankreserven der Welt werden derzeit in Dollar gehalten; noch vor einem Jahr waren es 69% — und neben Euro, Yen und vielleicht einem Korb verschiedender großer Währungen zu einer Reservewährung unter anderen herabgestuft werden.
Die USA müssen aufhören, jedes Jahr 600 Milliarden Dollar Miese in der Zahlungsbilanz zu schreiben, weshalb sie 80% der Ersparnisse der Welt anziehen müssen, um diesen Schuldenberg zu finanzieren. Sie müssen die annähernd 33 Billionen Schulden des Bundes, der Bundesstaaten, der Gemeinden, der Unternehmen und der Privathaushalte — dreimal soviel wie das Bruttoinlandsprodukt — entwerten, die in den letzten Jahrzehnte die Wirtschaft am Laufen gehalten haben. Das hätte u.a. das Platzen der enormen Hypothekenblase zur Folge und würde Millionen Familien und Einzelpersonen in den Bankrott treiben.
Die USA müssen einen Weg finden, Importe und Exporte auszugleichen. Angesichts der weitgehenden Entkernung der US-Industrie in den letzten 35 Jahren bedeutet dies vor allem, dass die Importe massiv zurückgeschraubt werden müssen und der US- amerikanischen Arbeiterklasse ein drastisches »Sparprogramm« auferlegt wird.
In jeder größeren Krise des Kapitalismus war das wesentliche Problem immer das, eine Blase fiktiver oder spekulativer Forderungen (Aktien, Rentenpapiere, Eigentumstitel) zum Platzen oder Schrumpfen zu bringen und diese Forderungen wieder in ein Verhältnis zur tatsächlichen Profitrate in der Produktion zu setzen oder zu freien Impulsen von außerhalb, wie die Plünderung der Natur und der bäuerlichen Arbeit. Heutzutage ist dieser Prozess aber viel komplizierter geworden, weil die USA jahrzehntelang in eine Rentiersökonomie verwandelt wurden — in weitaus größerem Maß als das British Empire zwischen 1815 und 1945.
Wie das passiert ist, kann hier nicht dargelegt werden, aber was das US-Imperium seit dem Zweiten Weltkrieg vom britischen unterscheidet, ist Amerikas Fähigkeit, dem Rest der Welt seine Schulden in Gestalt von Dollarreserven der Zentralbanken aufzuzwingen. Die Briten konnten dies nur im Rahmen ihres Empire durchsetzen; weltweit hatten sie mächtige Rivalen und waren an den Goldstandard gebunden. Den USA aber ist es vor allem nach 1973 gelungen, den Rest der Welt auf einen nicht mehr verankerten Dollarstandard zu setzen, der sich auf nichts anderes gründet als auf die finanzielle Glaubwürdigkeit der US-Regierung.
Zur gleichen Zeit haben die USA eine dramatische De-Industrialisierung erlebt, während die Gelehrten des Status quo den Aufstieg einer Ökonomie feierten, die sich auf Finanzgeschäfte, Versicherungen und Immobilien stützt — die neue postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft, die die alte Schornsteinökonomie mitsamt ihren Arbeitsplätzen ersetzen werde.
Diese Gelehrten haben nicht vorhergesehen, dass auch diese Dienstleistungen einmal nach China oder Indien ausgelagert würden. Weil die US-Wirtschaft weniger vom internationalen Handel abhängt als die meisten anderen kapitalistischen Länder, schenkten außerhalb des genannten randständigen Zirkels von Spezialisten nur wenige der Tatsache Aufmerksamkeit, dass die USA schon seit den 60er Jahren vom guten Willen der Ausländer abhängen, das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit auf dem US-Kapitalmarkt in US-Staatsanleihen und Wertpapiere (Aktien, Obligationen) umzuwandeln, damit die Dienstleistungsökonomie funktionieren kann.
Die ausländischen Regierungen und das private Kapital mussten diese Situation dulden, denn die Alternative wäre der Kollaps des riesigen US-Binnenmarkts für ihre Exporte gewesen, und das hätte sie mit in den Abgrund gerissen. Während des Kalten Krieges half auch der militärische Druck auf Europa und Japan, die Ausänder gefügig zu machen.
Der Kalte Krieg hat an dieser Konstellation nichts geändert, er hat sie nur viel schlimmer gemacht, wie ein kleiner Tumor, der zu einer monströsen Schwellung anwächst. Wie US-Finanzminister John Connally 1971 an die Adresse von Europa und Japan sagte: »Es ist unsere Währung, aber euer Problem.« Ohne das (recht alternativlose) Recycling der Dollars durch die Ausländer in den USA selbst würden die tragenden Säulen der US- Binnenwirtschaft — die Kreditfinanzierung von Auto und Wohnung — über Nacht zusammenbrechen.

