SoZSozialistische Zeitung |
In Aceh sind drei Wochen nach dem Erdbeben und dem Tsunami bereits 75000
Menschen in Massengräbern beigesetzt worden, und jeder Tag bringt neue Ladungen von verwesenden
Leichen, die begraben werden. Die Behörden schätzen, dass die Zahl der Toten in Indonesien mehr
als 165000 beträgt, die meisten von ihnen in der Provinz Aceh. Trotzdem ist das Land selbst weitgehend
unbeschadet geblieben.
In der Provinz Aceh lebt der größte
Teil der Bevölkerung von Landwirtschaft und Fischerei. 42000 Familien hängen von kleinen
Fischereibetrieben ab, und die Bauern pflanzen Reis, Chili, Zwiebeln, Gemüse, Mais, Kaffee und
Kokosnüsse auf kleinen Landflächen an, die meisten von ihnen nicht größer als ein
Hektar. Im Nordosten Acehs machen manche Familien beides: Morgens gehen sie fischen, und nachmittags
arbeiten sie auf dem Land. In den anderen Regionen sind diese Arbeiten gewöhnlich getrennt.
Es ist zu früh für eine genaue Einschätzung der Zerstörung, die das Erdbeben und der
Tsunami des 26.Dezember 2004 über die Fischerei und die Landwirtschaft gebracht haben. Die
Welternährungsorganisation (FAO) schätzt, dass zwei Drittel der Fischer in der Provinzhauptstadt
Banda Aceh getötet und 70% der Schiffe der kleinen Fischer zerstört worden sind. Die, die
überlebt haben, haben alles verloren: Bis heute ist die Fischerei nicht wieder aufgenommen worden. Der
Fisch, den man auf den Märkten von Aceh findet, kommt aus den Nachbarprovinzen. Während einige
Fischer schon begonnen haben, ihre Boote und Netze zu reparieren, sind andere zutiefst von der Katastrophe
traumatisiert. Sie weigern sich, zurück auf die See zu fahren.
Verschiedene lokale Organisationen sind
beunruhigt über die Produktionsmodelle, die beim Wiederaufbau dieses Sektors eingesetzt werden sollen.
Viele Jahre lang litten traditionelle Fischer unter der Konkurrenz industriell betriebener Fischerboote,
die von Thailand aus operierten. Ihre Schiffe beuten mit großen feinmaschigen Schleppnetzen die
Ressourcen des Meeres aus. Wie Chaspul Hassibuan von der Humanitären Solidaritätskoalition
für die Naturkatastrophe in Aceh und Nord Sumatra berichtet, operieren diese thailändischen
Schiffe illegal in indonesischen Küstengewässern, nachdem sie die indonesische Armee bestochen
haben.
Zudem haben sich die Fischer in Aceh jahrelang
über die Zerstörung der Mangroven durch einige indonesische Unternehmen beklagt, die entlang der
Küste industrielle Fischteiche angelegt haben. Die Zerstörung der Mangrovenvegetation
zerstört das maritime Ökosystem und vernichtet den natürlichen Schutz der Küste gegen
hohe Wellen.
Kurzfristig brauchen die Fischer Soforthilfe
für das unmittelbare Überleben, mittelfristig brauchen sie Unterstützung für den
Wiederaufbau ihrer Häuser und die Reparatur ihrer Boote. Langfristig jedoch wird die Erholung dieses
Sektors von den politischen Maßnahmen abhängen, die ergriffen werden, um kleine Produzenten gegen
die Konkurrenz der industriellen Fischerei zu schützen und das maritime Ökosystem zu bewahren.
Der Landwirtschaftssektor scheint weit weniger von der Katastrophe betroffen zu sein. Trotzdem
schätzt die FAO, dass 40000 Hektar bewässerter Reisfelder betroffen und viele von den
Bewässerungskanälen durch das Erdbeben zerstört worden sind. Die Welle hat auch Abfälle
über das Land verteilt und den Salzgehalt des Bodens erhöht, wobei allerdings die langfristigen
Folgen unbekannt sind.
Vor dem Tsunami produzierte die Provinz Aceh
genug Reis, um eine Bevölkerung von vier Millionen Menschen zu ernähren. Im Jahr 2003
produzierten die Bauern 871493 Tonnen Reis, während nur 564219 Tonnen vor Ort verbraucht wurden. Die
Überschüsse wurden in andere Provinzen verkauft.
