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Während die globalen Sozialkahlschlagsarmeen sich daran machen, nun auch
die Schützengräben der bundesrepublikanischen Zivilgesellschaft zu überrennen, kommt es zu
unerwarteten Scharmützeln um längst gewonnen geglaubte ideologische Unterstände. Können
sie der neoliberalen Phalanx bisher auch nichts Vergleichbares entgegensetzen, so sind es doch erstaunlich
viele Deperados, die sich in das feuilletonistische Gefecht stürzen, um die Wunderwaffen ihrer
selbstgefertigten Utopien zu erproben in jüngster Zeit bot ihnen u.a. der Freitag ein
Manöverfeld in seinem Pressemarktsegment.
Bei allem Erfindungsgeist der Protagonisten,
sieht man sich ihre Baupläne näher an, so wird man entweder an den marxistischen Klassiker
»Sozialismus oder Barbarei« oder an Kropotkins »Wohlstand für alle« erinnert. So
oder so, am Ende muss eine Debatte um soziale Utopien immer zwei Dinge in den Blick bekommen: Erstens gilt
es, Lohnarbeiter und sozial Marginalisierte da abzuholen, wo sie sind. Welche konkreten sozialen
Auseinandersetzungen stehen auf der Tagesordnung und inwieweit schaffen sie neue Hoffnungen auf
gesellschaftliche Umwälzungen? Zweitens gilt es, sich von jedwedem falsch verstandenen Bilderverbot zu
lösen und die eigenen Vorstellungen von einer sozialen Alternative permanent zu aktualisieren. Wie
soll eine neue soziale Alternative nach allen bisherigen Erfahrungen in groben Zügen aussehen?
Allgemeine Charakteristika sind
herauszuarbeiten, die sich wiederum in konkreten Forderungen widerspiegeln, die beim derzeitigen
Bewusstseinsstand ansetzen. Da die Diskussion beider Fragen den Rahmen des hier Möglichen sprengen
würde, soll im Folgenden nur die letzte erörtert werden.
Die Suche nach allgemeingültigen
Merkmalen einer sozialen Alternative wirft im Grunde folgende zentrale Fragen auf: Welche Voraussetzungen
müssen erfüllt sein, damit Menschen gesellschaftliche Entscheidungsprozesse real überhaupt
beeinflussen können? Was motiviert uns, uns sowohl im eigenen Interesse als auch im Sinne der
Wohlfahrt aller zu engagieren? Die dominanten Angebote in den Debatten um soziale Utopien müssen sich
daran messen lassen, ob sie auf diese Fragen eine schlüssige Antwort geben können oder nicht.
Hier sei auf ein paar Ansätze eingegangen, die sich in den letzten Jahren innerhalb der Linken in
Deutschland einer gewissen Beliebtheit erfreut haben.
Im Umfeld von Dritte-Welt-Gruppen sind nach wie vor kulturrevolutionäre Vorstellungen virulent,
nach denen das Motivationsproblem durch eine permanente politisch-moralische Mobilmachung im Sinne bspw.
Che Guevaras gelöst werden soll. Man ist immer wieder erstaunt, wie hartnäckig sich Vorstellungen
von der Formung eines »neuen Menschen« per pädagogischer Einflussnahme in den Köpfen
halten. Unterschätzt wird die Macht des Faktischen. Wo es eine Mehrheit gibt, die mobilisiert wird,
muss es nun einmal eine Minderheit geben, die mobilisiert. Da unter solchen gesellschaftlichen Bedingungen
das soziale Privileg der letzteren vom Ausmaß ihres Erziehungsauftrags abhängt, wird sie
beständig darum bemüht sein, alle und jeden zu entmündigen. Die permanente
bürokratische Gängelung ist die logische Konsequenz, wie die Erfahrungen des Staatssozialismus
sowjetischen Typs zeigen. Unter den Bedingungen der Erziehungsdiktatur muss bald schon jede Form von
Eigeninitiative im Interesse der Allgemeinheit erlöschen.
