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Im Herbst letzten Jahres hat die Schweizerische Konferenz für
Sozialhilfe eine grundlegende Reform der Sozialhilfe verabschiedet. Sie steht unter dem Motto »Arbeit
soll sich lohnen« und zielt in Richtung »Workfare«.
Unter »Workfare« oder auch »Welfare-to-Work« ist eine staatliche Politik zu
verstehen, deren Hauptziel es ist, alle diejenigen langzeitarbeitslosen Personen, die als
vermittlungsfähig angesehen werden, möglichst rasch und unter Einsetzung von Zwangsmitteln wieder
in Arbeit zu bringen. Mit dem Wechsel zu »Workfare« vollzieht die Schweiz einen Schritt, den
viele andere Länder vor ihr gegangen sind die USA, Kanada und Großbritannien in den 90er
Jahren, jetzt auch verschiedene Länder Kontinentaleuropas.
Das Motiv der »Hilfe durch Zwang zur
Arbeit« prägt die gesamte Geschichte der neuzeitlichen Armenfürsorge. Die zu Beginn des
17.Jahrhunderts eingeführten Armen- und Arbeitshäuser (»Work Houses«) dienten in erster
Linie dem Zweck, die untersten Schichten der Bevölkerung einem Prozess der sozialen Disziplinierung zu
unterziehen. Damals ging es darum, die Menschen in die mörderische Manufaktur-, später
Industriearbeit zu zwingen. Nach Auschwitz keimte die Hoffnung, jede Form von Arbeitszwang werde
gesellschaftlich geächtet bleiben. Die Hoffnung erfüllt sich nicht.
Die Anfänge des heute sich global durchsetzenden »Workfare« liegen in den 80er Jahren des
20.Jahrhunderts. Zu den zentralen Katalysatoren zählten die konservative US-Regierung unter Ronald
Reagan und die dessen Politik stützenden Veröffentlichungen neokonservativer Denkfabriken.
Paradoxerweise waren es dann aber sowohl in den USA als auch in Großbritannien eher sozialdemokratisch
orientierte Regierungen, die die neokonservativen Vorgaben landesweit gesetzlich verankerten. Der US-
amerikanische Präsident Bill Clinton vollzog den Wechsel zu »Workfare« 1996, Analoges
geschah unter Blair in Großbritannien ein Jahr später.
Auch in der Schweiz waren es in der zweiten
Hälfte der 90er Jahre primär politisch eher linke Städte wie Basel und Zürich, die
zuerst mit »Workfare«-Modellen experimentierten und am stärksten Druck machten für die
jetzt beschlossene »Reform« der Sozialhilfe.
Für die Politik liegt die
Attraktivität von »Workfare« liegt darin, dass sie damit die sozialen Probleme, die infolge
der zunehmend ungleichen gesellschaftlichen Verteilung der Ressourcen drastisch zunehmen, individualisieren
kann. Mit »Workfare« werden die Ursachen für Armut und Arbeitslosigkeit auf die von
Arbeitslosigkeit Betroffenen projiziert. Es wird der Glaube genährt, die Probleme liessen sich dadurch
lösen, dass man zusätzlichen Druck auf die unmittelbar Betroffenen ausübe. Die
Langzeitarbeitslosen werden zu Sündenböcken gemacht für die krisenhafte politische
Ökonomie.
»Workfare« zielt in Wirklichkeit
nicht auf die Senkung der Arbeitslosigkeit, sondern darauf, Menschen der untersten
Bevölkerungsschichten ob erwerbslos oder nicht mobil und gefügig zu machen.
Hierfür muss die Sozialhilfe als letzte Basissicherung zerschlagen werden. Außerhalb der
entfremdeten Arbeit soll es keine Rückzugsorte mehr geben dürfen.
Mit der schweizerischen Sozialhilfereform werden die bisherigen Sozialhilfeleistungen generell um 7%
gekürzt. Wird die Teilnahme an Beschäftigungsmaßnahmen verweigert, kann es zu weiteren
Kürzungen bis hin zur Einstellung der Leistungen kommen. Das absolute Existenzminimum für eine
alleinstehende Person und bezogen auf die Deckung des sog. Grundbedarfs (für Nahrung, Kleider,
Körperpflege, Freizeit usw.) ohne Wohnungskosten und ohne medizinische Versorgung wird auf 530 Euro im
Monat festgelegt, wobei die Lebenshaltungskosten in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland höher
sind.
In einem Evaluationsbericht, der die Grundlage
für die schweizerische Sozialhilfereform bildet, wird explizit festgehalten, eine
»anreizkompatible Sozialhilfe für Erwerbsfähige« impliziere, »dass die Sozialhilfe
für nicht erwerbstätige, aber als erwerbsfähig eingestufte Sozialhilfeempfänger auf ein
Niveau reduziert werden sollte, das mittelfristig nicht existenzsichernd ist«. Dazu wird es nun auch
in der Schweiz kommen die letzte Basissicherung, die von der Sozialhilfe bisher noch einigermassen
garantiert war, wird nun zerschlagen.
Künftig wird es so sein, dass Personen,
die als erwerbsfähig eingestuft werden, aber nicht bereit sind, an einer sog. zumutbaren Maßnahme
(Beschäftigungsprogramme, Weiterbildungsmaßnahmen usw.) teilzunehmen, in ein Existenzminimum
gezwungen werden, das wie im obigen Zitat angedeutet nicht existenzsichernd ist. Damit
verbindet sich die historisch nur zu gut bekannte Einteilung der Menschen in sog. »würdige
Arme« und »unwürdige Arme«, eine Einteilung, die vor zwanzig, dreißig Jahren noch
abgeschafft werden sollte.
Die Folgen einer solchen Politik liegen auf
der Hand. Dadurch, dass den von Armut betroffenen Menschen keine Basissicherung mehr offen steht,
können sie leicht in prekärste Arbeitsverhältnisse gezwungen werden. Wer sich für
bessere Arbeitsverhältnisse zur Wehr setzt, riskiert nicht nur, aus dem Beschäftigungsprogramm
respektive Job geschmissen zu werden, sondern gleichzeitig, vor dem Nichts zu stehen. Und wer vor dem
Nichts steht, wird versuchen, sich irgendwie anders durchzuschlagen, worauf von Seiten der Behörden
sofort mit einer Verschärfung des Strafrechts reagiert wird. Mit »Workfare« gehen in aller
Regel Kampagnen im Sinne der New Yorker »Zero Tolerance« einher.
Die internationalen Erfahrungen belegen, dass
mit der Politik des »Workfare«der Anteil der Armen steigt, auch die Zahl jener, die erkranken und
unter Umständen schon in jungen Jahren mit einer körperlichen Behinderung leben müssen
ebenso, oder die mit dem Strafrecht in Konflikt geraten.
»Workfare« richtet sich gegen die
Armen. Wo die Betroffenen mit pauschalen Vorurteilen eingedeckt werden (»faul«,
»passiv«, »renitent«, »machen sich ein schönes Leben«), wird die
Menschenwürde von vornherein missachtet. Neue Perspektiven entstehen so weder für die Betroffenen
noch für die Gesellschaft als Ganzes. Die Aussichten sind wirklich nicht gut.
Kurt Wyss
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