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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2005, Seite 22

Kolumne von Thies Gleiss

Deutscher Sozialismus

Die nordkoreanische Juche-Ideologie hat die Langhaarigen als neue Bedrohung des Sozialismus ausgemacht. Mit einer Kampagne »Lasst uns unser Haar gemäß dem sozialistischen Lebensstil zurechtmachen« wird die maximale Länge der Haare auf fünf Zentimeter festgelegt. Männer mit beginnender Glatze haben das Recht auf zwei weitere Zentimeter, um ihr Problemchen zu kaschieren. Lange Haare würden die Gehirnaktivität behindern, indem sie den Nerven im Kopf den Sauerstoff entziehen. Im Fernsehen werden Langhaarige als »unhygienische, antisozialistische Dummköpfe« und »blinde Anhänger der Bourgeoisie« mit Namen und Adresse denunziert.
Der nordkoreanische Sozialismus baut in seiner Verteidigung offensichtlich auf die Kampfkraft der Friseure fast ebenso wie auf seine Atombombe. Mit Haareschneiden ist dem deutschen Sozialismus wohl kaum noch zu helfen. Dabei droht ihm höchstes Ungemach: »Wir müssen, nachdem der Sozialismus der DDR überwunden wurde, den westdeutschen Sozialismus überwinden, damit wir die Zukunft gewinnen können«, verkündete gerade der Chefideologe, oder Chefvolkswirt wie sich der Haudrauf sonst nennen lässt, der Deutschen Bank, Norbert Walter.
Aber so ganz ohne Juche-Ideologie scheint es bei den deutschen Sozis auch nicht zu gehen. Der Kölner SPD-Oberfuzzi Jochen Ott schlägt als Krisenlösung vor: »Es muss in dem Stadtteil den SPD-Chef geben, der aus dem Stadtteil kommt, den Leute vor Ort kennen und der vernünftig aussieht und ein sauberes Hemd anhat, wenn er zu Vereinsempfängen geht, der ein äußeres Erscheinungsbild hat, das Leute nicht abschreckt…« Das Problem der unsauberen Hemden hat für Ott dann noch andere Namen: »Das Problem ist diese Multi-kulti-trallala-Politik der Rot-Grünen. Die hat unseren Städten massiv geschadet. Tatsächlich haben wir inzwischen eine islamische Parallelgesellschaft…«
Kurze Haare, saubere Hemden und trotzdem nicht ganz bei Trost sind zwei andere Prachtexemplare der Sozialdemokratie: Der »wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion«, Klaus Brandner, gibt der Jungen Welt, der einzigen unabhängigen Tageszeitung Deutschlands, ein Interview zu Hartz IV. Frage: »In den Augen vieler Sozial- und Arbeitsmarktexperten reicht die Höhe des ALG-II-Regelsatzes für ein menschenwürdiges Leben nicht aus. Kämen Sie mit 345 bzw. 331 Euro über die Runden?« Antwort: »Ja.«
Gerade mal eins seiner sauberen Hemden würde der Herr Abgeordnete davon kaufen können — aber mehr scheint er ja nicht zu benötigen — von den Ottisen zu den Sottisen ist es nur ein kurzes Stück. Dass es gerade noch zum Hemd reicht, hat auch DGB-Chef Sommer mal wieder zum Besten gegeben: »Die Gewerkschaften verkennen nicht, dass die Politik in vielen Bereichen die Entscheidung getroffen hat, die Sozialsysteme auf eine Grundversorgung zu reduzieren … Das können wir kritisieren, ändern werden wir es nicht mehr.« Wir? — unterstellen wir einmal, dass der Genosse Vorsitzende den Pluralis majestatis benutzt, dann liegt er ja gar nicht so neben der Wirklichkeit. »Er« wird diese Politik nicht ändern, »er« will es einfach nicht.
Trotzdem erinnert uns dieser Sommer ein wenig an den Schiedsrichter Hoyzer, der mit seinen falschen Pfiffen, die realen Ereignisse verfälscht hat. Hier wird für beendet erklärt, was noch gar nicht richtig angefangen hat, der Widerstand gegen den Sozialraub. Für Hoyzer hat es dabei zu ein paar tausend Euros Zusatzeinkommen gereicht. Was verdient ein Gewerkschaftschef noch einmal? Nur es sollte nicht vergessen werden: beim Hoyzer wurde ein Tor zum Nicht-Tor. Beim DGB-Chef ist es umgekehrt: er macht sich zum Tor des Kapitals, über den sich die Ackermänner des Abends schlapp lachen.

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