SoZSozialistische Zeitung |
Papst Johannes Paul II. ist gestorben, wie er gelebt hat. Ein letztes Mal hat
er die Welt in Atem gehalten, Anhänger wie Kritiker mobilisiert und Millionen von Zuschauern
ausgerechnet während und nach dem »heiligen« Osterfest über Wochen an den Fernseher
gebannt. Ein letztes Mal hat er jene bemerkenswerte Mischung aus Gläubigkeit und Ungläubigkeit
provoziert, die Millionen von Menschen nach Rom »pilgern« und sie »im Hause des Herrn«
gleichzeitig klatschen und grölen lässt, man möge ihn doch sofort heiligsprechen. Ein
letztes Mal hat dieser Papst der inneren Einkehr einen Triumphzug seiner weltlichen Macht ausgelöst,
der in seiner Nachhaltigkeit weitreichende Weichen in die Zukunft stellt.
Ein letztes Mal hat er damit aber auch die
ganze Widersprüchlichkeit seines Pontifikats wie der von ihm repräsentierten Religiosität
offenbart. Mit Doppelmoral zur Moral, mit weltlicher Diplomatie und Happening-Veranstaltungen zum
verinnerlichten Glauben, mit modernster Technik zur Anti-Modernität, mit einem konsumistischen Glauben
gegen den materialistischen Konsumismus, mit einer Authentizität, die sich gekonnt inszeniert
so hat dieser Papst zu einem bemerkenswerten weltweiten Aufschwung katholischer Gläubigkeit
beigetragen und diese gleichzeitig entleert.
Die öffentliche »Inszenierung«
seines individuellen Leidens, die selbst nichtgläubige Kommentatoren und Zuschauer als ein
bewunderungswürdiges Zeugnis menschlicher Authentizität meinen anerkennen zu müssen, kann
ihren reaktionären Charakter allerdings nur schlecht verschleiern. Jesus sei auch nicht vom Kreuz
gestiegen, soll Johannes Paul II. gesagt haben. Doch Jesus hat das Leiden am Kreuz nicht als Fügung in
den Status quo inszeniert, sondern seine Schmerzen und seinen Protest herausgeschrien und gegen jene, die
ihm dies antaten inklusive seines Vaters bittere Klage erhoben. Dass die christliche
Kirchentradition die menschliche Verzweiflung und Opposition des Leiden Christi erfolgreich zur
gottgefälligen Hinnahme des »Schicksals« umzuinterpretieren vermochte, allein darin
verdeutlicht sich wie in einer Nussschale ihr reaktionärer, herrschaftsgefälliger Gehalt.
Im Oktober 1978 an die Macht des »Heiligen Stuhls« gekommen, hat sich Johannes Paul II.
bemerkenswert erfolgreich auf seinen Kreuzzug für den Glauben gemacht. Stück für Stück
hat er die politischen, ökonomischen und kulturellen Schalthebel der katholischen Kirche erobert und
für das Rollback gegen die einflussreiche Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils benutzt. Konsequent
hat er den ebenso ideologischen wie institutionellen Kampf gegen alle Formen progressiv-liberaler Theologie
aufgenommen, von den Jesuiten und Franziskanern über linksliberale und feministische Theologien bis zu
jener einst machtvollen und ausgesprochen anziehenden Theologie der Befreiung. Vertreter all dieser
Strömungen wurden abgesetzt und kaltgestellt, denunziert und verfolgt, während Vertreter
ultrakonservativer Laienorganisationen oder ultrareaktionärer Geheimorden wie des berüchtigten
Opus Dei hofiert und befördert wurden.
Das ausgrenzende Rollback gegen Frauen und
Laienorganisationen innerhalb der katholischen Kirche und die Reaktivierung der innerkirchlichen
Inquisition (Glaubenskongregation) unter dem deutschen Kardinal Ratzinger sind dabei zwei Seiten eines
integralen Prozesses der Rückeroberung innerkirchlicher Hierarchie. Und diese Rehierarchisierung
diente einem gleichermaßen weltlichen wie spirituellen Ziel, das sich bis zur Perfektion im Glauben
und Wirken des polnischen Katholiken Karol Wojtyla verkörpert sah. Sein Leben lang kannte dieser Mann
»nur ein Ziel: den Ersatz der dem Diesseits sich zuwendenden Religiosität (mit ihrer beinahe
schon unauflöslich erscheinenden Identifikation mit sozialem Engagement) durch eine wieder voll aufs
Jenseits gelenkte Spiritualität« (Werner Raith).
