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Im brasilianischen Porto Alegre ging am 31.Januar das V.Weltsozialform (WSF)
zu Ende. Wie bereits im Vorjahr spielten der US-Krieg gegen den Irak und die israelische Besatzungspolitik
in Palästina eine herausragende Rolle in den Diskussionen und verschiedenen Aktionen auf dem
weitläufigen Forumsgelände, das eine Zeltstadt für über 150.000 Teilnehmenden
beherbergte. Auch die Solidarität mit Venezuela und Kuba, die von den USA bedroht werden, spielte auf
dem von lateinamerikanischen Teilnehmenden dominierten Forum eine große Rolle.
Die Versammlung der sozialen Bewegungen zum Abschluss des WSF hat sich auf globale Aktionstage
gegen Krieg und Besatzung am 19. und 20.März geeinigt. Einiges deutet daraufhin, dass die
Mobilisierung gegen den US-Krieg in Nahost neuen Schwung bekommen wird. Eine wichtige Rolle wird für
die sozialen Bewegungen auch die Ministertagung der Welthandelsorganisation WTO im Dezember in Hongkong
spielen. Dazu wird vor allem in Ost- und Südostasien stark mobilisiert werden. Des weiteren rief die
Versammlung dazu auf, sich an den Protesten der indigenen Völker und des Welfrauenmarsches zu
beteiligen. Letzterer soll am 8.März in Brasilien starten und am 17.Oktober in Burkina Faso enden.
Thema wird unter anderem der Kampf gegen Frauenhandel sein.
Rund 2400 Diskussionsrunden, Workshops und
ähnliches hat es in diesem Jahr gegeben, wobei weitgehend auf zentrale Großveranstaltungen
verzichtet wurde, sieht man einmal von der Auftaktdemo mit mindestens 150.000 Menschen und
anschließendem Konzert ab. In den Veranstaltungen ging es um Themen wie Menschenrechte, Privatisierung
der Wasserversorgung, Solidarität mit den Tsunami-Opfern, gewerkschaftliche Kämpfe, Probleme der
Kleinbauern mit Freihandelsabkommen, um die drohenden und aktuellen Kriege von Kolumbien bis
Tschetschenien, von Palästina über Irak bis Nordkorea, und vieles mehr.
Auffällig war die verbreitete Kritik an Brasiliens Staatspräsident Luis Inácio
»Lula« da Silva von der linken Arbeiterpartei (PT). Auf einer der wenigen größeren
Podiumsdiskussionen wurde Lulas Minister Luiz Dulci reichlich ausgebuht, als er versuchte, die Politik
seiner Regierung zu verteidigen. Nach zwei Jahren im Amt ist Lula inzwischen bei Brasiliens sozialen
Bewegungen nicht mehr besonders beliebt. Er regiere im Interesse der Reichen, heißt es z.B. bei der
Gewerkschaft der Justizangestellten. Sein Programm der Hungerbekämpfung sei gescheitert.
Auch unter ausländischen WSF-Teilnehmern
regte sich Widerspruch. Lula sei der »Liebling Washingtons«, meinte Walden Bello, Direktor des
globalisierungskritischen Instituts Focus on the Global South in Bangkok. »Lula hat sich zum Partner
von EU und USA gemacht und die WTO-Verhandlungen wieder in Gang gesetzt.«
Im Anschluss an das Forum trafen sich Vertreter von rund zwei Dutzend radikal-sozialistischen Parteien
aus aller Welt zum Meinungsaustausch. Gekommen waren Parteien, die verschiedenen internationalen
trotzkistischen Strömungen angehören, aber auch viele, die nicht in dieses Schema passen, wie der
portugiesische Linksblock oder die Revolutionäre Arbeiterpartei von den Philippinen. Zum ersten Mal
hatte man sich vor einem Jahr am Rande des Weltsozialforums in Mumbai (Bombay) getroffen. Die Initiative
war seinerzeit von der Europäischen Antikapitalistischen Linken, einem vergleichbaren
Parteienbündnis in Europa, und der Communist Party of India (Marxist-Leninist [Liberation])
ausgegangen.
