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Bei den Landtagswahlen am 22.Mai in Nordrhein-Westfalen tritt erstmals auch
die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) an. Spitzenkandidat ist der seit 1989 als
Industrie- und Sozialpfarrer und Leiter des Sozialpfarramts im Kirchenkreis Herne tätige Jürgen
Klute, der sich in Forschung und Publizistik seit vielen Jahren schwerpunktmäßig mit dem Thema
»Zukunft der Arbeit« beschäftigt. Für die SoZ sprachen Rolf Euler und Christoph
Jünke mit ihm.
Als die Initiative für eine neue Wahlalternative im letzten Jahr bekannt geworden ist, hat
sie eine bis weit in die großen bürgerlichen Presseorgane reichende Publizität erreicht. Nun
tritt sie zu ihrer ersten Landtagswahl an, die Publizität ist jedoch weitestgehend weg. Bei der WAZ,
um ein Beispiel zu nennen, taucht die WASG allenfalls noch im gleichen Atemzug mit der NPD auf. Wie will,
wie kann man diese Tabuisierung nun im Wahlkampf wieder durchbrechen, um der großen Koalition des
Sozialraubs etwas entgegenzusetzen?
Zum ersten hat uns bisher natürlich das Sammeln der vorgeschriebenen Unterschriften für
die Direktkandidaten in allen 128 Wahlkreisen sehr viel Zeit gekostet. Von Tür zu Tür zu gehen,
hat Zeit und Arbeitskraft gebunden. Gleichzeitig ist dies natürlich auch ein Teil unserer Strategie,
bekannt zu werden.
Zum zweiten haben wir bereits viele
Veranstaltungen vor Ort durchgeführt und dabei die Erfahrung gemacht, dass viele Zeitungen, mit ein
paar Ausnahmen, dann auch recht fair und informativ berichten. Ein Teil unserer Zielgruppen liest vor allem
den Lokalteil. Die WAZ unter der Geschäftsführung von Bodo Hombach ignoriert uns allerdings
nachhaltig auf regionaler Ebene.
Drittens werden wir natürlich nun, da
diese Phase erfolgreich abgeschlossen ist, provokanter und gezielter vorgehen. Da gibt es schon einige
Überlegungen.
Welche Erfahrungen habt ihr bisher im Kontakt zu den Menschen gemacht? Herrschen auch dort
Desinteresse und Ignoranz vor?
Absolut nicht. Als Referent habe ich auf einer Reihe von Veranstaltungen die Erfahrung gemacht,
dass diese gut besucht waren, die Räume immer voll waren, von 2025 über 5060 und
manchmal auch mehr. Das ist auf dieser Basisebene schon mehr als viele etablierte Parteien aufzuweisen
haben. Interessanter noch sind die dortigen Diskussionen gewesen. Die Leute waren sehr dran an den Themen,
haben sehr interessiert, gewissenhaft und durchaus auch kritisch nachgefragt, was wir eigentlich machen
wollen. Das heißt aber ja nur, dass sie auch ernst nehmen, was wir vorschlagen.
Arbeitslosigkeit spielt in diesen Diskussionen
eine zentrale Rolle, aber auch Fragen der Steuergerechtigkeit bspw., also die Finanzierungsfrage. Ein
anderer Punkt, der mir aufgefallen ist, ist die Politikverdrossenheit, die Frustration von Leuten, die
lange gar nichts gemacht haben, nun aber das Gefühl haben, dass sie wieder was machen müssten.
Mit dieser Einstellung wollten sie sich dann angucken, was wir vorzuschlagen haben.
Es geht also über die Möglichkeiten der Wahl hinaus auch darum, sich wieder politisch
zu engagieren?
Ja, das ist meine Beobachtung. Es sind immer wieder Leute dabei, die das deutlich artikulieren.
Stammtischparolen habe ich bisher nicht gehört, es geht um mehr als »Dampf ablassen«.
