SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2005, Seite 4

Kolumne von Thies Gleiss

Zu spät, du rettest den Freund nicht mehr...

Das Wort »Kapitalismus«, so trauert die FAZ, ist nach dem Scheitern von Werner Sombart »in die Hände der Marxisten« gefallen und wurde in Deutschland ein »negativ besetzter Begriff«. In diese Kerbe hat jetzt unser rotschaliger Müntefering Franz gehauen, als er die hemmungslose Macht des Kapitals anprangerte. Welch eine Performance: der vor kurzem geschasste SPD-Generalsekretär Olaf Scholz — hat die Partei mittlerweile überhaupt einen neuen? — wollte aus dem geplanten SPD-Grundsatzprogramm noch den Begriff »demokratischer Sozialismus« tilgen, und jetzt haut der Parteichef höchstselbst in seiner Rede zu diesem Programm so auf die Kacke. Und siehe da, die Herren Schröder (!) und Steinbrück (!!) versichern eiligst, dass dies auch ihre Sicht der Dinge wäre.
Nur der Minister für Wertschöpfungsgemeinschaft Clement hat wohl auf die Schnelle nicht so viel Rotwein in sich hineinschütten können, um seinem großen Vorsitzenden beizupflichten. »Franz Müntefering hat Recht, wenn er die totale Ökonomisierung der Gesellschaft anprangert«, tönt Steinbrück. Und er hat schnell erkannt, worum es geht: ihm fehlen noch 900000 Wählerstimmen bei der Landtagswahl im Mai, um wieder gewählt zu werden. Und die will er »großteils bei der klassischen Industriearbeitnehmerschaft« holen. Da muss schon mal die alte Klassenkampfkeule rausgeholt werden, egal was der Designeranzug dazu sagt.
Für ungefähr 60 Euro könnte der Franz sich noch viel mehr Erleichterung verschaffen: für diesen Betrag bietet jemand (ob es Clement ist, konnten wir nicht rauskriegen) im Netz der Netze die Internetadresse »sozialistischepartei.de« an. Wie wäre es mit einer Umbenennung der SPD in SP.de? Möglicherweise ginge es sogar noch billiger, denn die Adresse sozialistische-partei.de besitzt ein Genosse Dröge (keine Namenswitze bitte!) von — Erbarmen — der SAV. Aber die ist vielleicht freigiebig. Der SPD-Vorsitzende hätte also die Chance, seinen jüngsten Schwenk zu vollenden. Wir würden dann auch davon absehen, dass seine neueste Meinungsänderung offensichtlich auch für ihn völlig überraschend kam. Oder wie ist dieser grammatikalische und sprachliche Murks zu verstehen: »Unsere Kritik gilt der international wachsenden Macht des Kapitals und der totalen Ökonomisierung eines kurzatmigen Profithandelns.«
Das dumme Zeugs löste aber die entsprechenden Reflexe aus: »SPD verschreckt die Wirtschaft« titelt die FAZ am Sonntag. Die Herren Hundt und Thumann (das ist der neue Rogowski) brauchten keine halbe Stunde, um ihre Sorge herauszuschreien, dass Deutschland wieder im Sozialismus versinken werde. »Bei Müntefering war das nicht nur Wahlkampfrhetorik«, diagnostizierte der Dr.med.klassenkampf Thumann.
Ganz den Kopf tätschelnden Onkel spielte dagegen der sich stets als Kanzlerfreund bezeichnende Boss der Georgsmarienhütte, Jürgen Großmann: »Der Regierungschef hat die Aufgabe, pragmatisch alles dafür zu tun, den Wohlstand des Volkes zu mehren. Der Parteichef dagegen kann ideologisch sein. Die Kritik an der wachsenden Macht des Kapitalismus führt uns zurück zu einer Art Sozialromantik, die uns von einer wirtschaftsorientierten Politik abbringen könnte. Das wäre aber falsch. An einer Verwirtschaftlichung dieser Welt führt nichts vorbei.«
Der SPD in Nordrhein-Westfalen wird der neue Müntefering auch kaum noch helfen. Die neue bei dieser Wahl antretende Generation von SPD-Kadern hatte sich gerade damit angefreundet, selbstbewusst in alle Mikrofone zu plärren, dass Hartz IV und Agenda 2010 nicht etwa erzwungene Abweichungen von der korrekten Linie wären, sondern vielmehr alternativlose Umsetzung moderner Sozialpolitik. Kein kleineres Übel also, kein Verhindern von Schlimmeren, sondern glasklare Umsetzung der SPD-Programmatik. Und nun kommt der Parteiobermufti und pfeift sie schon wieder in die andere, die alte abgedroschene Sozi-Ecke.
Aus gleicher Verzweiflung ist wohl auch die tolle Aktion der Sozialdemokraten in Gelsenkirchen entstanden: Sie haben groß und mit viel Presse die Gründung einer ASG gefeiert — der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten im Gesundheitswesen. Auch diesen Ärzten am Krankenbett des Kapitalismus sei versichert: Euren Kanzler Schröder rettet ihr damit auch nicht davor, auf dem Misthaufen der Geschichte zu landen, das Teil, das euch die Stimmen mopst, heißt mittlerweile WASG.

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang