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Der schwarze Rhythm and Blues- und Rock n Roll-Sänger Chuck
Willis hat es bereits in seinem posthum veröffentlichten R&R-Hit »Hang Up Your Rock n
Roll Shoes« vorausgesagt: »No matter what they say, Rock n Roll is here to stay«
was immer man sagen mag, der Rock n Roll (R&R) bleibt.
Als er 1958 diese stolze Aussage machte, existierte der R&R schon ein paar Jahre. Wie viele genau,
darüber streiten sich die Fachleute, aber 1954 scheint ein relativ sicherer Tipp zu sein. Was damals
R&R hieß und später unter dem übergreifenden Begriff »Rock« zusammengefasst wurde,
hat sich natürlich in den letzten 50 Jahren weiter- wenngleich nicht notwendigerweise höherentwickelt
und auf jeden Fall weiter in unterschiedlichste Stile ausdifferenziert. Auch wenn sich »Norwegian
Wood« von den Beatles, die musikalischen Produkte der psychodelischen Epoche, verschiedene Metal-Stile
oder Techno, Drum & Base und House recht verschieden von Bill Haleys »Rock Around The
Clock« anhören, sie alle können nicht ihr letzliches Herkommen aus jener Musikrichtung leugnen,
die ab Mitte der 50er Jahre aus den USA kommend zur Weltmusik der Jugend wurde. Das gilt mitunter weniger
für die musikalische Form als vielmehr für den grundlegenden Ansatz und ihre soziale Funktion.
Bei der Unsicherheit über das Geburtsdatum
des R&R scheint es angebracht, die Wahl des Jahres 1954 und damit des ausgehenden Jahres 2004 als des
Jahres, das genau ein halbes Jahrhundert seiner Geschichte markiert, zu begründen. Die Schwierigkeiten
beginnen mit der Abgrenzung des R&R von anderen US-amerikanischen Musikstilen der damaligen Zeit und hier
insbesondere vom Rhythm and Blues (R&B).
Der R&B und in seinem Gefolge der R&R verdanken ihr Entstehen gewissermaßen dem Angriff der
Japaner auf die US-amerikanische Marinebasis Pearl Harbor auf Hawaii am 7.Dezember 1941. Die Reaktion der
amerikanischen Bevölkerung erlaubte es der Regierung, sich nunmehr aktiv am Zweiten Weltkrieg zu
beteiligen. Zu den Folgen gehörte die sprunghafte Entwicklung der Rüstungsindustrie und mit ihr der
Nachfrage nach Arbeitskräften. Nach entsprechendem politischem Druck wurde der Arbeitsmarkt in diesem
Sektor auch für Schwarze geöffnet. Während das Gros der schwarzen Bevölkerung bis dahin
überwiegend in den landwirtschaftlich geprägten Südstaaten gelebt hatte, verließen nun,
zwischen 1940 und 1950, mehr Schwarze diese Bundesstaaten als in den drei Jahrzehnten zuvor zusammengenommen
insgesamt 1,6 Millionen Menschen.
Gleichzeitig hatte der Krieg eine andere
materielle Folge. Das zur Schallplattenherstellung benötigte Schellack wurde für die Rüstung
benötigt und rationiert. Die bis dahin konkurrenzlosen großen Firmen der Schallplattenindustrie
standen in der Folge fast mit nichts da. Unmittelbar nach der Aufhebung des Schallplattenstopps konnte deshalb
eine riesige Schar von sog. »unabhängigen« Plattenfirmen, die »Independents« mit
einiger Erfolgsaussicht auf den Markt kommen. Diese »Indies« hatten eher als die »Majors«
das Gefühl dafür, dass es möglich und notwendig war, die bereits ausgetretenen Pfade zu
verlassen. Sie versorgten eine nunmehr überwiegend städtische, durch ihre Beteiligung am Krieg
selbstbewusstere und nicht zuletzt auch finanziell relativ besser gestellten schwarze Bevölkerung mit der
angesagten Musik.
