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Ende Februar sprachen Axel Lippek und Rolf Euler mit dem Opel-Vertrauensmann
ANDREAS FELDER in Bochum über die Entwicklung nach dem Arbeitskampf und den Ergebnissen der
Verhandlungen zwischen GM und der Betriebsratsspitze. Das Interview wurde kurz vor dem Abschluss
geführt. Andreas Felder ist seit 1992 Vertrauensmann und derzeit auch Ersatzbetriebsrat auf der GoG-
Liste (Gegenwehr ohne Grenzen) bei GM/Opel Bochum.
Werk II war das Werk, das am stetigsten und vollständigsten im Arbeitskampf hinter der
Sache stand.
Werk II war immer schon ein Fundus für Widerstand in den letzten Jahren. Die Stärke hat
damit zu tun, dass wir die Achsen produzieren und damit europaweit die Betriebe lahm legen können, was
auch passiert ist in den letzten Jahren. Bei jedem Kampf muss man etwas im Rücken haben, eine
Stärke. Wenn man die nicht hat, kann man nicht richtig ansetzen und auch nicht gewinnen. Deshalb haben
wir in den letzten Jahren durch diese Stärke auch alle Kämpfe gewonnen.
Das soll ja demnächst nicht mehr möglich sein, wenn die Produktion anders organisiert
wird?
Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Die Kollegen sagen auch manchmal, nur weil wir immer so viel
gestreikt haben, auf die Straße gegangen sind und Widerstand geleistet haben, würden die jetzt
versuchen, uns einen mitzugeben. Das ist Quatsch. Das funktioniert anders. Das läuft bei uns so: Die
wollten vor fünf, sechs Jahren schon die Prämienvereinbarung, den übertariflichen Lohn,
kürzen, dafür sind wir einen Tag auf die Straße gegangen. Dann wollten sie vor sechs, sieben
Jahren die Werkslogistik auslagern, da haben wir eine Schicht lang den Betrieb stillgesetzt.
Vor vier Jahren, als sie den Powertrain
auslagern wollten, wollten sie wieder den Kernbereich festhalten und die Komponenten auslagern. Das haben
die nicht geschafft. Wir haben jetzt viele Jahre Widerstand geleistet und haben alles beibehalten. Das ist
auch Stolz, den man so reintragen muss. Aber wenn wir den Kampf mit anderen Werken gemeinsam hätten
führen können, hätten wir größere Erfolge erzielen können.
Nach dem Arbeitskampf gab es lange Wochen der Unsicherheit und Verhandlungen, dann gab es ein
erstes Ergebnis kurz vor Weihnachten, und dann gab es eine Phase, wo die Leute nur noch über Abfindung
geredet haben.
Dem Votum der Versammlung, wir wollen die Arbeit wieder aufnehmen, haben wir uns untergeordnet,
obwohl wir eigentlich lieber weiter gemacht hätten, weil wir genau wussten: Wenn wir jetzt wieder
rangehen, dann kann uns das das Rückgrat brechen, weil es eigentlich unsere letzte Chance ist gegen
die Auslagerung von Standorten. Dann haben die Verhandlungsführer den Auftrag erhalten zu verhandeln.
Und dann haben sie eigenmächtig die Restrukturierungsvereinbarung mit Abfindungsprogramm über die
Köpfe der Belegschaft hinweg installiert und abgestimmt. Dadurch haben sie der Belegschaft das
Rückgrat gebrochen.
