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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2005, Seite 20

Albert Einstein

Eine politische Biografie

Der beste Weg, Radikale unschädlich zu machen, ist sie in den Himmel zu heben. Albert Einstein erhielt in den USA die Aura des zerstreuten Professors: ein harmloses Genie, das mit Ideen spielte, die keinen unmittelbaren Bezug zur Realität hatten. Die Akte, die das FBI über ihn anlegte, beweist, dass er zu Lebzeiten weitaus mehr war als ein weltabwesender Wissenschaftler. Einstein war ein aktiver Linker, er stand gegen die Nazis, gegen Rassismus und Kapitalismus.

Albert Einstein wurde 1879 in Ulm geboren. 1895 floh er vor dem Militärdienst in die Schweiz, studierte am Polytechnischen Institut in Zürich theoretische Physik, nahm die schweizerische Staatsbürgerschaft an, arbeitete im Patentamt und verbrachte seine Tage unter sozialistischen und anarchistischen Studenten im Odeon Café, zusammen mit radikalen russischen Exilierten wie Alexandra Kollontai, Leo Trotzki und W.I.Lenin. Nach Lehraufträgen in Zürich und Prag folgte er einem Ruf von Max Planck 1914 nach Berlin.
Dort geriet er ins Mahlwerk des Krieges. Planck schloss sich dem von 93 renommierten deutschen Wissenschaftlern unterzeichneten »Aufruf an die Kulturwelt!«an, ein von rassistischen und protonazistischen Begriffen triefendes Dokument, das den Krieg des Kaisers gegen diejenigen rechtfertigt, »die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen«.
In seinem ersten größeren politischen Akt antwortete Einstein mit drei weiteren Wissenschaftlern darauf mit einem »Aufruf an die Europäer« (der niemals erschien, weil er nur von diesen vier unterzeichnet wurde):
»Solche Stimmung ist durch keine nationale Leidenschaft zu entschuldigen, sie ist unwürdig dessen, was bisher alle Welt unter dem Namen der Kultur verstanden hat, und sollte sie Allgemeingut der Gebildeten werden, so wäre das ein Unglück. Aber nicht nur ein Unglück für die Kultur, sondern ein Unglück dafür, wofür letzten Endes all diese Barbarei entfesselt ist: nämlich für den nationalen Bestand der einzelnen Staaten.«
Nach Verfolgungen und Bedrohungen in der Weimarer Republik nahm Einstein 1930 in den USA einen Lehrauftrag an und gründete dort die pazifistische Organisation War Resisters‘ International. Er blieb für den Rest seines Lebens Professor am Institute for Advanced Study in Princeton. Nun interessierte sich das FBI für ihn; es legte eine Akte über ihn an, die 1983 zu erstenmal freigegeben wurde, nicht ohne vorher kräftig zensiert worden zu sein, sie ist 2000 Dokumentenseiten dick.
Der Druck auf ihn nahm zu, als die Sowjetunion ihren ersten Atomtest machte. Die US-Regierung konnte sich nicht vorstellen, dass die Sowjetunion die Bombe aus eigener Kraft entwickelt hatte, es musste jemand das Geheimnis aus den USA an sie verraten haben. FBI- Direktor Edgar Hoover konzentrierte sein Augenmerk auf Einstein, denn er war bekannt dafür, ein Mann der Linken zu sein. Das Problem mit ihm aber war, dass er keinerlei direkte Beziehungen zum Atomprogramm der USA hatte.
Nicht in der Lage, Einstein zu fassen, sammelte Hoover trotzdem Informationen über viele von Einsteins Aktivitäten, die heute fast völlig vergessen sind. Zur Vereinfachung, kann man sie in vier Kategorien unterteilen:

1. Marxismus

Im Mai 1949 gründeten zwei Wirtschaftswissenschaftler eine herausragende marxistische Zeitschrift, Monthly Review, die bis heute in New York herausgegeben wird. In ihrer ersten Ausgabe veröffentlichte Einstein einen Artikel mit dem Titel »Why Socialism?«.
Einstein war eindeutig Sozialist und bewunderte den Marxismus. Aber er fühlte doch, dass die antisemitischen Maßnahmen der sowjetischen Regierung die Theorie verunglimpften. »Die Philosophie hinter dem Kommunismus hat eine Vielzahl von Verdiensten, da sie sich mit der Beendigung der Ausbeutung der einfachen Menschen und der Aufteilung von Gütern und Arbeit entsprechend den Bedürfnissen und Fähigkeiten beschäftigt«, sagte er in einem Interview. »Kommunismus als politische Theorie ist ein gewaltiges Experiment, aber leider wird es in Russland in einem schlecht ausgestatteten Labor ausgeführt.« Er blieb bis zu seinem Tod ein engagierter Sozialist.

