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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2005, Seite 20

Erinnerungen an die Algeriensolidarität

Ein Kofferträger

Anlässlich des 50.Jahrestags des Beginns des algerischen Befreiungskriegs wurden am 18.12.2004 in der Bonner Residenz des algerischen Generalkonsuls Hans- Jürgen Wischnewski, Gerd von Paczenski, Achmed Abbes, Heinz Beinert, der verstorbene Georg Jungclas, vertreten durch seine Witwe Leni Jungclas, und Jakob Moneta, vertreten durch Bianca Winter, im Namen des algerischen Staatspräsidenten Abdelaziz Boutefliqa geehrt. Der algerische Botschafter Hocine Meghar überreichte ihnen eine entsprechende Auszeichnung als »Anerkennung und Bewunderung für die Unterstützung der algerischen Sache«. Die Ehrung fand in sehr freundschaftlich-ernster Atmosphäre statt, frei von Floskeln und Pomp, die sonst so oft diplomatische Empfänge begleiten. Wir dokumentieren die Grußrede von Jakob Moneta.

Lassen Sie mich zuerst gestehen, dass ich von De Gaulle zum Offizier der Ehrenlegion ernannt wurde. Als nämlich der damalige Bundespräsident Lübke Frankreich besuchte, war dies das erste Mal in der Geschichte, dass ein deutscher Präsident offiziell nach Frankreich eingeladen wurde. Es wurde dadurch gefeiert, dass französische, für die Außenpolitik zuständige Politiker deutsche Orden erhielten, und Mitglieder der deutschen Botschaft in Paris bekamen von De Gaulle französische Orden überreicht.

Ein Orden von De Gaulle

Ich hatte keinen Grund, diesen Orden abzulehnen, da es nicht Guy Mollet war, sondern immerhin De Gaulle, der nicht nur erklärte: »L‘Algerie aura sa liberté« (Algerien wird seine Freiheit erhalten), sondern Wort gehalten hat!
Ich war in Frankreich zu allen Gewerkschaftskongressen eingeladen — CGT, CFDT und FO — aber auch zu denen der Sozialistischen Partei. Ich war dabei, als [der Sozialdemokrat] Guy Mollet die Wahlen gewonnen hatte und die meisten Mitglieder, sowie die vier algerischen Abgeordneten, darunter Ferhat Abbas, überzeugt davon waren, dass Mollet sofort Verhandlungen mit der FLN aufnehmen werde. Aber unter dem Druck der französischen Generäle ernannte er Lacoste zum Verantwortlichen — einen Sadisten, der für schlimmste Folterungen verantwortlich war.
Ich verabredete mich in Paris mit der damals noch sehr jungen Schriftstellerin Assis Djebar (sie hatte in Algerien die französische Schule besucht und erklärte mir, dass sie kein Arabisch spreche). Ich wollte von ihr wissen, wie es möglich ist, dass die Algerier die entsetzlichsten Folterungen ertragen, ohne zu kapitulieren. Sie antwortete: »Wenn ein Fellache ein Paar Schuhe und ein Gewehr erhält, wird er zum ersten Mal in seinem Leben zu einem Menschen.« Diesen Satz habe ich nie wieder vergessen.
Wie ist aber De Gaulle, der sich aus der Politik eigentlich zurückgezogen hatte, wieder Präsident geworden? Eine kleine Gruppe von Sozialreferenten, die französische Politiker zu einem Abendessen eingeladen hatten, baten Mendès- France zu einem absolut vertraulichen Gespräch. Ich fragte ihn: »Glauben Sie, dass De Gaulle noch einmal eine politische Rolle spielen wird?« Seine Antwort lautete: Ebenso wie die Quellen eines Flusses vom Berg ins Tal kommen, werden De Gaulle und das französische Volk zusammen kommen. »Wie soll das möglich sein, wo die Gaullisten doch nur 21 Abgeordnete im Parlament haben?«, fragte ich. Er entgegnete: »C‘est une question typiquement allemande. Les chauses se passe parce qu‘elles doivent se passer dans l‘histoire.« (Das ist eine typisch deutsche Frage. In der Geschichte passieren die Dinge, weil sie geschehen müssen.) Ich war sehr verblüfft über diese Antwort und habe sie als »Top-Secret-Bericht« nach Bonn geschickt. Mendès-France hat Recht behalten.
Der Sekretär der IV.Internationale, Michel Raptis, genannt Pablo, fragte mich, ob ich bereit sei, gefährdete FLN-Führer in meiner Wohnung zu verstecken. Damals hatten wir eine Wohnung in der Rue de Printemps mit Chambre de Bonne, in dem ich mit Einverständnis meiner krebskranken Frau Mathilde von der Polizei gesuchte FLN-Führer versteckte. Ihre Namen kannte ich zu Recht nicht. In meinem Wagen mit dem Zeichen des diplomatischen Korps konnten wir sie aus Paris hinausbringen.