Diese Musik war zunächst der schon in den früheren 40er Jahren entstandene Jump-Blues und dann
das, was seit dem 25.Juni 1949 als R&B offiziell bekannt wurde. Der Jump-Blues mit Louis Jordan als seinem
wohl bekanntesten Vertreter war im Wesentlichen die Umsetzung des seit Ende der 30er Jahre mit dem Sound des
Swing, des damals führenden Jazz-Stils, angereicherten Blues von Big Bands auf Combos. Die deutliche
Verkleinerung der Musikerschar war in erster Linie der notwendigen Sparsamkeit der nicht sehr
kapitalkräftigen »Indie«-Labels geschuldet. In dieser Version fand der nun oft sowohl
soundmäßig als auch textlich geglättete Blues auch bei einer breiteren weißen
städtischen Bevölkerung Interesse.
Der Jump-Blues öffnete somit einer neuen
musikalischen Epoche die Tür. Wurde damals noch all diese schwarze Musik in der Musikindustrie dieses
durch rassische Segregation geprägten Landes unter dem Begriff »race music« gehandelt, galt der
Begriff nach dem Krieg nicht mehr wirklich als fein. Die führende Musikzeitschrift der USA, Billboard,
führte deshalb im Juni 1949 für ihre Hitliste der Musik der schwarzen Bevölkerung des Landes den
Begriff »Rhythm and Blues« ein, einen Begriff, den schon zu Beginn des Jahrzehnts Jerry Wexler
geprägt haben soll, der Chef des schwarzen New Yorker Labels Atlantic Records.
Der R&B als Musik der Masse der Schwarzen
speziell in den großstädtischen Ghettos verdankt sein Entstehen nicht nur den genannten politischen
und sozialen Gründen, sondern auch der Tatsache, dass die Jazzmusiker, die in der vorhergegangenen Epoche
noch den jedem leicht zugänglichen Swing gespielt hatten, nun zunehmend zum weitaus schwerer
zugänglichen Bebop übergingen. Der Jazz wurde damit erstmalig eine Musik für (zunehmend auch
weiße) Intellektuelle.
Was nun in Abgrenzung zum (schwarzen) R&B der
Rock n Roll ist, ist schon viel schwieriger zu bestimmen. Die Erfindung des Begriffs selbst hat
sich seinerzeit der führende weiße Disc Jockey Alan Freed zugeschrieben. Die Worte »to
rock« und »to roll« waren schon zuvor gängige Begriffe im R&B, bezeichneten hier aber
keineswegs den manchmal artistischen Tanz der Jugend seit der zweiten Hälfte der 50er Jahre, sondern den
Geschlechtsakt so bspw. in dem Hit von Helen Humes von 1950 »Im gonna let him ride«, wo
es heißt: »He rocks me with one steady roll«; und das ist nur eines der jüngeren Beispiele.
Das älteste ist wahrscheinlich das von Frankie »Half Pint« Jaxon gesungene »My Daddy Rocks
Me With A Steady Roll« von 1929. 1934 schließlich erschien ein Song namens »Rock and Roll«,
gesungen von den drei weißen Boswell Sisters.
Da sich der R&R musikalisch zunächst nur
mit Mühe vom R&B abgrenzen lässt, ist es nicht verwunderlich, dass die Fachleute auch
darüber unterschiedlicher Meinung sind, was denn der erste R&R-Hit gewesen sei. Zu den ernsthaftesten
Vorschlägen gehören »Rocket 88« von Jackie Brenston vom Juni 1951 und »Sh-Boom«
von The Chords aus dem Jahr 1954. »Rocket 88«, ein Song über das neueste Oldsmobile-Modell, war
die Wahl von Sam Phillips, des Gründers von Sun Records in Memphis. Sun Records sollte zwar wirtschaftlich
nicht sehr erfolgreich werden, wurde aber zum bekanntesten »Indie«-Label der Epoche, weil sein
Gründer nicht nur den erwähnten Jackie Brenston, Saxofonist beim ansonsten viel berühmteren Ike
Turner, auf Platte gebannt, sondern auch die ersten Aufnahmen mit späteren Stars wie Elvis Presley, Carl
Perkins, Jerry Lee Lewis oder Johnny Cash produziert hat. Jackie Brenston und seine Delta Cats waren ebenso
eine schwarze Band wie The Chords. Die sechs »Chords« waren eine der vielen Vokalgruppen, deren
bekannteste Vertreter wohl The Drifters und mehr dem Pop-Bereich zuneigend The Platters wurden.
