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Zur »geschichtlichen Laufbahn des Kapitals« bemerkt Rosa Luxemburg,
einen Satz von Karl Marx fortführend, dieses sei nicht nur »aus allen Poren blut- und schmutztriefend
zur Welt« gekommen, sondern es setze sich derart auch »Schritt für Schritt in der Welt
durch«. Die bürgerlich-liberale Theorie habe nur die eine Seite des historischen und aktuellen
Prozesses im Blick, den »friedlichen Wettbewerb« und Warenaustausch auf dem Markt, das gleiche
Eigentumsrecht. Die andere Seite der Kapitalakkumulation sei die, wo »ganz unverhüllt und offen
Gewalt, Betrug, Bedrückung und Plünderung zutagetreten«, und es koste gedankliche Mühe,
unter »diesem Wust der politischen Gewaltakte und Kraftproben«, der kolonialen Zugriffe und Kriege
»die strengen Gesetze des ökonomischen Prozesses aufzufinden«.
Die gewalttätige, kriminelle Seite der
Kapitalismusgeschichte zeigt sich nach Rosa Luxemburg vor allem dort, wo die kapitalistische Wirtschaftsweise
sich daranmacht oder darauf aus ist, nichtkapitalistische Produktionsformen zu zerstören und damit die
eigene Machtsphäre auszuweiten, aber auch dann, wenn rivalisierende Kapitalgruppen nationalstaatliche
Politik dazu einsetzen, die Interessensphären weltweit neu zu verteilen.
Das von uns hier vorgestellte Buch zielt nicht
darauf ab, den zuletzt genannten Aspekt der Vergangenheit und Gegenwart kapitalistischer Weltpolitik, den
Imperialismus der Moderne also, systematisch zu behandeln: dazu liegt eine Fülle lesenswerter älterer
und neuerer Literatur vor. Thema unseres Buches ist auch nicht der Faschismus als die extreme Ausformung
staatsverbrecherischer Politik, bei der sich kapitalistische Interessen, Rassismus und kriegerischer Griff nach
der Weltmacht miteinander verbanden.
Es geht in diesem Buch vielmehr um die
Beschreibung der »ganz normalen« Kriminalität in der Geschichte der Durchsetzung
kapitalistischer Verhältnisse und industrieller Warenproduktion, von der überseeischen Expansion
Europas bis in die Gegenwart; vom Raub der Edelmetalle Amerikas, der Freibeuterei, dem Sklavenhandel und den
Zuckerplantagen in der Karibik oder der Vernichtung indischer Baumwollmanufakturen als Voraussetzung für
die englische Textilindustrie, über die »Modernisierung« des Kapitalismus durch
Fließbandarbeit, um die Machenschaften beim Öl, dem Treibmittel der modernen Wirtschaft, bis hin zur
heutigen Rüstungsindustrie.
Die verschiedenen Facetten bei den
verbrecherischen Gewohnheiten des Kapitals werden an Beispielen gezeigt, und die Berichterstattung darüber
gruppiert sich bei uns nach begehrten Objekten kapitalistischen Wirtschaftens: Edelmetalle, Zucker, Baumwolle,
Öl, Automobile und militärische Hardware. Es geht uns auch darum, anhand der für die
verschiedenen Entwicklungsstadien des Kapitalismus jeweils prägenden Leitsektoren eine historische Skizze
anzulegen. So charakterisiert die Plünderung der Silber- und Goldschätze Amerikas die Phase der
ursprünglichen Akkumulation, die durch besonders brutale Vorgehensweisen gegenüber allem
»Nichteuropäisch-Unchristlichen« bestimmt war. Die Geschichte der Zuckerproduktion steht
für die Einführung von Plantagenökonomien, eine neuartige und unter Kapitalgesichtspunkten
effiziente Methode der Warenproduktion, die ausschließlich für den Export bestimmt war. Damals
formierte sich das bis in die Gegenwart hinein gültige Beziehungsmuster wirtschaftlicher Abhängigkeit
zwischen Europa als dem Zentrum und der außereuropäischen Welt als der Peripherie. Die
Plantagenwirtschaften griffen auf Sklavenarbeit zurück, für die im Wesentlichen in Afrika rekrutiert
wurde. Beide menschliche Ware und koloniale Agrarprodukte wurden vom Handelskapital gemanagt, das
im 17. und 18.Jahrhundert den Höhepunkt seines weltweiten Wirkens erlebte. Baumwolle kann als Rohstoff der
industriellen Revolution bezeichnet werden; ohne sie wäre der industrielle Aufbruch wahrscheinlich anders
verlaufen erst der Ausschluss indischer Textilimporte vom englischen Markt schuf die Voraussetzung
für eine einheimische Industrie. Importsubstitution, wie dieser Vorgang in der
wirtschaftswissenschaftlichen Literatur bezeichnet wird, wird noch heute jedem nachholenden Land als probates
Mittel für erfolgreiche Industrialisierung empfohlen aber sie setzt politische Macht voraus.