Um mal aufzuzeigen, wie viele Leute bei Opel
in Bochum wirklich raus sollen: Die erste Vereinbarung über Transfergesellschaften besagt, im Mai 2005
sollen 300 Kollegen gehen, im September 600 Kollegen; vor fünf, sechs Wochen gab es eine
Ergänzungsvereinbarung, in der klar stand, im Dezember 2005 müssen nochmal 600 Kollegen, in den
Jahren 2006 und 2007 müssen1800 Kollegen gehen. Rechnerisch sind das 3300 Leute. Derzeit haben wohl
1400 Kollegen unterschrieben. GM hat für das Programm 1 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt,
es ist aber jetzt schon, vor der Zeit, ausgeschöpft. Den restlichen Kollegen in Transfergesellschaften
droht, dass sie kein Geld bekommen. Dann bleibt nur noch die Einigungsstelle oder die betriebsbedingte
Kündigung. Einige wollten gehen und durften nicht, weil ihre Abfindung bei 190000 Euro liegt und Opel
einen Ausgleich haben will: Wenn mehr Jüngere gehen mit 70000, dann kann wieder einer mit 130000
gehen.
Dadurch gibt es eine Spaltung in der
Belegschaft, auch in der Kampfkraft. Die einen nehmen die Abfindung und werden nicht mehr auf die
Straße gehen, keine »Informationsveranstaltung« mehr durchführen. Die anderen denken,
sie wären in Schlüsselpositionen, wo der Betrieb schon signalisiert hat: dich brauchen wir
die werden auch nicht mehr kämpfen. Und der Rest in der Mitte wird sich nur schwer bereit finden. Auch
denjenigen, die im Betriebsrat dagegen kämpften, hat diese Vereinbarung das Rückgrat gebrochen.
Wird im Vertrauensleutekörper und mit den Kollegen weiter darüber diskutiert?
Auch im VLK gibt es verschiedene Strömungen. Derzeit ist das genau wie in der Belegschaft: man
findet den roten Faden nicht mehr. Die meisten denken: Wenn wir in den nächsten Jahren gut arbeiten
und gute Produkte hinbekommen, dann geht es weiter. Das System, das hier abläuft, haben sie nicht
erkannt. Dass Betriebe geschlossen werden, weil sie nur 20% Kapitalverwertung bringen, das haben die Leute
nicht im Kopf.
Andere gehen in die Transfergesellschaft, weil
sie sagen: In ein, zwei Jahren wird sowieso zugemacht, dann lieber jetzt noch das Geld. Viele wollen und
können auch nicht mehr, sind psychisch fertig.
Betrifft das vor allem euer Werk mit der Achsfertigung oder ist das auch in Werk I?
Was ich mitbekomme, ist das flächendeckend. Im Bandbereich Werk I denken einige, jetzt
bekommen wir den Astra-5-Türer und schöpfen daraus Hoffnung. Aber im Presswerk oder Auspuff und
bei uns in Werk II und III Achsenfertigung, Powertrain und Teile/Zubehör/Lager rechnen
alle damit, dass wir nicht mehr lange überlebensfähig sind. Man muss auch sehen, dass in Werk I
unsere Informationsveranstaltung unterlaufen wurde. Da sind Betriebsräte an die Bänder gegangen,
die gegen Werk II schießen nach dem Motto: wir müssen um unsere eigene Haut kämpfen.
Bei allen Aktionen und
Informationsveranstaltungen, die wir in den letzten Jahren durchgeführt haben, war immer die Mehrheit
der Betriebsräte dagegen, bis auf eine Handvoll von Betriebsräten, VKL-Mitgliedern und
Belegschaftsmitgliedern, die dafür gesorgt haben, dass wir bestimmen, was hier abläuft.
Der Abschluss, der uns jetzt droht, verlangt,
dass wir auf 20 Millionen Dollar verzichten alles im Namen der Wettbewerbsfähigkeit. Eine
unserer Hauptforderungen ist: Wir wollen auf jeden Fall, dass die Belegschaft über den Abschluss
abstimmt. Wir haben Druck gemacht, und mittlerweile wurde ein Koordinierungskreis gebildet, der jetzt
austüfteln soll, wie die Belegschaft entscheidet. Jetzt haben sie doch Angst bekommen. Den
Betriebsräten wurde richtig Druck gemacht, aber die Kollegen selber standen ja auch unter ungeheurem
Druck durch den Konzern. Es kann auch sein, dass in den Abstimmungen bestimmte Pakete geschnürt
werden, die hintenrum erst nach März 2006 greifen, nach den Betriebsratswahlen die wollen ja
alle wieder gewählt werden.