In der Diskussion zeigte sich, dass die
Gewichte unterschiedlich gesetzt werden. Während Chris Harman von der Socialist Workers Party (SWP)
aus Großbritannien den Widerstand gegen den Krieg im Irak zum zentralen Anliegen aller machen wollte,
wiesen verschiedene andere Parteien auf die Rolle der aktuellen Verteidigungskämpfe der
Lohnabhängigen hin, ohne damit die herausragende Bedeutung des Kampfes gegen die US-Aggressionen in
Frage stellen zu wollen. Die meisten Anwesenden darunter Vertreter aus Thailand, Südkorea,
Griechenland, Chile, Südafrika und verschiedenen westeuropäischen Ländern waren sich
einig, dass beim diesjährigen Forum die antikapitalistische Stimmung eher zugenommen habe. Andere wie
Harman sahen reformistische Kräfte am Werk, die den Foren den antikapitalistischen Zahn ziehen wollen.
Man verabredete, die Kommunikation untereinander zu verstärken und eventuell im nächsten Jahr
eine internationale Konferenz abzuhalten.
Das Weltsozialforum wird 2006 zum ersten Mal dezentral abgehalten. Ursprünglich hatte der
Internationale Rat des Forums, in dem rund 130 Organisationen aus aller Welt vertreten sind, beschlossen,
erst 2007 wieder zu tagen, und zwar in Afrika. Jetzt setzte sich jedoch vorerst die Ansicht durch, man
dürfe angesichts der Barbarei von Krieg und Neoliberalismus nicht nachlassen. Entsprechend werden in
einem Jahr auf verschiedenen Kontinenten simultan Foren abgehalten, die über Videokonferenzen und
ähnliches miteinander kommunizieren sollen. Bisher steht nur Caracas als Austragungsort fest, die
anderen werden auf der nächsten Ratssitzung im April festgelegt. In der Diskussion sind unter anderem
Marokko, Indien und Pakistan.
Die Dezentralisierung ist sicherlich zu
begrüßen. Sie mindert die Reisekosten, macht den Forumsprozess vielfältiger und damit
weniger steuerbar für Prominente und Strategen aller Art, vor allem aber macht sie die Foren
zugänglicher für die Basis der sozialen Bewegungen aus aller Welt. Die hat nämlich in Porto
Alegre sieht man einmal von Lateinamerika ab weitgehend gefehlt. Einmal mehr waren in Porto
Alegre Osteuropa, Asien und Afrika unterrepräsentiert. Nur kleine Delegationen waren aus einigen
afrikanischen Ländern oder von den unglaublich vielfältigen sozialen Bewegungen Indiens
vertreten.
Aus China, dem bevölkerungsreichsten Land
des Planeten, das zudem schon bald zum bestimmenden Faktor der Weltwirtschaft werden dürfte, war nur
eine Hand voll Akademiker gekommen. In die meist benutzte Sprache des Planeten, Putonghua (Hoch-
Chinesisch), wurde nicht einmal übersetzt. Ohne Zweifel war Porto Alegre wieder einmal vor allem ein
Forum der europäischen Sprachen. Das ist nicht leicht zu ändern, denn wer kann sich in einer
Welt, in der noch immer täglich Abertausende Kinder an Armut, Hunger und schmutzigem Wasser sterben,
einen Flug um die halbe Welt leisten? Diejenigen, die die Subjekte der »anderen, möglichen
Welt« sein müssen, meist nicht.
Eine Dezentralisierung könnte die
Repräsentativität deutlich verbessern. Ein Teilforum im Maghreb (Nordwestafrika) könnte
zudem einen wertvollen Brückenschlag zwischen den sozialen Bewegungen der arabischen Welt, von denen
in Porto Alegre ebenfalls kaum etwas zu sehen war, und Europa bilden.
Eins ist jedoch sicher: Die Weltsozialforumsbewegung, so diffus und vielschichtig sie auch erscheinen
mag, ist quicklebendig und zudem reichlich resistent gegen allerlei Vereinnahmungs- und
Zähmungsversuche. Wie sehr die Teilnehmerschaft von (lateinamerikanischen) Basisaktivisten mit
geringem Budget geprägt war, zeigt unter anderem die Tatsache, dass in der ganzen Stadt die Turnhallen
belegt waren, zum Teil sogar überfüllt. Auch das Jugendcamp hat noch einmal rund 30.000 nicht nur
jugendliche Menschen aufgenommen. Die Vertreter europäischer und nordamerikanischer NGOs und der
Gewerkschaftsapparate haben die Hotels und zum Teil auch die Programmhefte gefüllt, in der Masse der
Teilnehmer hingegen waren sie fast eine Randerscheinung.
Man mag sich also ärgern, dass z.B.
Deutschland hauptsächlich durch Gewerkschaftsfunktionäre und über Stiftungen von Parteien
vertreten war und bspw. die Sozialbündnisse und Montagsdemonstranten gänzlich fehlten. Aber Grund
zur Sorge für die Zukunft des Weltsozialforums gibt es nicht.
