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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2005, Seite 10

Kirche am Krankenbett der Gesundheitswirtschaft

Nur bedingt barmherzig

Das Gesundheitswesen in der Kostenfalle. Zusammenfassung des Forums zur Gesundheitspolitik (Hg. Regionalkonferenz für Krankenhausseelsorger Südwestfalen), 235 Seiten, 11 Euro.

Das deutsche Gesundheitswesen wird derzeit in eine Gesundheitswirtschaft umgebrochen. Damit kommt auch die Geschäftsgrundlage der überkommenen kirchlichen Träger ins Schwimmen. Diakonie und Caritas waren sich gestern noch ihrer Kernkompetenz sicher — der Fürsorge für die Bedürftigen. Doch der selbstlose Dienst wird in eine frei handelbare Dienstleistung verwandelt, am Markt entscheidet anstelle des gesellschaftlichen Bedarfs die zahlungsfähige Nachfrage.
Der umtriebige Evangelische Kirchenkreis Wittgenstein lud Ende März 2004 zu einer gesundheitspolitischen Debatte ein. Hochkarätig besetzt spitzte sich die Diskussion zu auf Probleme, die wir gern auch im Streik vor den Werkstoren bei Opel Bochum oder auf den Betriebsversammlungen bei Siemens im Mittelpunkt hätten: Verteilungsgerechtigkeit, Entscheidungsmacht, Qualität und Wettbewerb, Alternativen zum Markt…
Die Claims in der Gesundheitsbranche werden abgesteckt. Mit dem Eindringen der privaten Ketten steigt die Bedeutung der dort vorgefundenen und wandelt sich auf eigentümliche Weise. In 27000 selbstständigen Einrichtungen unterschiedlicher Größe und Rechtsform beschäftigt die Diakonie als Arbeitgeberin fast eine halbe Million Menschen. Allein in den rund 270 evangelischen Krankenhäusern setzt sie mit über 100000 Beschäftigten rund 6,5 Milliarden Euro um. Etwa jeder fünfte Platz in einer Alteneinrichtung oder einer Kindertagesstätte wird so von der evangelischen Kirche betreut.
Der jetzt erschienene Reader dokumentiert einen eindrucksvollen Zusammenprall — diejenigen, die bedenkenlos mit ihren Kliniken und Heimen am Markt angekommen sind, treffen sich mit jenen, die ihre ursprünglichen Unternehmensziele noch fester im Blick haben. »Diakonie wohin? Vom Zwang, auf dem Markt zu bestehen, und andere Realitäten« — in einer so betitelten Arbeitsgruppe stellt sich z.B. Karsten Gebhardt auf. Der Geschäftsführer des europaweit engagierten Johanneswerks bringt knapp und kantig die diakonischen Schwächen auf den Punkt — die Risiken der Branche, die geringe Eigenkapitalquote, das schwache Management, ein Reformstau im Arbeitsrecht. Dabei sei die Marke Diakonie bei den Kunden durchaus gut eingeführt. Die »christliche Wertorientierung« wird bei ihm zum wesentlichen Merkmal, mit dem sich die eigene Ware von den Wettbewerbern abhebt.
Gerade die »Kunden ohne Kaufkraft« aber sind es, für die sich in der Gegenrede Wolfgang Belitz stark macht. Der Pfarrer und Sozialethiker aus Bochum analysiert, wie die Waren bei ihrer Verteilung über einen den Menschen entglittenen Markt aller guten Absichten und sozialen Gerechtigkeit entkleidet werden. Die Menschenbeziehung in der Diakonie könne aber keine Marktbeziehung sein. Belitz will das Defizit an Humanität am Markt abbauen helfen. Er plädiert darum für diakonische Unternehmungen ausschließlich auf einem »dritten Sektor«, jenseits von Staat und Markt. »Charity« oder »Not-for-profit- Organisationen« sollen dabei zwar wirtschaftlich tätig sein wie normale Unternehmen, jedoch dem Gemeinwohl dienen.
Irritierend unvermittelt, aber durchaus sinnvoll wird diese Debatte eingebettet in Beiträge über Preise und Kosten, Transplantationsboom und Wellnessmarkt, sorglose Versicherte und vorsorgende Versorgung. Kampfbegriffe wie Solidarität, Zuwendung, Würde und diakonisches Ethos sollen ihre Belastbarkeit ja gerade in den Niederungen beweisen, im Angesicht der neoliberalen Verstümmelung von Körpern und Kliniken.
Eine weitere Irritation drängt sich bei der Lektüre dennoch auf. Der Eintritt in die Märkte um Waren und Kapital kostet die diakonischen Einrichtungen ja nicht nur ihre Gemeinnützigkeit, also die steuerlichen Privilegien. Er kostet auch den »Tendenzschutz«, also den Freifahrtschein für arbeitsrechtliche Willkür gegenüber den Beschäftigten und ihren »Mitarbeitervertretern«. Und im gleichen Zug verlassen die Beschäftigten ihre überkommene Rolle als barmherzige Samariter. Ihre Arbeit verliert den alten Sinn, wenn sie selbst verwertet wird als wertschöpfende Ressource. Die unerfüllten Ansprüche der Krankenschwestern, Therapeuten und Ärztinnen finden sich nicht in den Referaten, sondern versteckt in den Mitschriften aus den Diskussionen. Sie fordern gesunde Arbeitsbedingungen auch für sich selbst, mehr Zeit für Zuwendung und professionelle Qualifikation statt ehrenamtliche Lückenbüßer.
Noch scheint die überfällige rechtliche Gleichstellung der Beschäftigten in den kirchlichen Konzernen mit ihren Kollegen in der »freien« Gesundheitswirtschaft kaum eine Rolle zu spielen. Und noch weniger die Selbstbestimmung darüber, wie ihre Arbeit gesellschaftlich nützlich und sinnvoll bleibt.

Tobias Michel

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