Das war schon beim Sammeln der Unterschriften
deutlich. Zuerst waren die Menschen natürlich misstrauisch, wer da vor ihrer Tür stand. Wenn sie
aber ein wenig Vertrauen geschöpft hatten, brach es aus den meisten geradezu heraus dass sie
die Schnauze voll haben, von dem, was passiert. Sie haben erzählt, wie viele Leute sie im Arbeits- und
Lebensumkreis haben, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, und was sie diesbezüglich erlebt und
durchgemacht haben. Die Bereitschaft, sich auf unsere oder andere Alternativen einzulassen,
hat mich sehr überrascht. Vor allem ältere und junge, alleinerziehende Frauen sind sehr
ansprechbar.
Auf welche Bewegungen und Gruppen stützt sich die WASG denn vor Ort?
Mit unterschiedlichen Gewichtungen von Ort zu Ort, treffen sich auf der einen Seite
Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die als solche mehr machen wollen. Die SPD als politischer
Flügel der Arbeiterbewegung hat da jede Glaubwürdigkeit verloren und wird auch nicht mehr als
solcher akzeptiert. Dann gibt es Leute aus der Arbeitslosenbewegung, teilweise selbst arbeitslos. Es gibt
auch einige, die schon früher politisiert waren und sich lange Zeit zurückgezogen hatten. Manche
sind Opfer von Hartz IV oder auch der »New Economy« geworden und haben sich als solche neu oder
repolitisiert. Erstaunlich für mich: Es sind auch viele Menschen aus dem kirchlichen Bereich dabei.
Ferner gibt es Unterstützung von einigen
lokalen alternativen Listen, die, zum Teil erfolgreich, bereits bei den Kommunalwahlen angetreten waren.
Ohne Mitglied der WASG zu sein, unterstützen sie unsere Kandidatur und helfen vor Ort bei der
Organisation. Immerhin haben wir allein in NRW mittlerweile fast 2000 Mitglieder. Das scheint mir
bemerkenswert.
Das hört sich so an, als ob genügend Grundlagen gebildet werden, eine
Parteiorganisation auch nach der Wahl vor Ort zu verankern?
Es scheint zu gelingen, dass die Wahlinitiative mehr wird als ein Strohfeuer. Dass wir es bisher
geschafft haben, innerhalb weniger Wochen in allen Wahlkreisen Kandidaten aufzustellen, zeigt für
mich, dass bemerkenswert viel Substanz vorhanden ist. Bei vielen Gesprächen mit WASGlern vor Ort habe
ich immer wieder gehört, dass es diesen Mitgliedern um ein langfristiges Projekt geht, dass das
Parlament, so wichtig es die meisten auch nehmen, kein Selbstzweck sei. Erklärte Absicht vieler ist,
dass es ihnen um ein wirkliches alternatives Projekt gegen den Neoliberalismus geht.
Gibt es auch lokale alternative Gruppen, die euch explizit nicht unterstützen? Und wie
gestaltet sich die Situation mit der anderen flächendeckend präsenten linken Partei, der PDS?
Außer den etablierten Parteien haben wir bisher keine ausgesprochenen Gegnerschaften gefunden.
Was die PDS angeht, so ist unsere Haltung, dass sie es im Westen nicht geschafft hat, sich zu etablieren
das kann man der Wirklichkeit ja entnehmen. Wir haben nichts gegen die PDS, wir wollen nur ein
eigenständiges Projekt präsentieren.
Mit dem Ziele, dass die westlichen PDSler bei einem Erfolg der WASG sich derselben
anschließen?
Darüber gibt es derzeit keine Diskussion bei uns. Sicherlich hätte niemand etwas dagegen,
wenn sich dies so gestalten würde. Es gibt viele inhaltliche Überschneidungen, aber auch
Unterschiede. Die WASG versteht sich als Alternative im System. Der demokratische Sozialismus, der auf den
Fahnen der PDS steht, ist da weitergehender in Richtung einer Systemalternative. Die WASG tritt mit einer
Wirtschaftspolitik an, die auf Keynes fußt, und ich wüsste nicht, dass dies die theoretische
Grundlage der PDS wäre.
