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Schrittweise vollzieht sich in der BRD seit einigen Jahren ein Prozess des
Umsturzes der gesellschaftspolitischen Realverfassung, bestimmend sind dabei drei Vorgänge: Erstens
die Demontage der sozialstaatlichen Eigenschaften, die auf unterschiedliche Weise sowohl
für die Alt-Bundesrepublik als auch für die DDR kennzeichnend waren. Zweitens die
»Enttabuisierung des Militärischen« (Gerhard Schröder), genauer: die Nutzung
»militärischer Fähigkeiten« für die Exekution außenpolitischer und
ökonomischer Interessen, fallweise auch angriffskriegerisch. Drittens die Umfunktionierung des
Parlaments- und Parteienbetriebes als Ausdünnung seiner demokratischen Substanz.
Dieser gesamte Prozess kann sich nicht etwa auf eine breite und legitimierende Debatte in der
Öffentlichkeit stützen. Die politische Klasse setzte Richtungsentscheidungen durch, ohne diese
als solche identifizierbar zu machen. Das Parlament im Reichstag wurde legislativ abnickend tätig
für Umbrüche, die andernorts in einem schwer durchschaubaren Geflecht von Willensbildung
vorentschieden waren und die Fraktionen im Bundestag agierten dabei wie eine informelle ganz Große
Koalition. Ideologisch steht bei alledem im Mittelpunkt die Anerkennung eines »Primats der
Wirtschaft«, d.h.dominanter Kapitalinteressen, die sich auf »Naturgesetze« des globalen
Wettbewerbs berufen.
Zumindest was das Wegräumen von
Sozialstaatlichkeit und die Entleerung demokratischer Formen angeht, ist es keineswegs so, als sei der
gesellschaftliche Umsturz ohne kritische Reaktionen bei der Masse der Bürgerinnen und Bürger
geblieben. Wertet man die Ergebnisse seriöser Meinungsforschung aus, so zeigt sich: Die Mehrheit der
Bevölkerung in der Bundesrepublik ist nicht damit einverstanden, dass der Kapitalismus sich der
sozialen Zügel entledigt, und sie hat das unangenehme Gefühl, die Demokratie werde zur Farce.
Unzufriedenheit und Verdruss müssen noch
nicht systematische Kritik und Protest bedeuten, soviel ist klar. Sie können auch in nachhaltige
Resignation münden, in gesellschaftspolitische Apathie. Der anhaltende Trend, vom Wahlrecht keinen
Gebrauch zu machen, ist ein Zeichen für solche Entwicklungen. Die politische Klasse muss sich dadurch
nicht gestört fühlen. Die Anzahl der Mandate und der Politjobs wird durch niedrige
Wahlbeteiligung ja nicht geringer, das Parteienkartell bleibt unangefochten. Vermindert wird jenes Risiko,
das ein demokratisches politisches System für die wirtschaftlichen Machteliten immerhin enthält,
denn es sind vorwiegend Menschen aus den unteren sozialen Klassen, deren potenziell kritische Stimmen, die
nun immer mehr im formellen Raum der Politik verstummen. Und notfalls stehen rechtsextremistische
Organisationen oder Parteien bereit, um sozialen Unmut ins Nationalistische und Rassistische hin zu
kanalisieren.
Dennoch diese Bild ist
unvollständig. Sozialdemontage und Demokratieverlust rufen auch ganz andere Reaktionen hervor, und die
militärischen Ambitionen der regierenden Politik lösen alles andere als Begeisterung aus.
In der Bundesrepublik sind in den letzten Jahren Formen des Protestes von unten her neu belebt worden,
vielerorts haben sich »soziale Bündnisse« gebildet, in Momenten der Zuspitzung fanden
Demonstrationen gegen die Kriegspolitik viel Anklang, Gruppen von jungen Leuten unternehmen
selbstständig etwas gegen die neuen Nazis, nicht wenige Gewerkschafter melden sich unabhängig von
ihren Vorständen zu Wort, lokale Initiativen setzen Bürgerentscheide durch es gibt viele
Ansätze einer neuen sozialen und demokratischen Opposition, und es besteht nicht mehr die
Wahrscheinlichkeit, dass die Sozialdemokratie als Partei oder die Grünen diese Regungen vereinnahmen
und inhaltlich enteignen könnten. Also haben wir in der Bundesrepublik eine Situation, wo eine
entschiedene Kritik am Kapitalismus und seinen Begleit- und Folgewirkungen wieder eine Chance bekommt? Wo
die nicht sozialdemokratisch oder grün gezähmte Linke aus ihrer Randexistenz herauskommen kann?
Da wird das Bild widersprüchlich.
Zweifellos wirken in vielen Strukturen und bei
vielen Aktivitäten einer neuen sozialen und demokratischen Opposition Personen und Ideen aus der
»alten« Linken in einem erheblichen Umfange mit, gelegentlich auch hemmend, weil nicht von der
Versuchung frei, diese Ansätze zu instrumentalisieren. Überwiegend jedoch produktiv, gedanklich
anregend, Erfahrungen einbringend, organisatorisch helfend. Aber es lässt sich nicht sagen, die
»alte« Linke (in ihren verschiedenen Schattierungen) und die neue Opposition (in ihrer
Vielgestaltigkeit und mitunter auch Diffusität) seien dabei, sich zukunftsträchtig zu vermischen
und zu vermengen. Warum nicht? Die Antwort, neue Oppositionelle seien zumeist nocht nicht reif,
»bewährte« Theorie- und Strategieangebote aus dem historischenSchatz der Linken zu
übernehmen, wäre absurd. Sozialistische Analysen und Alternativen befinden sich selbst »in
Bewegung«, müssen sich mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen, Lösungen für
Fragen der Gegenwart suchen. »Fertig« ist da nichts.