Sahra Wagenknecht hat seit 1991 in einer Reihe
von Publikationen wiederum die Positionen des Reformprogramms des Neuen Ökonomischen Systems
(NÖS) der Ulbricht-Ära vertreten. Die Idee eines Managersozialismus im Sinne des NÖS ist
nach wie vor bei Mitgliedern der früheren Funktionseliten der DDR sehr beliebt. Das in den RGW-
Ökonomien allgegenwärtige Problem der »kollektiven Verantwortungslosigkeit« sollte nach
diesem Programm durch die Reduzierung zentralstaatlicher Planvorgaben, einer Ausweitung der Befugnisse
betrieblicher Leiter und durch die Erhöhung materieller Anreize erreicht werden. Arbeiter und
Angestellte wären allerdings bei Realisierung der bald schon wieder auf Eis gelegten Reformen
entfremdete Lohnarbeiter geblieben. Ihr Betriebsegoismus hätte sozialistische Manager früher oder
später alles daran setzen lassen, in irgendeiner Form zu Privateigentümern ihrer Kombinate zu
werden. Zentrale Entwicklungen der letzten 14 Jahre in den osteuropäischen Reformländern
wären so in der DDR schon einige Jahre früher vorweggenommen worden.
Nehmen Anhänger des NÖS die Erfahrungen der Transformationsländer nicht wahr, so
ignorieren im Sinne eines »Rechtes auf Faulheit« argumentierende Gruppen die Frage nach den
Voraussetzungen für eine Teilhabe der Mehrheit an der politischen und ökonomischen Macht
überhaupt. Für Furore sorgende »glückliche Arbeitslose« unterstellen einfach die
Realisierbarkeit folgender Utopie: Auf der einen Seite läuft der kapitalistische Normalbetrieb weiter
wer da mitmachen will, kann es ja ruhig tun. Auf der anderen Seite soll von einem Teil seiner
Überschüsse eine Art Reservat für Aussteiger unterhalten werden. Hier wird einfach
unterschlagen, dass der Zwang zur Lohnarbeit eine der grundlegenden Voraussetzungen der kapitalistischen
Produktionsweise ist.
Mit Unterstützung des Gesetzgebers soll
derzeit die Profitrate per Absenkung der Lohnquote nachhaltig aufpoliert werden selbst wenn die
Durchsetzung der Zwangsmaßnahmen am Ende mehr kostet als die derzeitigen Sozialausgaben. Daran wird
sich auch nichts ändern, wenn man seine Ansprüche zurückschraubt und versucht, die Forderung
nach garantiertem Mindesteinkommen mehr oder weniger reformistisch zu verpacken (vgl. u.a. Michael Opielka
in Freitag, Nr.41, 2004). Selbst wenn man Politikern und Kapitaleignern als Gegenleistung für ein
garantiertes Grundeinkommen eine allgemeine Arbeitspflicht anbietet, wird man auf keine Gegenliebe
stoßen (vgl. u.a. Helga Uhlenhut in Freitag, Nr.43, 2004). Ihr strategisches Ziel heißt nun mal
Erhöhung der Kapitalverzinsung durch Arbeitshetze bei Billiglohn und ständiger Armutsangst. Der
1-Euro-Job ist kein Produkt zufälliger Machtkonstellationen sondern war immer Ziel dieser Strategie.
Solange die mutigen Streiterinnen und Streiter
für menschenwürdige Einkommen ohne Lohnarbeit bzw. mit einer Arbeitspflicht auf Sparflamme
meinen, sie könnten ohne eine Veränderung der Machtverhältnisse in der Wirtschaft ihren
hehren Zielen auch nur einen Schritt näher kommen, zäumen sie beständig das Pferd von hinten
auf bzw. machen die Rechnung ohne den Wirt. Denn die hohe gesellschaftliche Durchsetzungsfähigkeit
ökonomisch potenter Minderheiten ist bis heute Voraussetzung für die Ohnmacht unterprivilegierter
Mehrheiten.
