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Das Seebeben vom 26.12.2004 hat sich rechtzeitig vorher angekündigt. Die
derzeit geschätzten 160000 Toten wären vermeidbar gewesen, hätten reaktionäre
Regierungen nicht Profit und Machtinteressen über Menschenleben gestellt.
Im Juni 2004 diskutierte die Ozeanografische Kommission (IOC) der Unesco über die Gefahr einer
gigantischen Flutwelle im Indischen Ozean. Die Kommission kam zur Erkenntnis, dass »der Indische Ozean
einer signifikanten Bedrohung durch lokale und entfernte Tsunamis ausgesetzt« ist. Deshalb sei es
erforderlich, im Indischen Ozean ein ähnliches Frühwarnsystem aufzubauen wie im Pazifik.
Solche Warnungen und Empfehlungen hatte es in
früheren Zeiten viele gegeben; wie so oft endete auch die vom Juni, ohne dass die angesprochenen
Regierungen zu Taten geschritten wären.
Das einzelne Ereignis, das Seebeben am 26.12.
25 Meilen vor der Nordwestküste von Sumatra, konnte nicht vorhergesagt werden. Und bei Stärke 9
auf der Richterskala sind Schäden unvermeidlich. Aber auch ganz ohne Frühwarnsystem, das jetzt
für teures Geld im Indischen Ozean aufgestellt werden soll, »gab es in den meisten Gebieten
mindestens 25 Minuten Zeit, sich in Sicherheit zu bringen«, sagt der Vorsitzende der kanadischen
Tsunami-Gesellschaft in Manitoba. »Dort gab es keinen Grund, dass auch nur ein Einzelner sterben
musste. Es sind Indifferenz und Korruption, die Menschenleben gefährden.«
Das Beben, das durch eine plötzliche Schiebung der indischen unter die birmanische
Kontinentalplatte hervorgerufen wurde, erreichte binnen Minuten die Insel Sumatra. Es brauchte aber
zwischen einer halben und drei Stunden, bevor es Thailand, Sri Lanka, Indien und die Malediven erreichte
Zeit genug, um Strände zu leeren und höher gelegene Ziele zu erreichen. Das US-eigene
pazifische Warnsystem (PTWC) informierte umgehend das US-Außenministerium und die Marine sowie den US-
Militärstützpunkt im Indischen Ozean, Diego Garcia, wo sofort Maßnahmen getroffen wurden.
Hier gab es »keine Schäden«. Auch Indonesien und Australien wurden sofort informiert.
Warnmeldungen an andere Länder am
Indischen Ozean gab das Zentrum jedoch erst, als die Flutwelle bereits Sri Lanka erreicht hatte (d.h. nach
eineinhalb Stunden). Angeblich verhinderte das Nichtvorhandensein eines Alarmsystems im Indischen Ozean
eine sofortige Benachrichtigung aber warum hat niemand zum Telefon gegriffen oder E-Mails versandt?
Das Verhalten der Wissenschaftler auf der Station und der mit ihnen verbundenen Behörden ist jetzt
Gegenstand einer Untersuchungskommission des US-Kongresses.
Die Andamanen und Nikobaren liegen dem
Epizentrum am nächsten; sie sind indisches Territorium. Die indische Regierung wusste also auch
frühzeitig, dass eine Flutwelle im Anmarsch war. Indische Medien berichten, das Ministerium für
Wissenschaft und Technologie habe nicht sofort Warnungen ausgegeben, weil das Beben »von fremden
Gewässern« ausgegangen sei. Das indische Katastrophenschutzsystem berücksichtige nur das
indische Territorium.
Thailands renommierteste Meteorologen traten
am 2.Weihnachtsmorgen Minuten nach dem Beben zu einer Krisensitzung zusammen. Sie hatten die Nachricht um 8
Uhr Lokalzeit erhalten. Eine halbe Stunde später erreichte die Flut die thailändische Küste.
Die Wissenschaftler beschlossen jedoch, keine Warnung herauszugeben, um die Tourismusindustrie nicht zu
beunruhigen, wie die thailändische Tageszeitung The Nation schrieb. Sie diskutierten lieber über
die möglichen ökonomischen Folgen einer solchen Warnung und fürchteten, im Fall eines
Fehlalarms regresspflichtig gemacht zu werden. Das Hauptgegenargument war, die letzte Flut vor Thailand
habe es vor 300 Jahren gegeben.
