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Du bist auf dem Sprung nach Colombo. Was machst du dort?
Wir sind zu zweit unterwegs und werden dort die Partnerorganisation von Medico auf Sri Lanka, SEED,
besuchen, die dem Peoples Health Movement angehört. Wir wollen deren Arbeit anschauen und sie
fragen, was wir für sie tun können.
Mit dieser Organisation kooperiert ihr seit längerem?
In SEED sind mehrere Organisationen zusammengeschlossen. Wir kooperieren insofern mit ihnen, als
wir über das Peoples Health Movement miteinander verbunden sind. Wir hatten zu diesen
Organisationen bislang aber keinen direkten Kontakt. Das Peoples Health Movement ist ein weltweiter
Zusammenschluss von Basisorganisationen und NGOs, die sich für das Recht auf Gesundheit einsetzen.
Sind da auch Organisationen von vor Ort vertreten?
Es sind Organisationen von vor Ort, die eine eigene Projektarbeit haben und die ähnlich
arbeiten wie Medico. Für alle Organisationen, die im Peoples Health Movement zusammengeschlossen
sind, gilt, dass sie auf der einen Seite eine gesundheitsbezogene und gemeinwesenorientierte Projektarbeit
betreiben, sich andererseits darin aber als politische Organisation verstehen und nicht bloß als
humanitäre Organisation.
Was heißt politische Organisation in diesem Zusammenhang?
Das heißt, sie organisieren die Projektarbeit nach politischen Kriterien. Sie achten bspw. auf
die Partizipation der Beteiligten, sie verstehen Hilfe als Prozess der Selbstorganisation und nicht nur als
Aktivität von außen kommender Helfer.
Was sind die praktischen Schwerpunkte dieser Projekte?
Ihr gemeinsamer Ausgangspunkt ist die Gesundheit, aber das Verständnis von Gesundheit ist ein
politisches. Gesundheit wird hier nicht einfach als Abwesenheit von Krankheit definiert, sondern wird
entsprechend der alten WHO-Definition als »vollständiges psychisches, physisches
und soziales Wohlbefinden« verstanden. Das schließt natürlich eine umfassende
gesellschaftliche Aktivität ein und die Herstellung von Bedingungen, in denen von so etwas gesprochen
werden kann.
Welche Kritik habt ihr an der offiziellen Hilfeleistung?
Unsere Kritik bewegt sich auf mehreren Ebenen. Beginnen wir mal mit dem Kern: Wir als Medico sind
keine Organisation, die »weiße Helfer« aussendet, und wir haben ein kritisches
Verhältnis zu allen Organisationen, die so etwas tun, wiewohl man das natürlich nicht
grundsätzlich ablehnen kann. Jede Entsendearbeit ist problematisch, aber das Ausmaß, in dem sie
betrieben wird, ist absolut überflüssig.
Was kritisiert ihr daran?
Wir kritisieren, dass durch den Einflug von weißen Helfern in aller Regel Strukturen der
Selbstorganisation und der Selbsthilfe, die es in allen Gesellschaften des Südens gibt, entweder
beiseite gedrängt oder sogar abgedrängt und ausgeschlossen werden. Dass sich ausländische
Strukturen an die Stelle der dort schon längst ausgebildeten Strukturen setzen, und dass man eben
nicht weißer Helfer bedarf, sondern transnationaler Beziehungen.
Natürlich braucht es materielle
Unterstützung, aber eben auch politische Zusammenarbeit. Es muss ein Verhältnis gegenseitiger
Hilfe und in diesem Sinne eine wirkliche Solidarbeziehung aufgebaut werden. All das ist nicht der Fall,
wenn diese ganzen Organisationen der »Hilfsindustrie« um es zugespitzt zu sagen
einfliegen, um dort letztlich die eigenen Apparate zu reproduzieren.
Man hat stark den Eindruck, dass die Hilfe einmal abgesehen von der unmittelbaren
Notfallhilfe, aber gerade die Wiederaufbauhilfe vor allem in solche Wirtschaftszweige geht, die den
Westen ökonomisch interessieren.
Das ist ganz sicher der Fall. Das beginnt damit, dass die Hilfsindustrie selbst eine westliche
Industrie ist, die sich im Katastrophengebiet Einflussmöglichkeiten und ihre Daseinsberechtigung
verschafft. Es geht aber auch um unmittelbare Einflussnahme.
Der dramatischste Fall sind die
Neuumsiedlungen, die jetzt dort vorgenommen werden, wo militärische Auseinandersetzungen mit Rebellen
oder Befreiungsorganisationen stattfinden. Nach dem, was wir gehört haben, ist das vor allem in Aceh
der Fall. Hier nimmt man die Flutkatastrophe zum Anlass, um Siedlungen, die irgendwie als
Unterstützungsmilieu für die dortige Guerilla betrachtet werden, aufzulösen, die Leute zu
zerstreuen und anderswo anzusiedeln also das, was in Guatemala klassisch vorgeführt wurde.
Das ist aber doch hauptsächlich das Werk des indonesischen Militärs?