Öl ist das Treibmittel der modernen
Wirtschaft, die ihren Anfang mit dem sog. Fordismus nahm. Fließbandfertigung senkte die Produktionskosten
beträchtlich, sodass Lohnsteigerungen möglich wurden, die die Arbeiter in die Lage versetzten, die
von ihnen geschaffenen Waren, sog. langlebige Konsumgüter wie bspw. Pkw, zu erwerben. Massenproduktion und
-konsum veränderten soziale und politische Szenarien in den modernen Industriegesellschaften bis hin zu
der Umdeutung von Unternehmern zu Arbeitgebern und Arbeitern zu Arbeitnehmern. Der heutige Kapitalismus als ein
weltweit tätiges System kann allen marktwirtschaftlichen Propagandisten zum Trotz nicht ohne
militärische Instrumente daherkommen. Rüstungs- und Waffenproduktion sind für ihn
unerlässlich, aber auch äußerst profitabel. All diesen Beispielen ist ein hoher Verbrechensgrad
gemeinsam.
Es zeigt sich, dass die Geschichte des
Kapitalismus geprägt ist durch Kapitalverbrechen nicht nur als Missetaten einzelner, sondern im
Sinne immer wieder auftretender »organisierter« Kriminalität, die keine Rücksicht nahm auf
das Existenzrecht von Menschen. Kein Grund also zur Selbstgefälligkeit eines, so der gegenwärtige
Stand, »Systemsiegers« im welthistorischen Prozess.
Thomas Dunning, ein englischer Schuhmacher, der um
1840 die Proteste seiner Handwerkskollegen gegen die Einführung von industriellen Fertigungsmethoden in
der Branche im Nordwesten Englands organisierte, fasste seine Erfahrungen wie folgt zusammen: »Das Kapital
hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit. Mit entsprechendem Profit wird Kapital
kühn. 10% sicher, und man kann es überall anwenden; 20%, es wird lebhaft; 50%, positiv waghalsig;
für 100% stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300%, und es existiert kein
Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.«
Das Streben nach maximalem Profit verleitet zu
riskanten Handlungen, die nicht immer ungesetzlich sein mögen, aber Brutalitäten einkalkulieren,
sofern der Profit stimmt. Die Geschichte des Kapitalismus liefert Hinweise en masse für diese Aussage,
hier ein kleiner chronologischer Auszug:
♦ Die Durchdringung einer
naturalwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsweise mit Geldbeziehungen lag in den Händen einer
Kaufmannsschicht, die sich wirtschaftlich über Geld-Kapital reproduzierte. Zu dessen Quellen gehörten
einerseits Raub und Plünderungen; andererseits drang das Kaufmannskapital in die bäuerliche
Sphäre ein, deren Mehrprodukt es sich aneignete. Das Kaufmannskapital agierte auf internationaler
Bühne und in großem Stil. Es war als Finanzier an den Kreuzzügen beteiligt, die man auch als
gewaltige Raubzüge werten kann.
♦ Die merkantilistische Epoche des
Kapitalismus wurde maßgeblich von Handelskompagnien geprägt; sie waren Monopolunternehmen, an denen
der Staat als Gesellschafter neben privaten Investoren beteiligt war. Sie erhielten staatliche
Unterstützung nicht nur in kommerzieller sondern auch in militärischer Hinsicht. Die Kolonialisierung
des heutigen Indonesien durch die holländische VOC (Vereinigte Ostindische Kompagnie, Stammsitz in
Amsterdam) ist hier exemplarisch. Die örtlichen Produzenten wurden durch schiere Gewalt gezwungen, ihre
Produkte an die Handelskompanie abzuliefern, zu Bedingungen, die von ihr diktiert wurden. Um Preisverfall
vorzubeugen, zögerten die niederländischen Herren nicht, Produktionsstätten stillzulegen,
Gewürzsträucher abzuholzen und der Bevölkerung damit die Existenzgrundlage zu entziehen.
♦ Dreieckshandel: Die
Übertragung feudaler Verhältnisse in die neuen Kolonien, von Spanien in Amerika praktiziert, erwies
sich als nicht zukunftsfähig. Die Rekrutierung von Arbeitskräften durch Zwangsverpflichtungen war
demografisch bedingt begrenzt. Der Handel mit Menschen als Ware trat an ihre Stelle. Der Einsatz
von Sklaven bedingte eine Neuausrichtung der ökonomischen Strategien; denn der Kauf von menschlicher
Arbeitskraft erforderte Investitionen, die durch entsprechende Vermarktung erwirtschaftet werden mussten. Die
agrarische Produktion musste demnach auf eine vollständige Kommerzialisierung ausgerichtet werden. Dazu
bot sich ein Zweig des Luxushandels an, der im Gegensatz zu herkömmlichen Gewürzen auch in
gemäßigten Klimazonen betrieben werden konnte Zucker. Was heute eine niederpreisige
Alltagsware ist, war im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit ein Produkt, das grammweise gekauft
wurde. Die Plantagenbewirtschaftung des Zuckerrohrs hat eine lange Tradition, sie wurde seit Jahrhunderten im
Vorderen Orient praktiziert. Die dank der spanischen Kolonialpolitik weitgehend entvölkerten Inseln der
Karibik boten da ein ideales neues Terrain. Hier nahm ein neuer Wirtschaftskreislauf Gestalt an: Handelskapital
beschaffte Sklaven in Westafrika, verschiffte die menschliche Ware in die Karibik, belud die Schiffe für
den Rückweg nach Europa mit Zucker, der von einigen Zentren wie Liverpool und Bordeaux aus vermarktet
wurde. Das Handelskapital akkumulierte an mehreren Stellen; bei den Geschäften mit den lokalen
Sklavenbeschaffern in Afrika, dann beim Verkauf in der Karibik und schließlich bei der Vermarktung des
Zuckers. Entscheidend für den Geschäftserfolg war die Monopolstellung, die wiederum staatlicherseits
garantiert wurde.
♦ Das Vordringen der Industrie in
vorkapitalistische Sphären war begleitet von Gewalt gegenüber den dortigen Produzenten. Die Highland
Clearances in Schottland zu Beginn des 19.Jahrhunderts sind exemplarisch für die sozialen Barbareien beim
Siegeszug des Industriekapitalismus. Der rapide Aufschwung der englischen Textilindustrie stellte neue
Anforderungen an die Versorgung der massenhaft Beschäftigten. Bevorzugtes Nahrungsmittel war
Hammelfleisch, der Mehrbedarf konnte aus den traditionellen Weidegebieten nun nicht gedeckt werden.