Auch wenn sie dem Totschlagargument
regelmäßig anheim fällt, »eine Einlassung ewiggestriger Planwirtschaftler« zu
sein, so gilt die Binsenweisheit immer noch: Wirklich mündige Bürgerin oder mündiger
Bürger ist man erst, wenn der bisherige Katalog politischer Grundrechte um das Recht auf Teilhabe an
der Planung der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums und seiner Verteilung erweitert wird. Erst wenn
der Weg dahin einigermaßen klar ist, kann man ernsthaft darüber nachdenken, inwieweit man
Überschüsse für Reinvestitionen oder Müßiggang verausgabt. Darum sollte in einer
Diskussion über soziale Utopien nach wie vor die Frage nach der Verfügungsgewalt über die
Produktionsmittel auf die Tagesordnung gesetzt werden, anstatt sie einfach zu ignorieren.
Die Wahrnehmung des allgemeinen
ökonomischen Grundrechtes auf Teilhabe am Management der gesellschaftlichen Arbeit wiederum setzt noch
immer eine Reduzierung der Arbeitsteilung zwischen Akademikern und Arbeitern, vor allem aber ihre
weitestgehende Beseitigung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen voraus. Und die Forderung nach
Verringerung der Arbeitszeit ist bis heute eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Wahrnehmung
dieses noch durchzusetzenden ökonomischen Grundrechts.
In der Utopie des Robert Kurz und der Gruppen Exit und Krisis ist die Aufhebung der Trennung von
Produktion und Konsumtion Bedingung für ein allgemeines Recht auf Faulheit. Unter dem Strich gilt: Da
wo man endlich einmal konkreter werden müsste, flüchten sich die verstrittenen Kritiker der
Waren- und Arbeitsgesellschaft in ein Nirwana theoretischer Abstraktion. Am Ende schwimmt man dann doch
wieder in altbekannten Gewässern: Die Konsequenz ihrer programmatischen Aussagen im Sinne des
»Manifests gegen die Arbeit« lässt sich als »Flucht aus der Arbeitsgesellschaft
zurück in die Subsistenzwirtschaft« dechiffrieren.
Die Verringerung der Arbeitszeit heutiger
Lohnabhängiger zugunsten gesellschaftlichen Engagements kann jedoch nur dauerhaft realisiert werden,
wenn ein hohes Niveau der Güterproduktion erhalten bleibt. Ihr Niedergang muss unweigerlich zu einer
erneuten sozialen Teilung zwischen wenigen, die planen und verteilen und vielen, die ihre Anweisungen in
die Tat umzusetzen haben, führen. Wie die Komponenten der PCs unter den Bedingungen der
Subsistenzwirtschaft hergestellt werden sollen, über die die Kritiker der Arbeitsgesellschaft ihre
kommunistischen Gemeinden dann ja doch vernetzen wollen, bleibt ihr Geheimnis. Robert Kurz muss sich den
Vorwurf gefallen lassen, diesen Zusammenhang in seinen Publikationen konsequent ignoriert zu haben.
Ebenso mit Vorsicht zu genießen ist die
undifferenzierte Übernahme der Forderung von Marx nach einer gerechten Bezahlung entsprechend der
geleisteten Arbeitsstunden. Sie wird z.B. häufig von Anhängern der Theorie der sich tendenziell
verschlechternden Terms of Trade für Rohstoffexporteure in Diskussionen über gerechtere
Weltmarktstrukturen eingebracht (vgl. u.a. Frank Leonhardt in der Freitag-Debatte«). Es steht
außer Frage, dass bei Beibehaltung gegebener Tauschverhältnisse Entwicklungsländer mit
niedrigerer Arbeitsproduktivität nie aus dem Teufelskreis von Abhängigkeit und Armut herauskommen
können. Trotzdem müsste man auf dem Weg zur allgemeinen Umsetzung der Forderung nach
Güterzuteilung entsprechend der geleisteten Arbeitszeit einigen Fallstricken aus dem Wege gehen.
