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»Auch mal seine Tage haben zu dürfen«, wollen die Männer in der gerade aktuellen
West-Werbung. »Junge Frauen haben mit dem ›Schwesterlichen‹ der Frauenbewegung nichts mehr
am Hut«, meint Helga Lukoschat, stellvertretende Vorsitzende der Europäischen Akademie für
Frauen in Politik und Wirtschaft. »Vielleicht hätten die Frauen ein genetisches Problem mit
Wissenschaft«, zitiert die Süddeutsche Zeitung den Direktor der Harvard University, Larry
Summers, auf einem Wirtschaftskongress zum Thema »Frauen und Minderheiten«.
Das Wegdenken von »kleinen und großen Unterschieden«, wie die oben genannten
Fälle es versuchen, wäre eine leichte Übung, wenn es nicht so ernsthaft unser Leben
bestimmen, sogar gefährden würde. Die West-Werbung kokettiert mit der schlechten Laune der
Männer. Ein Harvard-Direktor kann sich erlauben, die genetische Differenz zwischen den Geschlechtern
zu behaupten. Die Frauen haben Jahrhunderte lang erst um Gleichheit dann um Differenz gekämpft. Der
Kampf war so erfolgreich, dass Männer immer noch mit unlauteren Mittel dagegen zu kämpfen
versuchen. Aber der Erfolg muss auch gehalten und weitergeführt werden. Der jetzige Zustand der
Frauenbewegung verharrt im Pochen auf der Differenz.
Die Frauenbewegung war im 19.Jahrhundert
entlang von Klassenunterschieden gespalten. Die Forderung nach gleicher Behandlung und gleichen Rechten wie
die Männer wurde unterschiedlich gewichtet: die einen forderten in erster Linie politische
Beteiligung, Erziehung und Berufsausübung, die anderen kämpften für bessere
Arbeitsbedingungen. Trotz der Spaltung war dieser Kampf um einfache Bürgerrechte erfolgreich. Es
folgte eine jahrelange Pause.
In der zweiten Hälfte des
20.Jahrhunderts, in den 70er Jahren, ging es um eine andere Differenz, um das biologische und soziale
Geschlecht der Frauen. Der von Ann Oakley in ihrem 1972 in England veröffentlichten Buch Sex, Gender
and Society zum ersten Mal erwähnte Begriff »Gender« wurde bald als einigendes Moment
verstanden. Frauen waren untereinander verschieden, aber ihre gesellschaftliche Rolle Gender
war in fast allen Schichten, Klassen und Kulturen dieselbe. Durch ihr von Gebär- und
Ernährungsfähigkeit bestimmtes Leben hatten sie die materielle und psychologische Reproduktion
der Arbeitskraft übernommen oder waren gezwungen, sie zu übernehmen.
Dieser neue soziale Begriff betraf einen großen Teil von Frauen, sodass neuer Schwung in die
Bewegung kam. Inspiriert von den Büchern von Simone de Beauvoir (Das zweite Geschlecht), Betty Friedan
(Weiblichkeitswahn) und Kate Millet (Sexual Politics) fand und empfand die Bewegung eine gemeinsame
Identität. Die Frauen verstanden, dass sie durch das Andere zu dem geworden waren, was sie sind. Der
Blick des Anderen hatte ihre Identität geprägt.
Mit anderen Worten, sie waren durch das Andere
bestimmt. Das lehnten sie ab und suchten neue Identitäten. In Solidarität mit den
Geschlechtsgenossinnen wurde die »Schwesternschaft« geboren. Mit dieser Kategorie forderte die
Frauenbewegung nicht nur Rechte, sondern auch eine veränderte Wahrnehmung von Frauen durch die
Gesellschaft. Frauen arbeiteten an ihrem Bewusstsein und forderten dies auch von Männern. Die
Gleichheit sollte sich nicht nur in Gesetzen widerspiegeln, sondern auch in den Köpfen. Die ihrem
Geschlecht eigenen Merkmale sollten Frauen nicht von der Beteiligung an der gesellschaftlichen Macht
fernhalten, sie sollten besonders gewürdigt werden.
Nachdem die Frauen entdeckt hatten, dass sie
als Geschlecht unterdrückt waren, war es nicht mehr schwer, auch andere Formen der Unterdrückung
zu erkennen. Die Kategorie Geschlecht, so verbindend sie war, konnte die tatsächlich vorhandenen
Unterschiede unter den Frauen, ihre verschiedenen Ziele und Anliegen nicht überwinden. Die spezifische
Unterdrückung der Frau wird deutlich, wenn sie mit Männern verglichen wird.
Andererseits ist die einfache
Gegenüberstellung: hier die Frauen, da die Männer, auch falsch, weil einige Frauen im
Verhältnis zu manchen Männern eindeutig privilegiert sind. Das gleiche lässt sich bei einem
Vergleich der Frauen untereinander feststellen. Frau ist nicht nur Frau, sie ist auch jung oder alt, ledig
oder verheiratet, heterosexuell oder lesbisch, mit oder ohne Kinder, in ökonomischer Abhängigkeit
oder nicht, mit heller oder dunkler Hautfarbe, mit oder ohne Religion, d.h. in kulturellem, religiösem
oder ökonomischem Sinn zugehörig zur Mehrheit oder Minderheit.
