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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2005, Seite 21

One Day in Europe, Deutschland/Spanien 2004, Regie: Hannes Stöhr; mit Megan Gay, Ludmila Zwetkowa, Peter Scherer, Florian Lukas, Erdal Yildiz u.a.

Überzeichnet

Für Gabor (Peter Scherer) ist in Santiago de Compostela die Katastrophe schlechthin passiert. Nicht der Wert des gestohlenen Fotoapparats ist für ihn tragisch, sondern der Verlust von rund 5000 in der Digitalkamera gespeicherten Bildern, die der Geschichtslehrer aus Ungarn auf dem Jakobsweg gemacht hat. Ausgerechnet beim letzten und entscheidenden Bild — er vor der Puerta Santa — wird dem leichtgläubigen Ungarn die Kamera von einem Fremden, den er um diese Krönung der Reise gebeten hat, entwendet.
Die Ereignisse in Santiago stellen eine von vier Episoden dar, die Regisseur Hannes Stöhr in seiner Komödie One Day in Europe über ganz Europa verstreut hat. Das verbindende Element für die Diebstahlgeschichten ist das fiktive Finale der Fußball-Champions-League, das an diesem Abend in Moskau zwischen Deportivo La Coruńa und Galatasaray Istanbul stattfindet. Während sich in Santiago der Polizist Barreira (Miguel de Lira) in aller Seelenruhe — schließlich ist die Plaza Quintana videoüberwacht — mit der Aufklärung des Diebstahls beschäftigt, steuern in Moskau beide Mannschaften auf die Verlängerung zu.
Bereits vor Spielbeginn ist in Moskau die Engländerin Kate, gespielt von Megan Gay, in einem Hinterhof ausgeraubt worden. Wie Barreira in Santiago zeigt auch die Moskowiter Polizei an Kates Fall nur geringes Interesse. Sie hat genug mit Fans von Deportivo und Galatasaray zu tun, die auf derselben Wache landen, auf der Kate den Diebstahl ihres Koffers, ihres Handys und ihrer Scheckkarten meldet. Unterstützung erhält die Kunsthändlerin nur von der Rentnerin Elena (Ludmila Zwetkowa), die den Überfall von ihrer Wohnung aus beobachtet hat. Mit robustem Auftreten verschafft Elena der kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehenden Kate die gestempelten Polizeiformulare für die Versicherung.
Die hält nach zahlreichen Schwierigkeiten auch Rokko (Florian Lukas) in Händen. Der deutsche Student hat in Istanbul einen Raubüberfall vorgetäuscht, um mit der Versicherungssumme seine leere Urlaubskasse aufzufüllen. Er hat allerdings nicht mit dem Misstrauen der türkischen Polizei gerechnet, die ihm unter anderem partout nicht glauben will, dass er ausgerechnet bei der Hotelsuche rein zufällig in ein touristisch absolut unbedeutendes Stadtviertel geraten ist. Da er zudem die Täter anhand der Polizeidatei nicht identifizieren kann, wird seine ganze Geschichte in Frage gestellt. Gerettet wird Rokko, der kein Türkisch spricht, von Celal (Erdal Yildiz), in dessen Taxi er nach dem »Überfall« gesprungen war und der ihn bei der Polizei abgesetzt hat. Beide können sich gemeinsam in aller Ruhe die zweite Hälfte der regulären Spielzeit ansehen, nachdem Rokko Celal nicht ganz freiwillig die »gestohlene« Uhr übergeben hat.
Insgesamt wirkt das Komödiantische in One Day in Europe an einigen Stellen überzogen. In allen vier Episoden werden die Verständigungsprobleme auf den Polizeidienstellen zu sehr in den Mittelpunkt gerückt, etwa wenn Barreira in Santiago aus »Hungary« »hungry« macht und aus der Verdrehung einen neuen Namen für sein Gegenüber ableitet. Überzeichnet werden teilweise auch die klischeehaften Zuschreibungen, wie etwa der rotweintrinkende Polizist in Galizien, der sich erst um das Kleid seiner Frau kümmern muss, ehe er sich mit dem bestohlenen Pilger aus Ungarn beschäftigen kann. Oder der Taxifahrer in Istanbul, der sich mit seinem Fahrgast auf dem Beifahrersitz zunächst selbstständig auf die Suche nach den Verbrechern macht. Aber es gibt in Stöhrs Film auch einige nette Highlights, wie eben Celal, der Rokko plötzlich in breitem Schwäbisch antwortet. Oder die Videoüberwachung auf der Plaza Quintana, die nicht zur Ergreifung des Täters führt, weil sich der Polizist hinter der Kamera lieber voyeuristisch den Beinen der Touristinnen genähert hat. Und auch die Fans von Deportivo und Galatasaray, die in Moskau bei der Polizei lauthals nach einem Fernseher verlangen, während man nur die zwischen den Zellengittern hervorquellenden Fanschals sieht, veranlassen zum schmunzeln.
Ein netter Film mit einigen Unzulänglichkeiten wäre One Day in Europe, wenn er nicht — analog zum Spiel in Moskau — in Berlin in die Verlängerung gehen würde. Das Künstlerpärchen Rachida (Rachida Brakni) und Claude (Boris Arquier) wollen durch einen fingierten Überfall das Geld für die Rückreise nach Frankreich auftreiben. Dazu fahren sie nach Hohenschönhausen, um den dort laut Reiseführer ansässigen Skinheads die Tat unterzuschieben. Als sie jedoch keine Neonazis zu Gesicht bekommen, landen sie quasi wie selbstverständlich in Kreuzberg. Ihnen ist es schließlich egal, ob sie durch Skins, Türken, Russen oder Ukrainer das Geld für Frankreich zusammenbekommen.

Volker Elste

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