Hier, im geradezu physischen Ekel vor
Diesseitigkeitsparolen (Raith), verband sich die neokonservative Kulturrevolution innerhalb der
Katholischen Kirche Stichworte: Sexualität, Ehe und Empfängnisverhütung mit
dem päpstlichen Bündnis mit den neokonservativen Revolutionären unter Ronald Reagan. Und ihr
Mittel war die Reaktivierung der alleinigen Jurisdiktionsgewalt des Papstes über die Gesamtkirche. Mit
diesem Dogma päpstlicher Unfehlbarkeit unterwarf Johannes Paul II. alle und alles, Glaubensinhalte wie
Definitionsmacht über die Zugehörigkeit zur katholischen Gemeinschaft, seiner ganz
persönlichen Willkürherrschaft.
Das verdrängen jene, die ihn nun zum
Kämpfer gegen den Totalitarismus und für Menschenrechte stempeln, allzu gern. Die massive
Einschränkung der Rede- und Forschungsfreiheit in katholischen Studienanstalten und die Verweigerung
der Unterzeichnung der europäischen Menschenrechtserklärung sprechen ebenso eine andere Sprache
wie das Wohlwollen, mit dem autoritäre Regime und Fürstentümer oder die italienische Mafia
vom Papst und seinem Vatikan geschont oder gar umworben wurden. Und die Vehemenz des päpstlichen
Eintretens für die Glaubensfreiheit seiner polnischen Brüder und Schwestern kontrastiert
auffallend mit der Vehemenz, mit der er den Glaubenskampf bspw. der irischen Katholiken ignoriert hat.
Auch der Kämpfer gegen den
»menschenverachtenden Kommunismus« (Spiegel), als den sie ihn nun alle sehen möchten, war er
nie. So feindlich er den polnischen »Kommunisten« gesinnt war, so freundlich war er den Kubanern
gesinnt (vgl. S.4). Selbst im polnischen Fall sind dicke Fragezeichen angebracht. So massiv er im
aktiven Bündnis mit der US-amerikanischen CIA die Subversion gegen die polnischen
»Kommunisten« ideologisch und finanziell gefördert hat, so einträchtig verstand sich
Johannes Paul mit dem polnischen Militärdiktator Jaruzelski und kritisierte allzu oft den praktischen
Kampf der Gewerkschaft Solidarnosc zumal als diese noch deutlich sozialistisch gesinnt war.
Karol Wojtyla war, wie man so schön sagt, der richtige Mann zur richtigen Zeit. Aufgewachsen in den
dunklen Zeiten des europäischen Bürgerkrieges und zumal in der von diesem besonders betroffenen
polnischen Gesellschaft hat er, zuerst unter der Diktatur Pilsudski, dann unter dem deutschen Faschismus
und schließlich in dem an diesen anschließenden »Realsozialismus«, niemals erfahren,
was Demokratie ist oder sein kann. Von individuellen Schicksalsschlägen persönlich betroffen
früher Tod von Mutter, Bruder und Schwester, sowie selbst nur knapp dem Tode entronnen ,
tröstete sich der junge Wojtyla mit dem Glauben an Mystizismus und Personenkult und brachte es schnell
zu innerkirchlichen Würden. Von der Reformpolitik des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 60er und
70er Jahren marginalisiert, wurde er als einer der Letzten erneut einer der Ersten, als es Ende der 70er
Jahre darum ging, auf die tief greifende Krise weltlich-linker Befreiungsbewegungen und den Aufstieg neuer
Fundamentalismen (den sich in der iranischen Revolution verkörpernden neuen Islamismus, den sich in
Reagan und Thatcher verkörpernden Zweiten Kalten Krieg, den sich im Aufstieg des Postmodernismus
verkörpernden neuen Irrationalismus) eine innerkirchliche Antwort zu geben.
Und so wie diese neuen Fundamentalismen zu
Beginn ihres Siegeszugs gerade von den Progressiven unterschätzt und belächelt wurden, geschah es
auch Johannes Paul II. Unterschätzt und belächelt wurde dabei vor allem seine »spirituelle
Kraft«, seine Fähigkeit, Millionen zutiefst verunsicherter Christen einen neuen Glaubensinhalt
anzubieten. Keiner hat dabei wie er das alte christliche Liedgut erneuert, das die Übel menschlicher
Dieseitigkeit mit der Vertröstung auf ein jenseitiges Heil kompensiert.
