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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2005, Seite 4

Kriegsgrund iranisches Atomprogramm?

von Jens-Peter Steffen

Der Autor ist Mitarbeiter der IPPNW.

Von bleibend dubioser Qualität sind seit 20 Jahren die Behauptungen der US-Geheimdienste, dass der Iran die Atomwaffe will. Angeblich hatte das Land sich schon 1993 aus der ehemaligen Sowjetunion atomar versorgt. Das wurde schnell wieder vergessen. Jüngst hieß es in der New York Times, dass eine US-Regierungskommission den Wissenstand der US-Geheimdienste über den Iran als »skandal«- und »besorgniserregend« gering kennzeichne.
Es gibt eine Reihe von Indizien für ein mögliches iranisches Atomwaffenprogramm wie ein umfassendes ziviles Atomprogramm, die Produktion kleiner Mengen Plutonium und angereichertem Uran und ein atomwaffenfähiges Raketenprogramm — aber es gibt keine »smoking gun«.
Ist eine iranische Atomwaffe der einzige Grund für militärische Drohungen?
Angesichts der Rechtfertigungen des Irakkriegs mit Massenvernichtungswaffen lassen die fehlenden Beweise für ein iranisches Atombombenprogramm die aggressive Haltung der USA als vorgeschoben erscheinen. Atomwaffen sind ein ultimatives Mittel zum Zweck. Sie sichern die Vormachtsstellung für eine militärische Umgestaltung des Iran als missliebiges Regime. Doch Atomwaffen haben auch so etwas wie ein Eigenleben, wenn sich die US-Interessen eigener militärischer Vorteilssicherung mit der Ressourcensicherung im Rahmen ihrer globalen Neuordnungsstrategie vermengen.
Der aktuelle Wechsel der USA zu einer unterstützenden Haltung gegenüber der EU-Verhandlungslinie hebt die militärische Option nicht auf. Es ist »vitales nationales« Interesse der USA — und hier reiht sich Israel ein —, ihren Atomwaffenvorsprung in einer der explosivsten Regionen der Welt zu wahren und kein Gleichgewicht des Schreckens zuzulassen. Dieses Ziel wird mit Mitteln des konventionellen und nuklearen Krieges gesichert, dafür werden Pläne gemacht, dafür trainiert das Militär. Der Sicherheitsexperte Otfried Nassauer sieht den gegenwärtigen »soft approach« im Zusammenhang mit den israelisch-palästinensischen Verhandlungen — was zugleich ein Zeitfenster für die Dauer dieser »weicheren« US-Haltung vorgibt.
Die europäische Intervention bietet vor diesem Hintergrund keine Lösungsangebote für die Sicherheitsbedürfnisse des Iran und zementiert faktisch die Stellung Israels in der Region. Der deutsche Beitrag zur Entwicklung der — vor allem israelischen — militärischen Option ist dabei besonders unrühmlich. Die IPPNW weist seit Monaten darauf hin, welche Brisanz die Lieferung weiterer — zu Atomwaffenträgern ausbaufähiger — U-Boote (die ersten drei waren Milliarden-Geschenke an Israel) hat.
Die nationale Sicherheitslage des Iran erklärt neben dem grundsätzlichen Gewinn an machtpolitischem Status den Griff zur Bombe. Die USA sind strategisch um den Iran aufgestellt. Sie haben eine Atomwaffendoktrin, die den Ersteinsatz gegen unliebsame Systeme, Terroristen und Massenvernichtungswaffen rechtfertigt. Zusätzlich ist der Iran durch die Atombomben Israels und durch den mit den USA verbündetem Atomwaffenstaat Pakistan bedroht.
Die atomare Rüstung der USA und ihres engen Verbündeten Israels befeuern einen gefährlichen Automatismus der »ungleichgewichtigen atomaren Kompensation« (Mohssen Massarat). Jeder, der sich auf die »Rüstungsspirale des Schreckens« einlässt, dreht an ihr mit. Das kann »aktiv« durch den gegen den Nichtverbreitungsvertrag verstoßenden Erhalt und Modernisierung der eigenen Atomwaffen oder durch das Streben nach eigener Nuklearbewaffnung geschehen. Es kann aber auch »passiv« durch die Duldung der zugrunde liegenden Doktrin, durch die Lagerung fremder Atomwaffen auf eigenem Boden bis zu Waffengeschäften z.B. mit Saudi-Arabien oder Israel befördert werden.
Der Besitz oder der Griff zur Atomwaffe ist so wenig akzeptabel wie die angedrohte oder durchgeführte kriegerische Aggression. Die Großregion würde ins Chaos abgleiten und das internationale Rüstungskontroll- und Abrüstungsgefüge — besonders der Atomwaffensperrvertrag — erst einmal sein Ende finden. Was folgt wäre völlig offen. Die IPPNW fordert in dieser Situation entschiedene diplomatische Bemühungen und Initiativen, die die Grundprobleme regionaler Sicherheit und des Nichtverbreitungsvertrags angehen und regen für die Region eine regionale Sicherheitskonferenz nach dem Vorbild der KSZE an. Zudem setzen wir uns für eine atomwaffenfreie Zone im gesamten Mittleren Osten ein und fordern den Stopp deutscher Waffenlieferungen.

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