SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2005, Seite 21

Kino

Vera Drake, Großbritannien 2004, Regie: Mike Leigh; mit Imelda Staunton, Philip Davis, Peter Wight

Eigentlich sollte man meinen, in einem liberalen Land wie Großbritannien sei Abtreibung kein Thema mehr. Immerhin ist der Schwangerschaftsabbruch dort seit ca. 40 Jahren legal, wesentlich länger als in Deutschland oder anderen Ländern. In Ländern wie Polen oder Portugal steht er gar bis heute immer noch oder wieder unter Strafe. Trotzdem hat Mike Leigh jetzt einen Film über illegale Schwangerschaftsabbrüche in England gemacht. Der Film spielt Anfang der 50er Jahre. Zu dieser Zeit war Abtreibung entsprechend einem Gesetz aus dem Jahr 1861 noch illegal.
Hauptperson und Namensgeberin des Films ist Vera Drake. Sie lebt in einem Arbeiterstadtteil in London. Ihr Mann betreibt mit seinem Bruder eine kleine Autowerkstatt. Ihre beiden Kinder sind bereits erwachsen und berufstätig, leben aber noch bei den Eltern, da sie noch unverheiratet sind. Das war in den 50er Jahren auch in westlichen Ländern durchaus üblich. Auf den ersten Blick also eine englische Durchschnittsfamilie, sozial an der Grenze zwischen Arbeiterklasse und Kleinbürgertum. Die Nebenbeschäftigung, der Vera nachgeht ist nicht so »normal«. Sie ist das, was man abfällig eine »Engelmacherin« nennt.
Doch Vera Drake ist eine positiv besetzte Figur. Sie handelt gewissermaßen aus Idealismus. Sie will den jungen Frauen, die in der prüden Gesellschaft der 50er durch eine voreheliche Schwangerschaft in Schwierigkeiten sind, helfen. Andere Kundinnen von ihr sind Arbeiterfrauen, die einfach zu viele Kinder haben und nicht mehr wissen, wie sie sie satt bekommen sollen. Auch das im Nachkriegsengland, trotz beginnender Sozialreformen der regierenden Labour Party immer noch ein ernsthaftes Problem. Geld nimmt Vera für ihre Dienste nicht.
So sitzen dann in dem Film nicht die Frauen, sondern die Gesellschaft auf der Anklagebank. Die armen Frauen müssen illegal abtreiben. Die Frauen der Oberschicht können zu teuren Ärzten gehen, die ihnen bescheinigen, dass sie psychisch nicht in der Lage sind, Kinder zu bekommen. Das ist zu dieser Zeit der einzige legale Weg zu einem Schwangerschaftsabbruch. So macht es auch die Tochter von Veras Arbeitgebern, wo sie als Dienstmädchen arbeitet. Die reiche Tochter braucht Veras Dienste nicht, die trotz aller Vorsicht mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind.
Vera Drake fällt auf, als eine ihrer Kundinnen an einer beim Abbruch erlittenen Infektion fast stirbt. Die Polizei nimmt Ermittlungen auf, die mit Veras gerichtlicher Verurteilung enden. Der Film spricht ein anderes Urteil, er verurteilt nicht Vera Drake sondern die gesellschaftlichen Zustände, die vor allem Frauen der Unterschicht, die ungewollt schwanger werden, in unmenschliche Zwangssituationen treiben. Ansporn für den Film waren nach den Worten Leighs Diskussionen auch in den angelsächsischen Ländern, vor allem in den USA, die die Legalität der Abtreibung wieder in Frage stellen. Der Film macht deutlich, was für ein schwerwiegender Rückschritt das wäre.
Der Film ist atmosphärisch sehr dicht. Er bringt die Situation der englischen Arbeiterklasse unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gut zum Ausdruck. In Großbritannien herrscht trotz des gewonnenen Krieges wirtschaftliche Not. Es existiert ein Schwarzmarkt, einige Güter des täglichen Bedarfs sind knapp und werden nur gegen Karten abgegeben. Trotz beginnender sozialer Reformen der seit 1945 regierenden Labour Party, die damals im Gegensatz zu heute am linken Rand der Sozialdemokratie angesiedelt war, ist die soziale Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter immer noch schlecht. Die Moralvorstellungen vieler Angehöriger der Arbeiterklasse unterscheiden sich jedoch nicht von denen des Bürgertums. Veras Sohn verurteilt seine Mutter, weil sie »kleine Babys« umgebracht habe. Sie muss ihre Nebentätigkeit auch vor ihren Nachbarinnen und Nachbarn geheim halten. Ihre Partnerin, die ihr die in Not geratenen Frauen vermittelt, ist nicht so selbstlos wie Vera. Sie nimmt sehr wohl Geld für ihre Vermittlertätigkeit, ohne Vera zu informieren. So wird eine hilfsbereite Frau sowohl von der bürgerlichen Gesellschaft als auch von Angehörigen ihrer Klasse zur Kriminellen gestempelt. Die bürgerliche Justiz spricht dementsprechend das Urteil. Im Gefängnis trifft Vera Frauen, die wegen des gleichen »Verbrechens« einsitzen. Einige sind schon mehrmals verurteilt worden. In Großbritannien wurde dieser skandalös Zustand Mitte der 60er Jahre beendet. Andere Länder zogen nach, einige Länder blieben bis heute bei ihrer frauenfeindlichen Gesetzgebung und wieder andere, wie Polen, verboten nach dem Fall des Realsozialismus den bis dahin legalen Schwangerschaftsabbruch. Auch in Deutschland vergleichen christliche Fundamentalisten wie der Kölner Kardinal Meisner Abtreibungen mit dem Holocaust.
Insgesamt ein mitunter etwas zu tränenreicher, aber trotzdem sehr gelungener und wichtiger Film, der als historischer Film daherkommt, aber leider noch immer sehr aktuell ist.

Andreas Bodden

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