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Die bisherigen »Events« des Schillerjahres 2005 könnten einen zur
Voraussage verleiten, hier werde eine komplexe Künstlergestalt (wieder einmal) zur nationalen Selbstfeier
herangezogen und ihre Botschaften im Sumpf postmoderner Beliebigkeit ertränkt. Besonders paradox erscheint
die Fortführung der Mitte des 19.Jahrhunderts einsetzenden Verklärung von Schiller zum deutschen
Nationaldichter mit ihren Höhepunkten 1905, 1934 und 1955. Es scheint, als erwarte uns diesmal nach dem
»Ende der Utopie« eine besonders oberflächliche Selbstbeschau des Volkes der »Dichter und
Denker«. Schiller als nationaler Mythos?
Von den Räubern und Kabale und Liebe einmal abgesehen, nahm der Autor (im Unterschied zu den
Romantikern) seine Stoffe und Gestalten eben nicht aus deutschen Gauen, sondern aus den historischen Konflikten
der umliegenden europäischen Länder. Dies könnte man mit der Angst vor der damals
allgegenwärtigen Zensur erklären, doch auch die philosophische Botschaft der Werke übernimmt die
zentralen Ideen und Postulate der englisch-schottischen und der französischen, ja der
westeuropäischen Aufklärung, die sich in dem Satz zusammenfassen lassen: Alle Menschen sind frei und
gleich geboren.
Der Lektüre am leichtesten zugänglich ist Schillers Polemik gegen die deutsche Kleinstaaterei und
die überlebte Ständegesellschaft. Die gegen die spätabsolutistische Gesellschaft gerichteten
Intentionen machten neben der Bildungsidee Schiller in der metternichschen Reaktionszeit des Vormärz zum
Lieblingsdichter der bürgerlichen Liberalen, was ihm Georg Büchners Verriss eintrug.
Bekanntlich floh der Schwabe 1782 aus den
Militärdiensten des württembergischen Herrschers Carl Eugen ins kurpfälzische Mannheim, wo seine
ersten Stücke der »Sturm-und-Drang«-Periode mit großem Erfolg uraufgeführt wurden.
Diese Flucht vor der Obrigkeit stieß in breiten Kreisen der Bevölkerung auf große Zustimmung
oder zumindest Wohlwollen und machte Schiller weithin bekannt. Schon zwei Jahre später fasste er die
Erfahrungen der Mannheimer Zeit in folgenden Worten zusammen: »Ich schreibe als Weltbürger, der
keinem Fürsten dient. Früh verlor ich mein Vaterland, um es gegen die große Welt einzutauschen
… Das Publikum ist mir jetzt alles, mein Studium, mein Souverain, mein Vertrauter.« Auch in seinen
Dramen finden sich zahlreiche Stellen gegen die despotischen Ansprüche des Adels; so sagt Marquis Posa in
Don Karlos beinahe programmatisch: »Ich kann nicht Fürstendiener sein.«
Schiller war Zeitgenosse des endgültigen
Zerfalls des »Heiligen Römischen Reichs« und der in Westeuropa entstehenden bürgerlich-
nationalen Bewegungen. Als Historiker (1789 erhielt er eine schlecht besoldete Professur an der
Universität Jena; seine Antrittsrede war mit »Was heißt und zu welchem Ende studiert man
Universalgeschichte?« betitelt) beschäftigte er sich vor allem mit den Folgen der Reformation und
ihrer Bedeutung für die Entstehung der bürgerlichen Nationalstaaten. Seine beiden wichtigsten
Schriften in diesem Zusammenhang sind die Geschichte des Abfalls der Niederlande und die Geschichte des
dreißigjährigen Krieges. Die darin beschriebenen Freiheitskämpfe gegen die Macht der
katholischen Kirche und die mit ihr verbundenen Fürstenhäuser werden mit offener Sympathie
dargestellt.
Schiller folgt hier den bürgerlich-liberalen
Historikern anderer europäischer Länder und zeigte die »List der Vernunft«, also die
Durchsetzung des historischen Fortschritts auch in den kriegerischen Wirren. Er erlebte zunächst freudig
den Ausbruch der Französischen Revolution und versuchte zu ihrem Studium, an möglichst viele
schriftliche Quellen heranzukommen; in ihrem Umkreis fanden seine Räuber auch in Paris eine günstige
Aufnahme. Zusammen mit Klopstock und dem Verleger Campe wurde Schiller von der Nationalversammlung der ersten
Republik sogar die Staatsbürgerschaft verliehen. Dies führte in Weimar und besonders in der Umgebung
von Goethe zu erheblichen Auseinandersetzungen, die er mit dem Hinweis abwehrte, er wisse von der Verleihung
nichts bzw. habe die Urkunde nicht bekommen. Doch spätestens seit Napoleon bekannte er sich zur
»doppelten Staatsbürgerschaft« und ließ sie 1803 auch in den Weimarer Hofkalender drucken.
