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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2005, Seite 15

Frauen- und Mädchenhandel

Die »Nataschas« der Weltwirtschaft

Mit dem Siegeszug der neoliberalen Werte im aktuellen Prozess der kapitalistischen Globalisierung erfuhr der käufliche Sex in den vergangenen Jahrzehnten eine beträchtliche Ausweitung. Die immer bereitwilligere Unterwerfung unter die Regeln des Marktes und die liberalen Tauschgesetze ließ auch die Akzeptanz der käuflichen Sexualität zunehmen. Für die Bezahlung einer gewissen Summe Geldes kauft man einfach eine gewisse sexuelle Gegenleistung. In einer beträchtlichen Anzahl westlicher Staaten ist die Prostitution bereits zu »einem Beruf wie jeder andere« und in gewissen Ländern sogar zu einem »Anrecht« geworden.
Im Jahr 2001 schätzte man die Anzahl der Prostituierten in der Welt auf 40 Millionen, inzwischen ein unumgänglicher Wirtschaftsfaktor. Die Prostitution zählt in gewissen Staaten heute sogar zu einem Teil der ökonomischen Entwicklungsstrategie. Unter dem Druck von Schuldenrückzahlungsforderungen stehend, wurden zahlreiche Staaten der Dritten Welt von internationalen Organisationen wie dem IWF und der Weltbank — die aufgrund dessen dann wieder beträchtliche neue Kredite freigaben — sogar ermutigt, ihre »Nightlife«- und Tourismusindustrie zu entwickeln.
Der seit einiger Zeit beobachtbare explosionsartige Anstieg des Sexmarktes wird größtenteils vom organisierten Verbrechen kontrolliert. Selbst in Ländern, in denen die Prostitution legal ist (wie etwa in Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen, Finnland, Griechenland, Australien usw.) oder wo die Bordelle Staatseigentum sind (wie in der Türkei oder in Indonesien) oder wo die Prostitution sogar als ein notwendiger Teil der Volkswirtschaft angesehen wird (wie z.B. in Thailand oder auf den Philippinen), bleibt das organisierte Verbrechen ein Basismerkmal in der Organisation dieser Märkte.

Dimensionen und Faktoren

Jedes Jahr werden in den fünfzehn Ländern der EU (gerechnet noch ohne die neuen zehn Mitglieder) etwa 500000 Frauen auf den käuflichen Sexmarkt geworfen. 75% der Frauen, die Objekte dieses Handels sind, sind 25 Jahre alt oder jünger. Auf der globalen Ebene sind ungefähr vier Millionen Frauen und Kinder jedes Jahr betroffen. Im Laufe der 90er Jahre gab es in Südostasien dreimal mehr Opfer dieses Handels von Menschen zu Prostitutionszwecken als es in der ganzen Geschichte Opfer des afrikanischen Sklavenhandels gab. Der afrikanische Sklavenhandel, der sich über eine Periode von 400 Jahren erstreckte, hat 11,5 Millionen Opfer gefordert, während hingegen der Handel zu Prostitutionszwecken allein in Südostasien schon 33 Millionen Menschen betroffen hat.
Seit dreißig Jahren haben die Länder in der südlichen Hemisphäre einen starken Anstieg der Prostitution und des Frauen- und Kinderhandels zu Prostitutionszwecken erfahren. Seit etwas mehr als zehn Jahren ist dies auch in den Ländern der ehemaligen UdSSR, Osteuropas und des Balkans der Fall. So wurden etwa im Jahre 2001 75000 Frauen und Kinder aus Osteuropa und 100000 aus Russland (bzw. der GUS-Staaten) Opfer dieses Handels.
Nach wissenschaftlichen Schätzungen erzeugt die Prostitution weltweit einen Jahresumsatz von 60 Milliarden Euro. Im Jahre 1998 schätzte die UNO die Profite, die kriminelle Gruppierungen aus diesem Geschäft ziehen, auf eine Summe von 5,3—7,5 Milliarden Euro. Im Jahre 2002 wurde die Summe dieser Profite bereits auf 8—13,8 Milliarden Euro geschätzt. 1996 schätzte ein Bericht des Europarats, dass 100000 Kinder aus Osteuropa sich im Westen prostituieren mussten.
Auf ihrem 2.Kongress gegen die sexuelle Ausbeutung zu kommerziellen Zwecken 2001 in Yokohama hat Unicef die Zahl der Kinder — hauptsächlich Mädchen —, die sich in der Sexindustrie prostituieren müssen, auf über eine Million geschätzt. Ihm Jahr 2004 bewegen sich die Zahlen bereits in einem Bereich von um die 2 Millionen Kinder.
Beim Anstieg der Prostitution und des Frauen- und Kinderhandels zu Prostitutionszwecken in Osteuropa kamen drei folgenschwere Faktoren zusammen:

