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Günter Reimann wurde in einer jüdisch-bürgerlichen Familie als
Hans Steinecke in Angermünde geboren. Er entwickelte sich zu einem überzeugten marxistischen
Finanzexperten und starb nun 100 Jahre alt am 5.Februar in den USA.
Unter dem Pseudonym Günter Reimann wurde
er als Student der Volkswirtschaft in Berlin Kommunist und schließlich der Wirtschaftsredakteur der
KPD-Zeitung Rote Fahne, wo er allerdings mit der Parteidoktrin in Konflikt geriet und ausschied.
Sein Nachfolger Jürgen Kuczynski, der
noch für die Reden von Erich Honecker das wirtschaftspolitische »Material« lieferte, hielt
es länger aus. Er hoffte, dass es ihm ebenso wie Lincoln, der nicht beabsichtigte, die Sklaven zu
befreien, durch seine militärischen Niederlagen gezwungen würde, sie gegen ihre Sklavenhalter
durch ihre Befreiung auf seine Seite zu bringen, gelingen werde, auch Honecker in einer Wirtschaftskrise
für seine Vorschläge zu gewinnen. Aber Honecker war eben kein Lincoln.
Günter Reimann machte sich keine
Illusionen. Er unternahm nach der Niederlegung seines Postens eine lange Studienreise durch die
Sowjetunion. Nach zahlreichen Diskussionen mit Ökonomen und Besuchen in Betrieben gelangte er zu der
Ansicht, dass die stalinsche Wirtschafts- und Sozialpolitik zum Zusammenbruch führen müsse.
Kurz nach dem Sieg der Nazis emigrierte
Günter Reimann, der als Jude und Kommunist allzu bekannt war. Er musste viele europäische
Länder aufsuchen, bis er 1937 Amsterdam erreichte, wo er eine Analyse des Wirtschaftssystems der Nazis
verfasste. Im Herbst 1938 gelangte er per Schiff in die USA, wo er versuchte, Amerikanern, die durch die
anfänglichen Wirtschaftserfolge der Nazis verwirrt waren, zu erklären, wie diese zustande kamen.
Reimann gelang es 1947 in mehr als 50
Ländern tätige Agenturen angesichts des zusammengebrochenen Finanzinformationssystems zu
errichten und die Wochenzeitschrift International Reports on Finance and Currencies herauszugeben. Diese
verschaffte Unternehmen, Banken und Finanzpolitikern gesicherte statistische Informationen über die
Finanzmärkte. Auch viele Zeitungen und Zeitschriften schätzten die glänzend informierten
Artikel von Reimann, der eine treue Lesegemeinde gewann. 1983 verkaufte er dieses wichtige
Informationsmedium der Financial Times und wurde dadurch zu einem unabhängigen Vermögenden.
Mitte der 60er Jahre reiste er in die
Länder Osteuropas, um die dortige wirtschaftliche Lage kennenzulernen, und er schrieb über den
roten Profit, die Preise, Märkte und Kredite im Osten.
Kurz nach dem Fall der Mauer flog Reimann nach
60 Jahren wieder nach Ostdeutschland, wo er insbesondere mit den von Wessis abgehalfterten Intellektuellen
und Wirtschaftswissenschaftlern Kontakt aufnahm. Er hielt auch eine enge Verbindung zur Rosa-Luxemburg-
Stiftung in Sachsen, die er auch finanziell unterstützte. 1993 verfasste er das Buch Die Ohnmacht der
Mächtigen. Seine Schlussfolgerung zur Lage beider Welten lautete: »Wer glaubt, dass im Osten der
Kapitalismus gesiegt hat, ist naiv … Der Westen ist selber krank und leidet an den Krankheiten, an
denen der Osten gestorben ist.«
Wenn es auch heute noch nicht danach aussieht,
können wir sicher sein, dass Reimann, der wie kein anderer beide Wirtschaftssysteme kannte, Recht
behalten wird.
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