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Vor vielen Jahren habe ich ein Buch gelesen, »Der stille
Amerikaner«, von Graham Greene. Seine Hauptfigur ist ein wohlmeinender, naiver junger US-Soldat in
Vietnam. Er hat keine Vorstellung von der Komplexität dieses Landes, doch er ist entschlossen, dessen
Fehler zu korrigieren und Ordnung zu schaffen. Das Ergebnis ist ein Desaster.
Ich habe das Gefühl, im Libanon passiert etwas Ähnliches. Die Amerikaner sind nicht so
wohlmeinend und nicht so naiv. Aber sie sind ziemlich entschlossen, in ein fremdes Land zu gehen,
ungeachtet der dort herrschenden komplizierten Lage, und Gewalt auszuüben, um Ordnung, Demokratie und
Freiheit zu schaffen. Das absehbare Ergebnis ist Bürgerkrieg.
Im Libanon: Libanon ist ein Land mit einer besonderen Topographie, ein kleines Land mit hohen
Gebirgszügen und eingeschlossenen Tälern. Im Verlauf der Jahrhunderte hat dies verfolgte
Minderheiten angezogen, die dort Unterschlupf gefunden haben. Heute leben dort, neben- und gegeneinander,
vier ethnisch-religiöse Gemeinschaften: Christen, Sunniten, Schiiten und Drusen. Innerhalb der
Christengemeinde gibt es verschiedene Untergruppen wie die Maroniten und andere sehr alte Sekten, die
meisten sind sich spinnefeind.
Alle diese Gemeinschaften sind in Aktion, jede
für ihr eigenes Interesse, bereit, die anderen bei Gelegenheit anzugreifen. Die Geschichte des Libanon
ist reich an gegenseitigen Massakern. Einige Anführer haben Beziehungen zu Syrien, andere zu Israel,
alle versuchen, die Amerikaner für ihre jeweiligen Ziele einzuspannen. Eine solche Lage lädt
natürlich die Nachbarn und ausländischen Mächte zur Einmischung ein. Syrien, Israel,
Frankreich und die USA haben alle ihre Hände im Spiel.
Vor nur 30 Jahren starteten diese
Gemeinschaften einen fürchterlichen Bürgerkrieg und massakrierten einander. Die christlichen
Maroniten wollten das Land mit Hilfe von Israel unter ihre Kontrolle bringen, wurden jedoch von einer
Koalition aus Drusen und Sunniten geschlagen (damals spielten die Schiiten noch keine große Rolle).
Die palästinensischen Flüchtlinge,
angeführt von der PLO, die eine Art fünfte Gemeinde bildeten, schlossen sich dem Kampf an. Als
die Christen drohten überwältigt zu werden, riefen sie die Syrer zu Hilfe. Sechs Jahre
später besetzte Israel den Südlibanon mit dem Ziel, Syrer und Palästinenser daraus zu
vertreiben und einen starken christlichen Führer durchzusetzen (Basheer Jumail).
Israel brauchte 18 Jahre, um aus diesem Sumpf
wieder herauszukommen. Das einzige Ergebnis seiner Intervention war der Aufstieg der Schiiten zu einer
dominierenden Kraft. Als die israelischen Truppen in den Libanon drangen, regneten die Schiiten Reis und
Kamellen in der Hoffnung, sie würden die Palästinenser hinauswerfen. Als sie merkten, dass die
Israelis nicht vorhatten, das Land wieder zu verlassen, haben sie begonnen auf sie zu schießen. Sharon
ist der Geburtshelfer der Hezbollah.
Es ist schwer vorauszusagen was passieren
wird, wenn die Syrer dem US-Ultimatum nachgeben und den Libanon verlassen. Es gibt keinen Hinweis darauf,
dass die Amerikaner sich Sorgen machten um das gute Zusammenleben der libanesischen Gemeinschaften. Sie
verstehen nicht, dass »Libanon« ein abstrakter Begriff ist, dass für die meisten Libanesen
die Zugehörigkeit zu ihrer Gemeinschaft weitaus wichtiger ist als die Loyalität zum Staat. In
einer solchen Situation hilft auch keine internationale Friedenstruppe. Ein Wiederaufflammen des
Bürgerkriegs ist hochgradig möglich geworden.
Im Irak: Wenn im Libanon ein Bürgerkrieg ausbricht, wird er nicht der einzige in der Region
bleiben. Im Irak ist er bereits im Gang wenngleich noch verborgen.
Die einzige schlagkräftige
militärische Kraft im Irak, abgesehen von der Besatzungsarmee, sind die kurdischen Peshmerga. Die
Amerikaner brauchen sie, wann immer sie gegen die Sunniten kämpfen. In der Schlacht von Fallujah haben
sie eine wichtige Rolle gespielt.
Die Kurden führen derzeit im Norden des
Landes Krieg gegen Sunniten und Turkmenen, um die Ölfelder und die Stadt Kirkuk unter ihre Kontrolle
zu bringen. Sie wollen auch die sunnitischen Siedler vertreiben, die Saddam Hussein dort angesiedelt hat.
Die Medien ignorieren diesen Krieg praktisch,
weil sie alles nur unter dem Label »Krieg gegen den Terror« verbuchen. Die Kurden wollen die
vollständige Autonomie oder Unabhängigkeit. Die Sunniten wollen sich mit der Herrschaft der
Schiiten nicht abfinden, die sie verachten.
In Syrien: Wenn es den USA mit Hilfe Israels gelingt, die in Syrien herrschende Diktatur zu Fall zu
bringen, bedeutet dies keineswegs, dass an ihre Stelle dann Freiheit und Democracy treten.
Syrien ist fast so gespalten wie der Libanon.
Im Süden lebt eine starke drusische Gemeinschaft, im Norden eine rebellische kurdische
Bevölkerung, im Westen die Alewiten, zu denen die Familie Assad gehört. Die sunnitische Mehrheit
ist traditionell gespalten zwischen Damaskus im Süden und Aleppo im Norden. Die Bevölkerung hat
sich in die Diktatur geschickt, aus Furcht vor dem, was kommen mag, wenn sie fällt.
Im Iran: Das Hauptziel der USA hier ist, das Regime der Ayatollahs zu stürzen. Das ist eine
viel härtere Nuss. Denn der Iran eine homogene Gesellschaft.
Israel droht nun offen mit der Bombardierung
iranischer Atomanlagen. Sollten der »Große Satan« (die USA) oder der »Kleine
Satan« (Israel) Iran militärisch angreifen, wird der gesamte schiitische Halbmond in Flammen
stehen.
Auch Israel hat kürzlich einen klitzekleinen Bürgerkrieg erlebt. Im Dorf Marrar in
Galiläa, wo Drusen und arabische Christen seit Generationen miteinander leben, ist ein blutiges Pogrom
ausgebrochen: Die Drusen sind über die Christen hergefallen, haben ihre Häuser angezündet
und zerstört. Es ist ein Wunder, dass niemand umgekommen ist. Die Christen sagen, die israelische
Polizei habe daneben gestanden.
Es ist leicht, einen Bürgerkrieg zu
entflammen. Wenn Freiheit und Democracy als Kreuzzugsbanner einer unverantwortlichen Supermacht gehisst
werden, können die Folgen katastrophal sein.
Uri Avnery
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