SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2005, Seite 14

Niederlande

Erfolgreiches Sozialforum

Das erste Niederländische Sozialforum (NSF) in Amsterdam war ein großer Erfolg. Vom 26. bis 28.November nahmen 4200 Aktive an über hundert Workshops und Seminaren teil.

Die Themen der Veranstaltungen spiegelten die Verschiedenheit der Organisationen und Teilnehmenden des Forums wider: Das Spektrum reichte von Debatten über die Europäische Verfassung, den Krieg im Irak, die soziale Ausgrenzung, die Pläne der EU bis hin zu Diskussionen über die Klimaveränderung, den Kyoto-Vertrag und zum wachsenden Rassismus in den Niederlanden. Am letzten Tag wurde das NSF mit einer Demonstration von einigen tausend Menschen durch die Amserdamer Innenstadt abgeschlossen. Ihr Motto lautete: »Gemeinsam für farbenfrohe Niederlande.«
Für die niederländische Bewegung für eine andere Globalisierung bedeutet das Forum einen wichtigen Schritt nach vorn. Bis vor kurzem waren es hauptsächlich die kleineren, radikalen Gruppen, die der Bewegung Form verliehen. Die Aktivitäten waren größtenteils auf Mobilisierungen für die größeren internationalen Foren und Mobilisierungen ausgerichtet. Das erste landesweite Sozialforum brachte jetzt eine ansehnliche Verbreiterung. Zum ersten Mal arbeiteten die Aktiven für eine alternative Globalisierung zusammen mit Vertretern der großen NGOs und Teilen der Gewerkschaftsbewegung.
Frühere Versuche, die Bewegung zu verbreitern und ihr stärkere Strukturen zu verleihen, missglückten. Attac Niederlande spielte vor einigen Jahren eine Rolle beim Ingangsetzen der Diskussion über die Globalisierung, aber es gelang ihm nicht, sich als zentrale und die Initiative ergreifende Organisation zu verankern. Die Plattform »De Wereld Is Niet te Koop«, die während der Mobilisierungen um den EU-Gipfel im Dezember 2001 in Brüssel entstand, bezog als erstes die Sozialistische Partei in die Bewegung mit ein, aber zwei Jahre später fiel sie auseinander.

Keer Het Tij

Die Initiative zum ersten NSF ergriff Anfang dieses Jahres schließlich die Plattform »Keer Het Tij« (Wendet das Blatt), eine Koalition aus landesweiten und lokalen sozialen Bewegungen und linken Parteien. Keer Het Tij entstand 2002 als Reaktion auf den Rechtsruck in der niederländischen Politik und den Machtantritt des rechten Kabinetts Balkenende. Der Plattform gelang es seitdem, eine Reihe erfolgreicher Aktionen gegen die Politik der Regierung zu organisieren.
Auf der Grundlage dieses Erfolgs gelang es Keer Het Tij, NGOs aus der Umweltbewegung und der Dritte-Welt-Bewegung und eine Reihe von Gewerkschaften für die Organisation des Sozialforums zusammenzubringen. Das ging nicht ohne Probleme ab. Gerade während der Vorbereitung des ESF in London wurde bei der Organisierung des Niederländischen Sozialforums deutlich, dass es nicht leicht ist, die richtige Balance zwischen Verbreiterung, Radikalität, Transparenz und Demokratie innerhalb der Bewegung zu finden. Letztendlich führte das dazu, dass einige kleinere Organisationen, teils vom radikalen, teils vom gemäßigten Rand der Bewegung, abgesprungen sind. Die in ihrer Breite einzigartige Zusammenarbeit blieb dennoch in dem Prozess gewahrt.

2.Oktober

Die Debatten auf dem NSF spiegelten zwei wichtige jüngere Entwicklungen und Erfahrungen in der niederländischen Politik wider. Als erstes natürlich die gewaltige Bewegung im September und Oktober gegen die Pläne der Regierung, weitere Einschnitte in die Sozialsysteme und bei den Renten vorzunehmen. Nach vielen Jahren, in denen die Gewerkschaftsführungen die Verantwortung für den allmählichen Abbau des Sozialstaats mit übernommen haben, wurden alle, von links bis rechts, vom Umfang und der Dynamik des Widerstands überrascht, der möglich ist, wenn die Gewerkschaftsbewegung sich entschließt zu handeln.
Der Höhepunkt in dieser Periode von Streiks und anderen Aktionen war eine für niederländische Verhältnisse einmalige Massendemonstration am 2.Oktober in Amsterdam mit 300000 Teilnehmenden. Keer Het Tij mobilisierte mit aller Kraft für diese Demonstration. Vielen Aktiven der NSF-Koalition, ganz sicher den jüngeren unter ihnen, wurde klar, dass die Gewerkschaftsbewegung nicht nur aus verschlafenen Funktionären besteht, die mehr ein Teil des Systems als ein Teil der Gegenbewegung sind, sondern dass die Gewerkschaftsbewegung — und sicher ihre kritischeren Teile — eine wichtige Verbündete für die Bewegung sein kann.
Die vielen Workshops und Seminare, die vielen Aktiven aus den Gewerkschaften, die auf dem Forum sprachen und die es besuchten, machten Hoffnung, gerade durch konkrete Diskussionen über Themen wie »internationaler Gewerkschaftskampf« oder »Widerstand gegen Rassismus am Arbeitsplatz«.

2.November

Am 2.November wurde der Filmregisseur Theo van Gogh von einem muslimischen Fundamentalisten ermordet. Van Gogh war eine öffentliche Gestalt, die im Kielwasser von Pim Fortuyn ihr Bestes tat, um die rechte und populistische Hetze gegen den Islam und damit auch gegen Millionen marokkanischer und türkischer Migranten in den Niederlanden anzufachen. Nach dem Mord wurden die Niederlande von einer neuen Welle rassistischer Politik überschwemmt, wobei die rechte Regierung die Initiative ergriff.
Auf dem Sozialforum wurden Veranstaltungen über den Rassismus, den Islam und den Fundamentalismus fleißig besucht. Vor allem auf der abschließenden Demonstration wurde deutlich gemacht, wie die Reaktion der Bewegung auszusehen hat: Wir werden nicht zulassen, dass ein ganzer Teil der Bevölkerung für die Tat eines einzelnen verantwortlich gemacht wird. Wir werden uns weiter für ein multikulturelles und solidarisches Zusammenleben einsetzen.
Das NSF war ein Erfolg. Auch die Organisationen, die im Verlauf des Prozesses abgesprungen waren, werden in Zukunft wieder einbezogen werden müssen. Die erfolgreiche Zusammenarbeit kann und muss fortgesetzt werden, auch auf lokaler Ebene. Ein zweites NSF kann ein noch größerer Erfolg werden, wenn wir das Netzwerk und die beginnende Zusammenarbeit, die nun zustande gekommen ist, in gemeinsame Aktionen umzusetzen wissen — damit wir nicht nur ein Forum sind, sondern vor allem eine Bewegung aufbauen für andere Niederlande, ein anderes Europa und eine andere Welt.

Leo de Kleijn

Der Autor ist Redakteur der Zeitung Grenzeloos und war einer der Organisatoren des ersten NSF. (Übersetzung: Hans-Günter Mull.)



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