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Der Schachweltmeister Wladimir Kramnik hat jüngst ein entzückendes
Understatement präsentiert. Im Interview mit der Sonntags-FAZ bekennt er »Ich mag es aber nicht,
sehr weit vorauszuschauen.« So etwas gefällt uns: ich könnte, ich kann, ich tue es
aber ich mag es nicht.
Ein ganz großer Vorausschauer vor dem
Herrn möchte dagegen der neue Bezirksleiter der IG Metall für Nordrhein-Westfalen, Detlef Wetzel,
sein. Er tingelt in einer Art innergewerkschaftlichem Doppelvorwahlkampf durch die Lande: er möchte
sich für höhere Ämter in der Metallgewerkschaft präsentieren und er möchte schon
mal die Hinwendung zu einer neuen CDU-Regierung in Berlin einüben. Da müssen dann bewährte
Haudraufnichtssagenheiten ausgepackt werden: Eine neue »Offensivstrategie« der IG Metall sei
nötig, die einen »absoluten Paradigmenwechsel« erfordere.
Hinter der Wortrabulistik verbirgt sich nichts
als eine haarsträubende Verteidigung der katastrophalen Politik der meisten IG-Metall-
Spitzenfunktionäre der letzten Jahre. Die Gewerkschaftspolitik müsse immer weniger um den
Flächentarif und immer mehr im Betrieb stattfinden. Leider sei der Flächentarifvertrag
mittlerweile so löchrig und die Unternehmer hätten mit der EU-Erweiterung so gute
Möglichkeiten, topqualifizierte Billigarbeitskräfte in Osteuropa zu finden, dass die Gewerkschaft
nicht mehr anders handeln könne, als mit jedem Unternehmer einzeln Abweichungen von tariflichen
Regelungen zu verhandeln. Und damit sich das noch als gewerkschaftliche Betätigung bezeichnen lassen
kann, sollen Spezialabkommen dafür sorgen, dass die IG-Metall-Mitglieder etwas weniger als die
Nichtmitglieder verzichten müssen.
Also ungefähr so: wegen der ach so
schlechten Lage des Unternehmens sollen alle Beschäftigten auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten,
und für die IG-Metall-Mitglieder gibt es dann einen Betrag ungefähr in Höhe der
Mitgliedsbeiträge zurück. Mittlerweile sollen es schon 50 nordrhein-westfälische Betriebe
sein, in denen solche Bonusvereinbarungen für Mitglieder parallel zu Sparprogrammen auf Kosten der
Belegschaft vereinbart wurden.
Bei der Firma Kotzolt Lichttechnik in Lemgo
wurde dieses Wegnehmen und ein Bonbon in den Hintern schieben zur Parodie verfeinert: hier versprach wie
zum Hohn der Firmenchef die Übernahme eines gesamten Jahresbeitrags für die IG Metall, damit alle
in die neue »betriebliche Wertschöpfungsgemeinschaft« eintreten und auch gar nicht erst der
Verdacht aufkommt, hier könnte es sich um einen Erfolg gewerkschaftlichen Kampfes handeln. Solch US-
amerikanische Verhältnisse freuen das Herz des neuen IG-Metall-Strategen Wetzel.
Die zur Strategie erhobene Unterwerfung ist
natürlich nicht neu. Vor zwei oder drei Jahren predigte zuletzt der damals noch in Baden-
Württemberg residierende Bertold Huber von Produktionspakten zwischen den Belegschaften und
»ihren« Unternehmern. Neu ist die unverschämte Begründung durch Delef Wetzel: weil die
IG Metall sich durch jahrelange Durchlöcherung des Flächentarifvertrags, zuletzt durch den
elenden Abschluss 2004 in Pforzheim, in eine beschissene Ausgangslage manövriert hat, müsse sie
sich jetzt leider erst recht in die Scheiße wühlen. Das Programm nennt sich »Tarif
aktiv«.
Und da die Gebeutelten immer gern nach warmen
Worten gieren, bietet die Wetzel-IG-Metall noch ihr zweites hübsches »Programm« an. Es
heißt »besser statt billiger« und ist der jüngste Vorstoß in Sachen »Co-
Management«. Jetzt sollen die Betriebsräte zusammen mit den Geschäftsleitungen über
intelligentes Sparen und richtig schöne Standortkonkurrenz nachdenken. Hätte das letzte Gefecht
einen Namen, es könnte gut Detlef Wetzel heißen.
In der Planung von »Tarif aktiv« und
»Besser statt billiger« haben Gewerkschaften, in denen schwache Betriebsbelegschaften von den
starken unterstützt werden, keinen Platz mehr. Dass das »Kollektiv« von einzelnen und sich
bei Bedarf auch gegenseitig bekämpfenden Betriebsgruppen dann noch IG Metall heißt, ist nur eine
verdeckte Rechtfertigung seines eigenen Arbeitsplatzes als Funktionär. Wirklich gebraucht wird der
Kollege Wetzel dann nicht mehr.
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