Weshalb wurde Schiller zum heftigen Kritiker weniger der Französischen Revolution als vielmehr der
Herrschaft der Jakobiner? Häufig wird auf seine Abhängigkeit zunächst von einem dänischen
Adligen, der ihm wegen seiner Krankheit für drei Jahre ein Stipendium gewährte, was ihn von den
unmittelbaren Existenzsorgen befreite, und später vom Weimarer Hof verwiesen. Das entscheidende Ereignis
aber war die Verurteilung des Königs Ludwig XVI. zum Tode.
Deswegen wollte er trotz angeschlagener Gesundheit
sogar nach Paris reisen und in der Nationalversammlung gegen dieses Urteil fechten. Nach der Hinrichtung
schrieb er an seinen Freund Körner: »Ich kann seit 14 Tagen keine französische Zeitung mehr
lesen, so ekeln diese elenden Schinderknechte mich an.« In den Briefen an seinen Gönner Friedrich
Christian, den er im Übrigen als »liberalen Weltbürger« anredet, spricht er klar aus, dass
seiner Überzeugung nach die Durchsetzung des Vernunftprinzips in der Französischen Revolution
gescheitert ist:
»Wäre das Faktum wahr, wäre der
außerordentliche Fall wirklich eingetreten, dass die politische Gesetzgebung der Vernunft übertragen,
der Mensch als Selbstzweck respektiert und behandelt, das Gesetz auf den Thron erhoben, und wahre Freiheit zur
Grundlage des Staatsgebäudes gemacht worden, so wollte ich auf ewig von den Musen Abschied nehmen, und dem
herrlichsten aller Kunstwerke, der Monarchie der Vernunft, alle meine Tätigkeit widmen. Aber dieses Faktum
ist es eben, was ich zu bezweifeln wage. Ja, ich bin so weit entfernt an den Anfang einer Regeneration im
Politischen zu glauben, dass mir die Ereignisse der Zeit vielmehr alle Hoffnung dazu auf Jahrhunderte
benehmen.«
Schiller missbilligt also einerseits den Verlauf
der Französischen Revolution, lehnt aber gleichermaßen den spätabsolutistischen
»Notstaat« ab. In seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen, die man als
Versuch einer umfassenden Antwort auf dieses Problem ansehen kann, entwickelt er sein kunstphilosophisches
Konzept der Perfektionierung des Menschen. Erziehung bedeutet hier Streben nach dem Ideal der Vollkommenheit,
wobei die Kunst gleichermaßen als Weg und als Werkzeug in Anspruch genommen wird. Zur fortschreitenden
Aufklärung des Verstandes muss die Ausbildung des Empfindungsvermögens treten; die Sinnlichkeit soll
vernünftig, die Vernunft soll sinnlich werden.
Da unter gegebenen Bedingungen der Entfremdung
dieses Ideal wohl angestrebt, aber (zumindest für größere Gruppen von Menschen) nicht erreicht
werden kann, wendet sich Schiller erneut dem Drama, und zwar der Tragödie zu. Denn die Tragödie
ermöglicht die Darstellung des tragischen Konflikts zwischen Idee und Tat, zwischen Pflicht und Neigung,
zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, worin die menschliche Möglichkeit der Selbstbestimmung, also seine
Freiheit erscheine.