2. Antirassismus

1950 lud Stalin Einstein ein, in die UdSSR zu kommen und dort zu leben. Einstein schrieb zurück: »Warum ist es jüdischen Wissenschaftlern nicht erlaubt, herausragende Posten innezuhaben? Warum werden jüdischen Wissenschaftlern und Forschern offensichtlich Hindernisse in den Weg gelegt? Warum wurden bestimmte jüdische Professoren der Medizin nicht in die jüngst gegründete Medizinische Akademie gewählt?« Dem Kommunismus wohlwollend gegenüberstehend, war Einstein dennoch ein überzeugter Antirassist und ließ es nicht zu, dass irgendeine Diskriminierung unerwähnt bliebe.
Erfahrungen mit dem Antisemitismus in Deutschland erzeugten in ihm eine starke Abneigung gegen den Rassismus, in den USA verbrachte er Jahre als Vorkämpfer für die unterdrückten Völker überall in der Welt. 1950 verurteilte Einstein den Rassismus in den USA aus ganzem Herzen: »Rassenvorurteile sind unglücklicherweise eine amerikanische Tradition geworden, die von Generation zu Generation weitergegeben werden«.
Den Worte folgten Taten. Als Einstein sich 1931 am California Institute of Technology aufhielt, kam er mit dem Scottsboro-Fall in Berührung, einer juristischen und politischen Kampagne, die die Kommunistische Partei führte, um neun schwarze Jugendliche zu befreien, die fälschlicherweise einer Vergewaltigung bezichtigt und zum Tode verurteilt worden waren.
Nach dem Krieg kamen die schwarzen Armeeangehörigen zurück und suchten die Freiheit, für die sie in Europa gekämpft hatten. Aber was sie vorfanden, war eine erneute Bekräftigung der weißen Vormachtstellung. Jeder, der Ansprüche auf seine Rechte geltend machte, wurde umgebracht, oftmals durch Lynchjustiz.
Einstein schloss sich einer Gruppe von prominenten Antirassisten an und gründete 1946 den American Crusade Against Lynching (Amerikanischer Kreuzzug gegen das Lynchen). In dieser Kampagne traf Einstein die bedeutenden Kommunisten Paul Robeson und W.E.B. DuBois. Durch sie kam er in die bedeutendste antirassistische Bewegung der 40er und 50er Jahre, wie den Civil Rights Congress, der 1950 den Vereinten Nationen die Petition »We Charge Genocide« vorlegte.

3. Antifaschismus

Die Verbindung zwischen dem Rassismus in den USA und dem Faschismus in Europa war den meisten eine zweite Natur, die unter dem Stiefel eines der beiden litten. Als der schwarze Dichter Langston Hughes 1937 nach Spanien reiste, um die Republik zu verteidigen, schrieb er: »Uns Negern in Amerika muss man nicht sagen, was der Faschismus in Aktion bedeutet. Wir wissen es. Seine Theorien der nordischen Überlegenheit und der wirtschaftlichen Unterdrückung sind für uns lange Wirklichkeit gewesen.«
Einstein wandte seine Energie nicht nur auf, um Flüchtlinge vor dem Nazismus zu unterstützen, er stellte sich auch auf die Seite des republikanischen Spanien, trotz der »Neutralitäts«-Politik der US-Regierung (während der US-Ölgigant Texaco gleichzeitig den Treibstoff für Francos italienische und deutsche Flugzeuge lieferte!).
Er wurde ein überzeugter Unterstützer der Abraham-Lincoln-Brigade — das Freiwilligenaufgebot aus den USA, das aufgebrochen war, um die Republik zu verteidigen. 1937 schrieb er: »In diesem Moment versichere ich euch, wie zutiefst vereint ich mich den loyalistischen Streitkräften und ihrem heroischen Kampf in dieser großen Krise eures Landes fühle.«
1942 nahm Einstein mit Blick auf den sich herausbildenden Imperialismus der USA die spanische Krise umfassender unter die Lupe:
»Warum hat Washington geholfen, das loyalistische Spanien zu strangulieren? Warum hat es einen offiziellen Vertreter im faschistischen Spanien? Warum erkennt es die spanische Exilregierung nicht an? Warum unterhält es Beziehungen zum faschistischen Spanien? Warum gibt es keine wirklich ernsthafte Anstrengung, Russland in seiner schrecklichen Bedrängnis zu unterstützen? Es ist eine Regierung, die zum großen Teil von Bankiers kontrolliert wird, deren Mentalität der faschistischen Gedankenverfassung nahe steht. Wäre Hitler kein Wahnsinniger, er hätte mit den westlichen Mächten befreundet bleiben können.«

