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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2005, Seite 12

Schweiz

Letzte Grundsicherung zerschlagen

Im Herbst letzten Jahres hat die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe eine grundlegende Reform der Sozialhilfe verabschiedet. Sie steht unter dem Motto »Arbeit soll sich lohnen« und zielt in Richtung »Workfare«.

Unter »Workfare« oder auch »Welfare-to-Work« ist eine staatliche Politik zu verstehen, deren Hauptziel es ist, alle diejenigen langzeitarbeitslosen Personen, die als vermittlungsfähig angesehen werden, möglichst rasch und unter Einsetzung von Zwangsmitteln wieder in Arbeit zu bringen. Mit dem Wechsel zu »Workfare« vollzieht die Schweiz einen Schritt, den viele andere Länder vor ihr gegangen sind — die USA, Kanada und Großbritannien in den 90er Jahren, jetzt auch verschiedene Länder Kontinentaleuropas.
Das Motiv der »Hilfe durch Zwang zur Arbeit« prägt die gesamte Geschichte der neuzeitlichen Armenfürsorge. Die zu Beginn des 17.Jahrhunderts eingeführten Armen- und Arbeitshäuser (»Work Houses«) dienten in erster Linie dem Zweck, die untersten Schichten der Bevölkerung einem Prozess der sozialen Disziplinierung zu unterziehen. Damals ging es darum, die Menschen in die mörderische Manufaktur-, später Industriearbeit zu zwingen. Nach Auschwitz keimte die Hoffnung, jede Form von Arbeitszwang werde gesellschaftlich geächtet bleiben. Die Hoffnung erfüllt sich nicht.

Anfänge des heutigen »Workfare«

Die Anfänge des heute sich global durchsetzenden »Workfare« liegen in den 80er Jahren des 20.Jahrhunderts. Zu den zentralen Katalysatoren zählten die konservative US-Regierung unter Ronald Reagan und die dessen Politik stützenden Veröffentlichungen neokonservativer Denkfabriken. Paradoxerweise waren es dann aber sowohl in den USA als auch in Großbritannien eher sozialdemokratisch orientierte Regierungen, die die neokonservativen Vorgaben landesweit gesetzlich verankerten. Der US- amerikanische Präsident Bill Clinton vollzog den Wechsel zu »Workfare« 1996, Analoges geschah unter Blair in Großbritannien ein Jahr später.
Auch in der Schweiz waren es in der zweiten Hälfte der 90er Jahre primär politisch eher linke Städte wie Basel und Zürich, die zuerst mit »Workfare«-Modellen experimentierten und am stärksten Druck machten für die jetzt beschlossene »Reform« der Sozialhilfe.
Für die Politik liegt die Attraktivität von »Workfare« liegt darin, dass sie damit die sozialen Probleme, die infolge der zunehmend ungleichen gesellschaftlichen Verteilung der Ressourcen drastisch zunehmen, individualisieren kann. Mit »Workfare« werden die Ursachen für Armut und Arbeitslosigkeit auf die von Arbeitslosigkeit Betroffenen projiziert. Es wird der Glaube genährt, die Probleme liessen sich dadurch lösen, dass man zusätzlichen Druck auf die unmittelbar Betroffenen ausübe. Die Langzeitarbeitslosen werden zu Sündenböcken gemacht für die krisenhafte politische Ökonomie.
»Workfare« zielt in Wirklichkeit nicht auf die Senkung der Arbeitslosigkeit, sondern darauf, Menschen der untersten Bevölkerungsschichten — ob erwerbslos oder nicht — mobil und gefügig zu machen. Hierfür muss die Sozialhilfe als letzte Basissicherung zerschlagen werden. Außerhalb der entfremdeten Arbeit soll es keine Rückzugsorte mehr geben dürfen.

Umsetzung in der Schweiz

Mit der schweizerischen Sozialhilfereform werden die bisherigen Sozialhilfeleistungen generell um 7% gekürzt. Wird die Teilnahme an Beschäftigungsmaßnahmen verweigert, kann es zu weiteren Kürzungen bis hin zur Einstellung der Leistungen kommen. Das absolute Existenzminimum für eine alleinstehende Person und bezogen auf die Deckung des sog. Grundbedarfs (für Nahrung, Kleider, Körperpflege, Freizeit usw.) ohne Wohnungskosten und ohne medizinische Versorgung wird auf 530 Euro im Monat festgelegt, wobei die Lebenshaltungskosten in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland höher sind.
In einem Evaluationsbericht, der die Grundlage für die schweizerische Sozialhilfereform bildet, wird explizit festgehalten, eine »anreizkompatible Sozialhilfe für Erwerbsfähige« impliziere, »dass die Sozialhilfe für nicht erwerbstätige, aber als erwerbsfähig eingestufte Sozialhilfeempfänger auf ein Niveau reduziert werden sollte, das mittelfristig nicht existenzsichernd ist«. Dazu wird es nun auch in der Schweiz kommen — die letzte Basissicherung, die von der Sozialhilfe bisher noch einigermassen garantiert war, wird nun zerschlagen.
Künftig wird es so sein, dass Personen, die als erwerbsfähig eingestuft werden, aber nicht bereit sind, an einer sog. zumutbaren Maßnahme (Beschäftigungsprogramme, Weiterbildungsmaßnahmen usw.) teilzunehmen, in ein Existenzminimum gezwungen werden, das — wie im obigen Zitat angedeutet — nicht existenzsichernd ist. Damit verbindet sich die historisch nur zu gut bekannte Einteilung der Menschen in sog. »würdige Arme« und »unwürdige Arme«, eine Einteilung, die vor zwanzig, dreißig Jahren noch abgeschafft werden sollte.
Die Folgen einer solchen Politik liegen auf der Hand. Dadurch, dass den von Armut betroffenen Menschen keine Basissicherung mehr offen steht, können sie leicht in prekärste Arbeitsverhältnisse gezwungen werden. Wer sich für bessere Arbeitsverhältnisse zur Wehr setzt, riskiert nicht nur, aus dem Beschäftigungsprogramm respektive Job geschmissen zu werden, sondern gleichzeitig, vor dem Nichts zu stehen. Und wer vor dem Nichts steht, wird versuchen, sich irgendwie anders durchzuschlagen, worauf von Seiten der Behörden sofort mit einer Verschärfung des Strafrechts reagiert wird. Mit »Workfare« gehen in aller Regel Kampagnen im Sinne der New Yorker »Zero Tolerance« einher.
Die internationalen Erfahrungen belegen, dass mit der Politik des »Workfare«der Anteil der Armen steigt, auch die Zahl jener, die erkranken und unter Umständen schon in jungen Jahren mit einer körperlichen Behinderung leben müssen ebenso, oder die mit dem Strafrecht in Konflikt geraten.
»Workfare« richtet sich gegen die Armen. Wo die Betroffenen mit pauschalen Vorurteilen eingedeckt werden (»faul«, »passiv«, »renitent«, »machen sich ein schönes Leben«), wird die Menschenwürde von vornherein missachtet. Neue Perspektiven entstehen so weder für die Betroffenen noch für die Gesellschaft als Ganzes. Die Aussichten sind wirklich nicht gut.

Kurt Wyss

Kurt Wyss ist in Zürich als freiberuflicher Soziologe tätig.



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