Der Krisenstab glaubte auch, die Insel Sumatra
werde »wie ein Kissen« die Südküste Thailands schützen. Die Wissenschaftler, unter
denen sich nur vier Erdbebenspezialisten befanden, hatten auch unvollständige Informationen. Ihnen war
ausgerichtet worden, das Beben habe eine Stärke von 8,1 wie 2002, als ein solches Beben keine
Flutwelle auslöste.
Aber auch die westlichen Industrieländer
haben es versäumt, ihre Staatsangehörigen über die Möglichkeit solcher Katastrophen zu
unterrichten. Kein einziges Warnsystem hat es für erforderlich gehalten, die etwa 40000 Urlauber in
Thailand, Indien, auf Sri Lanka, den Malediven und den Seychellen vom Beben zu benachrichtigen. Dafür
gibt es bislang keine Erklärung.
Die Küstenlandschaften sind in den letzten Jahrzehnten auch in Asien zunehmend zersiedelt worden.
Industrieansiedlung ist für einen großen Teil der Entwaldung und der Küstenerosion
verantwortlich ausgedehnte Mangrovesümpfe wurden dadurch zerstört. Korallenriffe werden
von großen Fischtrawlern gefährdet, die die Meeresböden mit industriellen Methoden
abkämmen. Aber auch die Tourismusindustrie trägt zur Zersiedelung bei.
Die indische Physikerin Vandana Shiva schreibt
dazu in der Jungen Welt: »In den letzten Jahren der erst jungen kommerziellen Globalisierung ist der
Respekt vor der Zerbrechlichkeit und Verletzbarkeit der Ökosysteme der Meeresküsten dem
wildwüchsigen Bau von Hotels und Urlaubsdörfern, von Garnelenfarmen und Raffinerien geopfert
worden. Mangrovenwälder und Korallenriffe sind unbarmherzig zerstört worden und damit auch die
schützenden Wälle gegen Stürme, Zyklone, Hurrikane und Tsunamis. Bei einer genauen Studie
über den Orissa-Zyklon im Jahr 1999, bei dem 30000 Menschen umkamen, haben wir herausgefunden, dass
der Sturm überall dort besonders zerstörerisch gewesen ist, wo man Mangroven gefällt hatte,
um Garnelenfarmen anzulegen und Raffinerien anzusiedeln … Nagappattinam, eine der am stärksten
vom Tsunami betroffenen Zonen, ist auch die am massivsten durch Garnelenzucht belastete Zone in der Region.
(80% der weltweiten Garnelen- und Shrimpzucht stammt aus dem asiatischen Raum, wo Umweltschutzgesetze
leicht unterwandert werden können.) Die indigenen Stämme auf den Andamanen und Nikobaren
die Onges, die Jarawas, die Sentinelese, die Shompen, deren Lebensstile viel geringere ökologische
Spuren hinterlassen hatten auch vergleichsweise die wenigsten Opfer, obwohl sie von ihrer Lage auf
dem indischen Subkontinent her gesehen dem Epizentrum des Erdbebens am nächsten leben.«
Vandana Shiva schließt mit der Bemerkung:
»Eine Welt, die sich nach Kriterien der Märkte und der Profite organisiert und Natur und Menschen
vergisst, ist schlecht gerüstet, um Katastrophen zu begegnen. Obwohl wir uns einbilden, im Zeitalter
der Information und der Wissensökonomie zu leben, war das Wissen über ein Seebeben der
Stärke 8,9 vom US Geological Survey nicht kommunizierbar, um die angrenzenden Länder rechtzeitig
zu warnen und Leben zu retten. Hingegen ist gesichert, dass an den Börsen der ganzen Welt auf kleinste
Signale sofort d.h. zeitgleich reagiert werden kann.«
Der südindische Bundesstaat Tamil Nadu
plant jetzt ein umfangreiches Aufforstungsprogramm mit Mangrovenwäldern entlang der Küste.
Angela Klein
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