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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2005, Seite 4

Kolumne von Jakob Moneta

Sex im schiitischen Islam

Dass auch der deutsche Nachfolger von Johannes Paul II. am Zölibat katholischer Priester oder Nonnen nicht rütteln wird, dass sogar die im Alten Testament von der Todesstrafe bedrohte Onanie weiterhin verboten bleibt, ist ebenso klar wie die als Mord denunzierte Abtreibung. Geschlechtsverkehr ist weiterhin nur in einer kirchlich geschlossenen Ehe erlaubt, wenn auch außerehelicher Verkehr nicht mehr mit Steinigung der Frau bestraft wird wie im Alten Testament.
Ich gestehe deshalb, dass ich völlig verblüfft war von Fariba Adelkhah — einer Anthropologin im CERI in Paris zu erfahren, dass der schiitische Islam eine befristete, vertraglich geregelte Beziehung zwischen Männern und Frauen erlaubt. Diese Ehe auf Zeit kann für nur wenige Stunden geschlossen werden, aber auch unbefristet bleiben. Sie ermöglicht die Befriedigung sexueller Bedürfnisse, deren Legitimität damit anerkannt wird.
Anders als im Christentum ist unter schiitischen Geistlichen, denen Ehe nicht verboten ist, ein freisinniger Umgang mit sexuellen Themen durchaus üblich. Öffentlich wird darüber diskutiert, dass Impotenz oder vorherige Ejakulation das harmonische Eheleben gefährden. Wer von uns weiß schon, dass Ayatollah Khomeini, der als orthodoxer Muslim galt, die sexuelle Abstinenz — wörtlich »Verzicht auf den Beischlaf« — zwischen Ehepartnern verboten hat, wenn sie länger als vier Monate dauert und ohne Zustimmung der Frau erfolgt?
Verblüffender noch: Abtreibung ist nicht als Mord verboten, sondern sie wird mit einer Religionssteuer belegt, dem sog. Blutgeld. Die Höhe dieses Blutgelds ist nach Alter des Fötus genau festgelegt. Für einen weiblichen Embryo ist die Summe nur halb so hoch.
Fariba Adelkhah unterschlägt nicht die vielfältigen Reglementierungen der Geschlechterbeziehungen. Dennoch sehe das nach Selbstverwirklichung strebende Individuum seine Bestätigung vor allem in der Liebe. Dafür sei es bereit, sowohl gegen seine Eltern als auch gegen den Staat zu opponieren. »Insofern ist (bspw.) im Iran die sexuelle Frage zu einer eminent politischen Frage geworden«, so die Anthropologin.
Aber wann werden wir, die wir in unseren Medien so häufig mit Nachrichten über den Mord an islamischen Töchtern durch Familienmitglieder gefüttert werden, wenn sie Ehen gegen den Willen der Eltern eingehen, endlich begreifen, dass dies nicht im Sinne eines »unzivilisierten« Islamismus geschieht? Zugleich aber trauen wir uns kaum, jene nicht etwa zur Zeit von Jesus, sondern in späteren Jahrhunderten in die christliche Religion eingeschleusten Absurditäten anzuprangern.
Ein Beispiel: Wer in eine urchristliche Gemeinde hinein wollte, musste sein Eigentum der Kommune überlassen, um selbst arm zu werden. Die in Rom entstandene kirchliche Bürokratie setzte jedoch in einem Konzil durch, dass arm nur ist, wer das Gelübde der Armut ablegte. Das aber sind nur Priester und Nonnen. Damit sie jedoch ihren Besitz nicht ihren Kindern vererben können, wurde ihnen die Ehe verboten und die päpstliche Bürokratie nahm mit dem Zölibat alles Eigentum in den eigenen Besitz.

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