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In den westlichen Medien sind die Wahlen im Irak als das Verdienst der Bush-
Administration dargestellt worden. Damit wurde versucht, den Krieg noch im nachhinein zu legitimieren, denn
er habe sein Ziel erreicht, den rückständigen Muslimen die Demokratie zu bringen. Welch eine
Heuchelei!
Tatsache ist, dass die Demokratie für die Bush-Administration nie mehr als ein Hilfsargument
bei ihrem Versuch gewesen ist, die Kontrolle über das strategisch so wichtige Gebiet zwischen dem
Arabischen Golf und Zentralasien zu erlangen ein Vorwand unter anderen wie zum Beispiel
Massenvernichtungswaffen oder Al Qaeda. Die meisten Träger US-amerikanischen Einflusses in dieser
Region sind despotische Regimes vom ältesten Verbündeten Washingtons, dem saudischen
Königreich, angefangen, über so große Helden der Demokratie wie die Generäle Mubarak in
Ägypten oder Musharraf in Pakistan, bis zu den jüngsten Verbündeten, den Polizeistaaten in
den postsowjetischen, halbmafiösen Republiken wie Aserbaidschan, Kirgistan, Usbekistan.
Washington befürwortet Wahlen immer dann
und nur dann, wenn seine Gefolgsmänner Chancen haben, sie zu gewinnen. Als Arafat Wahlen in den
palästinensischen Gebieten forderte, um Bushs und Sharons Zweifeln an seiner Legitimität
entgegenzutreten, wurden sie kategorisch abgelehnt, denn es war klar, dass Arafat sie haushoch gewinnen
würde. Erst nach seinem Tod willigten sie ein, nicht ohne sie massiv zu beeinflussen, indem sie den
einen Kandidaten unter Druck setzten, seine Kandidatur zurückzuziehen, andere schikanierten und
unverhohlen für den Mann ihrer Wahl warben wie Blair, als er Abu Mazen besuchte.
Im Irak war die US-amerikanische Besatzung von Anfang damit konfrontiert, dass ihre Invasion ein
Machtvakuum geschaffen hatte. Es wurde durch Paul Bremers an den Neokonservativen inspirierten Versuch,
auch noch die letzten Überreste des Baath-Apparats abzubauen, noch vergrößert. Washington
stand vor einem »Demokratie-Paradox« (Samuel Huntington), weil die übergroße Mehrzahl
der arabischen Irakis einer US-Kontrolle über ihre Land feindlich gegenüber standen und stehen;
jede wirklich repräsentative und demokratisch gewählte Regierung im Irak wird versuchen, die
Besatzer los zu werden.
Dieses »Paradox« hat zu einem
anderen geführt: Die USA, Fahnenträger der Demokratie, die den Irak nur aus altruistischen
Gründen besetzt haben, um den rückständigen Muslims die Demokratie zu bringen, haben
versucht, die Durchführung der Wahlen so weit wie möglich hinauszuschieben.
Ursprünglich wollten sie den Wahlen die
Ernennung einer verfassungsgebenden Versammlung vorschalten deren Mitglieder wären von der
Besatzungsbehörde ernannt worden, und die USA hätten die Verfassung in ihren Grundzügen
selber geschrieben. Das wollte Prokonsul Bremer im Juni 2003 nur wenige Wochen nach dem Ende der Invasion
durchsetzen. Dem widersetzte sich kein anderer als einer der traditionalistischsten Vertreter der
moslemischen Geistlichkeit im Irak, Großayatollah Ali al-Husseini al-Sistani.
Die Konfrontation zwischen den beiden
Männern eskalierte so weit, dass der Ayatollah zu Massendemonstrationen aufrief, um gegen die Besatzer
freie Wahlen durchzusetzen: Im Januar 2004 strömte eine große Menge von Menschen auf die
Straßen zahlreicher irakischer Städte, vor allem in den schiitischen Gebieten, und
Hunderttausende riefen: »Wahlen ja, Ernennung nein.«
Sicherlich hatte der Ayatollah seine eigenen
Gründe, die ebensowenig mit reiner Anhänglichkeit an die Demokratie zu tun haben wie bei Bush und
Bremer. Seine Rechnung war einfach: Die Schiiten stellen die große Mehrzahl der irakischen
Bevölkerung, fast zwei Drittel, dennoch sind sie immer von verschiedenen despotischen Machthabern
unterdrückt worden. Die Abhaltung von Wahlen gäbe den Schiiten die Legitimität, dass sie
einmal die Geschicke des Landes bestimmen. Wahlen sind der beste Hebel für die Schiiten, nach dem
Mehrheitsgesetz zu regieren und gleichzeitig die Kräfteverhältnisse innerhalb der schiitischen
Gemeinde auszutarieren. Denn es gibt eine politisch einheitliche schiitische Bewegung im Irak genauso wenig
wie im Iran unter der Führung von Khomeini. Sistani, der sich Khomeinis Doktrin von der
»Führung der Rechtsgelehrten« eine Umschreibung der vertikalen Herrschaftsordnung des
schiitischen Klerus nie zu eigen gemacht hat, wird dennoch darauf achten, dass Gesetze und Regeln
durchgesetzt werden, die mit dem islamischen Recht konform gehen (der Scharia, seinen eigenen sehr
rigorosen Fatwas usw.). In der Frage ist auch Sistani kompromisslos.