Davon soll an dieser Stelle nicht weiter die
Rede sein, vielmehr auf ein anderes Problem aufmerksam gemacht werden: Die »alte« Linke in der
Bundesrepublik hat es bisher nicht geschafft, ihre Erfahrungen und Fähigkeiten dafür zu nutzen,
einer gruppenübergreifenden Öffentlichkeit der neuen Opposition voranzuhelfen, einen
»kommunikativen Raum« für oppositionelle Ideen und Aktivitäten herauszubilden, der nur
unabhängig von den kapitalistischen Massenmedien denkbar ist. Erste Versuche dazu existieren im
Internet, sie können aber die Funktionen nicht ersetzen, die nach wie vor bei Print-Publikationen
liegen.
Warum denn sollte unter den heutigen Bedingungen in der Bundesrepublik eine von links her bestückte
oppositionelle Zeitung keine Chance haben, wenn sie »bewegungsorientiert« arbeitet? Die Junge
Welt als Tageszeitung, linke Theoriezeitschriften, die Zweiwochenschrift Ossietzky (in der Tradition der
Weltbühne) und Blätter linker Organisationen haben ihr spezifisches Profil, ihre besonderen
Funktionen sie ersetzen nicht, was da fehlt und würden selbst nicht
überflüssig, wenn es dies gäbe: Eine Zeitung als Organ der Information, des
Meinungsaustausches, der Argumentationshilfe und der öffentlichen Präsentation derjenigen
Menschen, die sich mit sozialen, demokratischen und kriegsgegnerischen Motiven in die Politik einmischen
wollen. Wer gesellschaftspolitische Alternativen entwickeln will, zusammen mit anderen engagierten
Bürgerinnen und Bürgern, wird alternative Formen von Medien ausprobieren müssen, in denen
»Kommunikation« nicht als Tarnbegriff für propagandistische Überwältigung
eingesetzt wird.
Selbstverständlich sollten wir
einbringen, was an gedanklichen Traditionen und praktischen politischen Erfahrungen aus der Geschichte der
Arbeiterbewegung und der linken Organisationen vorhanden ist, wenn es um den Beitrag der Linken zur
Entwicklung eines publizistischen Organs der Opposition geht. Aber wer sich heute neu und durchaus
kapitalismuskritisch Gedanken machen und gesellschaftlich engagieren will, muss sich deshalb noch nicht
für Richtungsstreitigkeiten zwischen KPD und KAPD oder KPD und KPO oder innerhalb der
IV.Internationale usw. interessieren, und selbst Hans Jürgen Krahl muss noch kein Begriff sein.
Soziale, demokratische und kriegsgegnerische Opposition heute setzt Internationalität voraus, auch bei
der Berichterstattung. Aber das heißt nicht, dass Kenntnisse über Fraktionskonflikte in der
bolivianischen Linken verlangt werden. Auch an der üblichen Politiksprache der Linken ist, wenn
Kommunikation ernst gemeint ist, vieles zu überprüfen vielleicht dient es, näher
besehen, eher der Selbstabschottung? Die thematischen Schwerpunkte einer zur breiteren Opposition hin
offenen linken Publistik sind durch die aktuellen gesellschaftlichen Prozesse vorgegeben: Information und
Kritik in Sachen Sozialdemontage, Demokratieverfall und Militarisierung der Außenpolitik.
Allerdings reichen da generalistische
Einschätzungen nicht aus, gebraucht werden genaue Beschreibungen der alltäglichen Vorgänge
und Wirkungen dieser Umbrüche, wie sie in den Massenmedien nicht zu finden sind. Ebenso werden
anregende Erfahrungen aus der oppositionellen Praxis benötigt, Handlungswissen ist gefragt. (Ich
weiß, für überzeugte Konkret-Leser klingt das blöd.) Überhaupt nicht gebraucht
werden linke Grüppchen-Rechthaberei und linke Alleinvertretungsansprüche.
Lähmend wirkt linkes Publizieren, wenn es
Lesern das Gefühl gibt, die gegenwärtigen Veränderungen im gesellschaftlichen System und in
den Ausformungen kapitalistischer Politik seien für sich nicht weiter bemerkenswert, sondern nur
abzuhaken als Tagesauftritt einer ewig gleichen Allmacht des Kapitals. Verkannt wird dann, dass die
Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft auch unter dem Kapitalismus nicht vorentschieden sind,
dass sie durch soziale und politische Bewegungen beeinflusst werden können, was existenzielle
Bedeutung hat. Wer Opposition versuchen will und aus linken Texten herausliest, dass da praktisch gar
nichts zu machen ist, wird auf die Dauer vielleicht auch auf diese linke Lektüre verzichten…
Noch einmal zu der Idee einer Zeitung der
sozialen und demokratischen Opposition: Sie ist nicht aus dem Boden zu stampfen, das muss nicht eigens
erläutert werden. Aber heißt das, sie sei ein für allemal nicht machbar? Warum sollte es
nutzlos sein, Gehversuche in diese Richtung zu unternehmen, Vorarbeit zu leisten in den jetzt bestehenden
linken Blättern? Meine Meinung ist: Zu weiten Teilen ist die derzeitige Schwäche der Linken im
öffentlichen Kräftefeld der deutschen Gesellschaft selbst verschuldet. Es mangelt links an
Kommunikationsfähigkeit. Das wird kein angeborener Mangel sein.
Arno Klönne
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
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