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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2005, Seite 22

Kolumne von Thies Gleiss

Lass dich überraschen

Über den Westerwald, so ein bekanntes Lied, braust ein kalter Wind. Aber nicht nur. Wie alle Stoff wechselnden Lebewesen produziert auch der Westerwälder Gas, in seinem Falle so 13 Liter pro Tag, von dem ein kleiner Teil als mal mehr, mal weniger überraschende Furze den Körper verlässt. Anders als bei den Darmwinden von Rindern oder gar den Furzweltmeistern, den Termiten, ist das als Treibhausgas verrufene Methan eher minoritär im Pupsgemisch des Menschen vorhanden. Wer viel Methan ablässt, könnte, wie die Mitglieder im Royal Order of Blue Flame aus dem Königreich von Lizzy und ihrem Nazi-Uniformen liebenden Enkel, die Furze gut abfackeln (Vorsicht bei Nachahmung!) und somit etwas gegen die kalten Winde tun. Der große Joseph Pujol, »Le Petomane«, feierte Anfang des 20.Jahrhundert im Pariser Moulin Rouge sogar riesige Bühnenerfolge mit diversen Melodien als Arschbläser.
Das alles aber ist dem Kreistagsabgeordneten Werner J. Keßler aus Neuwied nicht gegeben. Er ist nur Präsident des Klubs »Furz dich frei«, der regelmäßig in der Hochzeit der verklemmten Anal- und Fäkalwitze, dem Karneval, auf Furz- und Sauftour geht. Nur Männer natürlich. Der Abgeordnete der Freien Wählergemeinschaft ist nun schwer beschuldigt und zum Verzicht auf alle seine Ämter aufgefordert worden, weil er die »sittliche Reife« eines »Vertreters des Landrats« nicht erreichen würde. Gar nicht überraschend ist, dass diese Vorwürfe vor allem von den politisch in jeder Hinsicht Kackspechten und Kotzbrocken der Grünen kommen. »Wir bitten Sie, uns zu überraschen«, verlangen zur gleichen Zeit Claudia Schiffer, Herbert Grönemeyer, Alfred Biolek, Franka Potente, Günther Jauch, Heike Makatsch, Roger Willemsen und Wim Wenders. »Und der Welt zu zeigen, dass sich Deutschland der Zukunft der ganzen Menschheit verpflichtet fühlt und danach handelt.« Dieses »Am-deutschen-Wesen-soll-die-Welt-genesen« der Gutmenschen verlangt von Bundeskanzler Schröder endlich etwas gegen die Armut in der Welt zu unternehmen. Aus Dank werden »wir für unseren Teil Ihnen öffentlich Beifall zollen«. Die ganzseitige Anzeige in der Süddeutschen Zeitung mit diesem Appell war für die Damen und Herren vielleicht leicht aus der Portokasse zu bezahlen, aber es ist — wiederum völlig unüberraschend — rausgeschmissenes Geld. Von der Wirtschaftsordnung einer Welt, auf der täglich 50000 Menschen an den Folgen des Hungers und 8000 an AIDS sterben, profitiert die herrschende Klasse im Deutschland des Herrn Schröder so sehr, dass seine Regierung es vorzieht, via Hartz IV, wachsender Kinder- und Altersarmut die Verelendung lieber nach Deutschland zu holen, als sie auf dem Erdball insgesamt zu bekämpfen. »Eine so ungerechte Welt ist gefährlich und wird zur Brutstätte von Terror und Angst«, stolpert sich der Aufruf der Bioleks, Jauchs und Schiffers durch schlechtes Deutsch in echte Sorgen um Deutschland. Die macht sich — ist da noch jemand überrascht? — noch ein anderer: »Wir dürfen nicht zulassen, dass realitätsferne Funktionäre und Gewerkschaftsbonzen Deutschland in den Abgrund treiben und unsere Zukunft aufs Spiel setzen. Die Politik des DGB ist genauso pervers wie das unpatriotische Verhalten von Steuerflüchtlingen.« Wer hat das gesagt? Friedrich Merz, Edmund Stoiber, Gerhard Frey, Stefan Aust? Alles falsch — es stammt aus der Austrittserklärung von Bernd Rabehl aus dem DGB. Der frühere SDS-Mitkämpfer, APO-Demonstrant, Freund Rudi Dutschkes, Mitarbeiter der Hans-Böckler-Stiftung hat sein Ziel und seinen Unfrieden gefunden: er ist dem Deutschen Handels- und Industrieangestelltenverband, einer rechtsradikalen gelben »Gewerkschaft« in den Reihen des Christlichen Gewerkschaftsbunds beigetreten. Dort soll er dieser Tage gleich zum stellvertretenden Berliner Landesvorsitzenden werden. Sein Chef ist dann — Überraschung! — Klaus Gröbing, der zum Kreis des ehemaligen Generalbundesanwalts Alexander von Stahl gehört, und seit Jahren versucht, aus der FDP eine nationalliberale Kampforganisation zu machen.
»Zwiebelsuppe kochen, abkühlen lassen und wieder aufwärmen«, empfiehlt der Neuwieder Furz-Präsident, um die ungeordneten Darmwinde in geordnete Pupserei zu bündeln. Wir empfehlen lieber Auflauf, mit dem hat bisher jede Revolution begonnen.

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