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Gleich zu Anfang seines Anfang Dezember im Kulturhaus Berlin-Mitte auf
Einladung der Berliner Jour-fixe-Initiative gehaltenen Vortrags über »Politische Strategien
fragmentierter Subjekte« machte der französische Hochschullehrer und politische Aktivist Daniel
Bensaïd deutlich, dass es in den sozialen Bewegungen zu einer deutlichen Wende gekommen sei. Der erste
Zyklus, der in Seattle begonnen und bis zum vorletzten Weltsozialforum in Porto Alegre angedauert habe, sei
nun abgeschlossen. Das herausragende Merkmal dieser ersten Welle, so Bensaïd, sei der unbedingte Wille der
sozialen Bewegungen zur Unabhängigkeit gewesen Unabhängigkeit nicht nur gegenüber
staatlichen Strukturen und politischen Parteien, sondern auch der einzelnen Bewegungen untereinander.
Die reale Fragmentierung der Bewegungen, die
sich hierin spiegelt, erklärte Bensaïd aus einer Kombination langfristiger und konjunktureller
Entwicklungen. Auf der einen Seite stünden dabei die allseits bekannten Prozesse einer zunehmend
komplexeren Arbeitsteilung bei gleichzeitigem Abbau des Sozialstaats, was zu einer Schwächung des
Klassenbewusstseins und zunehmender Individualisierung geführt habe. Auf der anderen Seite stehe ein
Zyklus von Niederlagen der letzten zwanzig Jahre, wie etwa beim englischen Bergarbeiterstreik Mitte der
80er Jahre oder bei der Verteidigung der gleitenden Lohnskala in Italien.
Die kritische politische Theorie hat in
unterschiedlicher Weise versucht, mit diesen Phänomenen umzugehen. Bourdieus Konzeptualisierung der
Heterogenität sozialer Felder hält Bensaïd durchaus für einen sinnvollen Ansatz. Allerdings
sei es gerade der Kapitalismus selbst, der langfristig die Bedingungen für eine zunehmende Konvergenz
der sozialen Bewegungen schaffe, wenn bspw. die allgemeine Durchsetzung der Warenwirtschaft lokale Kulturen
zerstöre. Hierdurch entstünden Möglichkeiten internationaler Zusammenarbeit, die nicht nur
auf gemeinsamen ethischen Werten, sondern auch auf einer gemeinsamen materiellen Basis aufbauen
könnten.
Wesentlich kritischer sah Bensaïd Hardt/Negris
Empire-Theorie. Theoriegeschichtlich handle es sich hierbei um eine Gegenreaktion auf den Operaismus der
70er Jahre mit seiner Fixierung auf die »traditionelle« Industriearbeiterschaft. In seinen
politischen Konsequenzen sei der Empire-Ansatz hochproblematisch, so etwa, wenn Negri die europäischen
Regierungen als Teil der »Multitude« im Gegensatz zum US-Empire verstehe und dabei
konsequenterweise bei der Befürwortung der europäischen Verfassung lande.
Abschließend plädierte Bensaïd
für eine in jeder Hinsicht offene Perspektivendiskussion in den sozialen Bewegungen. Dies impliziere
auch eine Debatte über Mittel und Möglichkeiten grundlegender Gesellschaftsveränderung.
Dabei sollten durchaus auch die traditionellen, in den Kategorien der Moderne (wie etwa dem Nationalstaat)
gedachten Strategien der Arbeiterbewegung einer prinzipiellen Kritik unterworfen werden. Ein für viele
schwer auzuhaltender Widerspruch werde schließlich auf absehbare Zeit die Realität sozialer
Bewegungen kennzeichnen: die Notwendigkeit, eine absolute Energie des politischen und theoretischen
Engagements aufzubringen bei gleichzeitiger absoluter Unsicherheit über viele Grundlagen politischen
Handelns.
Harald Etzbach
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