Und die Belegschaft ist außen vor?
Die Belegschaft wird behandelt, als wären es Kinder. Das ist ja meistens so in
Führungspositionen, ob in der Politik oder bei Betriebsräten, die denken immer, ich bin jetzt
gewählt, ich habe die Macht, ich muss jetzt entscheiden. Was hat der Hahn mal gesagt bei einer Sitzung
der Vertrauenskörper: »Belegschaft abstimmen lassen? Die meisten am Band wissen doch gar nicht,
was los ist. Da müssen wir als Betriebsräte entscheiden, wir sind autonom, dafür sind wir
gewählt worden, wir sind Vertreter.«
Warum ist der Widerstand im Vergleich mit anderen Werken in Bochum viel
stärker gewesen?
Im Ruhrgebiet ist der Widerstand stärker als in Kaiserslautern oder anderen Betrieben. Es hat
zunächst mal was mit der Maloche zu tun: Bergarbeiter, Stahlwerker, Metzger und was weiß ich, die
haben einen ganz anderen Drall, eine ganz andere Schnauze. Das macht viel aus. Dazu gehört ein
politisches Bewusstsein, da hat auch viel geholfen, dass die Uni hier ist, dass früher Leute von der
Uni bei Opel angefangen haben, dass Gruppierungen von außerhalb Schriften verteilt haben, eine andere
Herangehensweise, andere Perspektiven aufgezeigt haben.
Habt ihr in Rüsselsheim kennen gelernt, wie die Kollegen dort denken? Wie sind eure
Kontakte nach England, Polen oder Schweden?
Ganz wenig, da sind wir überfordert. Ich habe die ersten VKL-Treffen von allen Standorten
mitgemacht, aber die Kollegen vor Ort haben wir nicht sprechen können. Wir haben zwar versucht, die
Kontakte auszubauen, aber es ist ganz schwierig, da ranzukommen.
Es ist schon schwer genug, Widerstand im
eigenen Betrieb aufrecht zu halten. Ich sehe das so: Strukturen müssen von Personen vor Ort gemacht
werden, wir können nicht von Bochum aus den Widerstand alleine leisten. Wenn die Strukturen da
gewachsen sind, dann kann man zusammen arbeiten. Aber die sieht man zu wenig.
Ist die Vereinbarung mit dem polnischen Werk in Gliwice aufgrund von Militärverträgen
zwischen den USA und Polen noch in der Diskussion?
Das war im Anfang, als wir die Sachlage damals kennen gelernt haben, ein großes
Gesprächsthema. Einige Stimmen gab es, die sagten, hätten wir den Krieg damals auch mitgemacht,
hätten sie uns den Zafira nicht weggenommen. Aber das ist Blödsinn. Wir hätten damals schon
auf die Straße gehen müssen und sagen, der Zafira bleibt hier. Aber nicht unter der
Prämisse, dass die in Polen keine Arbeit haben, sondern darum, weil der Standort sonst plattgemacht
wird.
Die bauen neue Standorte auf mit den Geldern,
die wir erwirtschaftet haben, um uns mit Konkurrenz unter Druck zu setzen. Man darf nicht so engstirnig
darüber denken. Gerade ist im osteuropäischen Raum investiert, aber wir kennen ja aus der
Geschichte die polnischen Kollegen, das wird ein paar Jahre dauern, die werden sich die Erpressung nur ein
paar Jahre gefallen lassen. Dass die Kollegen Arbeit haben ist in Ordnung, irgendwann werden sie das
wahrscheinlich auch nicht mehr mitmachen wollen. Das ist die Hoffnung.
Siehst du noch Chancen für die Belegschaft, die Vertrauensleute, abseits von dem, was
offiziell IG Metall und Betriebsrat machen, die Entwicklung irgendwie aufzuhalten?
