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Amtlich gezählt 5.037.000 (12,1%) Erwerbslose im Januar 2005, ein
Anstieg der nach offiziellen Kriterien Armen seit 1998 (also in der Amtszeit der SPD-Grünen-Regierung)
von 11% auf 13,5% darunter 19,1% Arme im Alter zwischen 16 und 24 Jahren, wirtschaftliche
Stagnation, Schleifung der sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit, No-Future-Stimmung bei einem Teil
der Jugend und in Ostdeutschland, die Aussicht auf nur noch prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen,
Existenzängste selbst bei sog. Normalverdienern bis gut Verdienenden, Anstieg des Rechtsextremismus:
in Deutschland spricht man wieder von Weimarer Verhältnissen.
Mit Berechtigung. Vom blinden Festhalten an
einer deflationären Politik, der Kündigung der Leistungen für Erwerbslose bis hin zur
Wiedereinführung des Arbeitszwangs wiederholt die Politik Schritt für Schritt auf dem Gebiet der
Wirtschafts- und Sozialpolitik Maßnahmen, die sie auch Ende der Weimarer Republik einsetzte, um die
Weltwirtschaftskrise zu bewältigen.
Der Unterschied zu damals ist, dass der
Demokratieabbau Anfang der 30er Jahre rasanter vor sich ging als heute nicht nur deshalb, weil die
Weimarer Demokratie von Anfang an in der herrschenden Klasse weit weniger akzeptiert war als die
bundesrepublikanische, sondern auch weil die Arbeiterbewegung, die weitaus stärker und radikaler war
als heute, wegen ihrer Spaltung und teilweise Kapitulation nicht in der Lage war, eine eigene Alternative
durchzusetzen.
Man könnte Stoiber ja Recht geben, wenn
er darauf verweist, die Bundesregierung trage wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt Mitverantwortung für
die Erfolge der Rechtsextremisten, wüsste man nicht, dass er selber an der Regierung nichts besser
machen würde, und kaum etwas anders.
Skandalöser ist, wie die Regierung die
Verantwortung von sich wegschiebt, indem sie erstens leugnet, dass Hartz in die Armut führt, zweitens
leugnet, dass die Weimarer Republik an der Massenarbeitslosigkeit gescheitert sei.
Die SPD übernimmt die liberale
Interpretation der deutschen Geschichte, die »erste deutsche Demokratie« sei vielmehr am
Versailler Vertrag (sic!) und an der Ablehnung des parlamentarischen Systems auch durch die
bürgerlichen Parteien gescheitert. Damit wird die soziale Dimension der Krise der Weimarer Republik
unter den Teppich kehrt: die soziale Verelendung, die Teile der Mittelschichten in die Arme der Nazis
getrieben hat, aber auch die Tatsache, dass sich die deutsche Industrie gern der SA bedient hat, um die
Arbeiterbewegung zu terrorisieren.
Die bürgerliche Demokratie existiert
nicht im luftleeren Raum, sie setzt voraus, dass die arbeitende Bevölkerung (ob erwerbstätig oder
nicht) eine einigermaßen gesicherte Existenz fristen kann, die kapitalistische Ausbeutung also
gelindert wird durch soziale Sicherheit und die Chance auf einen bescheidenen sozialen Aufstieg. Beides ist
heute fundamental in Frage gestellt, der Generation der Kinder wird es durchweg schlechter gehen als der
der Eltern.
Es ist nicht zu bestreiten, dass die Neonazis
dort Zulauf erhalten, wo die Verhältnisse trostlos sind, bei Menschen ein Gefühl der
Minderwertigkeit erzeugt und von links keine Alternative geboten wird. Die deutsche Industrie setzt heute
aber nicht auf den Faschismus als Lösung.
Es gibt in der herrschenden Klasse keine
nennenswerte Strömung, die die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs revidieren will, das Bewusstsein
ihrer Abhängigkeit von der EU und den USA ist ausgeprägt, neue Weltgeltung kann das deutsche
Kapital nur im Zusammenspiel mit anderen imperialistischen Mächten erlangen, nicht im Alleingang.
Globalisierung ist angesagt, nicht Autarkie.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich ein
Teil der deutschen Industrie mit der NPD verbünden würde. Andere Gefahren lauern, wie die
Demokratie ausgehöhlt, und sozial und politisch autoritäre Verhältnisse geschaffen werden
können, wenn der soziale Protest zu stark wird.
Dennoch erfüllen die Neonazis, wie man in
Dresden wieder sieht, für die politisch Verantwortlichen durchaus eine nützliche Funktion, weil
sie dazu eingesetzt werden können und werden, linken Protest zu disziplinieren und zu unterbinden. Die
Debatten um eine Ausweitung des Demonstrationsverbots im Zusammenhang mit dem 8.Mai sprechen Bände
darüber.
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