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Einen Salto rückwärts stellt die jüngste Umbildung der
algerischen Regierung vom 1.Mai dar. Mehrere Minister wurden durch ihre jeweiligen Vorgänger ersetzt,
die nun vor allem in Schlüsselpositionen der Wirtschaftspolitik sitzen wie Mourad Medelci im
Finanzressort und Abdelhamid Temmar im Ministerium für Investitionsförderung. Beide gelten als
marktgläubige Ultraliberale und Anhänger einer Kahlschlagpolitik in Sachen Privatisierung
öffentlicher Betriebe.
Besonders Temmar hatte 2003 unter massivem Druck des Gewerkschaftsdachverbands UGTA
zurücktreten müssen. Die UGTA hatte im Februar jenes Jahres zum zweiten Mal seit Beginn
des Jahrzehnts einen dreitägigen Generalstreik durchgeführt, an dem über 90% der
Lohnabhängigen aller Branchen teilnahmen. Hauptziel der massiven Streikbewegung war es, das damals
aufgelegte brachiale Privatisierungsprogramm und insbesondere die angestrebte Öffnung des Erdöl-
und Erdgassektor für privates Kapital aus dem Westen bzw. Norden zu verhindern. Bei der daraufhin
erfolgten Kabinettsumbildung im Mai 2003 war Energieminister Chakib Khelil der einzige Verantwortliche
für die Privatisierungspolitik gewesen, der zunächst politisch »überlebt« hatte.
Khelil war Ende der 60er Jahre in Texas und
Oklahoma zum Erdölingenieur ausgebildet worden und später zwei Jahrzehnte lang, von 1980 bis
1999, hochrangiger Funktionär der Weltbank in Washington gewesen. Dort war er in der Abteilung
für Energiepolitik tätig und leitete zuletzt die Sektion Lateinamerika, wo er ein hohes Maß
an politischer Verantwortung für das Desaster trägt, das die Anwendung der neoliberalen
Rezepturen in Argentinien hinterließ. Der algerische Präsident Abdelaziz Boutefliqa veranlasste
ihn nach seiner ersten Wahl vom April 1999 (ohne Gegenkandidaten, da seine Mitbewerber sich aufgrund
mangelnder Transparenz zurückzogen) dazu, bei der Weltbank vorzeitig in den Ruhestand zu gehen, um in
seine Regierung einzutreten. Von Anfang an handelte es sich dabei um ein Signal an die westlichen
Industrieländer, dass diese nunmehr mit einem Höchstmaß an wirtschaftlicher
»Öffnung« rechnen durften.
In der jetzigen Regierung treten ihm weitere
überzeugte Anhänger einer weltmarktorientierten Privatisierungspolitik zur Seite. Abdelhamid
Temmar, wirtschaftswissenschaftlicher Absolvent der Pariser Sorbonne sowie einer Business School in London,
war früher ebenfalls bei der Weltbank und beim Internationalen Währungsfonds sowie bei
Unterorganisationen der Vereinten Nationalen tätig. Aber auch was die Politikinhalte betrifft, hat
sich mittlerweile die einschlägige »Linie« weitgehend durchgesetzt.
Die UGTA beispielsweise hat zu Anfang dieses Jahres in ihrem Widerstand gegen den von ihr bis dahin
angeprangerten »Ausverkauf« der algerischen Öl- und Gasförderung gewissermaßen
offen kapituliert. Anfang Januar erklärte ihr Generalsekretär Abdelmajid Sidi-Saïd bei einem
Auftritt im algerischen Fernsehen, seine Organisation kenne in Sachen Privatisierung »keine
ideologischen Tabus mehr«. Eine Formulierung, die wie anderswo auf der Welt auch hier die Anpassung an
das Recht des wirtschaftlich Stärkeren verrät.
Den Hintergrund für das Verhalten der
UGTA bildet einerseits ihre Vergangenheit als »Massenorganisation« und
»Transmissionsriemen« der früheren Staatspartei FLN (Nationale Befreiungsfront), zu Zeiten
des Ein-Parteien-Regimes vor 1988. Seit damals hat sich zwar vieles Grundlegende in Algerien geändert,
insbesondere wird heute jeder Gedanke an ein autozentriertes Entwicklungsmodell das früher
einen Ausweg aus der strukturellen Abhängigkeit der früheren Kolonie von den hochentwickelten
Ländern ermöglichen sollte liquidiert. Doch einige alte staatsloyale Reflexe hat die
früher »offizielle« Gewerkschaft, deren höherer Funktionärskörper nach wie
vor eng mit der regierenden Oligarchie verwoben ist, beibehalten. Und schließlich ist die UGTA dabei,
bis September einen dauerhaften »Partnerschaftsvertrag« mit der Regierung zwecks
»Unterstützung für die Stabilisierung der algerischen Ökonomie« auszuhandeln. Die
Zugeständnisse, die sie dabei für die Lohnabhängigen herausholen konnte, sind eher mager. So
soll der gesetzliche Mindestlohn von 10000 Dinar (umgerechnet 100 Euro) nicht erhöht werden
aber nach zähen Verhandlungen wird der UGTA jetzt wenigstens in Aussicht gestellt, dass
Erhöhungen des gesetzlichen Mindestlohns künftig nicht mehr per Einberechnung von Prämien in
den Grundlohn durch die Arbeitgeber umgangen werden.
