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Das deutsche Gesundheitswesen wird derzeit in eine Gesundheitswirtschaft
umgebrochen. Damit kommt auch die Geschäftsgrundlage der überkommenen kirchlichen Träger ins
Schwimmen. Diakonie und Caritas waren sich gestern noch ihrer Kernkompetenz sicher der Fürsorge
für die Bedürftigen. Doch der selbstlose Dienst wird in eine frei handelbare Dienstleistung
verwandelt, am Markt entscheidet anstelle des gesellschaftlichen Bedarfs die zahlungsfähige Nachfrage.
Der umtriebige Evangelische Kirchenkreis
Wittgenstein lud Ende März 2004 zu einer gesundheitspolitischen Debatte ein. Hochkarätig besetzt
spitzte sich die Diskussion zu auf Probleme, die wir gern auch im Streik vor den Werkstoren bei Opel Bochum
oder auf den Betriebsversammlungen bei Siemens im Mittelpunkt hätten: Verteilungsgerechtigkeit,
Entscheidungsmacht, Qualität und Wettbewerb, Alternativen zum Markt…
Die Claims in der Gesundheitsbranche werden
abgesteckt. Mit dem Eindringen der privaten Ketten steigt die Bedeutung der dort vorgefundenen und wandelt
sich auf eigentümliche Weise. In 27000 selbstständigen Einrichtungen unterschiedlicher
Größe und Rechtsform beschäftigt die Diakonie als Arbeitgeberin fast eine halbe Million
Menschen. Allein in den rund 270 evangelischen Krankenhäusern setzt sie mit über 100000
Beschäftigten rund 6,5 Milliarden Euro um. Etwa jeder fünfte Platz in einer Alteneinrichtung oder
einer Kindertagesstätte wird so von der evangelischen Kirche betreut.
Der jetzt erschienene Reader dokumentiert
einen eindrucksvollen Zusammenprall diejenigen, die bedenkenlos mit ihren Kliniken und Heimen am
Markt angekommen sind, treffen sich mit jenen, die ihre ursprünglichen Unternehmensziele noch fester
im Blick haben. »Diakonie wohin? Vom Zwang, auf dem Markt zu bestehen, und andere
Realitäten« in einer so betitelten Arbeitsgruppe stellt sich z.B. Karsten Gebhardt auf.
Der Geschäftsführer des europaweit engagierten Johanneswerks bringt knapp und kantig die
diakonischen Schwächen auf den Punkt die Risiken der Branche, die geringe Eigenkapitalquote,
das schwache Management, ein Reformstau im Arbeitsrecht. Dabei sei die Marke Diakonie bei den Kunden
durchaus gut eingeführt. Die »christliche Wertorientierung« wird bei ihm zum wesentlichen
Merkmal, mit dem sich die eigene Ware von den Wettbewerbern abhebt.
Gerade die »Kunden ohne Kaufkraft«
aber sind es, für die sich in der Gegenrede Wolfgang Belitz stark macht. Der Pfarrer und Sozialethiker
aus Bochum analysiert, wie die Waren bei ihrer Verteilung über einen den Menschen entglittenen Markt
aller guten Absichten und sozialen Gerechtigkeit entkleidet werden. Die Menschenbeziehung in der Diakonie
könne aber keine Marktbeziehung sein. Belitz will das Defizit an Humanität am Markt abbauen
helfen. Er plädiert darum für diakonische Unternehmungen ausschließlich auf einem
»dritten Sektor«, jenseits von Staat und Markt. »Charity« oder »Not-for-profit-
Organisationen« sollen dabei zwar wirtschaftlich tätig sein wie normale Unternehmen, jedoch dem
Gemeinwohl dienen.
Irritierend unvermittelt, aber durchaus
sinnvoll wird diese Debatte eingebettet in Beiträge über Preise und Kosten, Transplantationsboom
und Wellnessmarkt, sorglose Versicherte und vorsorgende Versorgung. Kampfbegriffe wie Solidarität,
Zuwendung, Würde und diakonisches Ethos sollen ihre Belastbarkeit ja gerade in den Niederungen
beweisen, im Angesicht der neoliberalen Verstümmelung von Körpern und Kliniken.
Eine weitere Irritation drängt sich bei
der Lektüre dennoch auf. Der Eintritt in die Märkte um Waren und Kapital kostet die diakonischen
Einrichtungen ja nicht nur ihre Gemeinnützigkeit, also die steuerlichen Privilegien. Er kostet auch
den »Tendenzschutz«, also den Freifahrtschein für arbeitsrechtliche Willkür
gegenüber den Beschäftigten und ihren »Mitarbeitervertretern«. Und im gleichen Zug
verlassen die Beschäftigten ihre überkommene Rolle als barmherzige Samariter. Ihre Arbeit
verliert den alten Sinn, wenn sie selbst verwertet wird als wertschöpfende Ressource. Die
unerfüllten Ansprüche der Krankenschwestern, Therapeuten und Ärztinnen finden sich nicht in
den Referaten, sondern versteckt in den Mitschriften aus den Diskussionen. Sie fordern gesunde
Arbeitsbedingungen auch für sich selbst, mehr Zeit für Zuwendung und professionelle Qualifikation
statt ehrenamtliche Lückenbüßer.
Noch scheint die überfällige
rechtliche Gleichstellung der Beschäftigten in den kirchlichen Konzernen mit ihren Kollegen in der
»freien« Gesundheitswirtschaft kaum eine Rolle zu spielen. Und noch weniger die Selbstbestimmung
darüber, wie ihre Arbeit gesellschaftlich nützlich und sinnvoll bleibt.
Tobias Michel
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