Würde man diese Forderung z.B. in einem selbstverwalteten Betrieb eins zu eins umsetzen, müsste
einem Handwerker, der in acht Stunden eine Glühbirne auswechselt, der gleiche Lohn zustehen, wie
seinem Kollegen, der in derselben Zeit ein ganzes Zimmer verkabelt. Eine Kultur der Leistungsverweigerung
und der Innovationsträgheit wäre das Resultat, die zu eben dem zu vermeidenden Niedergang des
Produktionsniveaus führen würde.
Eine wie auch immer geartete Entlohnung
weniger produktiver gesellschaftlicher Gruppen müsste also in einer alternativen Gesellschaft immer
von einer allgemeinen demokratischen Kontrolle flankiert werden. Entweder man einigt sich auf die
Alimentation niedrig produktiver Ökonomien oder Mitarbeiter, analog zu sozialen Sicherungssystemen
oder kulturellen Einrichtungen, oder man verabschiedet sich im Einzelfall von dem Gedanken, alles und jeden
in globale Austauschbeziehungen einbeziehen zu müssen.
Will man verhindern, dass sich Mitglieder einer sich selbst verwaltenden Gemeinschaft bewusst auf Kosten
anderer ausruhen oder sich an der Entscheidungsfindung nicht beteiligen, so muss in einem alternativem
Gesellschaftsmodell die Transparenz des Systems für jeden Einzelnen gewahrt bleiben. Nur wenn
nachvollziehbar bleibt, dass die eigene Wohlfahrt mit der anderer Gesellschaftsmitglieder wächst oder
fällt, wird solidarisches Verhalten zur anerkannten Norm. Nur wenn jedes Gesellschaftsmitglied das
Gefühl hat, dass Entscheidungen, die gefällt werden, es selbst betreffen, wird es ständig
bemüht sein, seine Mitbestimmungsrechte wahr zu nehmen.
Die Forderung nach Transparenz der Strukturen
steht allerdings im Widerspruch zur Bedingung hochentwickelter Produktionsniveaus, denn je höher das
Niveau der gesellschaftlichen Produktion ist, desto komplexer und unüberschaubarer für den
einzelnen sind Strukturen.
Christoph Spehr hat in Alaska (Nr.246) ein
Gesellschaftsmodell skizziert, in der dieser Widerspruch gelöst zu sein scheint. Die
Überschaubarkeit des Gesamtsystems für den Einzelnen, den Einfluss aller auf die
gesellschaftliche Rahmenplanung und eine paritätische Mitbestimmung aller Betroffenen auf betriebliche
bzw. kommunale Entscheidungen sind grundlegende Charakteristika seines Entwurfs. Die Mitglieder der von ihm
entworfenen freien Assoziation beziehen ihre Motivation zur kreativen Arbeit und zum politischen Engagement
aus dem direkten Nutzen, den sie aus der Produktion ihrer eigenen und aller anderen Kooperativen ziehen
können.
Ungeklärt bleibt allerdings auch bei ihm,
wie jeder und jedem ein ausreichender Zeitfond für die Entscheidungsfindung nach getaner Arbeit zu
garantieren sei. Spielt man seine konkrete Utopie oder klassische Rätemodelle einmal durch, so
müsste jedes Gesellschaftsmitglied neben seiner Normalarbeit zwei weitere Tätigkeiten wahrnehmen
können: die Mitarbeit im Management einer Kooperative und die ebenso zeitaufwändige
Tätigkeit der umfassenden Information im Vorfeld einer Versammlung. Konkrete Utopien à la Spehr
wären um die Vorstellung einer neuen Organisation der Arbeitszeit zu erweitern. Zur Eingewöhnung
könnte die Kommune ja mit jedem ihrer Mitglieder regelmäßig einen Arbeitsvertrag
vereinbaren. Sein Gegenstand: die Fixierung der Jahresarbeitszeit auf ein »Stellenprofil«
bestehend aus den Elementen professionelle Arbeit, Management und Mitbestimmung.
Diese neue Vorstellung von der
gesellschaftlichen Arbeit für jede und jeden sollte Leitfaden neuer Utopieproduktionen sein und nicht
die »Flucht aus der Arbeitsgesellschaft ohne Wegbeschreibung«.
Alf Zachäus
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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