Geld und Waffen für die FLN

Dann bat mich Pablo, das Geld, das bei Simca, Renault und anderswo als Kriegssteuer für die FLN erhoben wurde, nach Brüssel zu transportieren. Zusammen mit Mathilde lieferten wir die schweren, mit Geld gefüllten Koffer bei Ernest Mandel, dem mittlerweile weltweit bekannten Ökonomen, in Brüssel ab.
Das erwies sich jedoch als unpraktisch, weil das Geld nochmal über die Grenze nach Deutschland transportiert werden musste, wo es Georg Jungclas auf die Bank brachte. Hier erschien eine deutsche Algerienzeitung, für die der Vater von Leni Jungclas seinen Namen hergab. Er hatte unter den Nazis zehn Jahre im KZ gesessen und riskierte jetzt buchstäblich sein Leben.
In Paris fanden wir einen anderen Weg für den Geldtransport. Ich nahm mit meinem Diplomatenpass eine Fahrkarte erster Klasse nach Rom. Ich hatte zwei schwere Koffer mit Geld bei mir und bat den Schaffner, mich nachts, sobald wir in der Schweiz sind, zu wecken, da meine Frau dort auf mich warte, um mit nach Rom zu fahren. Falls sie noch nicht da sein sollte, müsse ich aussteigen, um am nächsten Morgen weiterzufahren.
Ich stieg also mitten in der Nacht mit den schweren Koffern aus und fuhr am nächsten Morgen nach Genf. Dort hatte Michel Raptis für mich ein Zimmer in einem erstklassigen Hotel gemietet. Er holte die Koffer ab und brachte sie zu einer Bank, in der ein Angestellter mit weißen Handschuhen die vielen, von algerischen Arbeitern gespendeten Scheine im Beisein von Raptis zählte und auf ein Konto der FLN tat, ohne eine Frage zu stellen — mit Schweizer Diskretion eben.
In der Algerienfrage wurde Deutschland damals von Frankreich regelrecht erpresst. Und zwar nach dem Motto: »Wenn ihr nicht anerkennt, dass Algerien zu Frankreich gehört, werden wir nicht anerkennen, dass Ostdeutschland, sprich die DDR, zur Bundesrepublik gehört.« Wenn damals ein Staat diplomatische Beziehungen zur DDR aufnahm, brach die BRD ihre diplomatischen Beziehungen zu diesem Staat ab.
Als ich eine Zeitlang in Bonn zuständig für Frankreich und Algerien war, beschwerten sich die Leiter des französischen militärischen und zivilen Geheimdienstes bei mir darüber, dass Algerier in der Bundesrepublik politisch tätig sein konnten, um die FLN zu unterstützen. In einer geheimen Sitzung wurde ihnen erklärt, das deutsche Grundgesetz erlaube ausdrücklich auch Ausländern eine politische Betätigung. Dagegen wandten sich die französischen Geheimdienstleute mit dem Argument, es gebe doch administrative, polizeiliche Maßnahmen, mit denen man FLN-Leute schikanieren oder sogar ausweisen könne. Der deutsche Leiter der Sitzung, ein CDU-Mitglied, stand daraufhin auf und sagte: »Meine Herren, unsere Vefassung wurde uns von den Alliierten nach dem Krieg aufgezwungen. Wir werden uns an sie halten.« Damit war die Sitzung beendet.
Michel Raptis hatte zu dieser Zeit in Osnabrück mit Hilfe des linken Druckers Schneeweis alle möglichen Ausweispapiere herstellen lassen, für FLN-Mitglieder oder Franzosen, die sich weigerten, gegen Algerien zu kämpfen. Die Arbeit dieser Druckerei war so gut, dass sie beschlossen, neben französischen Francs auch Dollarnoten zu drucken, um die FLN zu finanzieren. Hier allerdings verstand der US-Geheimdienst keinen Spaß und kam den Freunden auf die Spur. Schneeweis wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Und obwohl Raptis in Amsterdam die Sache der FLN so glänzend verteidigt hatte, dass die öffentliche Meinung voll hinter der FLN stand, wurde auch er zu zwei Jahren Haft verurteilt (nur zwei Jahre, muss man sagen).
Inzwischen war auch ein anderes Projekt von Raptis herangereift. Er plante die Errichtung einer Waffenfabrik in Marokko, um von dort aus die FLN in Algerien mit Waffen zu versorgen. Georg Jungclas überzeugte Facharbeiter der Sozialistischen Jugend von der Notwendigkeit, in Marokko zu arbeiten. Für die Waffenfabrik wurden Fachkräfte aus der ganzen Welt geworben. Als die Fabrik aber produktionsreif war, hatten bereits Gespräche zwischen De Gaulle und der FLN begonnen. Raptis erarbeitete für Ben Bella ein Agrarprogramm, das leider nur in Ansätzen umgesetzt wurde.
Unsere Hoffnung, dass Algerien nicht nur zu einer Demokratie für die Reichen, sondern eine sozialistische für die Armen werde, hat sich leider nicht erfüllt. Immerhin aber hat Algerien seine Freiheit von Frankreich gewonnen. Mit meinen 90 Jahren hoffe ich jedoch noch zu erleben, dass in Algerien eine sozialistische Demokratie verwirklicht wird.

Jakob Moneta

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