All diese Identitäten können in
verschiedener Mischung auftreten, sodass jede Identität ein Konstrukt ist. In diesem Konstrukt
können Frauen sowohl Opfer oder Täterin, zumindest Mittäterin sein. Der Konstrukt kann
zerfallen und neu entstehen. Diese Diskussion hatte manche Theoretikerinnen wie Judith Butler veranlasst,
an den sexuellen Vorstellungen der Frauen und der Gesellschaft zu rütteln. Sie fordert, die Bewegung
solle sich von der Vorstellung der Zwangsheterosexualität trennen.
In ihrem Buch Gender Trouble kritisiert sie
die konventionellen Vorstellungen über Sex und Gender als Konstrukt, fordert ein Nebeneinander
verschiedener Vorstellungen und im Endeffekt die Auflösung der Konstrukte. Auch wenn die biologischen
Unterschiede damit nicht abgeschafft würden, wäre ihre Wahrnehmung und damit auch das Begehren
ein anderes.
Die feministische Theorie und Politik steht nun vor einem Dilemma: Einerseits entzieht sie damit dem
herrschenden Konzept von Geschlechteridentität den Boden, andererseits verliert sie ihr Subjekt und
damit ihre Politikfähigkeit, wenn Frauen sich nicht als Gruppe konstituieren können. Mit diesem
Schritt verloren die Frauen ihre gemeinsame Identität und das ihnen gerade zugetraute »Ich«
und »Wir«. Nicht mehr in Abhängigkeit vom Anderen definiert zu werden, das Eigene in den
Vordergrund zu stellen und damit Solidarität erfahren zu können, waren gerade erst gewonnene
Sicherheiten, denen die dekonstruktivistischen Theoretikerinnen den Boden entzogen.
In den USA drückte sich dies in der neuen
Formierung der schwarzen und lesbischen Frauen aus, die sich von ihren »weißen
heterosexuellen« Schwestern absonderten. Die »weißen heterosexuellen« Frauen mussten
schmerzlich lernen, dass diese Auseinandersetzung auch eine mit ihrer eigenen Lebensweise war. Audre Lorde
rief dazu auf, den Ärger in Energie zu wandeln: »Ärger mit Wissen und Energie geladen. Wenn
ich von farbigen Frauen spreche, meine ich nicht nur schwarze Frauen. Wir sind genauso asiatische und
karibische Amerikanerinnen, Chicanas, Latinas, Hispanics und indigene Amerikanerinnen und wir haben ein
Recht auf jeden unserer Namen.«
All diese Frauen, die ein Recht auf ihren
Namen hatten, erlebten neben ihrer Unterdrückung als Frau auch eine Unterdrückung aufgrund ihrer
Kultur oder ihrer Hautfarbe, was ihren Ärger so negativ beeinflusste, dass sie diese Unterschiede
nicht überwinden konnten. Dabei spielte die fehlende Bereitschaft von »weißen
heterosexuellen« Frauen, die Unterschiede zur erkennen und zu verstehen auch eine wichtige Rolle
der Ärger blieb stecken und führte zur Spaltung.
Ähnliche Prozesse haben Migrantinnen, im
Exil lebende Frauen, Jüdinnen und schwarze Frauen in Deutschland durchgemacht. Nach 1990 kamen die
ostdeutschen Frauen dazu, die eine andere Sozialisation und Erfahrung hatten. Migrantinnen wurden aufgrund
ihrer Sprachschwierigkeiten zuerst von den Sozialarbeiterinnen wahrgenommen. Feministisch bewegte Frauen
stellten sich »Migrantinnenarbeit« als Aufgabe.
Anfang der 80er Jahre wurden erste gemischte
Gruppen von Deutschen und Nichtdeutschen für eine rechtliche Gleichstellung gegründet. Der erste
Kongress »Deutsche und ausländische Frauen« brachte auch die erste Konfrontation mit dem
Rassismusvorwurf. Die Forderung der Migrantinnen war, dass der Kampf gegen Sexismus und Rassismus
geführt werden sollte. Die weitere Entwicklung brachte keine gemeinsame Sprache und Verständnis.
Nach der Vereinigung der beiden deutschen
Staaten konzentrierte sich der gemeinsame Kampf wieder auf das Patriarchat und das massive Rollback der
Männer. Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus wurden vernachlässigt, was zum
endgültigen Rückzug der nichtdeutschen Frauen führte. Dieser Rückzug der politisch
»schwarzen Frauen« wurde als Tat »kleiner radikaler Gruppen« abgetan (Emma, Juli/August
1993), statt ihnen eine Plattform anzubieten.