Ja, aber solche Prozesse werden von ausländischen sog. »humanitären Strukturen«
zum Teil offen unterstützt, und wo dies nicht offen geschieht, geschieht es faktisch, wenn
Hilfsorganisationen solche Umstände nicht zur Kenntnis nehmen. Das ist überall dort der Fall, wo
die spontane Welle der Hilfsbereitschaft, die an sich sehr zu begrüßen ist, in solche Projekte
umgeleitet wird wie die sog. Patenschaften, die jetzt geschaffen wurden: von Gemeinde zu Gemeinde. Aus
Erfahrung z.B. aus Rwanda weiß man, dass Menschen dort fokussiert auf einen
Kindergarten, auf eine Gesundheitsstation o.ä. durchaus eine gute Arbeit machen, diese Arbeit wirkt
aber desaströs, wenn sie den gesellschaftlichen Kontext vor Ort nicht zur Kenntnis nimmt. Das
geschieht meist nicht.
Wie meinst du, könnte das geleistet werden? An sich ist das Patenschaftsmodell doch sicher
fortschrittlicher als ausschließlich zentralistische Hilfestrukturen?
Zu allererst muss man zur Kenntnis nehmen, dass derzeit die Phase der Not- und Soforthilfe, die es
in jeder Katastrophe gibt, abgeschlossen ist. Wir haben gestern per Telefon von einem Kollegen einen
Bericht aus Indien gehört, der sagt, es gibt 87 betroffene Gemeinden und 300 NGOs, die sich um sie
streiten. Das ist Unsinn. Das ist Hilfsindustrie, das ist Ausnutzen einer Notlage zur Reproduktion der
eigenen Apparate. Wir treten jetzt in eine andere Phase, und in dieser Phase ist umso wichtiger, was von
Anfang an wichtig ist, nämlich auf die Selbstorganisation und Selbsthilfe der Beteiligten zu setzen.
Wir ließe sich das organisieren? Was können Schulen oder andere örtliche Vereine
hierzulande, die helfen wollen, sinnvoll tun?
Es wird tatsächlich materielle Unterstützung gebraucht. Spendensammlungen sind notwendig.
Aber man sollte dafür sorgen, dass diese Spenden Organisationen zugute kommen, die genau ein solches
politisches Verständnis von humanitärer Arbeit haben, die in aller Regel auch da gibt es
natürlich Ausnahmen eine entsprechend gute Praxis vor Ort haben. Dann kommt es auf die
langfristige Unterstützung solcher Organisationen an. Und es kommt darauf an, dass solche
Unterstüzung flexibel gehandhabt wird.
Im Moment geht sehr viel Geld in die indischen
und srilankischen Strukturen. Deshalb bleibt es aber nach wie vor wichtig, die Strukturen des Peoples
Health Movement auch in Nikaragua weiter zu unterstützen, um ein Beispiel zu geben. Die
Unterstützung muss Organisationen und Netzwerken zugute kommen, die untereinander in Austausch treten
können.
Man muss zweitens konkret darauf dringen, dass
die staatlichen Mittel für Südasien nicht aus den Töpfen genommen wird, die schon für
Hilfen in Afrika oder Südamerika vorgesehen sind.
Der dritte, ganz wichtige, Aspekt ist: Es ist
auch Hilfe und Solidarität, wenn man an den eigenen Verhältnissen ansetzt. Tsunami ist auch ein
innenpolitisches Phänomen. Es kommt auch darauf an, sich gegen den derzeit in Deutschland
stattfindenden Diskurswechsel zu stellen, der von der Regierung, aber vor allem von den Medien und von der
Konkurrenz der Fernsehsender dominiert wird, die miteinander streiten, wer die höchsten Spendenzahlen
nennt. Hier muss auch angesetzt werden, auch das ist letztlich in gutem Sinne solidarische Arbeit.
Tsunami ist insofern ein innenpolitisches
Problem, als die Katastrophe in Südasien hierzulande taktisch eingesetzt wird, um den
gesellschaftlichen Protest gegen die Agenda 2010 aus den Schlagzeilen zu nehmen. Die Bundesregierung
verschafft sich im Moment eindeutig den Kredit, dass es eben nicht zuträfe, sie hätte keine
Sensibilität für die Nöte der Ärmsten. Das wird einfach verschoben, die Ärmsten
sind jetzt die, die in Sri Lanka und Indien sind. Für die gibt es Geld, und die anderen sollen sich
nicht so haben. Auch das darf man nicht aus dem Blick verlieren.
Diese Aspekte von Hilfe sind Bestandteil der
Peoples Health Charta, die das politische Rahmenprogramm für die Arbeit von Medico bildet (siehe
Kasten).
Noch etwas: Unsere Partner arbeiten momentan
zusammen mit anderen Organisationen am Aufbau eines sog. Monitoring-Systems. Das ist ein System, wo die
Betroffenen selbst und die Organisationen vor Ort recherchieren und versuchen in Erfahrung zu bringen, was
mit der gegenwärtigen Hilfswelle alles angerichtet wird, und dies auswerten. Sie gehen so einfachen
Fragen nach wie: Kommt die Hilfe bei den Leuten an? Gibt es Korruption? Wie erfolgt die Hilfe? Welche
politischen Konsequenzen hat sie? In dieses System will auch Medico künftig einen erheblichen Teil
seiner Mittel stecken. Auch das kostet Geld. Dafür muss natürlich auch gespendet werden, denn es
ist klar, dass es dafür keine Regierungsgelder geben wird.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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