Allerdings muss man sich in Deutschland
unbedingt überlegen, wie die hiesigen sozialen Kämpfe bspw. gegen Hartz IV und Co.
besser mit den internationalen Bewegungen zu verbinden sind. Auch die deutsche Friedensbewegung könnte
sich auf den Sozialforen mehr einbringen, die ja immerhin in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle in
der Entwicklung des internationalen Protests gegen die US-amerikanischen Aggressionen gespielt haben.
Der große Star des diesjährigen Weltsozialforums war Venezuelas Präsident Hugo
Chávez, dem auf der neben Auftakt und Abschluss einzigen Großveranstaltung rund
40.000 Menschen zujubelten. Brasiliens Präsident Lula war zwei Jahre zuvor kurz nach seiner Wahl noch
ein ähnlicher Empfang bereitet worden, doch dieses Jahr fiel der vergleichsweise frostig aus.
»7:0 für Chávez« titelte eine brasilianische Zeitung, die die Zahl der stehenden
Ovationen gezählt hatte. Chávez Politik ist offensichtlich für viele Aktive in
Lateinamerika die ganz große Hoffnung.
Die rasche Abwendung von Lula, dem
Langzeitidol der brasilianischen Bewegungen, die bereits in eine beachtliche Austrittswelle aus der PT
gemündet ist, zeigt hingegen, dass die Begeisterung keineswegs blind ist, wie unterkühlte
deutsche Skeptiker meinen könnten. Der Jubel für Chávez hält die lateinamerikanische
Linke nicht davon ab, genauer hinzuschauen. Die Gefahr der Vereinnahmung ist also eher gering.
Eine andere Konfliktlinie verläuft
entlang der Frage »Politische Plattform oder offener Raum?« Den Sozialforen wird sowohl von
außen als auch von einem Teil der Organisatoren in letzter Zeit verstärkt vorgeworfen, sie
hätten kein politisches Profil, es bedürfe einer gemeinsamen Plattform, um die Bewegungen zu
einem globalen Akteur zu machen. Einige prominente Intellektuelle hauptsächlich
»Männer europäischer Abstammung«, wie eine Kritikerin anmerkte haben daher in
Porto Alegre einen Vorstoß unternommen, um eine entsprechende Plattform einzubringen. Die Initiative
stieß allerdings nicht nur auf Gegenliebe.
Zweierlei wird von denjenigen, die mehr Profil fordern, übersehen: Zum einen bietet das Forum schon
jetzt jede Menge Raum für internationale Aktionsnetzwerke aller Art, von denen manch eines durch die
Sozialforen entstanden ist. Kampagnen werden diskutiert und vorbereitet, gemeinsame Schwerpunkte
festgelegt, wichtige Informationen und Erfahrungen ausgetauscht. In den Versammlungen der sozialen
Bewegungen, die regelmäßig zum Ende des Weltforums und der kontinentalen Foren abgehalten werden,
münden diese Diskussionen in eine gemeinsame Erklärung. Es ist keine Erklärung des
Sozialforums, aber von jenen, die gemeinsame Kampagnen und Aktionen wollen.
In der politischen Praxis spielt dieser feine
Unterschied kaum eine Rolle, aber für die Vitalität der Foren ist er wichtig, um sich nicht in
unnötigen Grabenkämpfen über die Details inhaltlicher Erklärungen zu verlieren. Zum
anderen ist fraglich, welchen Wert eine programmatische Erklärung des Forums hätte. Der
legendäre globale Aktionstag am 15.Februar 2003, als in aller Welt rund 15 Millionen Menschen gegen
den damals noch bevorstehenden Angriff auf den Irak auf die Straßen gingen, brauchte kein
ausformuliertes Programm.
Die Forderungen »Nie wieder Krieg!«
und die Ablehnung der US-geführten Aggression hat spontan Dutzende Millionen Menschen in aller Welt
vereinigt. Wichtig war das Wissen voneinander und die zeitliche Koordination der Aktionen, was durch die
Sozialforen und das Internet ermöglicht wurde.
Bei anderen Themen mag das Entstehen eines
solchen internationalen Bewusstseins schwieriger sein. Aber wichtig dafür sind vor allem der Austausch
von Erfahrungen und Informationen sowie grenzüberschreitende Kommunikation, die nicht nur einigen
Funktionären, sondern allen Interessierten offen steht. Diesen Rahmen bieten die Foren und der kann
durch kein Programm ersetzt werden.
Wolfgang Pomrehn
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