4. Antiimperialismus

Im Einklang mit seiner Analyse der Weltereignisse, stellte sich Einstein deutlich gegen den US- Imperialismus. Als klar wurde, dass Hitlers Wissenschaftler eine Atombombe produzieren könnten, schloss sich Einstein anderen fortschrittlichen Wissenschaftlern an, um Roosevelt zur Schaffung des »Manhattan-Projekts« zu drängen.
Wie sie war er begierig, die Technologie zu nutzen, um die Nazis schachmatt zu setzen, und protestierte energisch sowohl gegen den Einsatz der Bombe in Japan durch die US-Regierung als auch gegen die konsequente Expansion ihrer militärischen Macht.
Einstein war ein Gründungsmitglied des Emergency Committee of Atomic Scientists, der Dachorganisation von Initiativen gegen Atomwaffen und antiimperialistischen Gruppen. Anfang 1950 trat er in Eleanor Roosevelts Fernsehsendung auf. Dort erklärte er nicht nur: »Die Vernichtung jeglichen Lebens auf der Erde liegt im Bereich der technischen Möglichkeiten«, sondern auch, der Rüstungswettlauf sei »eine katastrophale Illusion«, der »hysterische Züge« trage und im Ergebnis zur »Konzentration einer enormen finanziellen Macht in den Händen des Militärs« führen werde.
Als überzeugter Internationalist empfand Einstein »Nationalismus als eine Kinderkrankheit. Es sind die Masern der Menschheit«. Er akzeptierte die Notwendigkeit staatlicher Souveränität zum Schutz gegen den Imperialismus, verabscheute aber die Umformung dieses Bedürfnisses in nationalen Chauvinismus. Er war ein überzeugter Unterstützer Israels, empfand aber dennoch, er wolle lieber »eine vernünftige Einigung mit den Arabern auf der Basis des Zusammenlebens in Frieden, als die Schaffung eines jüdischen Staates sehen«.
In einem Brief an Chaim Weizman, den ersten Präsidenten Israels, schrieb er: »Wenn es uns nicht gelingt, den Weg ehrlicher Kooperation und Einigung mit den Arabern zu finden, werden wir nichts aus unserem zweitausendjährigen Leidensweg gelernt haben und das Schicksal verdienen, das uns erwartet«.
Als Weizman 1952 starb, fragte Premierminister David Ben Gurion Einstein, ob er Präsident von Israel werden wolle, doch der weigerte sich. Einige Jahre später notierte Einstein vorausschauend: »Der wichtigste Aspekt in [Israels] Politik muss unser immer vorhandener deutlicher Wunsch sein, völlige Gleichheit für die in unserer Mitte lebenden Arabern herzustellen. Die Haltung, die wir gegenüber der arabischen Minderheit einnehmen, wird der wirkliche Test für unsere moralischen Standards als Volk sein.«
Einsteins antiimperialistische Haltung führte ihn zur Befürwortung einer einzigen Weltregierung, einer supranationalen Körperschaft, die von allen Völkern der Welt verwaltet werden sollte. Wenn auch diese Vision wegen ihrer schieren Unklarheit nicht Politik werden konnte, so gab Einstein seinen Freunden und Bewunderern doch einen Rat gegen die Polarisierung des Kalten Krieges. Als im November 1949 Nehru Einstein in Princeton besuchte, bestärkte Einstein diesen, die Blockfreien-Bewegung fortzusetzen und deren Führung zu übernehmen.
1955, ein Jahr vor seinem Tod, erklärte Einstein: »Ein großer Teil der Geschichte ist voll vom Kampf für Menschenrechte, ein ewiger Kampf, in dem ein endgültiger Sieg niemals errungen werden kann. Aber in diesem Kampf nachzulassen, würde den Untergang der Gesellschaft bedeuten.«

Vijay Prashad

Vijay Prashad ist außerordentlicher Professor und Direktor beim International Studies- Programm des Trinity College in Hartford, USA. Der obenstehende Artikel ist die Kurzfassung einer Rezension der Neuerscheinung von Fred Jerome: The Einstein File. (Übersetzung: Harald Etzbach.)



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