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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2005, Seite 6

Drama mit offenem Ausgang>

Jobgipfel zwischen Regierung und Opposition

Der hochgepriesene Jobgipfel zwischen Regierung und Opposition erweist sich als bescheidenes Drama in fünf (?) Akten. Ob es zur Tragödie langt, werden die Wahlen in NRW zeigen. Die Schauspieler sind seit Jahren dieselben, ihre Rolle ändert sich nicht, ihre Leistungen sind lustlos, ein Ersatz-Reagan ist weit und breit nur in Kalifornien zu sehen…

Das Drama nimmt seinen Lauf unter den Bedingungen der begonnenen Hartz-IV-Reform, von über 5 Millionen Erwerbslosen und der letzten Stufe der Steuerreform, die u.a. den Reichen eine Senkung des Spitzensteuersatzes beschert. Zur Erinnerung: Die Steuerreformen der »rot-grünen« Regierung bescherten dem Staat bislang schon einen Einnahmeausfall von 60 Milliarden Euro. Durch Hartz-IV verarmen Hunderttausende dauerhaft, es gibt Ärger in den Job-Centern, Finanzausfälle bei den Kommunen. Somit muss »re(a)giert« werden.
Das Drama beginnt mit einem Vorspiel. Der DGB- Vorsitzende Sommer erklärt den (von ihm) nicht geführten Kampf gegen Hartz IV gegenüber dem Spiegel für beerdigt und bläst zum Abmarsch — die Empörung der Betroffenen prallt an ihm ab.
Erster Akt: Der Bundeskanzler tritt vor die Unternehmer und kündigt Maßnahmen an. Eichel und Clement streiten sich, ob eine weitere Senkung der Unternehmenssteuern gefordert werden darf. Schröder drängt auf Investitionen für Arbeitsplätze. Clement bezeichnet das Ansteigen der Arbeitslosenzahlen als »Realismus« — die Satire wiederholend, die bisher schon die offiziellen Zahlen der Bundesbehörde für Arbeitslosigkeit auszeichnete.
Zweiter Akt: Auftreten die Vertreter des freien Unternehmertums, die in den letzten Jahren unter den Gewerkschaften, den Arbeitslosen, den Rentenbeziehenden und Kranken so gelitten haben. Sie verkünden, nun müssten endgültig die Unternehmenssteuern gesenkt und die Renten gekürzt werden, sonst könnte von Arbeit in Deutschland gar nicht mehr die Rede sein. Steigende Gewinne, Exportüberschüsse, die bisherigen Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen, dazu Nullrunden bei den Renten und einen beispiellos niedrigen Krankenstand verbuchen sie unter »stille Einlagen« zur Steigerung der Managergehälter. Im übrigen bauen sie weiter fleißig Personal ab.
Ob und wieviel die Gewerkschaften fordern, geht aus der Presse nicht hervor — ob Sommers Spiegel-Gespräch allen den Mund einfrieren ließ, ob mangels Interesse nur ihre Presseerklärungen nicht mehr abgedruckt werden, ist nicht bekannt. Ein Unternehmervertreter jedenfalls, der vor einem »wichtigen« Gipfel so wenig forderte, wäre nicht mehr lange im Amt.
Dritter Akt: Horst Köhler, der Präsident aller Bundesbürger, tritt vor die versammelten Unternehmer, das Raunen in der Presse nimmt zu, die Spannung wird noch einmal angeheizt werden für das Duo Schröder/Merkel. Köhler präsentiert, was von ihm zu erwarten war: Seine in jahrelanger Tätigkeit als Wissenschaftler und Staatssekretär in CDU-Regierungen, als Präsident des Sparkassenverbands, als Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und als Geschäftsführender Direktor des IWF erreichten Erkenntnisse bündelt er in der Forderung: »Vorfahrtsregel für Arbeit« — was »anderen Zielen dient, und seien sie noch so wünschenswert, ist nachrangig«.
Zur Behebung des von ihm benannten »Kernproblems, den zu hohen Lohnnebenkosten«, reichen die bisherigen Reformen natürlich nicht aus. Großer Beifall bei den Unternehmern — das Publikum staunt, wie schon eine so schwache Dramaturgie ausreicht um Hauptforderungen »niedrigere Arbeitskosten, ein flexibler Arbeitsmarkt, ein vernünftiges Steuersystem und deutlich weniger Bürokratie« als Höhepunkt eines präsidialen Auftritts durchgehen zu lassen. Alles schon oft und besser gehört, alles schon seit Jahren auf der Agenda, alles schon »im rot-grünen Bereich«.
Vierter Akt: Frau Merkel und Herr Stoiber schieben haushohe Kulissen, auf denen steht: »Pakt für Deutschland«. Sie bemühen sich, den Eindruck zu erwecken, Schröder wäre schon so gut wie von der Bühne. Ihre Sprechblasen sind mit Köhler koordiniert und zeigen dem Publikum: Wir wollen es können! Sie fordern richtig tolle Maßnahmen: mehr Arbeitsplätze, weniger Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, längere Arbeitszeiten, Entlohnung 10% unter Tarif, Änderungen beim Kündigungs- und Jugendschutz, mehr Teilzeit, kostengünstigere betriebliche Mitbestimmung, flexiblere Arbeitszeiten…
Am Ende rufen Stoiber-Merkel: »Es ist jetzt an der Bundesregierung, Farbe zu bekennen.« Man weiß nicht, ob sie hoffen oder befürchten, dass vor dieser Drohung Schröder rot und Fischer grün wird, aber soviel gibt das Drama wirklich nicht her.
Der fünfte Akt bringt nun endlich den Gipfel. Alle dürfen zusehen, wie die Beteiligten hinter den Kulissen verschwinden. Die Spekulationen erhalten frische Nahrung durch neue Horrorzahlen vom Arbeitsmarkt und gute Zahlen von der Gewinnfront.
Der Bundeskanzler gibt sich siegessicher. Alle treten gut gekämmt und wie vorher gekleidet wieder auf die Bühne und verkünden das Ergebnis: Die Unternehmenssteuern werden gesenkt, der Staat treibt die Einnahmeausfälle von 7 Milliarden Euro von den anderen Steuerzahlern ein, die Renten werden erneut brutto nicht erhöht, dafür netto gesenkt. Arbeitslose dürfen vielleicht etwas mehr zum ALG II verdienen, Unternehmen dürfen ganz sicher netto mehr verdienen.
Der Vorhang fällt. Auf und hinter der Bühne klatschschen alle Beteiligten Beifall, im Zuschauerraum regt sich keine Hand.
Als die Zuschauer den Saal verlassen, stehen draußen Mitglieder des DGB und verteilen ein Flugblatt:
»Im Vorfeld haben DGB und Gewerkschaften ihre Forderungen und Lösungsansätze der Politik vermittelt. In wichtigen Fragen zeigt sich, dass Teilerfolge erzielt werden konnten.
— Positiv ist, dass auf dem Job-Gipfel eine erste Verständigung erzielt wurde. Ein Scheitern hätte weiteren Vertrauensverlust in die Politik bedeutet.
— Die Ergebnisse dürfen nicht unter Wert verkauft werden, müssen aber auch kritisch bewertet werden.
— Der DGB sieht auf jeden Fall mit Blick auf Wachstum und Beschäftigung deutlichen weiteren Handlungsbedarf.
— Die Steuervorschläge dürfen nicht dazu führen, dass die Handlungsfähigkeit des Staates weiter eingeschränkt wird. Vielmehr benötigt die öffentliche Hand mehr und nicht weniger Finanzmittel, um die von den Gewerkschaften geforderten Impulse für eine nachhaltige Förderung von Wachstum und Beschäftigung zu tätigen.«
Vor dem Theater wird zu dem Drama tatsächlich Tragödie gespielt — die Tragödie des DGB in der Bundesrepublik. Ob eine andere Zeitung der DGB-Erklärung so viel Raum eingeräumt hat, ist nicht bekannt. Die Wirkung ebenfalls nicht. Nur der Vizepräsident der Bundesagentur für Arbeit reagiert prompt und fordert, deutsche Arbeitslose auf Spargel- und Erdbeerfeldern zu beschäftigen. Wir schreiben nicht 1932, Geschichte wiederholt sich als Farce.
Rolf Euler

