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Dass auch der deutsche Nachfolger von Johannes Paul II. am Zölibat
katholischer Priester oder Nonnen nicht rütteln wird, dass sogar die im Alten Testament von der
Todesstrafe bedrohte Onanie weiterhin verboten bleibt, ist ebenso klar wie die als Mord denunzierte
Abtreibung. Geschlechtsverkehr ist weiterhin nur in einer kirchlich geschlossenen Ehe erlaubt, wenn auch
außerehelicher Verkehr nicht mehr mit Steinigung der Frau bestraft wird wie im Alten Testament.
Ich gestehe deshalb, dass ich völlig
verblüfft war von Fariba Adelkhah einer Anthropologin im CERI in Paris zu erfahren, dass der
schiitische Islam eine befristete, vertraglich geregelte Beziehung zwischen Männern und Frauen
erlaubt. Diese Ehe auf Zeit kann für nur wenige Stunden geschlossen werden, aber auch unbefristet
bleiben. Sie ermöglicht die Befriedigung sexueller Bedürfnisse, deren Legitimität damit
anerkannt wird.
Anders als im Christentum ist unter
schiitischen Geistlichen, denen Ehe nicht verboten ist, ein freisinniger Umgang mit sexuellen Themen
durchaus üblich. Öffentlich wird darüber diskutiert, dass Impotenz oder vorherige
Ejakulation das harmonische Eheleben gefährden. Wer von uns weiß schon, dass Ayatollah Khomeini,
der als orthodoxer Muslim galt, die sexuelle Abstinenz wörtlich »Verzicht auf den
Beischlaf« zwischen Ehepartnern verboten hat, wenn sie länger als vier Monate dauert und
ohne Zustimmung der Frau erfolgt?
Verblüffender noch: Abtreibung ist nicht
als Mord verboten, sondern sie wird mit einer Religionssteuer belegt, dem sog. Blutgeld. Die Höhe
dieses Blutgelds ist nach Alter des Fötus genau festgelegt. Für einen weiblichen Embryo ist die
Summe nur halb so hoch.
Fariba Adelkhah unterschlägt nicht die
vielfältigen Reglementierungen der Geschlechterbeziehungen. Dennoch sehe das nach Selbstverwirklichung
strebende Individuum seine Bestätigung vor allem in der Liebe. Dafür sei es bereit, sowohl gegen
seine Eltern als auch gegen den Staat zu opponieren. »Insofern ist (bspw.) im Iran die sexuelle Frage
zu einer eminent politischen Frage geworden«, so die Anthropologin.
Aber wann werden wir, die wir in unseren
Medien so häufig mit Nachrichten über den Mord an islamischen Töchtern durch
Familienmitglieder gefüttert werden, wenn sie Ehen gegen den Willen der Eltern eingehen, endlich
begreifen, dass dies nicht im Sinne eines »unzivilisierten« Islamismus geschieht? Zugleich aber
trauen wir uns kaum, jene nicht etwa zur Zeit von Jesus, sondern in späteren Jahrhunderten in die
christliche Religion eingeschleusten Absurditäten anzuprangern.
Ein Beispiel: Wer in eine urchristliche
Gemeinde hinein wollte, musste sein Eigentum der Kommune überlassen, um selbst arm zu werden. Die in
Rom entstandene kirchliche Bürokratie setzte jedoch in einem Konzil durch, dass arm nur ist, wer das
Gelübde der Armut ablegte. Das aber sind nur Priester und Nonnen. Damit sie jedoch ihren Besitz nicht
ihren Kindern vererben können, wurde ihnen die Ehe verboten und die päpstliche Bürokratie
nahm mit dem Zölibat alles Eigentum in den eigenen Besitz.
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