Was macht denn diese Alternative aus?
Die WASG versteht sich, wie gesagt, nicht als Alternative zum System. Wir sagen nicht, dass wir den
Kapitalismus durch den Sozialismus ersetzen wollen. Es gibt sicherlich einzige Gruppierungen innerhalb der
WASG, die dafür offen wären, doch die strategische Überlegung ist, dass systemische
Alternativen derzeit ausgesprochen schwer zu diskutieren sind in der praktischen Politik. Eher kommunikabel
ist die Frage nach Alternativen im System.
Und da geht es vor allem gegen den
Neoliberalismus. Dessen Vordenker Hayek formuliert sehr prägnant, dass soziale Gerechtigkeit ein
Fortschrittshemmnis ist und dass umgekehrt die Spannung zwischen Arm und Reich den Motor des Fortschritts
darstellt. Der Neoliberalismus zielt also auf eine Gesellschaft, die ganz bewusst ein bestimmtes Quantum an
Armen hat und auch will.
Die Alternative der WASG steht dagegen
für die Orientierung an sozialer Gerechtigkeit, und das heißt auch Gleichheit. Ohne Gleichheit
keine soziale Gerechtigkeit. Denn ohne eine materielle Mindestausstattung, ohne die Anerkennung eines
wirtschaftlichen Existenzrechts, sind politische Rechte nicht realisierbar. Während der
Neoliberalismus von der Kostensenkungslogik her denkt, gründet die Programmatik der WASG auf den
Menschenrechten.
Auf der praktisch politischen Ebene hat dies
die Konsequenz einer nachhaltigen Stärkung nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik und der Forderung
nach einer Erneuerung staatlicher Verantwortung für eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Denn nur Reiche
können sich bekanntlich einen armen Staat leisten.
Viele Linke würden sagen, das eine solche Alternative im System illusorisch ist, dass man
die Zwangsläufigkeit des Neoliberalismus nur in Frage stellen kann, wenn man das System selbst in
Frage stellt.
Das ist eine schwierige Frage. Theoretisch habe ich als Theologe keine Schwierigkeit damit, auch
das System in Frage zu stellen. Ich habe aber den Eindruck, dass eine solche Infragestellung politisch
gegenwärtig nicht vermittelbar ist. Ganz pragmatisch geht es darum, wie ich Politik, mit der ich nicht
einverstanden bin, ändern kann. In gewisser Weise ist das auch ein Experiment, von dem wir nicht
wissen, wie es ausgeht. Es geht aber eben darum, die Sache nicht einfach laufen zu lassen. Und
Zwangsläufigkeit kann ja nicht Automatismus bedeuten, dann hätte Politik ja keinen Sinn. Ich
denke schon, dass eine begrenzte Umsteuerung auch innerhalb des Systems möglich ist.
Und ein zentraler Aspekt dabei ist eine andere
Steuerpolitik. Memorandum, Attac, Ver.di und IG Metall haben ja das solidarische Einfachsteuersystem
vorgelegt, das auch wir vertreten. Dieses solidarische System setzt gezielt darauf, hohe Einkommen und vor
allem die Unternehmen zu besteuern, nicht das wegzubesteuern, was dem Facharbeiter zukommt. Es geht vor
allem um die globalen Akteure, die von den Steuergeschenken profitiert haben. Es geht um die
Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die sich nicht aus sich selbst generieren lässt.
Auch Rot-Grün ist 1997/98 mit solchen Ideen angetreten. Sie hat es dann bloß nicht
umgesetzt. Wie gedenkt ihr, euch diesen scheinbaren Sachzwängen zu entziehen?
Ich würde schon noch einmal zurückfragen wollen, ob die SPD, und es geht hier vor allem
um die SPD, wirklich unter dem Druck der globalen Akteure eingebrochen ist, oder ob nicht bei Clement,
Schröder, Eichel überhaupt eine innere Nähe zur Großindustrie und zum Neoliberalismus
Ausschlag gebend sind.
