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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2005, Seite 4

60 Jahre nach Kriegsende

Die nützliche Funktion der Nazis

von Angela Klein

Amtlich gezählt 5.037.000 (12,1%) Erwerbslose im Januar 2005, ein Anstieg der nach offiziellen Kriterien Armen seit 1998 (also in der Amtszeit der SPD-Grünen-Regierung) von 11% auf 13,5% — darunter 19,1% Arme im Alter zwischen 16 und 24 Jahren, wirtschaftliche Stagnation, Schleifung der sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit, No-Future-Stimmung bei einem Teil der Jugend und in Ostdeutschland, die Aussicht auf nur noch prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen, Existenzängste selbst bei sog. Normalverdienern bis gut Verdienenden, Anstieg des Rechtsextremismus: in Deutschland spricht man wieder von Weimarer Verhältnissen.
Mit Berechtigung. Vom blinden Festhalten an einer deflationären Politik, der Kündigung der Leistungen für Erwerbslose bis hin zur Wiedereinführung des Arbeitszwangs wiederholt die Politik Schritt für Schritt auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik Maßnahmen, die sie auch Ende der Weimarer Republik einsetzte, um die Weltwirtschaftskrise zu bewältigen.
Der Unterschied zu damals ist, dass der Demokratieabbau Anfang der 30er Jahre rasanter vor sich ging als heute — nicht nur deshalb, weil die Weimarer Demokratie von Anfang an in der herrschenden Klasse weit weniger akzeptiert war als die bundesrepublikanische, sondern auch weil die Arbeiterbewegung, die weitaus stärker und radikaler war als heute, wegen ihrer Spaltung und teilweise Kapitulation nicht in der Lage war, eine eigene Alternative durchzusetzen.
Man könnte Stoiber ja Recht geben, wenn er darauf verweist, die Bundesregierung trage wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt Mitverantwortung für die Erfolge der Rechtsextremisten, wüsste man nicht, dass er selber an der Regierung nichts besser machen würde, und kaum etwas anders.
Skandalöser ist, wie die Regierung die Verantwortung von sich wegschiebt, indem sie erstens leugnet, dass Hartz in die Armut führt, zweitens leugnet, dass die Weimarer Republik an der Massenarbeitslosigkeit gescheitert sei.
Die SPD übernimmt die liberale Interpretation der deutschen Geschichte, die »erste deutsche Demokratie« sei vielmehr am Versailler Vertrag (sic!) und an der Ablehnung des parlamentarischen Systems auch durch die bürgerlichen Parteien gescheitert. Damit wird die soziale Dimension der Krise der Weimarer Republik unter den Teppich kehrt: die soziale Verelendung, die Teile der Mittelschichten in die Arme der Nazis getrieben hat, aber auch die Tatsache, dass sich die deutsche Industrie gern der SA bedient hat, um die Arbeiterbewegung zu terrorisieren.
Die bürgerliche Demokratie existiert nicht im luftleeren Raum, sie setzt voraus, dass die arbeitende Bevölkerung (ob erwerbstätig oder nicht) eine einigermaßen gesicherte Existenz fristen kann, die kapitalistische Ausbeutung also gelindert wird durch soziale Sicherheit und die Chance auf einen bescheidenen sozialen Aufstieg. Beides ist heute fundamental in Frage gestellt, der Generation der Kinder wird es durchweg schlechter gehen als der der Eltern.
Es ist nicht zu bestreiten, dass die Neonazis dort Zulauf erhalten, wo die Verhältnisse trostlos sind, bei Menschen ein Gefühl der Minderwertigkeit erzeugt und von links keine Alternative geboten wird. Die deutsche Industrie setzt heute aber nicht auf den Faschismus als Lösung.
Es gibt in der herrschenden Klasse keine nennenswerte Strömung, die die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs revidieren will, das Bewusstsein ihrer Abhängigkeit von der EU und den USA ist ausgeprägt, neue Weltgeltung kann das deutsche Kapital nur im Zusammenspiel mit anderen imperialistischen Mächten erlangen, nicht im Alleingang. Globalisierung ist angesagt, nicht Autarkie.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich ein Teil der deutschen Industrie mit der NPD verbünden würde. Andere Gefahren lauern, wie die Demokratie ausgehöhlt, und sozial und politisch autoritäre Verhältnisse geschaffen werden können, wenn der soziale Protest zu stark wird.
Dennoch erfüllen die Neonazis, wie man in Dresden wieder sieht, für die politisch Verantwortlichen durchaus eine nützliche Funktion, weil sie dazu eingesetzt werden können und werden, linken Protest zu disziplinieren und zu unterbinden. Die Debatten um eine Ausweitung des Demonstrationsverbots im Zusammenhang mit dem 8.Mai sprechen Bände darüber.

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