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Anfang Dezember tourte in einigen deutschen Städten Steve Earle. Earle
gilt als einer der besten politischen Songschreiber der heutigen USA und griff mit seinem neuen Album auch
in die jüngsten Präsidentschaftswahlen ein.
Die Popkultur war, vom Filmtheater zur Musikarena, ein bedeutendes Wahlkampffeld bei den letzten
US-Präsidentschaftswahlen. Zuerst gab es Michael Moores Film Fahrenheit 9/11, dann tourten Bruce
Springsteen, das Country-Music-Trio Dixie Chicks und die Grunge-Band Pearl Jam auf Wahlkampfrockkonzerten
durch die sog. wackligen Bundesstaaten. Ihre Terminkalender waren voll, aber die Frage ist, was sie bewirkt
haben. Zyniker sagen, diese Künstler predigen nur zu den bereits Konvertierten.
Diese Kritik geht jedoch am wirklichen Drama
vorbei, das derzeit in den USA stattfindet. Die Polarisierung, die Bush hervorgetrieben hat, ist zugleich
eine soziale, politische und kulturelle. Sie greift wesentlich tiefer und ist unbeständiger als die
Frage, wer am Schluss gewählt wird. Es ist unwahrscheinlich, dass sie im Rahmen des bestehenden Zwei-
Parteien-Systems überwunden werden kann.
Unter den Musikern, die gegen Bush in den Wahlkampf gezogen sind, ist sich keiner dieser tiefer
liegenden Fragen stärker bewusst als der Sänger und Songschreiber Steve Earle, dessen neues Album
Start the Revolution Now politisch und künstlerisch weit über Bush bashing hinaus geht.
Earle trat schon gegen den »Krieg gegen
den Terror« auf, als das für die Karriere noch riskant war. In den Wochen nach dem 11.September
stemmte er sich mit dem Album Jerusalem gegen den vorherrschenden Patriotismus das war ein
Meisterstück politisch engagierter Popkunst, das man getrost neben Bob Dylans »The Times They Are
A-Changin« und die besten Stücke von Bob Marley oder The Clash stellen kann.
Im apokalytischen »Ashes to Ashes«
eröffnet Earle Jerusalem wie ein Prophet des Alten Testaments, der seine Mitbürger mahnt,
»every tower ever built tumbles / no matter how strong, no matter how tall«.
In »America v 6.0«nimmt er sich das
Gesundheitssystem in den USA vor: »We got accountants playin God and countin out the
pills«, weil »four score and a hundred and 50 years ago / our forefathers made us equal as long
as we can pay«.
Nichts aber hat die Wächter über das
Eigenimage der USA mehr aus dem Häuschen gebracht als der Song »John Walkers Blues«.
Hier versetzt sich Earle in das Herz und Hirn eines jungen kalifornischen Taliban, der im November 2001 in
Afghanistan gefangen genommen wurde. Die US-Medien haben die Figur dieses verwirrten jungen Mannes als
Verkörperung von Amerikas inneren und äußeren Feinden dämonisiert. Als Reaktion darauf
legt Earle noch einmal Walkers seltsamen Werdegang auf und findet Würde und Menschlichkeit in seiner
Geschichte:
»As death filled the air, we all offered
up prayers / And prepared for our martyrdom / But Allah had some other plan, some secret not revealed / Now
theyre draggin me back with my head in a sack / To the land of the infidel … A shadu la
ilaha illa Allah.«
Earle wurde als psychopathischer Verräter verschrien, als selbsthassender Amerikaner. Die Ironie
aber ist, dass dieser Song, ganz wie Earles Werk überhaupt, tief verwurzelt ist in den musikalischen
Traditionen der USA. Earle ist nicht nur der politisch aktivste Songschreiber des Landes, er beherrscht
auch am vollendetsten die manchmal »Americana« genannte Tradition: ein Sammelbegriff für das
breite Spektrum zwischen nordamerikanischem Folk, Country, Rock und Blues das musikalische Erbe von
Generationen US-amerikanischer Arbeiter.
Earle wuchs in einer Kleinstadt in Texas auf.
Im Alter von 14 Jahren zog er mit seiner Gitarre von zu Hause aus, nach Houston. Fünf Jahre
später kreuzte er in Nashville auf. Nach einer Reihe von Zufallsjobs, Aufträgen als
Reservemusiker und ein paar Erfolgen als Songschreiber für etablierte Konzertmusiker gelangte er mit
den Alben Guitar Town 1986 und Copperhead Road 1988 an die Spitze der Hitlisten. Mit Anfang 30 galt er als
die Stimme einer neuen Welle von Countrymusik und Rivale von Springsteen als Rock-Liedermacher.
Sein künstlerischer und kommerzieller
Erfolg war jedoch begleitet von einer persönlichen Krise. Heroinsucht und eine Gefängnisstrafe
bewirkten in den frühen 90er Jahren einen Bruch in seiner Karriere. Nach einem mühsamen Prozess
des Wiederaufrichtens feierte er sein Comeback 1997 mit dem Album El Corazón. Seither versucht er, die
verlorene Zeit wettzumachen, komponiert einen Song nach dem anderen, macht Aufnahmen, Auftritte, schreibt
und agitiert. Er war ein aktiver Campaigner gegen die Todesstrafe, hat das Recht auf Gesundheit,
Gewerkschaftsrechte und die Kampagne gegen Landminen unterstützt, und in letzter Zeit war er auf der
Straße, um gegen den Krieg und für die Bürgerrechte einzutreten.