• Der abrupte Übergang von einer bürokratischen Planwirtschaft zu einer kapitalistischen Wirtschaftsform hat in vielen der betroffenen Länder zu einer schweren Wirtschaftskrise geführt. Dies drückte sich in einem allgemeinen Absinken der Einkommen und einer Verarmung eines beträchtlichen Teiles der Bevölkerung aus. In der Ukraine bspw. wurden innerhalb weniger Jahre 100000 Kinder obdachlos und auf sich selbst gestellt. Von 1989 bis 1998 ist das BIP der Ukraine um 57% gefallen. Das BIP der Russlands von 1999 umfasste nur mehr 42% des BIP aus dem Jahr 1989. Im Jahr 2000 lebten bereits mehr als 40% der russischen Bevölkerung (60 Millionen) unter der Armutsgrenze.

• Die Wirtschaftsliberalisierung hat eine Verschleuderung öffentlichen Eigentums, zunehmende soziale Desorganisation und auch eine größere Tolerierung von Gewalt in der Privatsphäre mit sich gebracht. Die Schattenwirtschaft — mit einer stark anwachsenden Sexindustrie — dehnte sich maßgeblich aus. 1996 kontrollierte in Russland das organisierte Verbrechen um die 40% des BIP und hatte Gesamteinnahmen von mehr als 10,7 Milliarden Euro pro Jahr. 1997 waren allein in Moskau mehr als 200 illegale Firmen tätig, die russische oder ausländische Handelsreisende mit Prostituierten versorgten und andere Länder Europas mit Frauen und Kindern belieferten, die dort dann zu Prostitutionszwecken verwendet wurden.

• Letztendlich hat sich aber auch in den Köpfen vieler Menschen in den Staaten Osteuropas ein moralischer Relativismus, ein materialistisches Ideal und ein westliches Konsumbedürfnis breit gemacht. Der käufliche Sex hat all dem sogar einen glitzernden Charakter verliehen. So hat z.B. eine Umfrage in der Ukraine ergeben, dass fast ein Sechstel der ukrainischen Schülerinnen die Prostitution durchaus positiv sehen.
Der explosionsartige Anstieg des Phänomens der Prostitution in den ehemaligen »sozialistischen« Staaten hat sich in zwei Richtungen vollzogen. Zum einen verlief er über die Ausweitung der ansässigen Prostitution. Das Phänomen weitet sich aber auch entlang der Staatsgrenzen und entlang wichtiger internationaler Verkehrsverbindungen aus, wo das Sexangebot von einer unterschiedlichen ausländischen, durchreisenden Männerschaft in Anspruch genommen wird (in der kleinen tschechischen Grenzstadt Dubi gibt es nicht weniger als 50 Bordelle).
Es muss schließlich auch eng mit dem in Gang gekommenen Menschenhandel gesehen werden. Prostituierte aus der Russland und aus manchen anderen Ländern Osteuropas — vielfach als »Nataschas« bezeichnet — werden mittlerweile in alle Kontinente der Welt »exportiert«.