Die Krise wird verdunkelt

Schlimmer ist, dass auch ein Wirtschaftsboom wie in China und in Lateinamerika (angeführt von Brasilien) unmittelbar von der globalen Zirkulation der Dollarblase abhängt. Ohne die massiven chinesischen Exporte in die USA, die von Chinas und Japans Bereitschaft abhängen, Hunderte Milliarden US-Dollar als Zentralbankreserve zu halten, würde der Boom in China zusammenbrechen, ebenso der derzeitige Wirtschaftsaufschwung in Lateinamerika, der ermöglicht durch den Export von Rohstoffen nach China wird, womit dort die Konsumgüter für den US-Markt hergestellt werden.
Fraglos hat das Anschwellen der Masse nomadisierender Dollars in Asien zu einem gewissen, realen wirtschaftlichen Aufschwung geführt — die Weltbank und der IWF verkünden gern, der Anteil der Bevölkerung, der von 1 Dollar am Tag lebe, sei unter 20% gesunken. Die Nachfrage, die diese Entwicklung antreibt, muss jedoch in der globalen Dollarschuldenpyramide verortet werden.
Aber genug von dieser technischen Ökonomiediskussion, die eh den meisten Menschen die Augen übergehen lässt. Die wirklich spannende Frage ist, was dies alles für die radikale antikapitalistische Linke bedeutet. Fakt ist, dass weder wir, noch die große Mehrheit der US-Bevölkerung auf den Umfang der Katastrophe vorbereitet sind, die vor uns liegt. Das Maß an Kürzungen, das die Kapitalisten verlangen werden, wird so groß sein wie seit den 30er Jahren nicht mehr. Damals aber schickten die USA sich an, zum unangefochten größten Geldgeber und Industrieproduzenten zu werden, nicht zur größten Schuldnernation der Welt und Ex-Industriemacht wie jetzt.
So unklar, wie diese Wirtschaftsdynamik der Öffentlichkeit wie auch der radikalen Linken ist: sie wird noch weiter verdunkelt durch die Entschlossenheit auf Kapitalseite, eine rein wirtschaftliche Krise zu verhindern. Ähnlich hat sich 1938 Hitler entschlossen einen Krieg zu beginnen, als sein Finanzminister Schacht ihm mitteilte, der deutsche Schuldenberg und die Kriegsproduktion stünden vor dem Zusammenbruch.
Die Strategie der USA nach 1979 an den Rändern von Russland und China — Afghanistan, Jugoslawien, der Irak, jetzt die Ukraine, morgen wahrscheinlich der Iran und Nordkorea — zielt darauf ab, dass sich auf der eurasischen Landmasse nicht ein ernsthafter wirtschaftlicher und militärischer Gegenspieler zusammenballt. Seit 1991 verfolgt die US- Außenpolitik das Ziel, den Einfluss Russlands hinter seine Grenzen im 17.Jahrundert zurückzudrängen. Eine erfolgreiche, US-finanzierte demokratische Revolution in der Ukraine wäre nach Serbien und Georgien ein gigantischer Schritt in dieser Richtung.
Europa, Russland, China, Japan und Indien müssen im Widerstreit gegeneinander und in der Defensive gehalten werden, damit sie unfähig bleiben, den zunehmend offensichtlichen Bankrott des von den USA beherrschten Weltsystems in Frage zu stellen. Dieser Offensivpolitik (im Golfstaat Qatar steht inzwischen eine ebenso große US-Streitmacht wie in Deutschland), ganz zu schweigen von Krisenherden wie Sudan, Venezuela, Kolumbien und Dauerbrennern wie Palästina, wird es nie an Brandherden fehlen, die sie austreten muss, sollte einmal der Krieg gegen den Terror seine mobilisierende Wirkung verfehlen.
Die amerikanischen Kapitalisten verstehen sehr wohl, dass ihr Niedergang nur aufgehalten werden kann, wenn sie alle potenziellen Rivalen und auch die arbeitende Bevölkerung in den USA selbst in einem permanenten Konfliktzustand halten. Sie werden alles tun, um die Folgen des jahrzehntelangen Niedergangs der USA als das Werk von Terroristen erscheinen zu lassen, oder das von China oder selbst das von Europa — man erinnere sich nur an das unglaubliche Franzosenbashing vor dem Irakkrieg.
So fern die Perspektive politischer und sozialer Macht für eine radikale antikapitalistische Linke auch liegen mag, müssen wir doch beginnen, ein breites Verständnis für die realen Kräfte zu schaffen, die heute die politische Agenda prägen. Die Ideologie, die sich derzeit um den Isolationismus der USA legt und ihn schürt, kann morgen einen breit angelegten protektionistischen Gegenschlag anheizen, der nur ein weiteres Ablenkungsmanöver von der Krise wäre.
Niemand Geringeres als Warren Buffett sagt seit Jahren: Amerikas große, hoch bezahlte Armee von Finanzdienstleistern, Vorständen der Medienbranche, Rechtsanwälten, Gesundheitsbürokraten und Tausende anderer, die die postindustrielle Dienstleistungsökonomie bevölkern, treten die Gesellschaft kollektiv vors Schienbein. Die Kluft zwischen normalen, arbeitenden Menschen und dem von den Medien geförderten Spektakel der Politik des business as usual ist groß genug.
Unser Problem ist vielmehr, wie der populistische Impuls, den Leute wie Buffett oder Nader oder Buchanan oder Tom Frank rechts wie links zum Ausdruck bringen, in eine radikale, marxistische Analyse der Dynamik des globalen Systems der gesellschaftlichen Beziehungen transformiert werden kann.

Loren Goldner

Der Autor lebt bei New York.(Übersetzung: Angela Klein.)



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