Die Weigerung, unterschiedliche
»Wirklichkeiten« unter den Frauen anzuerkennen, reproduzierte die bekannten
Herrschaftsverhältnisse, indem die Erfahrung der »Anderen« ignoriert wurde. So fühlten
sich die nichtdeutschen Frauen im Sinne der von der Feministin Iris Marion Young beschriebenen Weise einem
kulturellen Imperialismus ausgesetzt: »Indem die dominanten Gruppen der Gesellschaft die
Interpretation der ›Anderen‹ dominieren, dass heißt Form und Inhalt der Kommunikation
über diese ›Anderen‹ weitgehend bestimmen, sozusagen sich selbst und den Anderen einen
Platz zuweisen, schaffen sie gleichzeitig normative Richtlinien und messen die ›Anderen‹ an
diesen Projektionen.« Der Dialog verstummte.
Auf internationaler Ebene waren gleichzeitig zwei Tendenzen zu beobachten: das Abebben der
feministischen Bewegung und die teilweise Übernahme feministischer Forderungen in nationale wie
internationale Politik. Gleichheit in der Theorie und auf der gesetzlichen Ebene wurden in UN-Konventionen
aufgenommen. Darüber hinaus wurde positive Diskriminierung akzeptiert, um die Ungleichheit in der
Praxis zu überwinden (Peking 1994).
Aber das löste die Probleme der Frauen in
verschiedenen Kulturen und Klassen nicht. Die Gleichheit blieb Theorie, wurde sogar bald zum
Verhängnis, weil den Frauen vorgeworfen wurde, sie könnten mit diesem »fairen«
Wettbewerb nicht umgehen. Die materiellen Bedingungen für Frauen haben sich allerdings nicht
geändert.
Auch der Wunsch nach neuer Identität hat
sich nicht für alle erfüllt. Alte Rollenbilder wurden zertrümmert, und neue zu schaffen
stellte sich als schwierig heraus. Das Patriarchat erlaubte den Frauen nicht mal eine Verschnaufpause.
Mehrere Frauen, die dank der Quote oder der gesamtgesellschaftlichen Atmosphäre anspruchsvolle
Aufgaben übernommen hatten, geben heute zu, dass sie dem Zentrum der Macht zwar sehr nahe, aber nicht
hineinkommen (Rita Süssmuth). Andere, die an der Macht beteiligt sind, eignen sich das patriarchale
Machtverständnis an (Condoleezza Rice).
Der heranwachsenden Generation werden andere
Ansprüche zugesprochen. Sie hat tatsächlich den Machtanspruch der Frauen übernommen, dabei
aber das Solidaritätsprinzip vergessen. Da kann Helga Lukoschat von der Europäischen Akademie
für Frauen in Politik und Wirtschaft groß tönen, die »jungen Frauen [hätten] mit
dem ›Schwesterlichen‹ der Frauenbewegung nichts zu tun«, sie vergisst, dass sie ihre
Stelle an der Akademie überhaupt erst dieser »schwesterlichen Frauenbewegung« und ihrer
Forderung nach besonderer Unterstützung der Frauen in Institutionen verdankt.
Dieses Vergessen ist Ergebnis der
patriarchalen Propaganda (»Ihr habt alle Gleichheit der Welt, wozu braucht ihr Feminismus?«) und
zugleich des Fehlens einer aktiven Frauenbewegung. So kann auch eine frauenverachtende Zigarettenwerbung
»schlechte Laune« für Männer fordern, als ob das nicht schon seit Tausenden von Jahren
ihr Privileg wäre. Oder aber ein renommierter Wissenschaftler wie der Direktor der Harvard-
Universität findet, es sei an der Zeit, zu den »genetischen Wurzeln« zurückzukehren.
Die Diskussion über die
Identitätspolitik geht auf akademischer Ebene weiter: Während die einen immer noch nach dem
Gemeinsamen, dem »Frausein« suchen, das alle besonderen Identitäten und Differenzen als
repressive Fiktion versteht (Antiessentialismus), sehen die andere verschiedene Identitäten und
Differenzen und verstehen sich als eine Version des Multikulturalismus. Die Frage ist, wie diese Tendenzen
der Bewegung neuen Schwung geben wollen bzw. wie gemeinsame Bewegung noch möglich ist.
Die Unterschiede zu leugnen wäre ein
Fehler. Die Aufgabe besteht darin, die Unterschiede wahrzunehmen, Zusammenarbeit möglich zu machen,
dabei den Kampf gegen Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und kulturellen Androzentrismus, aber auch als
Kampf gegen soziale Ungleichheit zu führen. Differenzieren bis zur Unbeweglichkeit erschwert den
Frauen den Kampf um die Macht.
Die Stärke der Frauen sollte darin
bestehen, dass sie Unterschiede als etwas Fruchtbares begreifen, damit sie wirkliche Einsicht in die
gesellschaftlichen Verhältnisse erlangen, die sie dann in Machtbewusstsein verwandeln können.
Deniz Aydin
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