Ferner hat die UGTA-Führung aber auch
eine grundlegende Richtungsentscheidung getroffen: Sie ist zu der Ansicht gelangt, dass es besser sei, ihre
organisatorische Basis in den künftig privatisierten Betrieben zu retten, als sich deren Verkauf zu
widersetzen und deswegen durch die künftigen Eigentümer hinausgedrängt zu werden. Das
verkündete Sidi-Saïd anlässlich eines Seminars über »Arbeitsrecht und
Globalisierung«, das die UGTA gemeinsam mit der französischen rechtssozialdemokratischen CFDT im
Januar 2005 in Algier abhielt.
Am 20.März dieses Jahres hat das algerische Parlament tatsächlich die Nationalisierung der
Erdöl- und Erdgasförderung, die 1971 den französischen Energiekonzernen die Kontrolle
über die Rohstoffe des Landes entzog, aufgehoben.
Zukünftig können Investoren aus dem
Norden also auch Mehrheitsanteile von bis zu 70%, in bestimmten Fällen (wenn die nationale
Erdölgesellschaft Sonatrach auf ihre Beteiligung verzichtet) auch 100% der Eigentumstitel an einer
Förderstätte erwerben. Bisher mussten sie sich dagegen grundsätzlich mit einer
Minderheitsposition zufrieden geben. Nach der Nationalisierung von Erdöl und Erdgas im Februar 1971
war der Anteil ausländischer Konzerne zunächst auf 7,35% begrenzt worden. Nach dem Zusammenbruch
des staatssozialistischen Systems wurde dieser Anteil 1991, im Zuge der »Wirtschaftsreformen«,
bereits auf 49% erhöht. Doch behielt der algerische Staat dadurch immer noch eine politische
Minimalkontrolle über den Sektor, der heute 97% der Exporteinnahmen des nordafrikanischen Landes
erwirtschaftet und an dem damit ein wesentlicher Teil der Souveränität des Landes hängt.
Präsident Boutefliqa hatte im Vorfeld der
algerischen Bevölkerung gedroht: »Wenn wir uns widersetzen, droht uns das Schicksal des
Irak!« Diese Behauptung ist in ihrer unmittelbaren Bedeutung wohl weit übertrieben doch
wäre Algerien seitens der führenden westlichen Wirtschaftsmächte zweifellos als Staat mit
einer kooperationsunwilligen, »dogmatischen« Führung eingestuft worden. Im übrigen
benötigt der algerische Staat einen technologischen Modernisierungsschub, da die in Algerien
tätigen Firmen (wie der deutsche Siemens-Konzern oder das französische Unternehmen Schlumberger)
stets darauf achteten, die alleinige Kontrolle über das entsprechende Know-How zu behalten.
In seinen Artikeln 9 und 10 enthält das
neue »Gesetz über die Kohlenwasserstoffe« die ausdrückliche Bestimmung, die Preise
für Energie und Erdölprodukte im Inland etwa Treibstoffe sollten künftig durch
eine neu gebildete unabhängige Behörde festgelegt werden. Dieser wird vom Gesetz zur Auflage
gemacht, den ausländischen Kapitalanlegern »die Rentabilisierung ihrer bisher erfolgten und ihrer
künftigen Investitionen« zu erlauben. Die Zeche soll also, ganz unverhohlen, die algerische
Bevölkerung bezahlen. Bereits eine Woche nach Verabschiedung des neuen Gesetzes wurde bereits eine
Erhöhung des Gaspreises für die algerischen Bürger um 5% bekannt gegeben, die aber erst den
Anfang bilden wird. Für die im Ölverarbeitungssektor tätigen Firmen wurde dagegen eine
Absenkung der Energiepreise angekündigt.
Eine »Liberalisierung« des
algerischen Energiesektors ist auch im Artikel 61 des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen
Union festgeschrieben. Der Vertrag, der am 14.März durch das algerische Parlament und wenige Wochen
später durch die Niederlande als letztem EU-Land ratifiziert worden ist, wird nunmehr am 1.Juli diesen
Jahres in Kraft treten. Er sieht daneben die Bildung einer Freihandelszone zwischen der EU und dem
nordafrikanischen Land vor. Bereits zu Beginn werden die Zölle, welche die heimischen
Produktionskapazitäten in Algerien vor der mit weit höherer Produktivität ausgestatteten
nördlichen Konkurrenz schützen, auf eine Höchstgrenze von 30% festgelegt. Bis zum Jahr 2017
soll der Zugang zum algerischen Binnenmarkt für europäische Exporteure völlig frei sein.
Das bedeutet eine weitere Vernichtung
vorhandener Produktionskapazitäten, die unter dem staatssozialistischen Entwicklungsmodell aufgebaut
werden, von denen aber bereits heute nur 2025% ausgenutzt werden. Damit wird eine weitere
Spezialisierung der algerischen Ökonomie im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung einhergehen,
nämlich auf die alleinige Rolle als Lieferant von Erdöl und Erdgas. Deren Preis liegt im Moment,
durch die Weltkonjunktur dieser Rohstoffe bedingt, auf einem ungewöhnlich hohen Niveau was der
algerischen Regierung entgegen kommt, die in den kommenden fünf Jahren über eine Million
Wohnungen bauen und damit eine der drängendsten sozialen Nöte abstellen will. Doch wenn ihr Preis
sinkt, während Algerien auf Gedeih und Verderb von den beiden Rohstoffen abhängt und ihren
Erlös zukünftig noch mit zahlreichen westlichen Investoren teilen muss, wird das Land erneut tief
in die Krise schlittern.
Bernhard Schmid
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