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Als eine »runde Sache« beurteilt der Vorsitzende der Vereinten
Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, das neu ausgehandelte Tarifwerk für die mehr als 2
Millionen abhängig Beschäftigten des Bundes und der Kommunen. Die Kommentatoren der
bürgerlichen Presse sind begeistert, bezeichnen hier und da den Tarifvertrag als Jahrhundertwerk und
verweisen auf sein Vorbildfunktion für andere Branchen. Die Arbeitgeber des Bundes und der Kommunen
haben allen Grund zum Jubel. Die Ver.di-Führung in Berlin überschlägt sich ebenfalls vor
Freude und titelt in ihrer Tarifinformation Nr.2 vom 9.2.: »Tarifreform geschafft Nullrunde
verhindert!«
Die Bundestarifkommission von Ver.di hat dem
Vertrag mit 80 Ja-Stimmen, 32 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen zugestimmt. Die Gegenstimmen kamen
hauptsächlich aus Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Wenn die Ver.di-Führung
nun verkündet, dass die wesentlichen Ziele erreicht sind, die abhängig Beschäftigten des
öffentlichen Dienstes weiterhin an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen und die
Besitzstände der derzeit Beschäftigten gesichert sind, dann muss man sich die Frage stellen, ob
nicht auch in den Führungsetagen von Ver.di ein gewisser Realitätsverlust um sich gegriffen hat.
Was ist denn für die abhängig
Beschäftigten real herausgekommen?
1. Kein Cent Lohn- und Gehaltserhöhung für die Monate Februar bis
September vor dem Hintergrund steigender Preise und der fortwährenden Belastungen infolge des
Abbaus der Leistungen der Sozialversicherungssysteme.
2. Einmalzahlungen über einen Zeitraum von drei Jahren in einer
Gesamthöhe von 900 Euro, die nicht tabellenwirksam werden und somit nicht dauerhaft Bestandteil des
Gehalts sind.
3. Zusammenlegung des Weihnachts- und Urlaubsgelds ab 2007, was de facto
nichts anderes bedeutet als die Streichung des Urlaubsgelds; nur für die unteren Einkommen erhöht
sich die Sonderzahlung um 7%. Da aber das ehemalige Urlaubsgeld in Höhe von 300 Euro wegfällt,
kommt auch in dieser Gruppe mit Sicherheit keine Freude auf.
4. Die Einführung einer leistungsorientierten Bezahlung wird dazu
führen, dass ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftigte benachteiligt
werden unabhängig davon, wer die Leistung beurteilt und welche Kriterien überhaupt
zugrunde gelegt werden.
5. Der teilweise Wegfall von Überstundenzuschlägen sowie die Erhöhung der
Arbeitszeit für die Bundesbeschäftigten bereits festgeschrieben beinhalten
ebenfalls deutliche Einkommensverluste.
Der Druck auf die Ver.di-Landesbezirke, die 40-Stunden-Woche regional zu vereinbaren, wird immer
stärker werden. Vor dem Hintergrund, dass die von den öffentlichen Arbeitgebern immer wieder
geforderte Arbeitszeitverlängerung immerhin vom Bundesvorstand als Ko-Punkt betrachtet worden war,
spricht das Einknicken der Ver.di-Verhandlungsführer Bände.
Wenn denn überhaupt von Fehlern in der
Verhandlungsführung gesprochen werden kann, so liegen diese in dem naiven Glauben, in einer Zeit der
neoliberalen Offensive des Kapitals in enger Zusammenarbeit mit der de facto großen Koalition
aus SPD/Grünen/CDU/FDP ein neues Tarifwerk zum Abschluss bringen zu können, das vorrangig
positive Elemente für die Beschäftigten beinhaltet.
Aber war das wirklich alles nur eine
Fehleinschätzung der Gewerkschaftsführung? Das zu glauben, käme fast einer Beleidigung der
verantwortlichen Personen und ihrer Intelligenz an der Spitze der größten Einzelgewerkschaft der
westlichen Welt gleich. Eine Analyse der derzeitigen Politik der Ver.di-Führung muss
berücksichtigen, dass spätestens seit Anfang dieses Jahres nicht nur tarifpolitisch, sondern vor
allem auch sozialpolitisch in eklatanter Art und Weise zurückgerudert wird, wo im Jahr 2004 der
Ver.di-Bundesvorstand fast ausschließlich auf Druck der Basis und nicht zuletzt der sozialen
Bewegungen agiert hat und am Widerstand gegen die Agenda 2010 beteiligt war aber auch das nur bis zu
einem gewissen Grad.
Den Führungen der DGB-Gewerkschaften geht
es in erster Linie darum, alles zu unterlassen, was der derzeitigen Regierungskoalition aus SPD und
Grünen schaden könnte. Schließlich stehen Landtagswahlen an, wobei die in Nordrhein-
Westfalen am 22.Mai die bedeutendste ist. Auch die Ver.di-Führung ist zutiefst davon überzeugt,
dass ein Wahlsieg der Unionsparteien eine Potenzierung des Sozialkahlschlags und das Ende der
Tarifautonomie bedeuten würde.
Hinzu kommt, dass die Personen an der Spitze
der Gewerkschaften kaum noch über einen realen Bezug zur Arbeits- und Lebenssituation ihrer Mitglieder
verfügen. Das Gerede über ein modernes und zukunftsgerichtetes Tarifrecht ist nichts als
Nachgeplapper der Worthülsen der Unternehmer, die unter dem Deckmantel der »Modernisierung«
Flexibilisierung, Arbeitsverdichtung und Lohndumping durchsetzen. Und dies das wird immer deutlicher
mit tatkräftiger Unterstützung der Gewerkschaftsvorstände.
Mit dieser Ausverkaufspolitik werden die
Gewerkschaften gegen die Wand gefahren. Sie machen sich überflüssig. Das spüren auch die
abhängig Beschäftigten und ziehen vielfach die die falschen Konsequenzen. Wenn die linken und
fortschrittlichen Kräfte innerhalb der Gewerkschaft nicht bald eine Stärke erreichen, die sie in
die Lage versetzen, das Ruder herumzureißen, sieht die Zukunft der Arbeiterbewegung düster aus.
Wolfgang Zimmermann
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