Das sind natürlich Träumereien, aber wenn ich überlege, wenn die IG Metall und die
Betriebsratsvorsitzenden auf unserer Seite wären, was wir da machen könnten, was für eine
Macht wir dann hätten, da brauchten wir solche Sachen gar nicht zu diskutieren.
Die einzige Chance, die ich sehe, ist erstmal
aufzuzeigen, was hinter dem Vertragswerk steckt, dass es überhaupt keine Absicherung bedeutet und
immer mehr darauf hinausläuft, dass sie einen Standort platt machen wollen. Deswegen war es auch ein
großer Fehler, im Oktober die siebentägige Informationsveranstaltung aufzugeben. Das war der
größte Fehler, den wir gemacht haben, das war unsere einzige Chance.
Manchmal fragt man sich: Wenn Opel in Bochum keine Autos mehr bauen will, dann geht das Werk
kaputt, aber wenn Autos gebaut werden, geht es ja auch irgendwann kaputt, nur ein bisschen später.
Früher war mir das egal, wo ich gearbeitet habe, irgendeine Firma, die im
Flächentarifvertrag die gleichen Bedingungen haben. Ich konnte früher wechseln, wenn da eine Bude
Erpressungsversuche gemacht hat, zu Krupp, zu Thyssen, nach Opel. Jetzt ist man in der Abhängigkeit
drin, da wirken die Erpressungsversuche. Und da haben die Gewerkschaften und auch die Tarifkommissionen
große Fehler gemacht, dass jetzt in den neuen Industrien Löhne unter Tarifniveau gezahlt werden
und dass Leiharbeiterfirmen usw. nicht mehr im Tarifsystem zu finden sind.
Das muss man im gesellschaftspolitischen
Rahmen sehen, der ist viel wichtiger. Gegenüber den Parteien müssten wir als
außerparlamentarische Opposition auftreten. Wir haben andere Gegner als nur den Betrieb, nur GM. Da
ist GM einer von vielen, die uns angreifen. Das können wir nur auf politischer Ebene angehen. Wenn wir
da Widerstand leisten wollen, dann müssen wir aus dem Betrieb heraus. Ich möchte bestimmte Sachen
diskutieren, und dann soll der Kollege selbst drauf kommen, eigenständig werden und selbst dagegen
vorgehen. Das können die meisten aus IG Metall und Betriebsrat nicht haben, dass da eigenständig
denkende Leute sind, das ist ja gefährlich.
Viele Leute haben mit sehr wachen Augen auf euren Kampf geguckt, weil sie gesagt haben, da zeigt
sich doch, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss. Das war für viele ein Vorbild, ein
Ansporn.
Ich persönlich habe mich dabei auch immer wohl gefühlt. Bei allen Aktionen, die wir
gemacht haben, habe ich immer gesagt, regelmäßig muss die Öffentlichkeit mitbekommen, was
hier abläuft. Wenn die selbst mal aufstehen würden, Solidaritätskämpfe stattfinden
würden, das wäre ideal jetzt, wegen Hartz IV und Agenda 2010 und was alles auf dem Weg ist. Wir
haben damals auf Mercedes oder VW gehofft, dass wir zusammen etwas machen können, aber es war ja auch
geschickt gelegt, alles ist nacheinander abgelaufen.
Dann haben wir auch gehofft, dass Bürger
jetzt mal rebellieren, als ich die Demo gesehen habe oder die Wertschätzung uns gegenüber. Das
ist eigentlich schon ein gesellschaftlicher Kampf. Durch die Aktion hat man viel mehr
gesellschaftspolitisch diskutieren können. Und einen Tag später sind wir rein gegangen zur Arbeit
das war für mich maßlos. Ich habe eine Woche gebraucht, bis ich wieder hoch gekommen bin,
denn das habe ich gesehen: dass man auch gesellschaftlich etwas hätte verändern können.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
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