Moderner Sklavenhandel

Der Frauen- und Kinderhandel aus Osteuropa vollzieht sich in Richtung der 15 reichen EU-Länder, hat enge Kontakte in die Türkei, nach Israel, in die USA, nach Kanada, in die Vereinigten Arabischen Emirate und liefert Frauen auch nach Hongkong, Japan, Korea und Thailand. In Thailand schätzte man etwa im Jahr 1994 die Zahl der aus Osteuropa stammenden Prostituierten auf 10000.
Aus der Ukraine sind in den letzten zehn Jahren, wenn man dem dortigen Innenministerium Glauben schenken kann, bis zu 400000 Frauen unter 30 Jahren weggezogen. Die ukrainischen Frauenhändler bekommen von den ausländischen Zuhältern pro Frau zwischen 920 und 3000 Euro. Der größte Teil der Opfer dieses Handels ist zwischen 17 und 25 Jahre alt. In gewissen Dörfern der Republik Moldawien gibt es heute kaum noch weibliche Wesen unter 25 Jahren.
Die Menschenhändler verwenden alle möglichen Methoden, um an die Frauen heranzukommen, und sie zögern auch nicht, ihre Opfer einfach zu entführen oder die jungen Mädchen einfach ihren Familien abzukaufen. Bei einer Mehrzahl der Fälle handelt es sich aber um junge Frauen, die eine Möglichkeit suchen, um ins Ausland zu kommen und sich durch falsche Versprechungen auf eine bessere Lebensperspektive anlocken lassen.
Meistens stellt man den Frauen dabei eine ehrenwerte Arbeit im Westen in Aussicht (z.B. als Mannequins, Sekretärinnen, Hausgehilfinnen, Kellnerinnen in einem Restaurant oder Hotel). Durch Vergewaltigungen und andere Gewaltakte werden sie dann aber für den Prostitutionsmarkt gefügig gemacht.
Nach Violeta Krasnic und Zorica Mrsevic vom autonomen Frauenzentrum gegen Gewalt in Belgrad verläuft der Leidensweg solcher Frauen dann auf folgende Weise: »Eine Frau aus Osteuropa wird für etwa 250 Euro in Berlin verkauft und bevor sie mit den Kunden zu arbeiten beginnt, von zehn Zuhältern vergewaltigt. Zahlreiche Frauen werden monatelang in Käfigen eingesperrt und viele fügen sich Verletzungen zu, um zu einem Arzt gebracht zu werden und um bei dieser Gelegenheit ihrem Eigentümer zu entkommen. Man schätzt allein für das Jahr 1993 die Zahl der auf diese Art über Deutschland verkauften Frauen auf 50000.«
Für manche jungen Frauen aus Osteuropa beginnt oft alles in Timisoara in Rumänien, wohin sie die lokalen Frauenauftreiber angezogen haben. Danach kommen sie auf den Arizonamarkt von Brcko, dem größten Schmugglerzentrum in Bosnien-Hercegovina, oder nach Novi Sad in Serbien. Hier haben sich echte »Frauenmärkte« entwickelt. Rumänische Händler versteigern hier Ukrainerinnen, Moldawierinnen, Rumäninnen, Bulgarinnen und Russinnen.
Ausgezogen und ausgestellt werden sie nach Überprüfung des Gebisses — wie das bei den afrikanischen Sklaven gängig war — für etwa 500 Euro von serbischen Zuhältern gekauft, die sie misshandeln und vergewaltigen, bevor sie die Frauen nach Albanien weiter vertreiben. Sie werden von Hand zu Hand weitergereicht und mehrmals verkauft. Im Kosovo haben die Bordelle seit dem Krieg 1999 und der Ankunft der KFOR-Truppen, der Angestellten der UN-Mission im Kosovo und vieler NGOs rasant zugenommen. In Bosnien schätzt man die Zahl der heimlichen Prostituierten, die aus Moldawien, Rumänien und der Ukraine stammen, auf 10000 und sie sind auf schätzungsweise 350 Bordelle verteilt.
Albanien stellt in diesem Menschenhandel eine wichtige Drehscheibe dar. Am Beginn der Kette werden die etwa aus der Moldawischen Republik stammenden Frauen an albanische Zuhälter für eine Summe, die zwischen 900 und 4600 Euro liegen kann, verkauft. Dann werden sie psychisch gebrochen und von Neuem nach Westeuropa mit beträchtlichem Gewinn weiterverkauft.
Nach Aussage des Vorstands der Organisation zur Bekämpfung des Menschenhandels (OCRTEH), Christian Amiard, der in Albanien tätig ist, heißt es: »Es gibt echte Unterdrückungslager in denen die Frauen vergewaltigt und dressiert werden.« Die jungen Frauen werden hier »abgerichtet« und danach in London, Hamburg oder Istanbul prostituiert.
Wenn die Frauen Widerstand leisten, zögern die Zuhälter nicht, sie zu foltern. Das Ziel besteht darin, sie psychisch zu brechen, damit sie keine Kraft mehr haben, Widerstand zu leisten, und sie in der Folge nur mehr ein funktionierender Körper, ein Sexobjekt sind, verkaufbar und bereit, alle sexuellen Demütigungen hinzunehmen. Einige werden umgebracht, um ein Exempel zu statuieren, andere, weil sie versucht haben ihren »Eigentümern« zu entfliehen. »In zwanzig Tagen kann man jede Frau brechen und sie zur Prostituierten machen«, erzählt ein Verantwortlicher eines bulgarischen Wiedereingliederungsheims.