Gleichzeitig gaben technische Neuerungen bei der Textilproduktion der Wollverarbeitung Auftrieb, die
kostengünstiger produzierte als die europäische Konkurrenz. Auch für die Wolle stellte sich
deshalb die Frage nach erweiterten Bezugsquellen. Die schottischen Highlands boten bislang brachliegende
Nutzfläche an. Für die Grundherren war die Transformation der Ländereien in Weideland
wirtschaftlich lukrativ. Es galt nur noch, die Pächter zu zwingen, das Land zu verlassen. Rechtliche
Möglichkeiten gegen eine Vertreibung hatten diese nicht, denn es gab keine schriftlich fixierten
Verträge, die die Nutzung verbrieft hätten. Im Jahr 1785 begannen die Clearances in Glengarry. In den
nächsten fünfzig Jahren wurden die Highlands »gesäubert« mit tatkräftiger Hilfe
des Militärs. Die Blackwatch-Regimenter werden noch heute von patriotischen Schotten verachtet wie die
besonders skrupellosen Grundherren der Clans MacDonell, Campbell und Gordon. Am brutalsten waren der Herzog und
die Herzogin von Sutherland, die über einen Landbesitz von ca. 1 Million Acres verfügten. Die
örtlichen Revolten waren angesichts der geballten Militärmacht erfolglos. Widerspenstigen wurden die
Katen angezündet; das ohnehin kärgliche Hab und Gut wurde mutwillig zerstört. Die britische
Öffentlichkeit nahm von diesen Vorgängen keine große Notiz; die nationale Presse feierte
vielmehr den wirtschaftlichen Fortschritt.
♦ Bis in die 60er Jahre des
19.Jahrhunderts diente der Eisenbahnbau in der außereuropäischen Welt vorrangig der Ausbreitung der
Warenwirtschaft. Beispiele hierfür sind die nordamerikanischen Eisenbahnen und die an Russland für
den Bahnbau vergebenen Anleihen. Die Bahnsysteme, die in Asien und Afrika gebaut wurden, dienten fast
ausschließlich imperialistischen Zwecken, d.h. der wirtschaftlichen Monopolisierung und der politischen
Unterwerfung der Hinterländer, so auch die ostasiatischen und zentralasiatischen Eisenbahnbauten
Russlands. Denselben Charakter tragen die von Russland getragenen Eisenbahnkonzessionen in Persien, die
deutschen Anleihen für die Bagdad-Bahn, die deutschen Bahnbauten in den afrikanischen Kolonien. Den
Zusammenhang zwischen Bahnbau und Vorteilen für die eigene Wirtschaft belegt der deutsche Außenhandel
mit der osmanischen Türkei. Vor dem Bahnbau beliefen sich hier die deutschen Exporte auf 28 Millionen Mark
(1898); im Jahr 1911 waren sie auf 113 Millionen Mark hochgeschnellt. Anleihen mussten selbstverständlich
mit entsprechender Verzinsung zurückgezahlt werden.
Eine Grundregel der kapitalistischen
Wirtschaftsweise ist, die menschliche Arbeitskraft als Mittel einzusetzen für die Schaffung von Profit.
Das von persönlichen Banden gelöste Arbeitsverhältnis macht den Arbeiter zu einem
Produktionsfaktor in einem Prozess, bei dem Geld über Warenproduktion in Mehrgeld verwandelt wird, das
nach Abzug aller dabei entstehenden Kosten den Profit bildet. Die Höhe der Profitrate, also des Profits im
Verhältnis zum eingesetzten Kapital, ist maßgeblich von den Verhältnissen in der Produktion
abhängig, daher der Drang, die Lohnkosten zu senken und die Produktivität steigernde Maßnahmen
zu treffen. So wird der prinzipiell a-soziale Charakter der kapitalistischen Wirtschaftsweise
verständlich, deren humanes Gesicht, etwa in der Ära des Wohlfahrtsstaats, immer nur das Ergebnis
gesellschaftlicher Auseinandersetzungen sein kann.
Werner Biermann/ArnoKlönne
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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