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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2005, Seite 4

Kolumne von Jakob Moneta

Die »Ohnmacht der Mächtigen«

Günter Reimann wurde in einer jüdisch-bürgerlichen Familie als Hans Steinecke in Angermünde geboren. Er entwickelte sich zu einem überzeugten marxistischen Finanzexperten und starb nun 100 Jahre alt am 5.Februar in den USA.
Unter dem Pseudonym Günter Reimann wurde er als Student der Volkswirtschaft in Berlin Kommunist und schließlich der Wirtschaftsredakteur der KPD-Zeitung Rote Fahne, wo er allerdings mit der Parteidoktrin in Konflikt geriet und ausschied.
Sein Nachfolger Jürgen Kuczynski, der noch für die Reden von Erich Honecker das wirtschaftspolitische »Material« lieferte, hielt es länger aus. Er hoffte, dass es ihm ebenso wie Lincoln, der nicht beabsichtigte, die Sklaven zu befreien, durch seine militärischen Niederlagen gezwungen würde, sie gegen ihre Sklavenhalter durch ihre Befreiung auf seine Seite zu bringen, gelingen werde, auch Honecker in einer Wirtschaftskrise für seine Vorschläge zu gewinnen. Aber Honecker war eben kein Lincoln.
Günter Reimann machte sich keine Illusionen. Er unternahm nach der Niederlegung seines Postens eine lange Studienreise durch die Sowjetunion. Nach zahlreichen Diskussionen mit Ökonomen und Besuchen in Betrieben gelangte er zu der Ansicht, dass die stalinsche Wirtschafts- und Sozialpolitik zum Zusammenbruch führen müsse.
Kurz nach dem Sieg der Nazis emigrierte Günter Reimann, der als Jude und Kommunist allzu bekannt war. Er musste viele europäische Länder aufsuchen, bis er 1937 Amsterdam erreichte, wo er eine Analyse des Wirtschaftssystems der Nazis verfasste. Im Herbst 1938 gelangte er per Schiff in die USA, wo er versuchte, Amerikanern, die durch die anfänglichen Wirtschaftserfolge der Nazis verwirrt waren, zu erklären, wie diese zustande kamen.
Reimann gelang es 1947 in mehr als 50 Ländern tätige Agenturen angesichts des zusammengebrochenen Finanzinformationssystems zu errichten und die Wochenzeitschrift International Reports on Finance and Currencies herauszugeben. Diese verschaffte Unternehmen, Banken und Finanzpolitikern gesicherte statistische Informationen über die Finanzmärkte. Auch viele Zeitungen und Zeitschriften schätzten die glänzend informierten Artikel von Reimann, der eine treue Lesegemeinde gewann. 1983 verkaufte er dieses wichtige Informationsmedium der Financial Times und wurde dadurch zu einem unabhängigen Vermögenden.
Mitte der 60er Jahre reiste er in die Länder Osteuropas, um die dortige wirtschaftliche Lage kennenzulernen, und er schrieb über den roten Profit, die Preise, Märkte und Kredite im Osten.
Kurz nach dem Fall der Mauer flog Reimann nach 60 Jahren wieder nach Ostdeutschland, wo er insbesondere mit den von Wessis abgehalfterten Intellektuellen und Wirtschaftswissenschaftlern Kontakt aufnahm. Er hielt auch eine enge Verbindung zur Rosa-Luxemburg- Stiftung in Sachsen, die er auch finanziell unterstützte. 1993 verfasste er das Buch Die Ohnmacht der Mächtigen. Seine Schlussfolgerung zur Lage beider Welten lautete: »Wer glaubt, dass im Osten der Kapitalismus gesiegt hat, ist naiv … Der Westen ist selber krank und leidet an den Krankheiten, an denen der Osten gestorben ist.«
Wenn es auch heute noch nicht danach aussieht, können wir sicher sein, dass Reimann, der wie kein anderer beide Wirtschaftssysteme kannte, Recht behalten wird.

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