Jedenfalls sagt die WASG, dass sie keinesfalls
mit Parteien koaliert, zu deren Politik sie eine Alternative sein will, sollte sie den Sprung ins Parlament
schaffen. Unsere Einschätzung ist, dass wir nur mit einer lautstarken und konsequenten Opposition
etwas verändern können.
Schleswig-Holstein zeigt jedoch, wie schnell man in eine solche Situation kommen kann. Und es
bestätigt scheinbar die Rede von SPD und Grünen, dass die linken Stimmen es der CDU
ermöglichen, sie abzulösen.
Das ist doch nicht unser Problem. Wenn der SPD die Leute weglaufen, weil sie heute eine neoliberale
Politik macht, hat sie das selbst verantworten. Zum anderen sind unsere Zielgruppe weniger die SPD-
Wähler als die vielen Nichtwähler. Hier in Nordrhein-Westfalen werden die Leute weniger zu
Wählern der radikalen Rechten als zu Nichtwählern. Das gesamte linke Spektrum kann ja nur
gestärkt werden, wenn diese Leute wieder wählen gehen
Es geht euch nicht nur um soziale Gerechtigkeit, es geht euch auch um Arbeit. Geht es dabei um
arbeiten, arbeiten, arbeiten?
Nein, es geht nicht um irgendeine Arbeit. Es geht um den Zusammenhang von Arbeit und Leben. Arbeit
ist nicht das ganze Leben. Hier setzt ja auch die WASG-Programmatik für Arbeitszeitverkürzung an,
als Antwort einerseits auf die Arbeitslosigkeit und zugleich als Weg, Leben und Arbeiten in ein anderes
Gleichgewicht zu bringen. Es geht um eine Neuverteilung von Arbeit und Einkommen. Es geht darum, dass
Arbeitsmöglichkeiten für alle zur Verfügung gestellt werden, die ein auskömmliches
Einkommen und eine angemessene Beteiligung am gesellschaftlichen Reichtum ermöglichen. Das heißt
also: keine Niedriglohnsektoren, keine prekären Arbeitsverhältnisse, kein Verzicht auf
Gesundheitsschutz und ähnliches.
Der Begriff der angemessenen Beteiligung am
Volkseinkommen ist in der Tat ein schwammiger Begriff, aber es geht zuallererst darum, dass ein solcher
Anspruch endlich wieder formuliert wird. Es gibt ein schönes Lied des uruguayischen Sängers
Daniel Viglietti, in dem es heißt: »Ich frage euch, ob ihr in diesem Land niemals gedacht habt,
dass, wenn die Hände uns gehören, uns auch gehört, was sie uns geben.« Das ist einfach
eine Art, anders zu denken, zu fragen, ob die Dinge so sein müssen, wie sie sind. Viele Menschen in
unserem Land haben offenbar verlernt, so zu fragen.
Viele Menschen sind sich über
mögliche Alternativen nicht mehr klar, haben sich vollkommen eingelassen auf die neoliberale Logik.
Sie glauben manchmal selbst, dass ihre Arbeitskraft zu teuer sei. Selbst Arbeitslose zeigen mitunter
Verständnis, dass ihr Arbeitsplatz abgebaut wurde, weil sie angeblich zu teuer seien. Wenn es uns
gelingt, diese Perfidie wieder in den Blickwinkel zu bekommen, den Mythen der Kostensenkung
entgegenzutreten und die Leute zum Nachdenken und Nachfragen zu bewegen, was uns vermittelt wird durch die
Medien und die etablierte Politik, das wäre ein wichtiger Schritt.
Das heißt, der Spitzenkandidat Jürgen Klute macht sein neues politisches Engagement
nicht abhängig vom Wahlausgang der WASG?
Nein, das mache ich sicherlich nicht.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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