M.Amru, der Vizepräsident von Permata,
der Bauernvereinigung von Aceh, sagt, dass kleine Produzenten bereits vor dem Tsunami mit sehr schwierigen
Lebensbedingungen konfrontiert gewesen seien, vor allem wegen der niedrigen Preise, die sie für ihre
landwirtschaftlichen Produkte erhalten. Zudem schätzt er, dass 30% der Bauern keinen Zugang zu Land
haben, während einige große Palmölplantagen in dem Gebiet operieren. Permata ist aktiv am
Kampf für eine Landreform in Indonesien beteiligt und fördert die organische Landwirtschaft unter
ihren Mitgliedern.
Heute, nach der Katastrophe, stellt sich die
Frage nach dem ökonomischen Überleben des Landwirtschaftssektors in der Provinz. Tonnen von
Nahrungsmittelhilfe werden an die Überlebenden verteilt. Das Welternährungsprogramm (WFP)
schätzt, dass etwa eine Million Menschen ernährt werden müssen. Verschiedene lokale
Organisationen fürchten, das die massive Einfuhr kostenloser Lebensmittel einen Zusammenbruch der
Preise verursachen könnte, der es für die lokale Ökonomie noch schwieriger machen
würde, sich vollständig zu erholen und möglicherweise die landwirtschaftlichen
Kapazitäten bedroht, die die Katastrophe überstanden haben.
Ihre Bedenken sind gerechtfertigt. Im Dezember 1992 zum Beispiel floss Nahrungsmittelhilfe nach Somalia,
obwohl die schlimmste Krise bereits vorüber war und es eine gute Ernte gab. Die importierten
Lebensmittel ließen die Preise, die von den lokalen somalischen Bauern erzielt wurden, um 75% sinken,
wodurch viele gezwungen wurden, ihr Land zu verlassen und sich in die Schlangen bei der
Nahrungsmittelvergabe einzureihen. Einige Bauern klagten, dass ihre Lebensmittel nicht von den
Hilfsorganisationen gekauft wurden, weil die US-Regierung sie nur mit Geld ausgestattet hatte, um
Lebensmittel von US-Firmen zu kaufen.
Nach offiziellen Statistiken produzierte
Indonesien 2003 einen Überschuss von 6,8 Millionen Tonnen Reis, und Ende 2004 verfügte das Land
über Vorräte von 6,3 Millionen Tonnen. Im Jahr 2004 verbot die Regierung den Import von Reis, da
das Land in der Lage war, seinen Bedarf selbst zu decken.
Jetzt aber hat importierter Reis seinen Weg
ins Land gefunden. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) berichtet, dass Thailand und
Saudi-Arabien schon Reis im Rahmen der Hilfsmaßnahmen geschickt haben. Nach Angaben des
Welternährungsprogramm haben die USA bereits 20450 Tonnen Reis an die vom Tsunami betroffenen Regionen
gespendet, der größte Teil davon stammt aus bereits zuvor angelegten Vorräten in Dubai.
In der ersten Phase hatte die IOM die
hauptsächliche Logistik für die Verteilung der UN-Nahrungsmittelhilfe in Aceh mit der
Unterstützung von USAID und der US-Armee, AusAID und anderen internationalen Agenturen und NGOs
bereitgestellt. Die IOM spielte diese ungewöhnliche Rolle, weil sie bereits vor dem Tsunami in Banda
Aceh war, um mit Gruppen zu arbeiten, die durch den Konflikt zwischen dem indonesischen Militär und
der acehnesischen Unabhängigkeitsbewegung (GAM) vertrieben worden waren. Jetzt ist die
Verantwortlichkeit dem Welternährungsprogramm übertragen worden.
Indonesische Medien berichten, dass das
Welternährungsprogramm beabsichtige, einige der bei der Staatsfirma Bulog gekauften Reisvorräte
durch importierten Reis zu ersetzen. Eine Quelle im Landwirtschaftsministerium erklärte, dass es
derzeit keine Erlaubnis der Regierung für einen solchen »Austausch« gibt. Sogar in diesen
Krisenzeiten bleiben alle Reisimporte nach Indonesien illegal, denn das Land hat genug Reis, um der Krise
zu begegnen. Trotzdem bestätigte dieselbe Quelle, dass die US-Botschaft in Jakarta das
Landwirtschaftsministerium Anfang Januar 2005 um eine Erlaubnis zum Import von Reis für die
Nahrungsmittelhilfe gebeten habe.
Indonesien hat nach mehreren Jahren
beispielloser Importrechnungen gerade eben wieder die Selbstversorgung mit Reis erreicht und verteidigt in
der WTO wütend seine heimische landwirtschaftliche Produktion. Das letzte, was Indonesien braucht,
ist, dass der weltgrößte Agrarexporteur den Markt durch die Hintertür der
Nahrungsmittelhilfe betritt.
Indra Lubis/Isabelle Delforge
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04