Was in der Tat für »Sh-Boom« von
The Chords als erstem R&R-Hit spricht, ist, dass er im Frühsommer zuerst die R&B-Charts, dann die
nationalen Pop-Charts stürmte und unzählige Coverversionen zur Folge hatte. Mit »Sh-Boom«
begann R&R also ganz offen in den weißen Markt vorzudringen, und zwar in den Teenager-Markt.
Die amerikanischen Teenager die weißen
selbstredend noch mehr als die schwarzen waren in einer doppelten Hinsicht Nutznießer der
Zeitumstände geworden. Der Koreakrieg zu Beginn der 50er Jahre hatte zum lang anhaltenden Wirtschaftsboom
des »goldenen Zeitalters« beigetragen und die Taschen auch der Teenager gefüllt, die sich durch
die mit den beiden Weltkriegen einhergegangenen kulturellen Umwälzungen nicht länger nur als
Erwachsene im Wartezustand verstanden.
Mit anderen Worten: die amerikanischen Teenager
der 50er Jahre waren die bis dahin erste Generation, die sich kulturell von den vorhergegangenen abgrenzen
wollte und die das nötige Geld besaß, um auch für die natürlich von Erwachsenen
kontrollierte Industrie als eigenständiger Markt interessant zu sein. Zur Abgrenzung gehörte
die Abwendung von der als Kitsch empfundenen Pop-Musik der Eltern, von den Perry Comos ebenso wie von der
qualitativ höheren Unterhaltungsmusik eines Bing Crosby oder Frank Sinatra, und als Höhepunkt
der Revolte die Hinwendung zur »Negermusik«.
Die Hinwendung der weißen Teenager zur schwarzen Musik des R&B führte allerdings zur
verstärkten Verbindung unterschiedlicher musikalischer Stile, insbesondere nachdem sich der neue Markt
etabliert hatte.
Zwar behauptete der Jump-Blues-König Louis
Jordan ausdrücklich, dass R&R keine Ehe zwischen R&B und »Country and Western«
(C&W), der volkstümlichen Musik der weißen Unter- und Mittelschicht vor allem in den
Südstaaten, gewesen sei. »Das«, so Jordan, »ist weiße Propaganda. R&R war nur eine
weiße Imitation, eine weiße Adaption des Neger-R&B«. Wer aber bspw. die erste Aufnahme, die
der spätere King of Rock n Roll, Elvis Presley, bei Sun-Records machte, mit dem Original
vergleicht, wird Jordans Meinung nicht ganz teilen können. Elvis, über den 1955 ein Rundfunk-Direktor
in Louisiana erschrocken sagte, er singe Hillbilly im R&B-Rhythmus, nahm im Juli 1954 »Thats
Alright« auf. Das Original des Bluessängers Big Boy Crudup stammt aus dem Jahr 1946. Zwar gibt es
keinen nennenswerten Unterschied, was den Gesangstil angeht. Aber die Elvis-Version hat eine Gitarrenbegleitung
im C&W-Stil, während die von Arthur Crudup stilistisch eher zum Delta-Blues gehört. Elvis ist
R&R, Crudup elektrifizierter Delta-Blues eine der rohen Vorformen des R&B.