Mit nun fast 50 Jahren ist Earle auf dem
Höhepunkt seiner Karriere, ein Beschützer der Spätkommer. Er hat einen ausgeprägten
Stil und eine starke Persönlichkeit, die dennoch leicht von Genre zu Genre, von Mode zu Mode wechselt.
Als Gitarrist pflegt er ebenso den crunching power chord wie das delikate, wehmütige Zupfspiel. Er
macht Anleihen bei Folk, Country, Blues, Bluegrass, Punk, Grunge und selbst Reggae, bei psychedelischer und
Weltmusik. Er ist schräg, geradeaus und rau, aber auch zärtlich und melancholisch.
Die schiere Fülle von Earles Talent
für Songs erlaubt ihm, es an Zufallsproduktionen ebenso zu verschwenden wie an durchdachte Projekte.
Start the Revolution wurde in wenigen Tagen fertiggestellt und will eine nicht apologetische Intervention
in den Wahlkampf sein. Es ist kein so abgerundetes Werk wie Jerusalem, aber es ist voller Einfälle,
einschließlich des Titelsongs, ein schneidender Bannfluch mit rasiermesserscharfer Rhythmik,
hypnotischer Vokalstimme und einem Chor wie bei den Beatles, der daran erinnert, wie die Revolution
»in deiner eigenen Heimatstadt, deinem eigenen Hinterhof beginnt«.
Der beißende Song »Home to
Houston« klingt wie die typische Country- und Westernstory vom schwer arbeitenden Truckfahrer, nur
dass er in Basra spielt:
»Early in the mornin and Im
rollin fast / Haulin 9000 gallons of high test gas / Sergeant on the radio hollerin at me
/ Look out up ahead here comes an RPG [Rocker Propelled Grenade].«
Der vielleicht vernichtendste Song auf dem Album ist »Rich mans war«; er besteht aus
drei scharfkantigen Vignetten. In der ersten sieht sich der arbeitslose Jimmy, der »zur Armee gegangen
ist, weil er sonst nirgendwohin konnte«, nach Bagdad »einfahren« und wundert sich, »wie
er so weit gekommen ist«. In der zweiten lässt der patriotische Billy einen Stapel
überfälliger Rechnungen zurück und findet sich in Kandahar wieder, »auf der Jagd nach
Geistern« in der »dünnen, trockenen Luft«. In der dritten Vignette wird Ali, der
»in Gaza aufgewachsen ist, wo er Flaschen und Steine« nach israelischen Panzern warf, von einem
»fetten Man im neuen Mercedes« aufgerufen, sich selbst zu opfern. Jede Vignette endet mit dem
Refrain: »Just another poor boy off to fight a rich mans war«.
»Rich mans war« greift nicht
nur, weil es sich auf eine Klassenanalyse gründet, sondern auch weil die Analyse konkret ist. Hier wie
an anderer Stelle in seinem Werk greift Earle umfassend auf Traditionen der Countrymusik zurück, wo
der einzelne von entlegenen Kräften gefangen und gequält wird und gegen einen düsteren,
erbarmungslosen Hintergrund ein Drama des persönlichen Überlebens ausgebreitet wird. Wie Earle
selbst bestätigen würde, ist er ein treuer Nachkomme von Hank Williams ebenso wie von Woody
Guthrie. Er verortet linke Politik auf dem klassischen Feld der Countrymusik: Einsamkeit, Kummer, Verlust.
Andere Titel des neuen Albums sind
»Condi, Condi« ein Calypso, der sich in peinlicher Weise an die Nationale
Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice wendet (»People say, youre cold but I think youre
hot«), und F the CC ein unflätiger Punkrock-Schwall gegen die Mainstreammedien (»Fuck
the FBI, fuck the CIA, livin in the motherfuckin USA«). Ergreifender ist »Comin
around«, ein Duett mit dem Country-Idol Emmylou Harris, das ein zerbrechliches Gefühl
persönlicher Erneuerung hinterlässt, und »I thought you should know«, eine
bittersüße erotische Soulschnulze, an der Otis Redding sein Gefallen gefunden hätte.
Earles Politik steht nicht nur links von den
meisten derer, die sich derzeit mit Bush anlegen er bezeichnet sich selbst als Sozialist und
beschreibt Clinton als »den einzigen Republikaner, den ich je gewählt habe«. Seine Politik
ist auch durchtränkt mit Internationalismus, was selbst unter den liberalen Intellektuellen in den USA
selten ist. »Ehrlich gesagt, Blau-Weiß-Rot stand mir nie gut«, gibt er freimütig zu. Er
ist ein Internationalist mit texanischem Akzent, arbeitet in einer verständlichen Sprache und ist
ebenso stolz auf seine US-amerikanischen Wurzeln wie zornig über die Herrscher seines Landes.
In der Vergangenheit haben dissidente
Strömungen in den USA einen Ausdruck in der Popkultur gefunden, lange bevor sie von politischen
Parteien oder den Mainstreammedien als solche erkannt wurden. Es ist zu hoffen, dass Earles Musik sich als
Vorbote eines informierteren und humaneren globalen Bewusstseins erweist. Wer bis dahin Inspiration, Trost
oder Anregung sucht, zögere nicht und hole sich eine CD von Steve Earle (www.steveearle.com).
Mike Marqusee
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