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Das erste Niederländische Sozialforum (NSF) in Amsterdam war ein
großer Erfolg. Vom 26. bis 28.November nahmen 4200 Aktive an über hundert Workshops und Seminaren
teil.
Die Themen der Veranstaltungen spiegelten die Verschiedenheit der Organisationen und Teilnehmenden
des Forums wider: Das Spektrum reichte von Debatten über die Europäische Verfassung, den Krieg im
Irak, die soziale Ausgrenzung, die Pläne der EU bis hin zu Diskussionen über die
Klimaveränderung, den Kyoto-Vertrag und zum wachsenden Rassismus in den Niederlanden. Am letzten Tag
wurde das NSF mit einer Demonstration von einigen tausend Menschen durch die Amserdamer Innenstadt
abgeschlossen. Ihr Motto lautete: »Gemeinsam für farbenfrohe Niederlande.«
Für die niederländische Bewegung
für eine andere Globalisierung bedeutet das Forum einen wichtigen Schritt nach vorn. Bis vor kurzem
waren es hauptsächlich die kleineren, radikalen Gruppen, die der Bewegung Form verliehen. Die
Aktivitäten waren größtenteils auf Mobilisierungen für die größeren
internationalen Foren und Mobilisierungen ausgerichtet. Das erste landesweite Sozialforum brachte jetzt
eine ansehnliche Verbreiterung. Zum ersten Mal arbeiteten die Aktiven für eine alternative
Globalisierung zusammen mit Vertretern der großen NGOs und Teilen der Gewerkschaftsbewegung.
Frühere Versuche, die Bewegung zu
verbreitern und ihr stärkere Strukturen zu verleihen, missglückten. Attac Niederlande spielte vor
einigen Jahren eine Rolle beim Ingangsetzen der Diskussion über die Globalisierung, aber es gelang ihm
nicht, sich als zentrale und die Initiative ergreifende Organisation zu verankern. Die Plattform »De
Wereld Is Niet te Koop«, die während der Mobilisierungen um den EU-Gipfel im Dezember 2001 in
Brüssel entstand, bezog als erstes die Sozialistische Partei in die Bewegung mit ein, aber zwei Jahre
später fiel sie auseinander.
Die Initiative zum ersten NSF ergriff Anfang dieses Jahres schließlich die Plattform »Keer Het
Tij« (Wendet das Blatt), eine Koalition aus landesweiten und lokalen sozialen Bewegungen und linken
Parteien. Keer Het Tij entstand 2002 als Reaktion auf den Rechtsruck in der niederländischen Politik
und den Machtantritt des rechten Kabinetts Balkenende. Der Plattform gelang es seitdem, eine Reihe
erfolgreicher Aktionen gegen die Politik der Regierung zu organisieren.
Auf der Grundlage dieses Erfolgs gelang es
Keer Het Tij, NGOs aus der Umweltbewegung und der Dritte-Welt-Bewegung und eine Reihe von Gewerkschaften
für die Organisation des Sozialforums zusammenzubringen. Das ging nicht ohne Probleme ab. Gerade
während der Vorbereitung des ESF in London wurde bei der Organisierung des Niederländischen
Sozialforums deutlich, dass es nicht leicht ist, die richtige Balance zwischen Verbreiterung,
Radikalität, Transparenz und Demokratie innerhalb der Bewegung zu finden. Letztendlich führte das
dazu, dass einige kleinere Organisationen, teils vom radikalen, teils vom gemäßigten Rand der
Bewegung, abgesprungen sind. Die in ihrer Breite einzigartige Zusammenarbeit blieb dennoch in dem Prozess
gewahrt.
Die Debatten auf dem NSF spiegelten zwei wichtige jüngere Entwicklungen und Erfahrungen in der
niederländischen Politik wider. Als erstes natürlich die gewaltige Bewegung im September und
Oktober gegen die Pläne der Regierung, weitere Einschnitte in die Sozialsysteme und bei den Renten
vorzunehmen. Nach vielen Jahren, in denen die Gewerkschaftsführungen die Verantwortung für den
allmählichen Abbau des Sozialstaats mit übernommen haben, wurden alle, von links bis rechts, vom
Umfang und der Dynamik des Widerstands überrascht, der möglich ist, wenn die
Gewerkschaftsbewegung sich entschließt zu handeln.
Der Höhepunkt in dieser Periode von
Streiks und anderen Aktionen war eine für niederländische Verhältnisse einmalige
Massendemonstration am 2.Oktober in Amsterdam mit 300000 Teilnehmenden. Keer Het Tij mobilisierte mit aller
Kraft für diese Demonstration. Vielen Aktiven der NSF-Koalition, ganz sicher den jüngeren unter
ihnen, wurde klar, dass die Gewerkschaftsbewegung nicht nur aus verschlafenen Funktionären besteht,
die mehr ein Teil des Systems als ein Teil der Gegenbewegung sind, sondern dass die Gewerkschaftsbewegung
und sicher ihre kritischeren Teile eine wichtige Verbündete für die Bewegung sein
kann.
Die vielen Workshops und Seminare, die vielen
Aktiven aus den Gewerkschaften, die auf dem Forum sprachen und die es besuchten, machten Hoffnung, gerade
durch konkrete Diskussionen über Themen wie »internationaler Gewerkschaftskampf« oder
»Widerstand gegen Rassismus am Arbeitsplatz«.
Am 2.November wurde der Filmregisseur Theo van Gogh von einem muslimischen Fundamentalisten ermordet.
Van Gogh war eine öffentliche Gestalt, die im Kielwasser von Pim Fortuyn ihr Bestes tat, um die rechte
und populistische Hetze gegen den Islam und damit auch gegen Millionen marokkanischer und türkischer
Migranten in den Niederlanden anzufachen. Nach dem Mord wurden die Niederlande von einer neuen Welle
rassistischer Politik überschwemmt, wobei die rechte Regierung die Initiative ergriff.
Auf dem Sozialforum wurden Veranstaltungen
über den Rassismus, den Islam und den Fundamentalismus fleißig besucht. Vor allem auf der
abschließenden Demonstration wurde deutlich gemacht, wie die Reaktion der Bewegung auszusehen hat: Wir
werden nicht zulassen, dass ein ganzer Teil der Bevölkerung für die Tat eines einzelnen
verantwortlich gemacht wird. Wir werden uns weiter für ein multikulturelles und solidarisches
Zusammenleben einsetzen.
Das NSF war ein Erfolg. Auch die
Organisationen, die im Verlauf des Prozesses abgesprungen waren, werden in Zukunft wieder einbezogen werden
müssen. Die erfolgreiche Zusammenarbeit kann und muss fortgesetzt werden, auch auf lokaler Ebene. Ein
zweites NSF kann ein noch größerer Erfolg werden, wenn wir das Netzwerk und die beginnende
Zusammenarbeit, die nun zustande gekommen ist, in gemeinsame Aktionen umzusetzen wissen damit wir
nicht nur ein Forum sind, sondern vor allem eine Bewegung aufbauen für andere Niederlande, ein anderes
Europa und eine andere Welt.
Leo de Kleijn
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