Sowohl R&B als auch R&R sind stilistisch
durchaus vielfältig. Im R&B finden wir Stücke im 12-taktigen Bluesschema, solche in 18-taktiger
Form, solche mit Gospelelementen oder solche, die bis auf die Hautfarbe des Sängers kaum von weißen
Schnulzen zu unterscheiden sind. Beim R&R finden wir Versionen 12-taktiger R&B Stücke, später
unter dem Begriff »Rockabilly« laufende Vereinigungen von C&W mit R&R-Rhythmen, elektrischen
Gitarren sowie mit dem, dem C&W ursprünglich fremden Schlagzeug.
Man kann gegenüber dem R&B durchaus von
einer Tendenz des R&R zur Glättung sowohl der musikalischen Ausdrucksform als auch der Texte sprechen.
Das letztere gilt insbesondere in Hinblick auf sexuelle Bezüge. Durchaus bezeichnend ist hier z.B., was
der R&R-Star Bill Haley im Fall seines Hits »Shake, Rattle and Roll« im Juli 1954 aus Joe Turners
Original vom Februar des Jahres gemacht hat. Hieß es hier: »Well you wear low dresses, the sun comes
shining through, I cant believe my eyes that all of this belongs to you«, so heißt es beim
braven Ex-Country Sänger Haley: »You wear those dresses, your hair done up so nice, you look so warm,
but your heart is cold as ice.«
Rock n Roll war demnach zunächst
eine oft musikalisch und textlich geglättete Jugendmusik, in der Elemente des schwarzen R&B in
unterschiedlicher Intensität eine Verbindung mit Elementen der volkstümlichen Musik der weißen
Mehrheitsbevölkerung eingingen. Innerhalb der jugendlichen Zielgruppe sprach sie unterschiedliche
Bedürfnisse an. Der wohl bedeutendste Lyriker des R&R, Chuck Berry, begann seine Schallplattenlaufbahn
mit dem stark an C&W orientierten Hit »Maybellene« und sang unzählige Songs über die
Probleme von Highschool-Kids. Mehrheitlich entnahm der R&R seinen Stil, den musikalischen wie den des
Auftretens der Künstler, der R&B-Tradition, seine Themen allerdings der weißen
Unterhaltungsmusik.
Eine andere Linie innerhalb des
Vermächtnisses des R&R ist in dem Motto eines 1955 von Faron Young gesungenen Songs mit dem Titel
»Live fast, love hard, die young« enthalten, auch wenn dieser zweifelsfrei ein Countrysong war. Am
Weihnachtsabend 1954 setzte einer der aufgehenden Stars des R&B, der 25 Jahre alte Johnny Ace, dieses
Motto wenn wohl auch nicht ganz freiwillig um: unmittelbar vor einem Konzert in Houston erschoss
er sich im Umkleideraum beim Russisch Roulett. Johnny Ace, der ebenso gut schnelle R&B-Nummern wie
schnulzenhafte Balladen sang, wäre sicher auch ein R&R-Star geworden, hätte er etwas länger
gelebt. Der verfrühte und nicht ganz natürliche Tod ereilte in den Jahren des R&R und des Rock
noch eine Reihe von Stars Buddy Holly, The Big Bopper, Eddie Cochran, Jimi Hendrix, Janis Joplin
usw.usf.
Heute ist der Rock als ganzes keine Musik der
Jugendrebellion mehr, da auch die Eltern- und gar die Großelterngeneration bereits mit den verschiedenen
Stilen dieser Musik groß geworden ist. Die kulturelle Rebellion bedarf angesichts der vorherrschenden
kulturellen Liberalität der »Alten« ständig neuer Stile, die ihre Begründung weniger
im Musikalischen haben als vielmehr in der mit ihnen verbundenen Attitüde, von Punk bis Heavy Metal, von
HipHop bis Techno.
Und wenn man nicht gerade die Japaner über
Pearl Harbor für das alles verantwortlich machen will, muss man 1954 beim Rock n Roll anfangen
Lothar A. Heinrich
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