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WWährend meiner Ausbildung war ich überzeugt, dass die Waffen die
Hauptrolle spielen würden. Doch nach den ersten Tagen des Jahres 1994, als wir zu erkennen gegeben
hatten, wer wir sind und warum wir kämpfen, ist alles anders geworden«, berichtet Noé,
Erster Hauptmann Insurgente der Infanterie der EZLN. »Aber«, so Noé, »selbst in diesem
friedlichen Kampf mit der Zivilgesellschaft haben wir nie die Waffen abgelegt, weil wir wissen, dass sie
Sicherheit bedeuten. Wenn wir mit friedlichen Mitteln keinen Erfolg haben, werden wir auch weiterhin bereit
sein, zu den Waffen zu greifen.« Noé ist einer der vielen Zapatisten, die in 20 + 10. Das Feuer
und das Wort zu Wort kommen.
Das Buch fasst die Geschichte der
zapatistischen Befreiungsbewegung EZLN in Chiapas, Mexiko, zusammen, es erschien in Mexiko anlässlich
des doppelten Jubiläums zum 20.Jahrestag der Gründung der Organisation (November 1983) und dem
10.Jahrestag seit Beginn des Krieges (1.Januar 1994). Seit Ende 2004 liegt es in deutscher Übersetzung
vor. Geschrieben wurde es von der Journalistin Gloria Múñoz Ramírez, die ab 1997 sieben Jahre mit
den Zapatistas lebte.
Im ersten Teil des Buches berichten Hauptmann
Noé und verschiedene andere Zapatistas der ersten Stunde in kurzen Interviews aus der Anfangszeit und
über ihre Eindrücke und Überlegungen vor dem Aufstand 1994. Ein nicht systematischer
Blick zurück auf die ersten zehn Jahre, also vor dem öffentlichen Auftreten der EZLN.
Zunächst geht es um persönliche Erinnerungen an Subcomandante Pedro, EZLN-Kämpfer der ersten
Generation, der direkt in den Morgenstunden des 1.Januar 1994 im Kampf gegen die mexikanischen Bundesarmee
fiel. Anschließend berichten neun Zapatistas, teils aus militärischen, teils aus zivilen
Strukturen, über die Mühen und Hoffnungen der ersten Phase und wie sie das bisher Erreichte im
Rückblick sehen.
Die Erzählungen fügen sich zu einem
Bild über die gesellschaftliche Verankerung der EZLN in jener Aufbauphase zusammen. Interessante
Innenansichten eines politischen und sozialen Prozesses, die bisher noch nicht in der vorliegenden Form
öffentlich dargelegt wurden. Wer die Ereignisse in Chiapas seit dem Aufstand 1994 aufmerksam verfolgt
hat, wird vor allem an diesem ersten Teil viele interessante Aspekte finden. Vor allem wird in diesem Teil
deutlich, wie die ungewöhnliche Entwicklung der EZLN verlief. Als Guerilla entstanden und zehn Jahre
lang auf konventionellen Krieg vorbereitet, dauerte ihr offener Krieg mit bewaffneten Auseinandersetzungen
tatsächlich nur wenige Tage. Den Zapatistas gelang es in der folgenden Zeit ohne Waffeneinsatz,
politische und mediale Räume zu erobern und breite Sympathien und Hoffnungen zu wecken.
In einem zweiten Teil wird die
öffentliche Geschichte der EZLN erzählt vom Aufstand am 1.1.1994 bis zur Einrichtung der
eigenen regionalen Verwaltung »Juntas der guten Regierung« im August 2003, in einzelnen Kapiteln,
Jahr für Jahr. Sehr deskriptiv gehalten wird hier zwar ein hervorragender Überblick geboten,
jedoch weder Analyse betrieben noch auf Hintergründe eingegangen. Wer nicht die Gelegenheit hatte, die
Ereignisse Aufmerksam mit zu verfolgen, bekommt eine gute Zusammenfassung serviert, allen anderen wird die
Erinnerung aufgefrischt.
Bedeutend ist dies vor allem bezüglich
der im August 2003 neu errichteten Verwaltungsstrukturen, die im deutschsprachigen Raum auf wenig mediale
Beachtung gestoßen und daher weitgehend unverstanden geblieben sind. Für die zapatistische Basis
war das allerdings einer der wichtigsten Schritte der vergangenen 20 Jahre. Sie »sieht schon den
Horizont«, wie es in der EZLN-Hymne heißt.
Im dritten und letzten Teil gibt Subcomandante
Marcos in einem langen Ferninterview er hat die Antworten auf vorformulierte Fragen auf Band
gesprochen Auskunft über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der zapatistischen Bewegung und
zieht eine recht positive Bilanz. Wie gewohnt mit viel Witz und Selbstironie.
Nicht nur das Marcos-Interview, sondern das
gesamte Buch 20 + 10. Das Feuer und das Wort wurde von der Leitung der EZLN »autorisiert«. So ist
es sehr interessant, aber auch aktiver Teil der zapatistischen Mythenbildung. Daher findet sich z.B. auf
die Frage »Warum kamen die ersten Gründungsmitglieder der EZLN nach Chiapas und woher kamen
sie?« keine Antwort. Die Zapatistas waren plötzlich da, einfach so.
Mit dem Wissen, nicht nur ein parteiisches
Buch, sondern eines aus der Perspektive der EZLN zu lesen, ist es aber dennoch ein rundum gut zu lesendes
bedeutendes zeithistorisches und politisches Dokument. Für Einsteiger wie Fortgeschrittene, für
Zweifler wie Verehrer der zapatistischen Bewegung gleichermaßen geeignet.
Dario Azzellini
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