Bremer musste den Rückzug antreten, aus Angst vor einem Massenaufstand, der demokratische
Forderungen gegen die USA erheben würde, was Washingtons letzten Vorwand für die Besetzung des
Irak zunichte gemacht hätte. Um seine Gesicht zu wahren, ließ Bremer sich auf eine Vermittlung
durch die UN ein und mußte widerstrebend zustimmen, dass die Wahlen nicht später als Ende Januar
2005 abgehalten würden.
Wären die Wahlen gleich in den ersten
Monaten nach der Invasion durchgeführt worden, wie Sistani gefordert hatte, hätten sie viel
geordneter stattgefunden, es hätten sich alle an ihnen beteiligt und wären von allen anerkannt
worden. Washington hätte es dann mit einer unbestritten legitimen Regierung zu tun gehabt, die
verlangt hätte, dass die USA ihre Truppen aus dem Irak zurückziehen. Das aber wollte Bremer
verhindern, deshalb argumentierte er scheinheilig, es gebe keine Wählerlisten und es werde lang
dauern, bis sie erstellt wären. Sistani antwortete, die Essenskarten und Nahrungsmittellisten, die
unter UN-Kontrolle erstellt wurden, könnten sehr gut für diesen Zweck benutzt werden. Die
Besatzer stimmten dem zu aber mit einer Verzögerung von über einem Jahr, in dem die Lage
im Irak zusehends schlimmer wurde.
In einem gewissen Sinn ist die US-Besatzung
daran schuld. Nachdem Washington bereit war, Wahlen durchzuführen, revidierte es seine Irakpolitik und
führte einen bösartigen Angriff gegen die bekanntesten Rebellen im Land die Allianz aus
Fundamentalisten, Nationalisten und Baathanhängern in der sunnitischen Stadt Fallujah und die
fundamentalistische Schiitenbewegung um Moqtada al-Sadr. Der CIA-Kollaborateur Allawi ersetzte im Juni 2003
den Spezi der Neokonservativen, Khalabi, rief den Ausnahmezustand aus, führte die Todesstrafe wieder
ein und gab den US-Militäroperationen eine irakische Rückendeckung.
Der zweite Angriff auf Fallujah unmittelbar
nach den Wahlen in den USA machte eigentlich keinen Sinn, weil die US-Regierung zu dem Zeitpunkt nicht mehr
hoffen konnte, durch Militäreinsatz die Gewalttätigkeiten im Land zu unterbinden. Es gibt aber
ernste Gründe anzunehmen, dass mit dem Angriff in Wirklichkeit bezweckt war, die Situation im Irak
weiter zu chaotisieren, um die Legitimität der Wahlen am 30.Januar herabzusetzen.
Washington spielte ein doppeltes Spiel: Auf
der einen Seite beteuerten Bush und seine Helfershelfer im Irak ihre Entschlossenheit, am Wahltermin
festzuhalten. Auf der anderen Seite unterstützte die »Partei« Allawis ein Bündnis
sunnitischer Gruppen, die mit saudischen Wahabiten in Verbindung stehen, in der Forderung, die Wahlen zu
verschieben.
Der sog. irakische Widerstand ist ein heterogenes Konglomerat von Kräften, von denen viele rein
lokale Bedeutung haben. Zum größten Teil sind es Menschen, die gegen die harte Besatzung ihres
Landes und ihre irakischen Helfershelfer aufbegehren. Ein anderer Teil setzt sich jedoch aus
reaktionären Fanatikern zusammen, darunter viele islamische Fundamentalisten, die keine Unterscheidung
machen zwischen Zivilisten, auch irakischen, und bewaffneten Kräften, und Gräueltaten
verüben wie die Enthauptung asiatischer Wanderarbeiter oder die Entführung/Ermordung von
Menschen, die in keiner Weise der Sache der Iraker gegenüber feindselig eingestellt sind. In
Washington werden ihre Anschläge wiederum als Argument benutzt, um die weitere Präsenz der US-
Truppen zu legitimieren.
Jede undifferenzierte Unterstützung des
»irakischen Widerstands« als solchen ist in westlichen Ländern, wo eine Antikriegsbwegung
dringend gebraucht wird, deshalb hochgradig kontraproduktiv und falsch, selbst wenn sie von guten Absichten
getragen ist. Es muss deutlich unterschieden werden zwischen Aktionen, die sich gegen die Besatzung
richten, und illegitimen Aktionen sog. »Widerstandsgruppen«. Ein sehr klarer Fall sind die
sektiererischen Angriffe der Gruppe al-Zarqawi gegen die Schiiten.
Bewaffneter Widerstand ist auch nicht alles:
Die Strategie, die im Kampf gegen die Besatzung bisher die meisten Früchte getragen hat, war die von
Sistani gegen die Versuche, die Wahlen zu verzögern und zu delegitimieren. Ein zentraler Punkt im
Wahlprogramm seiner Liste ist die Aufnahme von Verhandlungen über den Abzug der ausländischen
Truppen.
Gilbert Achcar
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