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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2005, Seite 7

Neuer Band mit Stimmen israelischer Dissidenten

Dissonanzen

Sophia Deeg, Michèle Sibony, Michael Warschawski (Hg.): Stimmen israelischer Dissidenten, Köln: Neuer ISP-Verlag, 2005, 220 Seiten, 16,80 Euro

Seit dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses im Sommer 2000 hat sich die israelische Politik und Gesellschaft nachhaltig verändert. Israel »scheint mit einer Zunge zu sprechen«, schreibt Michael Warschawski und diagnostiziert eine neue totalitäre Harmonie zwischen Herrschenden wie Beherrschten, Regierenden wie Untertanen. Mit seltener Einmütigkeit und unter Wohlwollen der überwältigenden Mehrheit der israelischen Bevölkerung hätten sich Linksintellektuelle und liberale Journalisten — die »Toskana-Linke«, wie er mit treffendem Bezug auf Deutschland schreibt — seitdem »an die Schießscharten (begeben) und eifrig Pfeile (verschossen)«. Gemeinsam stricken sie an dem Mythos Oslo, an jener neuen Ideologie, die die vermeintlich raff- und gewaltgierigen Palästinenser zu den Verantwortlichen für den nachhaltig gestörten Friedensprozess stempelt.
Deeg/Sibony/Warschawski legen mit dem von ihnen herausgegebenen Werk ein abwechslungsreiches und spannendes Lesebuch vor, das diesen neuen israelischen Nationalmythos ebenso zerpflückt wie es Rechenschaft ablegt über die letzten Aufrechten einer einstmals beeindruckenden Opposition gegen Herrschaft und Unterdrückung, Missgunst und Unvernunft.
55 zumeist recht kurze Beiträge behandeln die Realität des israelischen Besatzungsregimes in Gaza und im Westjordanland, kritisieren die herrschende Meinungsmache und ihre unkritische Übernahme in den USA und in Europa. Sie berichten von den Aktionen und Zielvorstellungen widerständiger Organisationen und Gruppen u.a. gegen den Bau der neuen israelischen Mauer, diskutieren das Verhältnis von zionistischer und antizionistischer Linker. Sie untersuchen, was in Oslo wirklich geschah, wie der »Frieden« der israelischen Regierung aussieht und ein wirklicher Frieden zwischen Israelis und Palästinensern aussehen könnte. Es sind Kontrapunkte der ethischen Vernunft von einer kleinen Minderheit, die zwar quantitativ kein anderes Israel mehr repräsentiert, wohl aber qualitativ.
Man mag kritisieren, dass der Band fast ausschließlich Stimmen jüdischer Israelis zu Worte kommen lässt, doch dies ist wohl bedacht. Die Herausgeber zeichnen ein trübes Bild der Realität und sie fürchten als letzte und verheerendste Zuspitzung des kriegerischen Konfliktes seine umfassende Ethnisierung, »bei dem es grundsätzlich nicht mehr um die Kontrolle über Territorien oder die Erlangung von Souveränität geht, sondern um die Auslöschung des Anderen«. Hiergegen gelte es aufzuzeigen, dass es auch jüdische Israelis gäbe, die nicht so denken, wie der Rest ihrer Gesellschaft.
Und mehr noch nach Europa und den USA als auf Israel gerichtet, schreibt Warschawski: »Wenn die führenden Persönlichkeiten der jüdischen Organisationen und die Adepten der ›neuen Judeophobie‹ schreien ›Alle Juden mit Israel!‹, wenn sie sich selbst als ›bedingungslose Anhänger Israels‹ proklamieren und so die Brandmarkung von antisemitischen Akten und Äußerungen mit der Unterstützung von Sharon verquicken, tragen sie durch ihre verwerfliche Gedankenlosigkeit zur Verstärkung von antijüdischen Taten und Regungen in Europa bei.«

Christoph Jünke

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