Internationaler Heiratshandel

Im Industrialisierungsprozess des Sexhandels kam es im Laufe der letzten Jahrzehnte auch zu einem Anstieg des internationalen Heiratshandels. Vermittlungsagenturen verschaffen Männern aus dem Westen Frauen aus der Dritten Welt und seit etwa einem Jahrzehnt auch Frauen und sehr junge Mädchen aus Osteuropa. Heiratsvermittlungs- und Datingagenturen haben mittlerweile überall auf der Welt ihre Niederlassungen. Ihre Klienten finden sie vor allem in Europa, Australien, Japan und Nordamerika.
Die Mehrheit der von den Heiratsagenturen global vermittelten Frauen kommt gegenwärtig aus zwei Regionen: aus Südostasien (hier zumeist von den Philippinen) und aus Osteuropa. Die Anzahl der aus Osteuropa von den Vermittlungsagenturen angebotenen Frauen wurde im Jahr 2001 auf 120000 geschätzt. Sie stammten hauptsächlich aus der Russland, der Ukraine und aus Weißrussland, aber eine beträchtliche Anzahl kam auch aus Kasachstan, Kirgisien, Lettland und Usbekistan.
Oft stellen diese Heirats- und Vermittlungsagenturen aber nichts anderes dar als eine versteckte Form des Menschenhandels zu Prostitutionszwecken. Einige Vermittlungs- und Heiratsagenturen bieten auch ganz offen Hostessendienste an, andere pornografische Aktivitäten. Es gibt Vermittlungs- und Heiratsagenturen, die im Internet Werbung für »Nackfotomodelle russischer Agenturen« machen. Andere Agenturen wiederum bieten Mädchen im Alter von nur 10, 14 oder 16 Jahren an.
Der Frauen- und Kinderhandel zu Prostitutionszwecken und die Prostitution selbst — ebenso wie alle anderen Formen der Kriminalität, die damit zusammenhängen — sind weit davon entfernt, nur eine Randerscheinung der kapitalistischen Globalisierung zu sein. Diese Kriminalität ist sogar wesensgleich mit der neoliberalen Globalisierung.
Der Sieg des Neoliberalismus in den 80er und 90er Jahren hat die gesellschaftlichen Verhältnisse immer stärker dem Monetarismus untergeordnet. Dies hat wiederum den beträchtlichen Anstieg der Sexindustrie befördert und dieser zu einer weiteren Legitimation verholfen. Die Frauen und Kinder aus Osteuropa haben dafür einen schweren Tribut zu leisten.

Richard Poulin

Richard Poulin lehrt Soziologie in Ottawa, Kanada. Der Beitrag erschien zuerst und ungekürzt in der jüngsten Ausgabe der in Graz erscheinenden Zeitschrift Ost-West-Gegeninformationen.





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