Aus dem Gesagten ergibt sich beinahe von selbst, dass Schillers Ansatz eigentlich zur nationalen
Mythenbildung nicht taugt. Häufig hat er sich gegen ein solches Ansinnen gewehrt: »Es ist ein
armseliges, kleinliches Ideal, für eine Nation zu schreiben; einem philosophischen Geiste ist diese Grenze
durchaus unerträglich«, schrieb er schon 1789 an seinen Freund Körner. Und mit Goethe teilte er
seine Skepsis gegen nationalstaatliche Bestrebungen in Deutschland. In der berühmten Xenie zum
»Deutschen Nationalcharakter« schrieb er 1797: »Zur Nation euch zu bilden, ihr hofft es,
Deutsche, vergebens; Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.«
Nur die Zeitumstände nach seinem Tod,
nämlich der unter adliger Führung beginnende Befreiungskampf gegen die napoleonische Besatzung und
die »konservative Modernisierung«, können erklären, warum ein so
»europäischer« Dichter alsbald zu einem »Mann der Nation« werden konnte. Die
jugendliche Begeisterung der Befreiungskämpfe, die mit einer ersten nationalistischen Welle verbunden war,
bediente sich schillerscher Verse, etwa dem »Reiterlied« aus Wallensteins Lager, das bald ein
Gassenhauer wurde. Trotzdem war bis zur Revolution von 1830 Schillers Einfluss eher im Ausland größer
als in Deutschland, vor allem nachdem Madame de Staël ihn in ihrem europaweit verbreiteten Buch De
lAllemagne ausführlich gerühmt hatte.
Unter den Bedingungen des Vormärz entstanden
im deutschen Südwesten zum 20.Todestag erstmals wieder Vereine, die Schillers demokratisches Andenken
pflegen wollten. Höhepunkt dieser Bewegung war das Fest zur Einweihung von Thorvaldsens Schiller-Denkmal
1839 in Stuttgart, an dem 30000 Menschen beteiligt gewesen sein sollen. Dieses von Bürgern
selbstorganisierte Fest wurde alsbald als »Nationalfest« bezeichnet und steht am Beginn der
nationalen und demokratischen Bewegung, die in der Revolution von 1848 gipfeln sollte. Nach deren Niederlage
wiederholte sich diese als Schiller-Begeisterung getarnte nationale Bewegung anlässlich des
100.Geburtstags 1859, als an über 500 Orten große Feierlichkeiten stattfanden. Der Name Schiller
wurde endgültig zum Mythos, d.h. zum Programm-Namen der Bewegung für nationale Einigung, auf den sich
unterschiedliche Klassen und Schichten beriefen.
Nach der unter Bismarck mit »Blut und
Eisen« im Krieg gegen Frankreich durchgeführten Reichseinigung wurde den herrschenden Eliten
aufgetragen, eine »Nationalliteratur« zu verfassen, in der die Weimarer »Klassiker« einen
maßgeblichen Rang einnehmen sollten. Ihre Werke wurden in edlen Ausgaben neu aufgelegt und die Editionen
als »nationale Projekte« betrieben. Zum hundertsten Todestag 1905 überschlug sich die
bürgerliche Welt in nationaler Begeisterung. Die Arbeiterbewegung berief sich als Erbin der
französischen Revolution ebenfalls auf Schiller; zum Jubiläumsjahr verfasste Mehring seine
berühmte Biografie (vgl. SoZ 5/05). In Frankreich veröffentlichte Jean Jaurès eine Schiller-
Monografie. Die Nazis erklärten ihrerseits das Jahr 1934 zum »Schiller-Jahr« und organisierten
Staffelläufe der Hitler-Jugend nach Marbach, wo ein großes Sonnwendfeuer entzündet wurde.
Allerdings wurden 1941 Aufführungen des Wilhelm Tell verboten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten beide
deutschen Staaten gleichermaßen, Schiller zu vereinnahmen. Der greise Thomas Mann hielt seine Schiller-
Rede in Stuttgart und Weimar; im Westen rühmte Theodor Heuss die Freiheitstradition, der man sich
verpflichtet fühle, im Osten hielt Otto Grotewohl eine Rede mit dem Titel »Wir sind ein Volk«
und erklärte, der »nationale Gehalt« von Schillers Lebenswerk stehe in einem
unüberbrückbaren Gegensatz zur »antinationalen Politik« der deutschen Bourgeoisie, die sich
mit US-Hilfe wieder hochgerappelt habe. Als einer der wenigen kritisierte damals Hans Mayer die völlig
ahistorischen Versuche einer Inanspruchnahme von Schiller für die Zwecke der jeweiligen Realpolitik. Es
dauerte aber bis Mitte der 60er Jahre, bis Regisseure wie Zadek, Stein, Monk, Langhoff und Felsenstein
begannen, Schiller »nicht mehr vom Blatt, sondern gegen den Strich« zu spielen, also seine
mögliche Bedeutung für heute auszuloten.
Paul Kleiser
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