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Seit dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses im Sommer 2000 hat sich die
israelische Politik und Gesellschaft nachhaltig verändert. Israel »scheint mit einer Zunge zu
sprechen«, schreibt Michael Warschawski und diagnostiziert eine neue totalitäre Harmonie zwischen
Herrschenden wie Beherrschten, Regierenden wie Untertanen. Mit seltener Einmütigkeit und unter
Wohlwollen der überwältigenden Mehrheit der israelischen Bevölkerung hätten sich
Linksintellektuelle und liberale Journalisten die »Toskana-Linke«, wie er mit treffendem
Bezug auf Deutschland schreibt seitdem »an die Schießscharten (begeben) und eifrig Pfeile
(verschossen)«. Gemeinsam stricken sie an dem Mythos Oslo, an jener neuen Ideologie, die die
vermeintlich raff- und gewaltgierigen Palästinenser zu den Verantwortlichen für den nachhaltig
gestörten Friedensprozess stempelt.
Deeg/Sibony/Warschawski legen mit dem von
ihnen herausgegebenen Werk ein abwechslungsreiches und spannendes Lesebuch vor, das diesen neuen
israelischen Nationalmythos ebenso zerpflückt wie es Rechenschaft ablegt über die letzten
Aufrechten einer einstmals beeindruckenden Opposition gegen Herrschaft und Unterdrückung, Missgunst
und Unvernunft.
55 zumeist recht kurze Beiträge behandeln
die Realität des israelischen Besatzungsregimes in Gaza und im Westjordanland, kritisieren die
herrschende Meinungsmache und ihre unkritische Übernahme in den USA und in Europa. Sie berichten von
den Aktionen und Zielvorstellungen widerständiger Organisationen und Gruppen u.a. gegen den Bau der
neuen israelischen Mauer, diskutieren das Verhältnis von zionistischer und antizionistischer Linker.
Sie untersuchen, was in Oslo wirklich geschah, wie der »Frieden« der israelischen Regierung
aussieht und ein wirklicher Frieden zwischen Israelis und Palästinensern aussehen könnte. Es sind
Kontrapunkte der ethischen Vernunft von einer kleinen Minderheit, die zwar quantitativ kein anderes Israel
mehr repräsentiert, wohl aber qualitativ.
Man mag kritisieren, dass der Band fast
ausschließlich Stimmen jüdischer Israelis zu Worte kommen lässt, doch dies ist wohl bedacht.
Die Herausgeber zeichnen ein trübes Bild der Realität und sie fürchten als letzte und
verheerendste Zuspitzung des kriegerischen Konfliktes seine umfassende Ethnisierung, »bei dem es
grundsätzlich nicht mehr um die Kontrolle über Territorien oder die Erlangung von
Souveränität geht, sondern um die Auslöschung des Anderen«. Hiergegen gelte es
aufzuzeigen, dass es auch jüdische Israelis gäbe, die nicht so denken, wie der Rest ihrer
Gesellschaft.
Und mehr noch nach Europa und den USA als auf
Israel gerichtet, schreibt Warschawski: »Wenn die führenden Persönlichkeiten der
jüdischen Organisationen und die Adepten der ›neuen Judeophobie‹ schreien ›Alle
Juden mit Israel!‹, wenn sie sich selbst als ›bedingungslose Anhänger Israels‹
proklamieren und so die Brandmarkung von antisemitischen Akten und Äußerungen mit der
Unterstützung von Sharon verquicken, tragen sie durch ihre verwerfliche Gedankenlosigkeit zur
Verstärkung von antijüdischen Taten und Regungen in Europa bei.«
Christoph Jünke
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