Nachspiel

Angesichts der anhaltend schwachen Besucherzahlen wird das Stück vorübergehend abgesetzt. Die Schauspieler sind zerstritten: Stoiber und Merkel wollen die Schlussvorstellung nicht mehr mittragen, weil sie die Finanzierung allein aus einer Umverteilung der Steuerlasten unseriös finden.
Die schauspielerischen Leistungen der Truppe um die Bundesregierung werden in der Öffentlichkeit zerrissen. In Schleswig-Holstein ist das Stück mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Die Wahlen in NRW stehen vor der Tür — sie entscheiden, ob die Truppe überhaupt nochmal antreten kann. Ein sechster Akt wird hinzugefügt — aus dem Drama wird jetzt eine Szenenfolge ohne erkennbaren Schlusspunkt.
Sechster Akt: Auftritt Müntefering. Im Hintergrund plätschert der Streit um die Finanzierung der Steuerreform auf Kulisse gebannt weiter. Bis zu den Bundestagswahlen muss sie halten, damit bei Bedarf neue Spannung erzeugt werden kann.
Müntefering bläst die Backen auf und wackelt dramatisch mit den Augenbrauen: »Unsere Kritik gilt der international wachsenden Macht des Kapitals und der totalen Ökonomisierung eines kurzatmigen Profithandelns. Die Handlungsfähigkeit des Staates wird rücksichtslos reduziert.«
Die Vertreter des DGB im Saal klatschen Beifall — seit langem endlich mal wieder. Die Schauspieler der Bundesregierung kommen in Fahrt, schicken Arbeitsstaatssekretär Andres vor: Gesetzliche Verhinderung der Umgehung des Entsendegesetzes! Gesetzliche Fixierung eines von den Tarifparteien festgelegten Mindestlohns! — Die Unternehmerverbände rascheln im Hintergrund. — Andres korrigiert sogleich: »Wer den gesetzlichen Mindestlohn nicht will, ist eingeladen, andere Instrumente anzubieten.« Gähnen im Saal: Die Vorstellung gab‘s schon einmal, bei der Ausbildungsplatzabgabe, sie wurde ein Rohrkrepierer. Dieter Hundt vom BdA ist nicht zufrieden und sorgt dafür, dass das Spiel noch eine Weile weitergeht. Die Bundesregierung ist ihm dankbar…

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