Mit den modernsten Mitteln
spätkapitalistischer Kultur- und Massenindustrie begann eine spirituelle Offensive, die ihresgleichen
sucht, und zuerst durch das ominöse Attentat des Türken Ali Agca, dann durch seine
langjährigen Krankheiten erfolgreich aufrechterhalten werden konnte. Vor allem infolge des
Zusammenbruchs des ehemals »real existierenden Sozialismus«, als plötzlich nur noch der
Papst aus grundsätzlichen Erwägungen gegen jenen wild gewordenen Kapitalismus predigte, den er
einstmals selbst durch sein Bündnis mit den neoliberalen Neokonservativen mitbeschworen hatte,
entstand in den 90er Jahren um ihn eine Aura der Authentizität, die in ihrer Massenwirkung durchaus
vergleichbar ist zur Wirkung eines Che Guevara oder Malcolm X in den 60er und 70er Jahren.
So sehr sich die Bedürfnisse der nach solcher Authentizität verlangenden Menschen gleichen, so
sehr verdeutlicht dieser Vergleich aber auch den entscheidenden Unterschied zwischen den Protagonisten.
Wird der menschliche Traum nach Erlösung
aus dem irdischen Jammertal im revolutionären Sozialismus radikal verweltlicht und zum Imperativ einer
Transformation des historischen Bösen »by any means necessary« (Malcolm X) ,
wird die Sehnsucht nach Erlösung in der christlichen Religion in ein überirdisches Reich
göttlicher Vernunft überführt. Dort verdichtet sie sich dann zu einer metaphysischen und
verinnerlichten Erlösungsidee, die Entfremdung nicht mehr aufzuheben verspricht wie im
revolutionären Sozialismus, sondern sie zum unhintergehbaren Sündenfall ontologisiert. Armut und
Askese, bei den einen das gelebte Ethos als Einsicht in die möglichst noch zu Lebzeiten zu
überwindende Notwendigkeit, werden bei dem anderen zu ewig währenden Mitteln im Kampf gegen das
wohl nie zu überwindende sittlich Böse.
Wer jedoch das fortwirkende Phänomen des
Johannes Paul II. einzig als ein reaktionäres wahrzunehmen vermag, verkennt jenen in der
religiösen Transzendenz begründeten, unvergänglich oppositionellen Stachel, der ausgerechnet
diesen Papst zum wenn auch inkonsistenten, so doch scharfen Kritiker von Neoliberalismus und Krieg werden
ließ. Die weltlich-liberale Kritik an seinen Taten und er war in der Tat ein Täter, und
sei es nur durch Unterlassung einer Hilfe, die seine Autorität hätte leisten können (AIDS-
Prävention durch Kondome) trifft deswegen nicht oder nur sehr bedingt jene Millionen hungriger
Seelen, denen es um gerade diesen Glauben, diese Transzendenz, geht.
Deren Blick aufs Jenseits im Glauben wiederum
verschleiert allerdings, dass und wie solcherart religiöse Transzendenz gerade in postmodern-
neoliberalen Zeiten gleichsam zwangsläufig einher geht mit einer durch und durch reaktionären
Weltlichkeit, dass und wie diese Zeiten das Bedürfnis nach Transzendenz gleichzeitig beflügeln
wie sie dessen traditionelle Formen entleeren.
Ob die christlichen Religionen dieser
Herausforderung dauerhaft gewachsen sind, bleibt trotz all ihres momentanen Erfolges fraglich. Der Mensch,
hat einmal ein schlauer und konsequent diesseitig orientierter Mensch gesagt, ist kein abstraktes,
außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat und Gesellschaft. Und
dieser Mensch ist durchaus ein Lenker seines eigenen Schicksals. Er ist es zum Teil bereits heute und er
kann es mehr noch sein, wenn er sich endlich zum kollektiven Schritt aus jenem irdischen Jammertal
entschließt, das noch immer mit dem Namen Kapitalismus am treffendsten charakterisiert ist. So sehr
das religiöse Bewusstsein auch ein Protest gegen dieses irdische Elend ist Seufzer der
bedrängten Kreatur, Gemüt einer herzlosen Welt, Geist geistloser Zustände , so ist es
gleichzeitig ihr konzentriertester Ausdruck, der klassische Fall eines nonkonformistischen Konformismus.
Die Forderung, die Illusionen religiöser
Heilsversprechen aufzugeben, bleibt deswegen auch nach Johannes Paul II. »die Forderung, einen Zustand
aufzugeben, der der Illusion bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales,
dessen Heiligenschein die Religion ist« (Karl Marx).
Christoph Jünke
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04